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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zehntausend," auf das der weniger Bemittelte oder Mittellose verzichten muß,
und auf diese Weise wird so manchem begabten und tüchtigen aber armen
jungen Manne der Weg zum spätern Fortkommen in der Welt in irmjorcnn
nMong,1it,M8 A'IoriÄM planmäßig versperrt. So und nicht anders stehen die
Dinge heute bei uns, und wenn es so fortgeht, werden sie in nicht allzu ferner
Zukunft noch um vieles schlimmer stehen.

nachgerade fängt freilich auch bei unsern nationalen Chauvinisten die
Überzeugung aufzudämmern an, daß man sich in eine Sackgasse verrannt hat.
Man beginnt aus Abhilfe zu sinnen. Aber die zu diesem Zwecke gelegentlich
gemachten Vorschläge sind so seltsamer Art, daß der Fachmann darüber nur
lächeln kann. Es ist eben das Unglück Österreichs, daß in dieser hochwichtigen
Angelegenheit seiner Zeit Männer das entscheidende Wort sprachen, die ohne
Zweifel im allgemeinen ganz gute Leute, aber, was den besondern Gegenstand
betrifft, herzlich schlechte Musikanten waren.

In der Ausgleichsdebatte im böhmischen Landtage berührte einer der
tschechischen Wortführer, Professor Zucker, kürzlich auch die heikle Sprachen¬
frage. Er meinte, durch eine "bessere Methode" des Unterrichts ließen sich
befriedigendere Ergebnisse erzielen. Man dürfe eben den Unterricht im Deutschen
und im Tschechischen nicht nach Art des Lateinischen und Griechischen betreiben,
sondern müsse zur "Konversatiousmethode" greifen?. Alle Achtung vor dem
juristischen Wissen des Herrn Professor Zucker! Aber vom Sprachunterrichte
in der Schule versteht er nichts. Kouversireu mit einem dulden Hundert und
mehr Buben in einer Klasse ist einfach ein pädagogischer Unsinn. Ans diese
Weise lockt man keinen Hund vom Ofen.

Wie aber soll geholfen werden? Das ist jetzt die Frage, denn daß ge¬
holfen werden muß, und zwar je eher desto besser, ist heute Wohl außer Zweifel.
Ich will in Nachstehendem, selbstverständlich nur im allgemeinen und in großen
Zügen, den einzuschlagenden Weg vorzeichnen, auf die Gefahr hin, daß man
von rechts und links, von Berseba bis Dan, Zetermordio schreien wird. Bei
der Wurzel muß man das Übel fassen, denn mit Flickwerk ist nichts gethan.
Dazu bedarf es keineswegs eines besondern Aufwandes von Scharfsinn, sondern
nur eines offenen Blickes für die wirklichen Verhältnisse, guten Willens und,
was die Hauptsache ist, der gehörigen Thatkraft. Der Staatsmann, der Mut
und Kraft genug besäße, den Gedanken in That umzusetzen, würde sich ein
größeres Verdienst um Osterreich erwerben, als ein Feldherr durch eine ge¬
wonnene Schlacht. Freilich wird man sich hente und für längere Zeit noch
mit Händen und Füßen gegen die vorgeschlagene Umgestaltung sträuben, aber
schließlich wird man sich doch dazu bequemen müssen.

Daß die nationale Bewegung, die fast seit fünf Jahrzehnten Österreich
uicht zur Ruhe kommen läßt, nicht einfach wieder rückläufig gemacht oder
kurzweg beseitigt werden kann, am wenigsten durch rohe Gewalt, ist außer


Zehntausend," auf das der weniger Bemittelte oder Mittellose verzichten muß,
und auf diese Weise wird so manchem begabten und tüchtigen aber armen
jungen Manne der Weg zum spätern Fortkommen in der Welt in irmjorcnn
nMong,1it,M8 A'IoriÄM planmäßig versperrt. So und nicht anders stehen die
Dinge heute bei uns, und wenn es so fortgeht, werden sie in nicht allzu ferner
Zukunft noch um vieles schlimmer stehen.

nachgerade fängt freilich auch bei unsern nationalen Chauvinisten die
Überzeugung aufzudämmern an, daß man sich in eine Sackgasse verrannt hat.
Man beginnt aus Abhilfe zu sinnen. Aber die zu diesem Zwecke gelegentlich
gemachten Vorschläge sind so seltsamer Art, daß der Fachmann darüber nur
lächeln kann. Es ist eben das Unglück Österreichs, daß in dieser hochwichtigen
Angelegenheit seiner Zeit Männer das entscheidende Wort sprachen, die ohne
Zweifel im allgemeinen ganz gute Leute, aber, was den besondern Gegenstand
betrifft, herzlich schlechte Musikanten waren.

In der Ausgleichsdebatte im böhmischen Landtage berührte einer der
tschechischen Wortführer, Professor Zucker, kürzlich auch die heikle Sprachen¬
frage. Er meinte, durch eine „bessere Methode" des Unterrichts ließen sich
befriedigendere Ergebnisse erzielen. Man dürfe eben den Unterricht im Deutschen
und im Tschechischen nicht nach Art des Lateinischen und Griechischen betreiben,
sondern müsse zur „Konversatiousmethode" greifen?. Alle Achtung vor dem
juristischen Wissen des Herrn Professor Zucker! Aber vom Sprachunterrichte
in der Schule versteht er nichts. Kouversireu mit einem dulden Hundert und
mehr Buben in einer Klasse ist einfach ein pädagogischer Unsinn. Ans diese
Weise lockt man keinen Hund vom Ofen.

Wie aber soll geholfen werden? Das ist jetzt die Frage, denn daß ge¬
holfen werden muß, und zwar je eher desto besser, ist heute Wohl außer Zweifel.
Ich will in Nachstehendem, selbstverständlich nur im allgemeinen und in großen
Zügen, den einzuschlagenden Weg vorzeichnen, auf die Gefahr hin, daß man
von rechts und links, von Berseba bis Dan, Zetermordio schreien wird. Bei
der Wurzel muß man das Übel fassen, denn mit Flickwerk ist nichts gethan.
Dazu bedarf es keineswegs eines besondern Aufwandes von Scharfsinn, sondern
nur eines offenen Blickes für die wirklichen Verhältnisse, guten Willens und,
was die Hauptsache ist, der gehörigen Thatkraft. Der Staatsmann, der Mut
und Kraft genug besäße, den Gedanken in That umzusetzen, würde sich ein
größeres Verdienst um Osterreich erwerben, als ein Feldherr durch eine ge¬
wonnene Schlacht. Freilich wird man sich hente und für längere Zeit noch
mit Händen und Füßen gegen die vorgeschlagene Umgestaltung sträuben, aber
schließlich wird man sich doch dazu bequemen müssen.

Daß die nationale Bewegung, die fast seit fünf Jahrzehnten Österreich
uicht zur Ruhe kommen läßt, nicht einfach wieder rückläufig gemacht oder
kurzweg beseitigt werden kann, am wenigsten durch rohe Gewalt, ist außer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/541>, abgerufen am 03.07.2024.