Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Wiener Volkstheater

waren als an den Abenden, ist eigentlich gleichgültig, doch mag es erwähnt
sein, weil es verrät, welche Auffassung die Direktion vou diesen wichtigen
Vorstellungen hegt. An Sonntagsnachmittagcn gehen die Leute massenhaft ins
Theater -- alle die, die in der Woche nicht Zeit haben --, wozu sich also
anstrengen, da auf alle Fülle Zuschauer kommen, was und wie auch gespielt
werden mag! Es gilt, mit möglichst wenig Kosten möglichst viel Geld zu
verdienen, alles andre ist Nebensache.

Direktor Emerich Bukvvics, dieser lloino uovu8 in der Theater- und
Litteraturwelt, erwies sich bald als ein bloßer Strohmann. Sein Bruder Karl,
der vor zwei Jahren gestorben ist, erfreute sich als guter Komiker großer Be¬
liebtheit in Wien, besonders in den höhern Gesellschaftskreisen, denen er bei
den Aufführungen von Dilettantenvvrstelluugen öfters behilflich gewesen war.
Es ist Thatsache, wenn es auch beinahe unglaublich ist, daß es hauptsächlich
diese Bruderschaft gewesen ist, die Emerich die Direktion des neuen Theaters
verschafft hat. Denn er besaß weder Geld, noch hatte er irgend ein theatra¬
lisches oder litterarisches Verdienst. Niemals hat er ein gutes Stück ge¬
schrieben oder mit Schauspielern einstudirt, niemals früher ein Theater ver¬
waltet; er war jahrelang Journalist in Paris und wurde mir durch den
Einfluß der Gönner seines Bruders zur Leitung des -- deutschen Volkstheaters
nach Wien berufen. Nicht genug damit, auch die Tochter des verstorbenen
Karl v. Vukovics, eine Schauspielerin vou sehr mäßigem Talent, sollte hier
eine gute Versorgung finden, und sie fand sie: eine Menge von Rollen, für
die sie durchaus nicht die Begabung besitzt, kamen in ihre Hand. Dann ver¬
langten aber auch die Gönner der Familie Bukovies, daß der vou ihnen ge¬
machte Direktor aus Dankbarkeit ihre Töchter und Vettern in seinem Theater
unterbringe. Auf diese Art kam eine an der Hvfoper ganz unbrauchbare
Sängerin zur Stelle einer "ersten Soubrette," ihre talentlose Schwester in deu
Besitz des Faches der ersten naiven. "Bei der Hälfte aller Anstellungen, die
der Direktor vollzog -- sagt ein Kenner des Wiener Theaterwesens -- ließen
sich die gesellschaftlichen Beziehungen, die Einflüsse nachweisen, die dabei mit¬
spielten."")

Daß wir nun aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: gut ist
es doch, daß dieses Volkstheater entstanden ist, wenn es auch in dem ersten
Jahre seines Bestehens seinem nennen wenig Ehre gemacht hat. Denn es
hat doch unstreitig ein regeres Leben in die Wiener Theaterwelt gebracht und
die Kost, die es reicht, war doch immer noch besser als der Operettenblvdsinn



Müller-Gnttenbnmn in seiner kürzlich erschienenen Schrift: "Das Wiener Theater-
lcben" (Leipzig, O. Spamer). Wir sind sonst nicht mit allem einverstanden, was Miller in
diesem Buche, das übrigens viel schon gesagtes wiederholt, über die Wiener Theater vor¬
bringt, aber seine Mitteilungen über die Wirtschaft im Bolkstheater verdienen Dank. Daß
sie wahr sind, dafür bürgt seine Ehrlichkeit.
vom Wiener Volkstheater

waren als an den Abenden, ist eigentlich gleichgültig, doch mag es erwähnt
sein, weil es verrät, welche Auffassung die Direktion vou diesen wichtigen
Vorstellungen hegt. An Sonntagsnachmittagcn gehen die Leute massenhaft ins
Theater — alle die, die in der Woche nicht Zeit haben —, wozu sich also
anstrengen, da auf alle Fülle Zuschauer kommen, was und wie auch gespielt
werden mag! Es gilt, mit möglichst wenig Kosten möglichst viel Geld zu
verdienen, alles andre ist Nebensache.

