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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der deutschen Rolonialbemegnng

Recht, mit Befriedigung auf ihren volkstümlichen Ursprung hinzublicken. Allein
so gewiß es ist, daß die Regierung ein ungleich geringeres Verdienst der
"Initiative" hat als die zahlreichen theoretischen und die wenigen praktischen
Bahnbrecher deutscher Kolonisation aus dem Volke, so steht doch bis zur
Stunde die Zahl der beteiligten Kapitalisten noch außer allein wünschens¬
werten Verhältnis zu deren Gesamtzahl. Gerade in dem jetzigen Abschnitt
unsrer Kvlonialentwickluug sollte dieser Baun gebrochen werden. Die Mäuner,
die ihr Leben für die Anbahnung einer kolonialen Zukunft unsers Baterlandes
einsetzten, haben das, was sie erstrebten, mit erstaunlich geringen Mitteln
erreicht; nunmehr ist es hohe Zeit, daß in unsern besitzenden Kreisen Neigung
und Gewohnheit Wurzel fasse, unsre überseeischen Besitzungen als ergiebige
Ausbeutnngsfelder anzusehen. Gewiß muß die Neichsregierung fortfahren,
durch entsprechende wirksame Maßregeln Bürgschaften sür eine möglichst un¬
gestörte Privatbethätigung in den Kolonien zu schaffen; das ist eine Bedingung,
ohne deren Erfüllung dem Kapital nicht wohl das Betreten dieser neuen Wege
zugemutet werden kann. Aber was nicht minder wichtig ist: es muß feine eigne
Zaghaftigkeit bekämpfen und verlieren, die es gerade, ja fast ausschließlich unsern
kolonialen Wertmitteln gegenüber an den Tag legt. Wer auch nur im vorigen Jahre
beobachtet hat, mit welcher Hast das besitzende Publikum sich zu den Gründungen
drängte, die in kaum dagewesener plötzlicher Fülle aus dem deutscheu Wirtschafts-
bvden Hervorschossen, und wer nun an der Hand des Börsenzettels die gegenwärtige
Schützung derselben mit dein damaligen Ankaufspreise vergleicht, der wird sich
überzeugen, wie blind und wild jene hastige Mitbeteilignng in zahlreichen
Füllen gewesen ist, und den Glanben an eine allgemeine vorsichtige Zurück¬
haltung unsrer besitzenden Klassen verlieren. Aber das ist es eben: wir haben
abgesehen davon, daß uns manche neue Zöpfe gewachsen sind, noch nicht alle
aus früherer Zeit vererbten abgeschnitten, unter andern auch nicht den des
Mißtrauens gegen unsre wirtschaftliche Kraft. Wenn man dein gegenüber den
scharfen, glücklichen Gegensatz Englands hervorhebt, so wird einem gewöhnlich
die Antwort, daß auf dieser gesegneten meerumflossenen Insel bei gleichzeitiger
größerer Entbehrlichkeit eines zehrenden, Wehrstandes eine ungleich größere
Kapitalfttlle aufgespeichert sei als bei uns, und das ist ja freilich eine leidige
Wahrheit. Allein schon der Hinweis auf die geringe oder doch wesentlich
überschätzte Einträglichkeit so zahlreicher heimischer Jndustriewerte oder auch
ausländischer Papiere, zu deren Erwerb sich das Publikum massenhaft drängt,
überhebt uns jedes weitern Nachweises, daß in Deutschland Kapitalien genug
vorhanden sind, um auch eine vorläufig gewagtere Anlage nicht zu scheuen.
