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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der deutschen Uolomalbewegimg

Reihen des Zentrums Vorschub geleistet wird. Auch vereinzelte Mitglieder andrer
Parteien verstärken den Neigen dieser Ungläubigen, meist deshalb, weil sie sich
mit der Sache nicht eingehender befaßt haben: so rasch wir heute auch leben,
so leben wir doch nicht so rasch, daß im Verlaufe von kurzen fünf Jahren
eine so fremdartig neue Erscheinung wie die deutsche Kolonisation einem all¬
seitigen Verständnis und Vertrauen im Publikum begegnen könnte. Doch auch
hier dürfen wir eine tröstliche Thatsache feststellen: der Kolonialgedanke macht
nicht Rückschritte, sondern Fortschritte, langsame vielleicht, aber doch stetige.
Das kann man wie im tägliche" Gespräche so besonders in der verschiednen
Haltung der Presse und des Reichstages sonst und jetzt deutlich wahrnehmen.
Die verdienstliche werbende Thätigkeit der "Deutschen Kolonialgesellschaft," der
von Jahr zu Jahr ein immer reicherer Veobachtungs- und Erfahrungsstoff aus
den Kolonien zufließt, und mehr noch der von den Verhältnissen der Nation
auferlegte Zwang, für die Sache thätig einzutreten, wie es vornehmlich in
Ostafrika durch die Expeditionen von Wißmann, Peters und Emin Pascha zur
Zeit geschieht, kommen hier zu erfreulicher Wirkung. Außerdem haben die fünf
Anfangsjahre deutscher Kolonialpolitik für jeden, der sehen will, auch gewichtige
praktische Beweise ihrer Berechtigung erbracht, nicht bloß in Kamerun und
Togo, sondern auch in Neuguinea und Ostnfrika, wenn sie auch freilich in ihrer
Gesamterscheinung noch nicht die erfreuliche Gestalt von Bilanzüberschüsscn an¬
genommen haben. In jeden: Falle giebt es nur sehr wenige urteilsfähige
Stimmen, die sich für keine geringere "Blamage" als die völlige Preisgebung
der bisherigen Errungenschaften begeistern; es muß auch wunderliche, auch solche
Käuze geben. Noch nie hat es einer großen und gesunden geschichtlichen Be¬
wegung an Gegenkräften und Gegeuinteressen gefehlt; man muß sie als etwas
Menschliches, als einen Ausfluß irdischer Gebrechlichkeit hinnehmen. Aber auch
Stillstand ^ das wollen wir uns dankbar von dem neuen Reichskanzler
gesagt sein lassen -- bedeutet schon Rückschritt: was kann viel Gutes bei einer
Sache Herauskommen, bei der man nur mit halbem Herzen ist, die man nur
zögernd und widerwillig angreift? Nicht bloß deshalb, weil nun einmal A
gesagt ist, muß weiter buchstabirt werden, sondern weil das A-sagen be¬
rechtigt und notwendig war -- das müßte der allgemeine Standpunkt zur
Sache sein oder werden, den sich insbesondre eine gewisse Gesellschaftsgruppe
zu eigen machen sollte, ans die es in diesen Dingen vor allem ankommt. Die
Koloniefrage, soweit sie heute uoch eine solche ist -- und sie schließt, wie
gesagt, immer noch ein großes Bündel von ungelösten Einzelfragen ein ^, ist
in der Hauptsache eine Geldfrage, und zwar in dem Sinne, daß die wohl¬
habenderen Klassen des Privatpublikums den geschäftlichen Mut gewinnen
müssen, dem aufgeschlossenen jungfräulichen Arbeitsfelde die befruchtende Wirkung
des Kapitals zuzuwenden. Ohne Frage hat die Nation, selbst wenn unsre
Kolonialversuche am letzten Ende mißlingen sollten, allen Grund und alles


