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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Schopenhauer und Richard Ivagner

dotis clxms ton ässorärs! ist zuletzt für untergrabene und liederliche Menschen,
wie Alfred de Musset, der ein Gedicht an eine Geliebte aus der Halbwelt so
begann und selber in der Gosse endigte; aber dus Gewand der Muse kann
man in der Kunst selbst (was jener Dichter auch übrigens uicht that) nicht
ungestraft so zerzausen. Und so fehlte denn auch nicht das, was der
schlechten Stimme und der schlechten Musik in jenem Vortrage entsprach,
uümlich die Willkür und das Unvermögen -- jene im einzelne"?, dieses gegen¬
über der Aufgabe der Formung in großen Dimensionen, und darum fehlte es
zuletzt auch uicht an schlechter, oder, trivialer Musik. Es siegte der Wahn,
daß das Hinreißende, das Erschütternde, das Entzückte und Verzückte überall
das Erstrebenswerte sei, das Pathos als Leiden und Mitleiden-Machen, anstatt
der Verklärung des Leides wie der Freude, statt der künstlerischen Erlösung
von dem Übel, die nicht durch elementare nervöse Wirkungen, durch schließlich
nur noch physiologisch bewirkte Effekte, sondern nur durch die Form geschehen
kaun, in der sich die Herrschaft des Verstandes über die Leidenschaft (ohne
,,Ertötung" derselben, ohne ,,Temperenz") über das Leiden und die Freude
ausspricht. Erst dies aber ist, und zwar beides, zuletzt Heiterkeit, die in der
Kunst und im höher gearteten Menschen nicht eine ,,Flncheukraft," eine Schwache,
sondern eine Macht der Seele, eine, Höhenkraft ist, die es zum betrachtenden
Spiel mit den Machten bringt, die das Leben und die Natur, wie wir sie
ansehen, bewegen. Auf dieser Stufe der Macht und Freiheit über Wohl und
Wehe, über das Pathos und in verklärender Form von ihm kommt es erst
zum Ethos, zum Maß, zum Wohllaut, zur Ordnung, zu der natürlichen
Schönheit und Deutlichkeit, die wir endlich von der Musik wieder verlangen,
und besonders an der Deutlichkeit, der Verständlichkeit, wie streng sie Wagner
selbst auch vom ausführenden Künstler verlangte, fehlt es hier dein schaffenden
Künstler, welches auch die Vorzüge sein mögen, die Wagner sonst der Oper
wieder errungen hat: ernstgemeinte Gegenstände, verständige Deklamation,
korrekte Sprache, edle Diktion, psychologisch richtige Folge in den Situationen,
integrirende Beteiligung des Orchesters als Herzenskündigers bezüglich der
Denkart der dargestellten Charaktere und der in ihren Worten nicht aus¬
gesprochenen Motive und Ursachen (was es aber auch innerhalb der schönen
Form sein könnte), Vermeidung dramatisch-unlogischer Paradeensembles, die
bloß der Musik wegen da sind, Ausschluß von Unterbrechungen der Handlung,
bloß damit der Inhaber einer Partie, und möglichst jeder, auch eine Arie zu
singen habe, Bereicherung der Tonsprache, besonders nach der Seite der Ton¬
malerei und des Unheimlichen (Grüßlichen, Verzweifelten), Zusammenhang der
szenischen Illusion, die bei ihm. allerdings zu stark integrirt infolge alles
dessen Nötigung der Darsteller und aller Beteiligten, ihre Aufgaben durchzudenken
und ehrlich alle Kräfte für das Ganze einzusetzen, Steigerung des künstlerischen
Ernstes und Berufes, also der Würde dieses Berufes selber: genug, um auch


