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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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besonnene Freunde der Kunst eine Zeit lang zu Wagnerimiern zu machen,
heute noch genug, um beschränkte AntiWagnerianer abzuweisen. Aber es ist
endlich Zeit geworden, sich die Kehrseite der Münze zu betrachten und ihr
Metall ans seinen wahren Gehalt zu prüfen. Wie sich jene Vorzüge mit den
nichtwagnerischen der Melodie und der schönen Form, der Erhabenheit über
die Sensation in der ernsten Oper der Zukunft vereinigen mögen, das ist ein
Problem, dessen Lösung wir (wenn die Oper nicht etwa, wie ich fast vermute,
zum Lyrischen und Kölnischen überhaupt besser taugt als zum Tragischen) von
dem nächsten Genie der großen Oper zu erwarte" haben. Und zunächst, d. h.
bis wieder einer den Schmerz und das Leiden ans so verklärender Ferne an¬
zusehen und auszudrücken vermag wie Mozart und manchmal Schubert (z. B.
in der Sonate ox. 122), während schon bei Beethoven so leicht der Grimm
an die Seite des Schmerzes tritt -- bis sich dies ereignet, ist es gut, daß
wir uns des Pathos und alles Krankhaften, das es mit sich gebracht hat,
zunächst wieder entwöhnen, wozu auf der Bühne wahrscheinlich die komische
Oper, natürlich mit den Wagnerische" und deu nichtwagnerischen Vorzügen
ausgestattet, vorläufig das Geeignetere wäre; die große Oper macht sich heute
schwer von Wagner los, ihre Komponisten stehen alle "och in seinem Bann.
Denn wir haben aus der Kunst selbst, wozu Schopenhauer als der Philosoph
des bessern Nichtseins, der letzte Romantiker der Metaphysik, nicht wenig bei¬
getragen hat, da Wagner seinem Bann verfiel -- wir haben eine Leidenschaft
aus ihr gemacht, die Leiden schafft, indem sie, wie gesagt, die Seele belastet,
statt sie zu befreien. Am Klavier war der erste, der dies that, wohl Robert
Schumann, vom Weltschmerz trotz seiner gesunden Urnatur angekränkelt; ja
vielleicht war Mendelssohn der letzte, der es nicht that, zwar aus Tiefe mehr,
als er nötig hatte, verzichtend. Es ist ein fast unerklärlicher Zug der Zeit,
daß sie bei all ihrem Realismus diese Kunst des Pathos aussucht. Sind die
modernen Kriege mit all ihrem ungeheuern Leid und ihrer Erregung der Massen
daran schuld? oder ist es nur eine geistige Mode, wie wenn jemand nun ebeu
den bittern Geschmack auf der Zunge zeitweise dem süßen vorzieht? oder be¬
täubende Nikotindämpfe lieber atmet als reine Himmelsluft?

Aber wenn Wagner, der Gigant, diese Kunst des bittern Geschmackes noch
ans eine grandiose Art übt, so geschieht es neuestens durch Ibsen, den Knirps,
auf eine kleinliche, bürgerliche, quälende, niederträchtige Manier, für die
Schopenhauer nichts kann, die er verachtet haben würde. Ibsens .Kunst ist der
Bastard des Pathos mit dein modernen Realismus, er hat es nicht selbst,
er bereitet es nur im buchstäbliche" Sinne als Leiden, wie ein Apotheker, der
Gift bereitet, um es zu verkaufen; seine mehr als Kotzebuisch-widerwärtigen
Dramen sind ein Frevel an dem Genius der Menschheit, eine Foltcruug der
Muse im Namen der "Wahrheit," wie sich hier das grinsende Gefallen am
Übel, an betrübenden und entsetzlichen Wirklichkeiten benennt. Nicht viel höher


besonnene Freunde der Kunst eine Zeit lang zu Wagnerimiern zu machen,
heute noch genug, um beschränkte AntiWagnerianer abzuweisen. Aber es ist
endlich Zeit geworden, sich die Kehrseite der Münze zu betrachten und ihr
Metall ans seinen wahren Gehalt zu prüfen. Wie sich jene Vorzüge mit den
nichtwagnerischen der Melodie und der schönen Form, der Erhabenheit über
die Sensation in der ernsten Oper der Zukunft vereinigen mögen, das ist ein
Problem, dessen Lösung wir (wenn die Oper nicht etwa, wie ich fast vermute,
zum Lyrischen und Kölnischen überhaupt besser taugt als zum Tragischen) von
dem nächsten Genie der großen Oper zu erwarte» haben. Und zunächst, d. h.
bis wieder einer den Schmerz und das Leiden ans so verklärender Ferne an¬
zusehen und auszudrücken vermag wie Mozart und manchmal Schubert (z. B.
in der Sonate ox. 122), während schon bei Beethoven so leicht der Grimm
an die Seite des Schmerzes tritt — bis sich dies ereignet, ist es gut, daß
wir uns des Pathos und alles Krankhaften, das es mit sich gebracht hat,
zunächst wieder entwöhnen, wozu auf der Bühne wahrscheinlich die komische
Oper, natürlich mit den Wagnerische« und deu nichtwagnerischen Vorzügen
ausgestattet, vorläufig das Geeignetere wäre; die große Oper macht sich heute
schwer von Wagner los, ihre Komponisten stehen alle »och in seinem Bann.
Denn wir haben aus der Kunst selbst, wozu Schopenhauer als der Philosoph
des bessern Nichtseins, der letzte Romantiker der Metaphysik, nicht wenig bei¬
getragen hat, da Wagner seinem Bann verfiel — wir haben eine Leidenschaft
aus ihr gemacht, die Leiden schafft, indem sie, wie gesagt, die Seele belastet,
statt sie zu befreien. Am Klavier war der erste, der dies that, wohl Robert
Schumann, vom Weltschmerz trotz seiner gesunden Urnatur angekränkelt; ja
vielleicht war Mendelssohn der letzte, der es nicht that, zwar aus Tiefe mehr,
als er nötig hatte, verzichtend. Es ist ein fast unerklärlicher Zug der Zeit,
daß sie bei all ihrem Realismus diese Kunst des Pathos aussucht. Sind die
modernen Kriege mit all ihrem ungeheuern Leid und ihrer Erregung der Massen
daran schuld? oder ist es nur eine geistige Mode, wie wenn jemand nun ebeu
den bittern Geschmack auf der Zunge zeitweise dem süßen vorzieht? oder be¬
täubende Nikotindämpfe lieber atmet als reine Himmelsluft?