Der gegenwärtige Stand der deutschen Uolomalbewegimg

Reihen des Zentrums Vorschub geleistet wird. Auch vereinzelte Mitglieder andrer
Parteien verstärken den Neigen dieser Ungläubigen, meist deshalb, weil sie sich
mit der Sache nicht eingehender befaßt haben: so rasch wir heute auch leben,
so leben wir doch nicht so rasch, daß im Verlaufe von kurzen fünf Jahren
eine so fremdartig neue Erscheinung wie die deutsche Kolonisation einem all¬
seitigen Verständnis und Vertrauen im Publikum begegnen könnte. Doch auch
hier dürfen wir eine tröstliche Thatsache feststellen: der Kolonialgedanke macht
nicht Rückschritte, sondern Fortschritte, langsame vielleicht, aber doch stetige.
Das kann man wie im tägliche» Gespräche so besonders in der verschiednen
Haltung der Presse und des Reichstages sonst und jetzt deutlich wahrnehmen.
Die verdienstliche werbende Thätigkeit der „Deutschen Kolonialgesellschaft," der
von Jahr zu Jahr ein immer reicherer Veobachtungs- und Erfahrungsstoff aus
den Kolonien zufließt, und mehr noch der von den Verhältnissen der Nation
auferlegte Zwang, für die Sache thätig einzutreten, wie es vornehmlich in
Ostafrika durch die Expeditionen von Wißmann, Peters und Emin Pascha zur
Zeit geschieht, kommen hier zu erfreulicher Wirkung. Außerdem haben die fünf
Anfangsjahre deutscher Kolonialpolitik für jeden, der sehen will, auch gewichtige
praktische Beweise ihrer Berechtigung erbracht, nicht bloß in Kamerun und
Togo, sondern auch in Neuguinea und Ostnfrika, wenn sie auch freilich in ihrer
Gesamterscheinung noch nicht die erfreuliche Gestalt von Bilanzüberschüsscn an¬
genommen haben. In jeden: Falle giebt es nur sehr wenige urteilsfähige
Stimmen, die sich für keine geringere „Blamage" als die völlige Preisgebung
der bisherigen Errungenschaften begeistern; es muß auch wunderliche, auch solche
Käuze geben. Noch nie hat es einer großen und gesunden geschichtlichen Be¬
wegung an Gegenkräften und Gegeuinteressen gefehlt; man muß sie als etwas
Menschliches, als einen Ausfluß irdischer Gebrechlichkeit hinnehmen. Aber auch
Stillstand ^ das wollen wir uns dankbar von dem neuen Reichskanzler
gesagt sein lassen — bedeutet schon Rückschritt: was kann viel Gutes bei einer
Sache Herauskommen, bei der man nur mit halbem Herzen ist, die man nur
zögernd und widerwillig angreift? Nicht bloß deshalb, weil nun einmal A
gesagt ist, muß weiter buchstabirt werden, sondern weil das A-sagen be¬
rechtigt und notwendig war — das müßte der allgemeine Standpunkt zur
Sache sein oder werden, den sich insbesondre eine gewisse Gesellschaftsgruppe
zu eigen machen sollte, ans die es in diesen Dingen vor allem ankommt. Die
Koloniefrage, soweit sie heute uoch eine solche ist — und sie schließt, wie
gesagt, immer noch ein großes Bündel von ungelösten Einzelfragen ein ^, ist
in der Hauptsache eine Geldfrage, und zwar in dem Sinne, daß die wohl¬
habenderen Klassen des Privatpublikums den geschäftlichen Mut gewinnen
müssen, dem aufgeschlossenen jungfräulichen Arbeitsfelde die befruchtende Wirkung
des Kapitals zuzuwenden. Ohne Frage hat die Nation, selbst wenn unsre
Kolonialversuche am letzten Ende mißlingen sollten, allen Grund und alles


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[0524] Der gegenwärtige Stand der deutschen Uolomalbewegimg Reihen des Zentrums Vorschub geleistet wird. Auch vereinzelte Mitglieder andrer Parteien verstärken den Neigen dieser Ungläubigen, meist deshalb, weil sie sich mit der Sache nicht eingehender befaßt haben: so rasch wir heute auch leben, so leben wir doch nicht so rasch, daß im Verlaufe von kurzen fünf Jahren eine so fremdartig neue Erscheinung wie die deutsche Kolonisation einem all¬ seitigen Verständnis und Vertrauen im Publikum begegnen könnte. Doch auch hier dürfen wir eine tröstliche Thatsache feststellen: der Kolonialgedanke macht nicht Rückschritte, sondern Fortschritte, langsame vielleicht, aber doch stetige. Das kann man wie im tägliche» Gespräche so besonders in der verschiednen Haltung der Presse und des Reichstages sonst und jetzt deutlich wahrnehmen. Die verdienstliche werbende Thätigkeit der „Deutschen Kolonialgesellschaft," der von Jahr zu Jahr ein immer reicherer Veobachtungs- und Erfahrungsstoff aus den Kolonien zufließt, und mehr noch der von den Verhältnissen der Nation auferlegte Zwang, für die Sache thätig einzutreten, wie es vornehmlich in Ostafrika durch die Expeditionen von Wißmann, Peters und Emin Pascha zur Zeit geschieht, kommen hier zu erfreulicher Wirkung. Außerdem haben die fünf Anfangsjahre deutscher Kolonialpolitik für jeden, der sehen will, auch gewichtige praktische Beweise ihrer Berechtigung erbracht, nicht bloß in Kamerun und Togo, sondern auch in Neuguinea und Ostnfrika, wenn sie auch freilich in ihrer Gesamterscheinung noch nicht die erfreuliche Gestalt von Bilanzüberschüsscn an¬ genommen haben. In jeden: Falle giebt es nur sehr wenige urteilsfähige Stimmen, die sich für keine geringere „Blamage" als die völlige Preisgebung der bisherigen Errungenschaften begeistern; es muß auch wunderliche, auch solche Käuze geben. Noch nie hat es einer großen und gesunden geschichtlichen Be¬ wegung an Gegenkräften und Gegeuinteressen gefehlt; man muß sie als etwas Menschliches, als einen Ausfluß irdischer Gebrechlichkeit hinnehmen. Aber auch Stillstand ^ das wollen wir uns dankbar von dem neuen Reichskanzler gesagt sein lassen — bedeutet schon Rückschritt: was kann viel Gutes bei einer Sache Herauskommen, bei der man nur mit halbem Herzen ist, die man nur zögernd und widerwillig angreift? Nicht bloß deshalb, weil nun einmal A gesagt ist, muß weiter buchstabirt werden, sondern weil das A-sagen be¬ rechtigt und notwendig war — das müßte der allgemeine Standpunkt zur Sache sein oder werden, den sich insbesondre eine gewisse Gesellschaftsgruppe zu eigen machen sollte, ans die es in diesen Dingen vor allem ankommt. Die Koloniefrage, soweit sie heute uoch eine solche ist — und sie schließt, wie gesagt, immer noch ein großes Bündel von ungelösten Einzelfragen ein ^, ist in der Hauptsache eine Geldfrage, und zwar in dem Sinne, daß die wohl¬ habenderen Klassen des Privatpublikums den geschäftlichen Mut gewinnen müssen, dem aufgeschlossenen jungfräulichen Arbeitsfelde die befruchtende Wirkung des Kapitals zuzuwenden. Ohne Frage hat die Nation, selbst wenn unsre Kolonialversuche am letzten Ende mißlingen sollten, allen Grund und alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/524>, abgerufen am 29.06.2024.