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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der deutschen Uolonmlbewegung

licher Offenheit allen Schwindelgeschäften entgegenzutreten, da diese das Ver¬
trauen des Publikums zu unsern Kolvnialbestrebungen überhaupt mißbrauchen
und verderben; von solchem Gründungsschwindel weiß auch unsre junge Ko-
lvnialgeschichte schon ein Lied zu singen (man denke an die Unternehmungen
der Herren Zehlike und Genossen). Desgleichen sollten nur Männer von er¬
lesener Tüchtigkeit und Arbeitsamkeit hinausgeschickt werden, die zugleich von
dem Bewußtsein erfüllt sind, daß sie nicht bloß eine geschäftliche, sondern anch
eine patriotische Aufgabe übernommen haben. So ärgerliche Zänkereien, wie
sie lange Zeit in Wien an der Tagesordnung waren, thun doppelten Schaden,
indem sie ebenso sehr den geschäftlichen wie den agitatorischen Erfolg unsrer
Kolvnialarbcit beeinträchtigen.

Von entscheidender Bedeutung sür die erfolgreiche Fortführung des Be¬
gonnenen ist das Verhalten des Reichstags und der Regierung. Man erinnre
sich der Äußerung des Fürsten Bismarck, daß er eines sichern Rückhalts an
der Nation und ihrer geordneten Vertretung für die Kolonialpolitik am wenigsten
entbehren könne. Diese Politik muß in ihren Anfängen mit zu vielen unbe¬
stimmten und unbestimmbaren Größen rechnen und sich dabei für etwaige
unvorhergesehene Zwischenfälle immer den Rückgriff ans die Reichskasse vor¬
behalten, als daß die Negierung die alleinige oder vornehmliche Verantwortung
uicht zu drückend finden sollte. Sie unterliegt in dieser Beziehung ähnlichen
Erfordernissen wie ein moderner Krieg, der durchaus populär sein muß, um
mit dem gehörigen Nachdruck geführt werden zu können. Auch der koloniale
Wettbewerb mit dem Auslande setzt ein zuverlässiges Zusammenwirken der
Regierung und der Volksvertretung voraus. Wieder sind uns in dieser Hinsicht
die Engländer dank ihrer hergebrachten praktischen Einsicht und ihres ange-
bornen Nationalstvlzcs bei weitem überlegen. Ich zweifle wenigstens, ob in
England ein ähnlich querköpfiges Urteil möglich oder doch in so weitreichender
Geltung möglich sei, wie der hierzulande noch immer verteidigte Satz: "Afrika
ist ungesund, wo es fruchtbar, und unfruchtbar, wo es gesund ist" -- quer¬
köpfig hauptsächlich darum, weil seine Nuhäuger gerade in dieser Kernfrage die
sonst hochgepriesene Autorität unsrer Vettern jenseits des Kanals nicht gelten
lassen wollen, die doch mit dem überzeugendsten Aufwand an ehrlichen und
unehrlichen Mitteln die Beschlagnahme dieser verrufenen Gegenden auf Kosten
fremder Nationen, besonders unsrer eignen, betreiben.

Wie steht es nun mit den voraussichtlichen künftigen Finauzansprüchen
unsrer Kolonialpolitik an das Reich? Kamerun und Togo stehen finanziell
schon auf eignen Füßen, die überschüssigen Verwaltungsausgaben Neuguineas
deckt die Privatgesellschaft; mir Südwest- und Ostafrika belasten noch den
Reichshaushalt. Aber nichts nützlicher und im vorliegenden Falle auch tröst¬
licher, als große Entwicklungen mit dem Maßstab geschichtlicher "Analogien"
zu betrachten lind zu schätzen; man thue es auch hier und erinnere sich nur,


Der gegenwärtige Stand der deutschen Uolonmlbewegung

licher Offenheit allen Schwindelgeschäften entgegenzutreten, da diese das Ver¬
trauen des Publikums zu unsern Kolvnialbestrebungen überhaupt mißbrauchen
und verderben; von solchem Gründungsschwindel weiß auch unsre junge Ko-
lvnialgeschichte schon ein Lied zu singen (man denke an die Unternehmungen
der Herren Zehlike und Genossen). Desgleichen sollten nur Männer von er¬
lesener Tüchtigkeit und Arbeitsamkeit hinausgeschickt werden, die zugleich von
dem Bewußtsein erfüllt sind, daß sie nicht bloß eine geschäftliche, sondern anch
eine patriotische Aufgabe übernommen haben. So ärgerliche Zänkereien, wie
sie lange Zeit in Wien an der Tagesordnung waren, thun doppelten Schaden,
indem sie ebenso sehr den geschäftlichen wie den agitatorischen Erfolg unsrer
Kolvnialarbcit beeinträchtigen.