Aber wenn Wagner, der Gigant, diese Kunst des bittern Geschmackes noch
ans eine grandiose Art übt, so geschieht es neuestens durch Ibsen, den Knirps,
auf eine kleinliche, bürgerliche, quälende, niederträchtige Manier, für die
Schopenhauer nichts kann, die er verachtet haben würde. Ibsens .Kunst ist der
Bastard des Pathos mit dein modernen Realismus, er hat es nicht selbst,
er bereitet es nur im buchstäbliche» Sinne als Leiden, wie ein Apotheker, der
Gift bereitet, um es zu verkaufen; seine mehr als Kotzebuisch-widerwärtigen
Dramen sind ein Frevel an dem Genius der Menschheit, eine Foltcruug der
Muse im Namen der „Wahrheit," wie sich hier das grinsende Gefallen am
Übel, an betrübenden und entsetzlichen Wirklichkeiten benennt. Nicht viel höher


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[0517] besonnene Freunde der Kunst eine Zeit lang zu Wagnerimiern zu machen, heute noch genug, um beschränkte AntiWagnerianer abzuweisen. Aber es ist endlich Zeit geworden, sich die Kehrseite der Münze zu betrachten und ihr Metall ans seinen wahren Gehalt zu prüfen. Wie sich jene Vorzüge mit den nichtwagnerischen der Melodie und der schönen Form, der Erhabenheit über die Sensation in der ernsten Oper der Zukunft vereinigen mögen, das ist ein Problem, dessen Lösung wir (wenn die Oper nicht etwa, wie ich fast vermute, zum Lyrischen und Kölnischen überhaupt besser taugt als zum Tragischen) von dem nächsten Genie der großen Oper zu erwarte» haben. Und zunächst, d. h. bis wieder einer den Schmerz und das Leiden ans so verklärender Ferne an¬ zusehen und auszudrücken vermag wie Mozart und manchmal Schubert (z. B. in der Sonate ox. 122), während schon bei Beethoven so leicht der Grimm an die Seite des Schmerzes tritt — bis sich dies ereignet, ist es gut, daß wir uns des Pathos und alles Krankhaften, das es mit sich gebracht hat, zunächst wieder entwöhnen, wozu auf der Bühne wahrscheinlich die komische Oper, natürlich mit den Wagnerische« und deu nichtwagnerischen Vorzügen ausgestattet, vorläufig das Geeignetere wäre; die große Oper macht sich heute schwer von Wagner los, ihre Komponisten stehen alle »och in seinem Bann. Denn wir haben aus der Kunst selbst, wozu Schopenhauer als der Philosoph des bessern Nichtseins, der letzte Romantiker der Metaphysik, nicht wenig bei¬ getragen hat, da Wagner seinem Bann verfiel — wir haben eine Leidenschaft aus ihr gemacht, die Leiden schafft, indem sie, wie gesagt, die Seele belastet, statt sie zu befreien. Am Klavier war der erste, der dies that, wohl Robert Schumann, vom Weltschmerz trotz seiner gesunden Urnatur angekränkelt; ja vielleicht war Mendelssohn der letzte, der es nicht that, zwar aus Tiefe mehr, als er nötig hatte, verzichtend. Es ist ein fast unerklärlicher Zug der Zeit, daß sie bei all ihrem Realismus diese Kunst des Pathos aussucht. Sind die modernen Kriege mit all ihrem ungeheuern Leid und ihrer Erregung der Massen daran schuld? oder ist es nur eine geistige Mode, wie wenn jemand nun ebeu den bittern Geschmack auf der Zunge zeitweise dem süßen vorzieht? oder be¬ täubende Nikotindämpfe lieber atmet als reine Himmelsluft? Aber wenn Wagner, der Gigant, diese Kunst des bittern Geschmackes noch ans eine grandiose Art übt, so geschieht es neuestens durch Ibsen, den Knirps, auf eine kleinliche, bürgerliche, quälende, niederträchtige Manier, für die Schopenhauer nichts kann, die er verachtet haben würde. Ibsens .Kunst ist der Bastard des Pathos mit dein modernen Realismus, er hat es nicht selbst, er bereitet es nur im buchstäbliche» Sinne als Leiden, wie ein Apotheker, der Gift bereitet, um es zu verkaufen; seine mehr als Kotzebuisch-widerwärtigen Dramen sind ein Frevel an dem Genius der Menschheit, eine Foltcruug der Muse im Namen der „Wahrheit," wie sich hier das grinsende Gefallen am Übel, an betrübenden und entsetzlichen Wirklichkeiten benennt. Nicht viel höher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/517>, abgerufen am 29.06.2024.