Die technischen Mittel dieses neuen Verkehrs, wie überseeische Banken und der¬
gleichen, wird das Bedürfnis leicht und rasch schaffen, wenn es mir selbst erst
w ausreichendem Grade vorhanden ist. Aus dieser Sachlage ergiebt sich aber
für jeden Wohlmeinenden die doppelt ernste Verpflichtung, mit unuachsicht-


Der gegenwärtige Stand der deutschen Rolonialbemegnng

Recht, mit Befriedigung auf ihren volkstümlichen Ursprung hinzublicken. Allein
so gewiß es ist, daß die Regierung ein ungleich geringeres Verdienst der
„Initiative" hat als die zahlreichen theoretischen und die wenigen praktischen
Bahnbrecher deutscher Kolonisation aus dem Volke, so steht doch bis zur
Stunde die Zahl der beteiligten Kapitalisten noch außer allein wünschens¬
werten Verhältnis zu deren Gesamtzahl. Gerade in dem jetzigen Abschnitt
unsrer Kvlonialentwickluug sollte dieser Baun gebrochen werden. Die Mäuner,
die ihr Leben für die Anbahnung einer kolonialen Zukunft unsers Baterlandes
einsetzten, haben das, was sie erstrebten, mit erstaunlich geringen Mitteln
erreicht; nunmehr ist es hohe Zeit, daß in unsern besitzenden Kreisen Neigung
und Gewohnheit Wurzel fasse, unsre überseeischen Besitzungen als ergiebige
Ausbeutnngsfelder anzusehen. Gewiß muß die Neichsregierung fortfahren,
durch entsprechende wirksame Maßregeln Bürgschaften sür eine möglichst un¬
gestörte Privatbethätigung in den Kolonien zu schaffen; das ist eine Bedingung,
ohne deren Erfüllung dem Kapital nicht wohl das Betreten dieser neuen Wege
zugemutet werden kann. Aber was nicht minder wichtig ist: es muß feine eigne
Zaghaftigkeit bekämpfen und verlieren, die es gerade, ja fast ausschließlich unsern
kolonialen Wertmitteln gegenüber an den Tag legt. Wer auch nur im vorigen Jahre
beobachtet hat, mit welcher Hast das besitzende Publikum sich zu den Gründungen
drängte, die in kaum dagewesener plötzlicher Fülle aus dem deutscheu Wirtschafts-
bvden Hervorschossen, und wer nun an der Hand des Börsenzettels die gegenwärtige
Schützung derselben mit dein damaligen Ankaufspreise vergleicht, der wird sich
überzeugen, wie blind und wild jene hastige Mitbeteilignng in zahlreichen
Füllen gewesen ist, und den Glanben an eine allgemeine vorsichtige Zurück¬
haltung unsrer besitzenden Klassen verlieren. Aber das ist es eben: wir haben
abgesehen davon, daß uns manche neue Zöpfe gewachsen sind, noch nicht alle
aus früherer Zeit vererbten abgeschnitten, unter andern auch nicht den des
Mißtrauens gegen unsre wirtschaftliche Kraft. Wenn man dein gegenüber den
scharfen, glücklichen Gegensatz Englands hervorhebt, so wird einem gewöhnlich
die Antwort, daß auf dieser gesegneten meerumflossenen Insel bei gleichzeitiger
größerer Entbehrlichkeit eines zehrenden, Wehrstandes eine ungleich größere
Kapitalfttlle aufgespeichert sei als bei uns, und das ist ja freilich eine leidige
Wahrheit. Allein schon der Hinweis auf die geringe oder doch wesentlich
überschätzte Einträglichkeit so zahlreicher heimischer Jndustriewerte oder auch
ausländischer Papiere, zu deren Erwerb sich das Publikum massenhaft drängt,
überhebt uns jedes weitern Nachweises, daß in Deutschland Kapitalien genug
vorhanden sind, um auch eine vorläufig gewagtere Anlage nicht zu scheuen.