Schopenhauer und Richard Ivagner

dotis clxms ton ässorärs! ist zuletzt für untergrabene und liederliche Menschen,
wie Alfred de Musset, der ein Gedicht an eine Geliebte aus der Halbwelt so
begann und selber in der Gosse endigte; aber dus Gewand der Muse kann
man in der Kunst selbst (was jener Dichter auch übrigens uicht that) nicht
ungestraft so zerzausen. Und so fehlte denn auch nicht das, was der
schlechten Stimme und der schlechten Musik in jenem Vortrage entsprach,
uümlich die Willkür und das Unvermögen — jene im einzelne»?, dieses gegen¬
über der Aufgabe der Formung in großen Dimensionen, und darum fehlte es
zuletzt auch uicht an schlechter, oder, trivialer Musik. Es siegte der Wahn,
daß das Hinreißende, das Erschütternde, das Entzückte und Verzückte überall
das Erstrebenswerte sei, das Pathos als Leiden und Mitleiden-Machen, anstatt
der Verklärung des Leides wie der Freude, statt der künstlerischen Erlösung
von dem Übel, die nicht durch elementare nervöse Wirkungen, durch schließlich
nur noch physiologisch bewirkte Effekte, sondern nur durch die Form geschehen
kaun, in der sich die Herrschaft des Verstandes über die Leidenschaft (ohne
,,Ertötung" derselben, ohne ,,Temperenz") über das Leiden und die Freude
ausspricht. Erst dies aber ist, und zwar beides, zuletzt Heiterkeit, die in der
Kunst und im höher gearteten Menschen nicht eine ,,Flncheukraft," eine Schwache,
sondern eine Macht der Seele, eine, Höhenkraft ist, die es zum betrachtenden
Spiel mit den Machten bringt, die das Leben und die Natur, wie wir sie
ansehen, bewegen. Auf dieser Stufe der Macht und Freiheit über Wohl und
Wehe, über das Pathos und in verklärender Form von ihm kommt es erst
zum Ethos, zum Maß, zum Wohllaut, zur Ordnung, zu der natürlichen
Schönheit und Deutlichkeit, die wir endlich von der Musik wieder verlangen,
und besonders an der Deutlichkeit, der Verständlichkeit, wie streng sie Wagner
selbst auch vom ausführenden Künstler verlangte, fehlt es hier dein schaffenden
Künstler, welches auch die Vorzüge sein mögen, die Wagner sonst der Oper
wieder errungen hat: ernstgemeinte Gegenstände, verständige Deklamation,
korrekte Sprache, edle Diktion, psychologisch richtige Folge in den Situationen,
integrirende Beteiligung des Orchesters als Herzenskündigers bezüglich der
Denkart der dargestellten Charaktere und der in ihren Worten nicht aus¬
gesprochenen Motive und Ursachen (was es aber auch innerhalb der schönen
Form sein könnte), Vermeidung dramatisch-unlogischer Paradeensembles, die
bloß der Musik wegen da sind, Ausschluß von Unterbrechungen der Handlung,
bloß damit der Inhaber einer Partie, und möglichst jeder, auch eine Arie zu
singen habe, Bereicherung der Tonsprache, besonders nach der Seite der Ton¬
malerei und des Unheimlichen (Grüßlichen, Verzweifelten), Zusammenhang der
szenischen Illusion, die bei ihm. allerdings zu stark integrirt infolge alles
dessen Nötigung der Darsteller und aller Beteiligten, ihre Aufgaben durchzudenken
und ehrlich alle Kräfte für das Ganze einzusetzen, Steigerung des künstlerischen
Ernstes und Berufes, also der Würde dieses Berufes selber: genug, um auch


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[0516] Schopenhauer und Richard Ivagner dotis clxms ton ässorärs! ist zuletzt für untergrabene und liederliche Menschen, wie Alfred de Musset, der ein Gedicht an eine Geliebte aus der Halbwelt so begann und selber in der Gosse endigte; aber dus Gewand der Muse kann man in der Kunst selbst (was jener Dichter auch übrigens uicht that) nicht ungestraft so zerzausen. Und so fehlte denn auch nicht das, was der schlechten Stimme und der schlechten Musik in jenem Vortrage entsprach, uümlich die Willkür und das Unvermögen — jene im einzelne»?, dieses gegen¬ über der Aufgabe der Formung in großen Dimensionen, und darum fehlte es zuletzt auch uicht an schlechter, oder, trivialer Musik. Es siegte der Wahn, daß das Hinreißende, das Erschütternde, das Entzückte und Verzückte überall das Erstrebenswerte sei, das Pathos als Leiden und Mitleiden-Machen, anstatt der Verklärung des Leides wie der Freude, statt der künstlerischen Erlösung von dem Übel, die nicht durch elementare nervöse Wirkungen, durch schließlich nur noch physiologisch bewirkte Effekte, sondern nur durch die Form geschehen kaun, in der sich die Herrschaft des Verstandes über die Leidenschaft (ohne ,,Ertötung" derselben, ohne ,,Temperenz") über das Leiden und die Freude ausspricht. Erst dies aber ist, und zwar beides, zuletzt Heiterkeit, die in der Kunst und im höher gearteten Menschen nicht eine ,,Flncheukraft," eine Schwache, sondern eine Macht der Seele, eine, Höhenkraft ist, die es zum betrachtenden Spiel mit den Machten bringt, die das Leben und die Natur, wie wir sie ansehen, bewegen. Auf dieser Stufe der Macht und Freiheit über Wohl und Wehe, über das Pathos und in verklärender Form von ihm kommt es erst zum Ethos, zum Maß, zum Wohllaut, zur Ordnung, zu der natürlichen Schönheit und Deutlichkeit, die wir endlich von der Musik wieder verlangen, und besonders an der Deutlichkeit, der Verständlichkeit, wie streng sie Wagner selbst auch vom ausführenden Künstler verlangte, fehlt es hier dein schaffenden Künstler, welches auch die Vorzüge sein mögen, die Wagner sonst der Oper wieder errungen hat: ernstgemeinte Gegenstände, verständige Deklamation, korrekte Sprache, edle Diktion, psychologisch richtige Folge in den Situationen, integrirende Beteiligung des Orchesters als Herzenskündigers bezüglich der Denkart der dargestellten Charaktere und der in ihren Worten nicht aus¬ gesprochenen Motive und Ursachen (was es aber auch innerhalb der schönen Form sein könnte), Vermeidung dramatisch-unlogischer Paradeensembles, die bloß der Musik wegen da sind, Ausschluß von Unterbrechungen der Handlung, bloß damit der Inhaber einer Partie, und möglichst jeder, auch eine Arie zu singen habe, Bereicherung der Tonsprache, besonders nach der Seite der Ton¬ malerei und des Unheimlichen (Grüßlichen, Verzweifelten), Zusammenhang der szenischen Illusion, die bei ihm. allerdings zu stark integrirt infolge alles dessen Nötigung der Darsteller und aller Beteiligten, ihre Aufgaben durchzudenken und ehrlich alle Kräfte für das Ganze einzusetzen, Steigerung des künstlerischen Ernstes und Berufes, also der Würde dieses Berufes selber: genug, um auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/516>, abgerufen am 01.07.2024.