Von entscheidender Bedeutung sür die erfolgreiche Fortführung des Be¬
gonnenen ist das Verhalten des Reichstags und der Regierung. Man erinnre
sich der Äußerung des Fürsten Bismarck, daß er eines sichern Rückhalts an
der Nation und ihrer geordneten Vertretung für die Kolonialpolitik am wenigsten
entbehren könne. Diese Politik muß in ihren Anfängen mit zu vielen unbe¬
stimmten und unbestimmbaren Größen rechnen und sich dabei für etwaige
unvorhergesehene Zwischenfälle immer den Rückgriff ans die Reichskasse vor¬
behalten, als daß die Negierung die alleinige oder vornehmliche Verantwortung
uicht zu drückend finden sollte. Sie unterliegt in dieser Beziehung ähnlichen
Erfordernissen wie ein moderner Krieg, der durchaus populär sein muß, um
mit dem gehörigen Nachdruck geführt werden zu können. Auch der koloniale
Wettbewerb mit dem Auslande setzt ein zuverlässiges Zusammenwirken der
Regierung und der Volksvertretung voraus. Wieder sind uns in dieser Hinsicht
die Engländer dank ihrer hergebrachten praktischen Einsicht und ihres ange-
bornen Nationalstvlzcs bei weitem überlegen. Ich zweifle wenigstens, ob in
England ein ähnlich querköpfiges Urteil möglich oder doch in so weitreichender
Geltung möglich sei, wie der hierzulande noch immer verteidigte Satz: „Afrika
ist ungesund, wo es fruchtbar, und unfruchtbar, wo es gesund ist" — quer¬
köpfig hauptsächlich darum, weil seine Nuhäuger gerade in dieser Kernfrage die
sonst hochgepriesene Autorität unsrer Vettern jenseits des Kanals nicht gelten
lassen wollen, die doch mit dem überzeugendsten Aufwand an ehrlichen und
unehrlichen Mitteln die Beschlagnahme dieser verrufenen Gegenden auf Kosten
fremder Nationen, besonders unsrer eignen, betreiben.

Wie steht es nun mit den voraussichtlichen künftigen Finauzansprüchen
unsrer Kolonialpolitik an das Reich? Kamerun und Togo stehen finanziell
schon auf eignen Füßen, die überschüssigen Verwaltungsausgaben Neuguineas
deckt die Privatgesellschaft; mir Südwest- und Ostafrika belasten noch den
Reichshaushalt. Aber nichts nützlicher und im vorliegenden Falle auch tröst¬
licher, als große Entwicklungen mit dem Maßstab geschichtlicher „Analogien"
zu betrachten lind zu schätzen; man thue es auch hier und erinnere sich nur,


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[0526] Der gegenwärtige Stand der deutschen Uolonmlbewegung licher Offenheit allen Schwindelgeschäften entgegenzutreten, da diese das Ver¬ trauen des Publikums zu unsern Kolvnialbestrebungen überhaupt mißbrauchen und verderben; von solchem Gründungsschwindel weiß auch unsre junge Ko- lvnialgeschichte schon ein Lied zu singen (man denke an die Unternehmungen der Herren Zehlike und Genossen). Desgleichen sollten nur Männer von er¬ lesener Tüchtigkeit und Arbeitsamkeit hinausgeschickt werden, die zugleich von dem Bewußtsein erfüllt sind, daß sie nicht bloß eine geschäftliche, sondern anch eine patriotische Aufgabe übernommen haben. So ärgerliche Zänkereien, wie sie lange Zeit in Wien an der Tagesordnung waren, thun doppelten Schaden, indem sie ebenso sehr den geschäftlichen wie den agitatorischen Erfolg unsrer Kolvnialarbcit beeinträchtigen. Von entscheidender Bedeutung sür die erfolgreiche Fortführung des Be¬ gonnenen ist das Verhalten des Reichstags und der Regierung. Man erinnre sich der Äußerung des Fürsten Bismarck, daß er eines sichern Rückhalts an der Nation und ihrer geordneten Vertretung für die Kolonialpolitik am wenigsten entbehren könne. Diese Politik muß in ihren Anfängen mit zu vielen unbe¬ stimmten und unbestimmbaren Größen rechnen und sich dabei für etwaige unvorhergesehene Zwischenfälle immer den Rückgriff ans die Reichskasse vor¬ behalten, als daß die Negierung die alleinige oder vornehmliche Verantwortung uicht zu drückend finden sollte. Sie unterliegt in dieser Beziehung ähnlichen Erfordernissen wie ein moderner Krieg, der durchaus populär sein muß, um mit dem gehörigen Nachdruck geführt werden zu können. Auch der koloniale Wettbewerb mit dem Auslande setzt ein zuverlässiges Zusammenwirken der Regierung und der Volksvertretung voraus. Wieder sind uns in dieser Hinsicht die Engländer dank ihrer hergebrachten praktischen Einsicht und ihres ange- bornen Nationalstvlzcs bei weitem überlegen. Ich zweifle wenigstens, ob in England ein ähnlich querköpfiges Urteil möglich oder doch in so weitreichender Geltung möglich sei, wie der hierzulande noch immer verteidigte Satz: „Afrika ist ungesund, wo es fruchtbar, und unfruchtbar, wo es gesund ist" — quer¬ köpfig hauptsächlich darum, weil seine Nuhäuger gerade in dieser Kernfrage die sonst hochgepriesene Autorität unsrer Vettern jenseits des Kanals nicht gelten lassen wollen, die doch mit dem überzeugendsten Aufwand an ehrlichen und unehrlichen Mitteln die Beschlagnahme dieser verrufenen Gegenden auf Kosten fremder Nationen, besonders unsrer eignen, betreiben. Wie steht es nun mit den voraussichtlichen künftigen Finauzansprüchen unsrer Kolonialpolitik an das Reich? Kamerun und Togo stehen finanziell schon auf eignen Füßen, die überschüssigen Verwaltungsausgaben Neuguineas deckt die Privatgesellschaft; mir Südwest- und Ostafrika belasten noch den Reichshaushalt. Aber nichts nützlicher und im vorliegenden Falle auch tröst¬ licher, als große Entwicklungen mit dem Maßstab geschichtlicher „Analogien" zu betrachten lind zu schätzen; man thue es auch hier und erinnere sich nur,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/526>, abgerufen am 03.07.2024.