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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der deutschen Kolonialbewegung

besonders aber bei der unbegreiflich leichtherzigen Preisgebung des Somali¬
landes, das werden selbst kühler denkende, wenn sie nur nicht gerade Gegner
der Kolonialpolitik sind, einräumen müssen. Anders liegt, wie ich kurz ein¬
fließen lassen möchte, die Sache wohl in Betreff der Beteiligung Englands an
ostafrikanischen Besitz überhaupt, die, wie ich glaube, zu Unrecht hin und wieder
als ein Fehler deutscher Diplomatie angegriffen wird. Es war meines Tr¬
achtens kein Fehler, einfach weil es unvermeidlich war. England hatte durch
seine Missionen und durch vieljährige diplomatische Vorbereitung gewisse mora¬
lische Besitzansprüche erworben, denen auf deutscher Seite formell unanfechtbare,
ihrem innern Werte nach aber doch einigermaßen fragwürdige Rechtstitel gegen¬
überstanden; man hätte mit unbilliger und unkluger Schroffheit um den Preis
einer nachhaltigen Verstimmung gegen England vorgehen müssen, um es von
dem leidenschaftlich umworbener Gebiete möglicherweise auszuschließen. Mit
großer Spannung sehen wir nun in diesen Tagen dein Abschlüsse neuer Ver¬
handlungen über Ostafrika zwischen den beiderseitigen Regierungen entgegen.
Es handelt sich an erster Stelle um die 1886 leider versäumte Weiterführung
der nördlichen Grenzlinie unsers Einflußgebietes. Wie bekannt, hat in Ver¬
bindung mit andern eine englische Privatgesellschaft, die südafrikanische,
neuerdings den Plan gefaßt, die Teilungsgeschichte des schwarzen Erd¬
teils in letzter Stunde, soweit als irgend möglich, wieder ungeschehen zu
machen, ein Plan, der ebenso sehr durch seine Kühnheit wie durch die Skrupel-
losigkeit seiner bisherigen Ausführung in Erstaunen setzt. In nächster Zeit
wird voraussichtlich in Berlin die endgiltige Entscheidung über das noch un-
vergebene tropische Jnnerafrika fallen. Die englische Tagespresse spiegelt
die lebhafte Erregung wieder, mit der man jenseits des Kanals Verhand¬
lungen gerade unter den plötzlich veränderten gegenwärtigen Umständen ver¬
folgt. Man war dort in den eingeweihten Kreisen guter Dinge, als Stanley
ohne Sorge um eine deutsche Nebenbuhlerschaft zur angeblichen Rettung
unsers Landsmannes Emin Pascha hinauszog: man wiegte sich in der
freundlichen Hoffnung, daß die Äqnatorialproviuz und Umgebung der hohe
Preis der gebrachten Geld- und persönlichen Opfer sein werde. Es ist
heute kein ernstlicher Zweifel mehr möglich, daß sich ausschließlich auf diesem
eigennützigen Grunde das mit dem heuchlerische" Flitter der Humanität be-
hangene Unternehmen des kühnen Amerikaners aufbaute. 'Die verletzte Ehrlich¬
keit hat sich aber durch seiue Erfolglosigkeit an ihrem Beleidiger zu rächen
gewußt. Desto fieberhafter ist die Ungeduld, mit der man jetzt die begehr¬
lichen Hände nach dem bedrohten lockenden Preise ausstreckt. Es handelt sich
vornehmlich um das Königreich Uganda am Nordwestufer des Viktoriasees,
nicht so sehr deshalb, weil es als fruchtbar gilt und dreihundert Quadrat¬
meilen zählt, was bei den ungeheuern Länderstrecken Afrikas nicht allzu viel
bedeuten will, als vielmehr deshalb, weil es da liegt, wo es liegt, weil es


