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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die deutsche Sprache in (Österreich

Frage. Es handelt sich somit, was unsern besondern Gegenstand betrifft,
darum, die nationalen Interessen mit denen des Staates nach Möglichkeit in
Einklang zu bringen und die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart einzurichten,
daß einerseits die jungen Leute nichtdeutscher Nationalität beim Austritt aus
der Schule der deutschen Sprache ebenso in Wort und Schrift mächtig sind,
wie es bei dem ältern Geschlecht noch heute der Fall ist, und daß anderseits
auch die deutsche Jugend in doppelsprachigen Kronländern durch die Schule
eine, wenn auch nicht vollständige, doch immerhin zureichende .Kenntnis der
andern Landessprache erhält.

Zu diesen: Zwecke müssen in gemischtsprachigen Ländern die öffentlichen
Unterrichtsanstalten, kleinere, von örtlichen Verhältnissen erforderte Änderungen
vorbehalten, etwa in nachstehender Weise eingerichtet sein:

1. An der Volks- oder Bürgerschule ist in den vier untern Klassen die
Unterrichtssprache die betreffende nationale, dabei in jeder Klasse täglich eine
Stunde in der andern Landessprache als obligatorischer Lehrgegenstand. In
den höhern Klassen ist die Unterrichtssprache das Deutsche, dabei in jeder Klasse
täglich eine Stunde als obligatorischer Lehrgegenstand in der andern Landes¬
sprache. Es hätten also, z. B. in Böhmen, die deutschen Kinder von ihrem
Eintritt in die Schule bis zum Austritt aus der Volks- oder Bürgerschule
oder bis zum Übertritt in die Mittelschule täglich eine Stunde Unterricht im
Tschechischen, was ihnen nur zu großem Vorteile für das spätere Leben ge¬
reichen kann; die tschechischen Kinder dagegen würden in den vier untern
Klassen hinreichend Deutsch lernen, um in den höhern Klassen den Unterricht
in der deutschen Sprache ohne Schwierigkeit empfangen zu können.

2. An sämtlichen staatlichen Mittelschulen sowie an den mit dem Öffent¬
lichkeitsrecht ausgestatteten Gemeinde- oder Privatmittelschulen, also an den
Gymnasien, Oberrealschulen, Handelsakademien u. s. w., ist die Unterrichtssprache
das Deutsche. Dabei hat jede Klasse täglich eine Stunde als obligatorischen
Lehrgegenstand in der andern Landessprache. Wo mehr als zwei Landes¬
sprachen vorhanden sind, ist, nach Wahl, eine derselben obligatorischer, die
andre fakultativer Lehrgegenstand.

3. An den Hochschulen ist die Vortragssprache die betreffende nationale
der Majorität der Bewohner des Landes. Wo, wie in Böhmen, neben den
nationalen Hochschulen zugleich deutsche bestehen, bleiben diese selbstverständlich
erhalten. An sämtlichen nichtdeutschen Hochschulen muß, was übrigens bereits
der Fall ist, ein Lehrstuhl für Deutsch errichtet sein; um den deutschen Hoch¬
schulen dagegen sind Lehrstühle für sämtliche in Österreich vorhandene uicht-
deutsche Landessprachen zu errichten, wo solche Lehrstühle zur Zeit noch nicht
bestehen.

Dies der Gedanke in großen Zügen. Indem er einerseits auf das, was
früher bestanden hat und durch die Erfahrung erprobt ist, zurückgreift, trägt


Die deutsche Sprache in (Österreich

Frage. Es handelt sich somit, was unsern besondern Gegenstand betrifft,
darum, die nationalen Interessen mit denen des Staates nach Möglichkeit in
Einklang zu bringen und die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart einzurichten,
daß einerseits die jungen Leute nichtdeutscher Nationalität beim Austritt aus
der Schule der deutschen Sprache ebenso in Wort und Schrift mächtig sind,
wie es bei dem ältern Geschlecht noch heute der Fall ist, und daß anderseits
auch die deutsche Jugend in doppelsprachigen Kronländern durch die Schule
eine, wenn auch nicht vollständige, doch immerhin zureichende .Kenntnis der
andern Landessprache erhält.

Zu diesen: Zwecke müssen in gemischtsprachigen Ländern die öffentlichen
Unterrichtsanstalten, kleinere, von örtlichen Verhältnissen erforderte Änderungen
vorbehalten, etwa in nachstehender Weise eingerichtet sein:

1. An der Volks- oder Bürgerschule ist in den vier untern Klassen die
Unterrichtssprache die betreffende nationale, dabei in jeder Klasse täglich eine
Stunde in der andern Landessprache als obligatorischer Lehrgegenstand. In
den höhern Klassen ist die Unterrichtssprache das Deutsche, dabei in jeder Klasse
täglich eine Stunde als obligatorischer Lehrgegenstand in der andern Landes¬
sprache. Es hätten also, z. B. in Böhmen, die deutschen Kinder von ihrem
Eintritt in die Schule bis zum Austritt aus der Volks- oder Bürgerschule
oder bis zum Übertritt in die Mittelschule täglich eine Stunde Unterricht im
Tschechischen, was ihnen nur zu großem Vorteile für das spätere Leben ge¬
reichen kann; die tschechischen Kinder dagegen würden in den vier untern
Klassen hinreichend Deutsch lernen, um in den höhern Klassen den Unterricht
in der deutschen Sprache ohne Schwierigkeit empfangen zu können.