Direktor Emerich Bukvvics, dieser lloino uovu8 in der Theater- und
Litteraturwelt, erwies sich bald als ein bloßer Strohmann. Sein Bruder Karl,
der vor zwei Jahren gestorben ist, erfreute sich als guter Komiker großer Be¬
liebtheit in Wien, besonders in den höhern Gesellschaftskreisen, denen er bei
den Aufführungen von Dilettantenvvrstelluugen öfters behilflich gewesen war.
Es ist Thatsache, wenn es auch beinahe unglaublich ist, daß es hauptsächlich
diese Bruderschaft gewesen ist, die Emerich die Direktion des neuen Theaters
verschafft hat. Denn er besaß weder Geld, noch hatte er irgend ein theatra¬
lisches oder litterarisches Verdienst. Niemals hat er ein gutes Stück ge¬
schrieben oder mit Schauspielern einstudirt, niemals früher ein Theater ver¬
waltet; er war jahrelang Journalist in Paris und wurde mir durch den
Einfluß der Gönner seines Bruders zur Leitung des — deutschen Volkstheaters
nach Wien berufen. Nicht genug damit, auch die Tochter des verstorbenen
Karl v. Vukovics, eine Schauspielerin vou sehr mäßigem Talent, sollte hier
eine gute Versorgung finden, und sie fand sie: eine Menge von Rollen, für
die sie durchaus nicht die Begabung besitzt, kamen in ihre Hand. Dann ver¬
langten aber auch die Gönner der Familie Bukovies, daß der vou ihnen ge¬
machte Direktor aus Dankbarkeit ihre Töchter und Vettern in seinem Theater
unterbringe. Auf diese Art kam eine an der Hvfoper ganz unbrauchbare
Sängerin zur Stelle einer „ersten Soubrette," ihre talentlose Schwester in deu
Besitz des Faches der ersten naiven. „Bei der Hälfte aller Anstellungen, die
der Direktor vollzog — sagt ein Kenner des Wiener Theaterwesens — ließen
sich die gesellschaftlichen Beziehungen, die Einflüsse nachweisen, die dabei mit¬
spielten."")

Daß wir nun aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: gut ist
es doch, daß dieses Volkstheater entstanden ist, wenn es auch in dem ersten
Jahre seines Bestehens seinem nennen wenig Ehre gemacht hat. Denn es
hat doch unstreitig ein regeres Leben in die Wiener Theaterwelt gebracht und
die Kost, die es reicht, war doch immer noch besser als der Operettenblvdsinn