Der gegenwärtige Stand der deutschen Kolonialbewegung

besonders aber bei der unbegreiflich leichtherzigen Preisgebung des Somali¬
landes, das werden selbst kühler denkende, wenn sie nur nicht gerade Gegner
der Kolonialpolitik sind, einräumen müssen. Anders liegt, wie ich kurz ein¬
fließen lassen möchte, die Sache wohl in Betreff der Beteiligung Englands an
ostafrikanischen Besitz überhaupt, die, wie ich glaube, zu Unrecht hin und wieder
als ein Fehler deutscher Diplomatie angegriffen wird. Es war meines Tr¬
achtens kein Fehler, einfach weil es unvermeidlich war. England hatte durch
seine Missionen und durch vieljährige diplomatische Vorbereitung gewisse mora¬
lische Besitzansprüche erworben, denen auf deutscher Seite formell unanfechtbare,
ihrem innern Werte nach aber doch einigermaßen fragwürdige Rechtstitel gegen¬
überstanden; man hätte mit unbilliger und unkluger Schroffheit um den Preis
einer nachhaltigen Verstimmung gegen England vorgehen müssen, um es von
dem leidenschaftlich umworbener Gebiete möglicherweise auszuschließen. Mit
großer Spannung sehen wir nun in diesen Tagen dein Abschlüsse neuer Ver¬
handlungen über Ostafrika zwischen den beiderseitigen Regierungen entgegen.
Es handelt sich an erster Stelle um die 1886 leider versäumte Weiterführung
der nördlichen Grenzlinie unsers Einflußgebietes. Wie bekannt, hat in Ver¬
bindung mit andern eine englische Privatgesellschaft, die südafrikanische,
neuerdings den Plan gefaßt, die Teilungsgeschichte des schwarzen Erd¬
teils in letzter Stunde, soweit als irgend möglich, wieder ungeschehen zu
machen, ein Plan, der ebenso sehr durch seine Kühnheit wie durch die Skrupel-
losigkeit seiner bisherigen Ausführung in Erstaunen setzt. In nächster Zeit
wird voraussichtlich in Berlin die endgiltige Entscheidung über das noch un-
vergebene tropische Jnnerafrika fallen. Die englische Tagespresse spiegelt
die lebhafte Erregung wieder, mit der man jenseits des Kanals Verhand¬
lungen gerade unter den plötzlich veränderten gegenwärtigen Umständen ver¬
folgt. Man war dort in den eingeweihten Kreisen guter Dinge, als Stanley
ohne Sorge um eine deutsche Nebenbuhlerschaft zur angeblichen Rettung
unsers Landsmannes Emin Pascha hinauszog: man wiegte sich in der
freundlichen Hoffnung, daß die Äqnatorialproviuz und Umgebung der hohe
Preis der gebrachten Geld- und persönlichen Opfer sein werde. Es ist
heute kein ernstlicher Zweifel mehr möglich, daß sich ausschließlich auf diesem
eigennützigen Grunde das mit dem heuchlerische» Flitter der Humanität be-
hangene Unternehmen des kühnen Amerikaners aufbaute. 'Die verletzte Ehrlich¬
keit hat sich aber durch seiue Erfolglosigkeit an ihrem Beleidiger zu rächen
gewußt. Desto fieberhafter ist die Ungeduld, mit der man jetzt die begehr¬
lichen Hände nach dem bedrohten lockenden Preise ausstreckt. Es handelt sich
vornehmlich um das Königreich Uganda am Nordwestufer des Viktoriasees,
nicht so sehr deshalb, weil es als fruchtbar gilt und dreihundert Quadrat¬
meilen zählt, was bei den ungeheuern Länderstrecken Afrikas nicht allzu viel
bedeuten will, als vielmehr deshalb, weil es da liegt, wo es liegt, weil es


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[0528] Der gegenwärtige Stand der deutschen Kolonialbewegung besonders aber bei der unbegreiflich leichtherzigen Preisgebung des Somali¬ landes, das werden selbst kühler denkende, wenn sie nur nicht gerade Gegner der Kolonialpolitik sind, einräumen müssen. Anders liegt, wie ich kurz ein¬ fließen lassen möchte, die Sache wohl in Betreff der Beteiligung Englands an ostafrikanischen Besitz überhaupt, die, wie ich glaube, zu Unrecht hin und wieder als ein Fehler deutscher Diplomatie angegriffen wird. Es war meines Tr¬ achtens kein Fehler, einfach weil es unvermeidlich war. England hatte durch seine Missionen und durch vieljährige diplomatische Vorbereitung gewisse mora¬ lische Besitzansprüche erworben, denen auf deutscher Seite formell unanfechtbare, ihrem innern Werte nach aber doch einigermaßen fragwürdige Rechtstitel gegen¬ überstanden; man hätte mit unbilliger und unkluger Schroffheit um den Preis einer nachhaltigen Verstimmung gegen England vorgehen müssen, um es von dem leidenschaftlich umworbener Gebiete möglicherweise auszuschließen. Mit großer Spannung sehen wir nun in diesen Tagen dein Abschlüsse neuer Ver¬ handlungen über Ostafrika zwischen den beiderseitigen Regierungen entgegen. Es handelt sich an erster Stelle um die 1886 leider versäumte Weiterführung der nördlichen Grenzlinie unsers Einflußgebietes. Wie bekannt, hat in Ver¬ bindung mit andern eine englische Privatgesellschaft, die südafrikanische, neuerdings den Plan gefaßt, die Teilungsgeschichte des schwarzen Erd¬ teils in letzter Stunde, soweit als irgend möglich, wieder ungeschehen zu machen, ein Plan, der ebenso sehr durch seine Kühnheit wie durch die Skrupel- losigkeit seiner bisherigen Ausführung in Erstaunen setzt. In nächster Zeit wird voraussichtlich in Berlin die endgiltige Entscheidung über das noch un- vergebene tropische Jnnerafrika fallen. Die englische Tagespresse spiegelt die lebhafte Erregung wieder, mit der man jenseits des Kanals Verhand¬ lungen gerade unter den plötzlich veränderten gegenwärtigen Umständen ver¬ folgt. Man war dort in den eingeweihten Kreisen guter Dinge, als Stanley ohne Sorge um eine deutsche Nebenbuhlerschaft zur angeblichen Rettung unsers Landsmannes Emin Pascha hinauszog: man wiegte sich in der freundlichen Hoffnung, daß die Äqnatorialproviuz und Umgebung der hohe Preis der gebrachten Geld- und persönlichen Opfer sein werde. Es ist heute kein ernstlicher Zweifel mehr möglich, daß sich ausschließlich auf diesem eigennützigen Grunde das mit dem heuchlerische» Flitter der Humanität be- hangene Unternehmen des kühnen Amerikaners aufbaute. 'Die verletzte Ehrlich¬ keit hat sich aber durch seiue Erfolglosigkeit an ihrem Beleidiger zu rächen gewußt. Desto fieberhafter ist die Ungeduld, mit der man jetzt die begehr¬ lichen Hände nach dem bedrohten lockenden Preise ausstreckt. Es handelt sich vornehmlich um das Königreich Uganda am Nordwestufer des Viktoriasees, nicht so sehr deshalb, weil es als fruchtbar gilt und dreihundert Quadrat¬ meilen zählt, was bei den ungeheuern Länderstrecken Afrikas nicht allzu viel bedeuten will, als vielmehr deshalb, weil es da liegt, wo es liegt, weil es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/528>, abgerufen am 01.07.2024.