2. An sämtlichen staatlichen Mittelschulen sowie an den mit dem Öffent¬
lichkeitsrecht ausgestatteten Gemeinde- oder Privatmittelschulen, also an den
Gymnasien, Oberrealschulen, Handelsakademien u. s. w., ist die Unterrichtssprache
das Deutsche. Dabei hat jede Klasse täglich eine Stunde als obligatorischen
Lehrgegenstand in der andern Landessprache. Wo mehr als zwei Landes¬
sprachen vorhanden sind, ist, nach Wahl, eine derselben obligatorischer, die
andre fakultativer Lehrgegenstand.

3. An den Hochschulen ist die Vortragssprache die betreffende nationale
der Majorität der Bewohner des Landes. Wo, wie in Böhmen, neben den
nationalen Hochschulen zugleich deutsche bestehen, bleiben diese selbstverständlich
erhalten. An sämtlichen nichtdeutschen Hochschulen muß, was übrigens bereits
der Fall ist, ein Lehrstuhl für Deutsch errichtet sein; um den deutschen Hoch¬
schulen dagegen sind Lehrstühle für sämtliche in Österreich vorhandene uicht-
deutsche Landessprachen zu errichten, wo solche Lehrstühle zur Zeit noch nicht
bestehen.

Dies der Gedanke in großen Zügen. Indem er einerseits auf das, was
früher bestanden hat und durch die Erfahrung erprobt ist, zurückgreift, trägt


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[0542] Die deutsche Sprache in (Österreich Frage. Es handelt sich somit, was unsern besondern Gegenstand betrifft, darum, die nationalen Interessen mit denen des Staates nach Möglichkeit in Einklang zu bringen und die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart einzurichten, daß einerseits die jungen Leute nichtdeutscher Nationalität beim Austritt aus der Schule der deutschen Sprache ebenso in Wort und Schrift mächtig sind, wie es bei dem ältern Geschlecht noch heute der Fall ist, und daß anderseits auch die deutsche Jugend in doppelsprachigen Kronländern durch die Schule eine, wenn auch nicht vollständige, doch immerhin zureichende .Kenntnis der andern Landessprache erhält. Zu diesen: Zwecke müssen in gemischtsprachigen Ländern die öffentlichen Unterrichtsanstalten, kleinere, von örtlichen Verhältnissen erforderte Änderungen vorbehalten, etwa in nachstehender Weise eingerichtet sein: 1. An der Volks- oder Bürgerschule ist in den vier untern Klassen die Unterrichtssprache die betreffende nationale, dabei in jeder Klasse täglich eine Stunde in der andern Landessprache als obligatorischer Lehrgegenstand. In den höhern Klassen ist die Unterrichtssprache das Deutsche, dabei in jeder Klasse täglich eine Stunde als obligatorischer Lehrgegenstand in der andern Landes¬ sprache. Es hätten also, z. B. in Böhmen, die deutschen Kinder von ihrem Eintritt in die Schule bis zum Austritt aus der Volks- oder Bürgerschule oder bis zum Übertritt in die Mittelschule täglich eine Stunde Unterricht im Tschechischen, was ihnen nur zu großem Vorteile für das spätere Leben ge¬ reichen kann; die tschechischen Kinder dagegen würden in den vier untern Klassen hinreichend Deutsch lernen, um in den höhern Klassen den Unterricht in der deutschen Sprache ohne Schwierigkeit empfangen zu können. 2. An sämtlichen staatlichen Mittelschulen sowie an den mit dem Öffent¬ lichkeitsrecht ausgestatteten Gemeinde- oder Privatmittelschulen, also an den Gymnasien, Oberrealschulen, Handelsakademien u. s. w., ist die Unterrichtssprache das Deutsche. Dabei hat jede Klasse täglich eine Stunde als obligatorischen Lehrgegenstand in der andern Landessprache. Wo mehr als zwei Landes¬ sprachen vorhanden sind, ist, nach Wahl, eine derselben obligatorischer, die andre fakultativer Lehrgegenstand. 3. An den Hochschulen ist die Vortragssprache die betreffende nationale der Majorität der Bewohner des Landes. Wo, wie in Böhmen, neben den nationalen Hochschulen zugleich deutsche bestehen, bleiben diese selbstverständlich erhalten. An sämtlichen nichtdeutschen Hochschulen muß, was übrigens bereits der Fall ist, ein Lehrstuhl für Deutsch errichtet sein; um den deutschen Hoch¬ schulen dagegen sind Lehrstühle für sämtliche in Österreich vorhandene uicht- deutsche Landessprachen zu errichten, wo solche Lehrstühle zur Zeit noch nicht bestehen. Dies der Gedanke in großen Zügen. Indem er einerseits auf das, was früher bestanden hat und durch die Erfahrung erprobt ist, zurückgreift, trägt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/542>, abgerufen am 03.07.2024.