Die technischen Mittel dieses neuen Verkehrs, wie überseeische Banken und der¬
gleichen, wird das Bedürfnis leicht und rasch schaffen, wenn es mir selbst erst
w ausreichendem Grade vorhanden ist. Aus dieser Sachlage ergiebt sich aber
für jeden Wohlmeinenden die doppelt ernste Verpflichtung, mit unuachsicht-


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[0525] Der gegenwärtige Stand der deutschen Rolonialbemegnng Recht, mit Befriedigung auf ihren volkstümlichen Ursprung hinzublicken. Allein so gewiß es ist, daß die Regierung ein ungleich geringeres Verdienst der „Initiative" hat als die zahlreichen theoretischen und die wenigen praktischen Bahnbrecher deutscher Kolonisation aus dem Volke, so steht doch bis zur Stunde die Zahl der beteiligten Kapitalisten noch außer allein wünschens¬ werten Verhältnis zu deren Gesamtzahl. Gerade in dem jetzigen Abschnitt unsrer Kvlonialentwickluug sollte dieser Baun gebrochen werden. Die Mäuner, die ihr Leben für die Anbahnung einer kolonialen Zukunft unsers Baterlandes einsetzten, haben das, was sie erstrebten, mit erstaunlich geringen Mitteln erreicht; nunmehr ist es hohe Zeit, daß in unsern besitzenden Kreisen Neigung und Gewohnheit Wurzel fasse, unsre überseeischen Besitzungen als ergiebige Ausbeutnngsfelder anzusehen. Gewiß muß die Neichsregierung fortfahren, durch entsprechende wirksame Maßregeln Bürgschaften sür eine möglichst un¬ gestörte Privatbethätigung in den Kolonien zu schaffen; das ist eine Bedingung, ohne deren Erfüllung dem Kapital nicht wohl das Betreten dieser neuen Wege zugemutet werden kann. Aber was nicht minder wichtig ist: es muß feine eigne Zaghaftigkeit bekämpfen und verlieren, die es gerade, ja fast ausschließlich unsern kolonialen Wertmitteln gegenüber an den Tag legt. Wer auch nur im vorigen Jahre beobachtet hat, mit welcher Hast das besitzende Publikum sich zu den Gründungen drängte, die in kaum dagewesener plötzlicher Fülle aus dem deutscheu Wirtschafts- bvden Hervorschossen, und wer nun an der Hand des Börsenzettels die gegenwärtige Schützung derselben mit dein damaligen Ankaufspreise vergleicht, der wird sich überzeugen, wie blind und wild jene hastige Mitbeteilignng in zahlreichen Füllen gewesen ist, und den Glanben an eine allgemeine vorsichtige Zurück¬ haltung unsrer besitzenden Klassen verlieren. Aber das ist es eben: wir haben abgesehen davon, daß uns manche neue Zöpfe gewachsen sind, noch nicht alle aus früherer Zeit vererbten abgeschnitten, unter andern auch nicht den des Mißtrauens gegen unsre wirtschaftliche Kraft. Wenn man dein gegenüber den scharfen, glücklichen Gegensatz Englands hervorhebt, so wird einem gewöhnlich die Antwort, daß auf dieser gesegneten meerumflossenen Insel bei gleichzeitiger größerer Entbehrlichkeit eines zehrenden, Wehrstandes eine ungleich größere Kapitalfttlle aufgespeichert sei als bei uns, und das ist ja freilich eine leidige Wahrheit. Allein schon der Hinweis auf die geringe oder doch wesentlich überschätzte Einträglichkeit so zahlreicher heimischer Jndustriewerte oder auch ausländischer Papiere, zu deren Erwerb sich das Publikum massenhaft drängt, überhebt uns jedes weitern Nachweises, daß in Deutschland Kapitalien genug vorhanden sind, um auch eine vorläufig gewagtere Anlage nicht zu scheuen. Die technischen Mittel dieses neuen Verkehrs, wie überseeische Banken und der¬ gleichen, wird das Bedürfnis leicht und rasch schaffen, wenn es mir selbst erst w ausreichendem Grade vorhanden ist. Aus dieser Sachlage ergiebt sich aber für jeden Wohlmeinenden die doppelt ernste Verpflichtung, mit unuachsicht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/525>, abgerufen am 01.07.2024.