Müller-Gnttenbnmn in seiner kürzlich erschienenen Schrift: „Das Wiener Theater-
lcben" (Leipzig, O. Spamer). Wir sind sonst nicht mit allem einverstanden, was Miller in
diesem Buche, das übrigens viel schon gesagtes wiederholt, über die Wiener Theater vor¬
bringt, aber seine Mitteilungen über die Wirtschaft im Bolkstheater verdienen Dank. Daß
sie wahr sind, dafür bürgt seine Ehrlichkeit.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207815"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Wiener Volkstheater</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1444" prev="#ID_1443"> waren als an den Abenden, ist eigentlich gleichgültig, doch mag es erwähnt<lb/>
sein, weil es verrät, welche Auffassung die Direktion vou diesen wichtigen<lb/>
Vorstellungen hegt. An Sonntagsnachmittagcn gehen die Leute massenhaft ins<lb/>
Theater &#x2014; alle die, die in der Woche nicht Zeit haben &#x2014;, wozu sich also<lb/>
anstrengen, da auf alle Fülle Zuschauer kommen, was und wie auch gespielt<lb/>
werden mag! Es gilt, mit möglichst wenig Kosten möglichst viel Geld zu<lb/>
verdienen, alles andre ist Nebensache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445"> Direktor Emerich Bukvvics, dieser lloino uovu8 in der Theater- und<lb/>
Litteraturwelt, erwies sich bald als ein bloßer Strohmann. Sein Bruder Karl,<lb/>
der vor zwei Jahren gestorben ist, erfreute sich als guter Komiker großer Be¬<lb/>
liebtheit in Wien, besonders in den höhern Gesellschaftskreisen, denen er bei<lb/>
den Aufführungen von Dilettantenvvrstelluugen öfters behilflich gewesen war.<lb/>
Es ist Thatsache, wenn es auch beinahe unglaublich ist, daß es hauptsächlich<lb/>
diese Bruderschaft gewesen ist, die Emerich die Direktion des neuen Theaters<lb/>
verschafft hat. Denn er besaß weder Geld, noch hatte er irgend ein theatra¬<lb/>
lisches oder litterarisches Verdienst. Niemals hat er ein gutes Stück ge¬<lb/>
schrieben oder mit Schauspielern einstudirt, niemals früher ein Theater ver¬<lb/>
waltet; er war jahrelang Journalist in Paris und wurde mir durch den<lb/>
Einfluß der Gönner seines Bruders zur Leitung des &#x2014; deutschen Volkstheaters<lb/>
nach Wien berufen. Nicht genug damit, auch die Tochter des verstorbenen<lb/>
Karl v. Vukovics, eine Schauspielerin vou sehr mäßigem Talent, sollte hier<lb/>
eine gute Versorgung finden, und sie fand sie: eine Menge von Rollen, für<lb/>
die sie durchaus nicht die Begabung besitzt, kamen in ihre Hand. Dann ver¬<lb/>
langten aber auch die Gönner der Familie Bukovies, daß der vou ihnen ge¬<lb/>
machte Direktor aus Dankbarkeit ihre Töchter und Vettern in seinem Theater<lb/>
unterbringe. Auf diese Art kam eine an der Hvfoper ganz unbrauchbare<lb/>
Sängerin zur Stelle einer &#x201E;ersten Soubrette," ihre talentlose Schwester in deu<lb/>
Besitz des Faches der ersten naiven. &#x201E;Bei der Hälfte aller Anstellungen, die<lb/>
der Direktor vollzog &#x2014; sagt ein Kenner des Wiener Theaterwesens &#x2014; ließen<lb/>
sich die gesellschaftlichen Beziehungen, die Einflüsse nachweisen, die dabei mit¬<lb/>
spielten."")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1446" next="#ID_1447"> Daß wir nun aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: gut ist<lb/>
es doch, daß dieses Volkstheater entstanden ist, wenn es auch in dem ersten<lb/>
Jahre seines Bestehens seinem nennen wenig Ehre gemacht hat. Denn es<lb/>
hat doch unstreitig ein regeres Leben in die Wiener Theaterwelt gebracht und<lb/>
die Kost, die es reicht, war doch immer noch besser als der Operettenblvdsinn</p><lb/>
          <note xml:id="FID_40" place="foot"> Müller-Gnttenbnmn in seiner kürzlich erschienenen Schrift: &#x201E;Das Wiener Theater-<lb/>
lcben" (Leipzig, O. Spamer). Wir sind sonst nicht mit allem einverstanden, was Miller in<lb/>
diesem Buche, das übrigens viel schon gesagtes wiederholt, über die Wiener Theater vor¬<lb/>
bringt, aber seine Mitteilungen über die Wirtschaft im Bolkstheater verdienen Dank. Daß<lb/>
sie wahr sind, dafür bürgt seine Ehrlichkeit.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] vom Wiener Volkstheater waren als an den Abenden, ist eigentlich gleichgültig, doch mag es erwähnt sein, weil es verrät, welche Auffassung die Direktion vou diesen wichtigen Vorstellungen hegt. An Sonntagsnachmittagcn gehen die Leute massenhaft ins Theater — alle die, die in der Woche nicht Zeit haben —, wozu sich also anstrengen, da auf alle Fülle Zuschauer kommen, was und wie auch gespielt werden mag! Es gilt, mit möglichst wenig Kosten möglichst viel Geld zu verdienen, alles andre ist Nebensache. Direktor Emerich Bukvvics, dieser lloino uovu8 in der Theater- und Litteraturwelt, erwies sich bald als ein bloßer Strohmann. Sein Bruder Karl, der vor zwei Jahren gestorben ist, erfreute sich als guter Komiker großer Be¬ liebtheit in Wien, besonders in den höhern Gesellschaftskreisen, denen er bei den Aufführungen von Dilettantenvvrstelluugen öfters behilflich gewesen war. Es ist Thatsache, wenn es auch beinahe unglaublich ist, daß es hauptsächlich diese Bruderschaft gewesen ist, die Emerich die Direktion des neuen Theaters verschafft hat. Denn er besaß weder Geld, noch hatte er irgend ein theatra¬ lisches oder litterarisches Verdienst. Niemals hat er ein gutes Stück ge¬ schrieben oder mit Schauspielern einstudirt, niemals früher ein Theater ver¬ waltet; er war jahrelang Journalist in Paris und wurde mir durch den Einfluß der Gönner seines Bruders zur Leitung des — deutschen Volkstheaters nach Wien berufen. Nicht genug damit, auch die Tochter des verstorbenen Karl v. Vukovics, eine Schauspielerin vou sehr mäßigem Talent, sollte hier eine gute Versorgung finden, und sie fand sie: eine Menge von Rollen, für die sie durchaus nicht die Begabung besitzt, kamen in ihre Hand. Dann ver¬ langten aber auch die Gönner der Familie Bukovies, daß der vou ihnen ge¬ machte Direktor aus Dankbarkeit ihre Töchter und Vettern in seinem Theater unterbringe. Auf diese Art kam eine an der Hvfoper ganz unbrauchbare Sängerin zur Stelle einer „ersten Soubrette," ihre talentlose Schwester in deu Besitz des Faches der ersten naiven. „Bei der Hälfte aller Anstellungen, die der Direktor vollzog — sagt ein Kenner des Wiener Theaterwesens — ließen sich die gesellschaftlichen Beziehungen, die Einflüsse nachweisen, die dabei mit¬ spielten."") Daß wir nun aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: gut ist es doch, daß dieses Volkstheater entstanden ist, wenn es auch in dem ersten Jahre seines Bestehens seinem nennen wenig Ehre gemacht hat. Denn es hat doch unstreitig ein regeres Leben in die Wiener Theaterwelt gebracht und die Kost, die es reicht, war doch immer noch besser als der Operettenblvdsinn Müller-Gnttenbnmn in seiner kürzlich erschienenen Schrift: „Das Wiener Theater- lcben" (Leipzig, O. Spamer). Wir sind sonst nicht mit allem einverstanden, was Miller in diesem Buche, das übrigens viel schon gesagtes wiederholt, über die Wiener Theater vor¬ bringt, aber seine Mitteilungen über die Wirtschaft im Bolkstheater verdienen Dank. Daß sie wahr sind, dafür bürgt seine Ehrlichkeit.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/520>, abgerufen am 28.12.2024.