Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Schopenhauer und Richard Wagner

der szenische" Mittel: berauschender, sinnewandelnder Zaubertrank, heiß oder
kühl gereicht, warmer, Düfte führender Wind oder ein rasend niederbrcchender
Sturm, schimmernder Wolkenzug, Strom mit stiirzenden, Fluß mit sanft-
railschenden Wellen und allerhand bunten Dingen darin und darauf, opiatischer
Traum, glicderlvsende oder starrkrampfige Hhpnose, wechselnd intermittirende
und konstante Elektrizität, Fata Morgana, polychromes Nebelbild, kaleidoskopisch
zuckende Farbenrvsette, kontaino luirunsuM, blendendes Niesenlichtstrahlenbündel
am Firmament, mit einem Wort: Nervenrnusch, je nachdem, bis zum "Nerven-
krumpf" -- aber nicht Kunst! Thematische Kunst z. B. ist es nicht, Motive je
uach Bedarf an einander zu reihen, in einander zu flechten und orchestral geschickt
zu koloriren (das bloße Aneinanderreihen ist bei Wagner noch das bei weitem
häufigere), ferner alle Verhältnisse, alle Umrisse bis ans die der Einzelheiten
schlechtweg aufzugeben, alles, was schließen sollte, nur aufhören zu lassen,
während doch der Text nicht umhin kann, eine Reihe in sich geschlossener
Situationen vorzuführen; selbstverständlich schließt das die Musik zwischen den
Grenzen der Situation nicht zu formaler Einheit zusammen. Die bis zum
Überdruß an diesen Grenzen wiederkehrenden Trugschlüsse sind da freilich uoch
zweckmäßiger als wirkliche Schlußkadenzen, die das Fehlen formaler Einheit
zwischen je zweien erst recht ersichtlich machen würden.

Dieser Art zu komponieren lag außer der von Schopenhauer schon
dilettantisch-irrtümlich angenommenen, von Wagner noch mißverständlich an¬
gewandten metaphysischen Bedeutung der Tonkunst noch ein mißverständlich
angewandtes Prinzip zu Grunde, nämlich das Prinzip, den Anschein der
Improvisation hervorzubringen. Das Mißverständnis hatte seine Ursache
wieder in dem obenerwähnten Mangel an geschulten Denken: des Denkens
bedarf ein Autor mit so hohen Aufgaben um einmal durchaus, mag er
es nun um Universitäten oder wo und wie es ihm besser gefiele, erwerben.
Er hatte jenen Anschein an sich richtig als die Ursache des Hinreißenden ent¬
deckt, das er in dein Vortrage der Schröder-Devrient, Wohl trotz der halb
geschwundenen Stimme, und wie er sagt, trotz der schlechten Musik, die sie
sang, empfunden hatte; es ist ein Prinzip, das in der reproduktiven Kunst
an seinem Platze ist, weil da der Komponist, wenn er darnach ist, für Ordnung
gesorgt hat. Ihre Freiheit aber, von dem Wie des Vortrages auf das über¬
tragen, was vorzutragen ist, auf das Schaffen des Komponisten selbst, kann
nicht Ordnung, anch nicht eine nur vou der gewohnten verschiedne, sondern
nur den trügender Schein der Ordnung, der Folgerichtigkeit, der Übersichtlich¬
keit hervorbringen, sondern nur eine allenfalls "entzückende Unordnung," soweit
dieses Entzückende sich mit der absoluten Beunruhigung namentlich des Perioden-
baues vertragen mag, die bei Wagner sehr leicht statistisch nachweisbar ist und
förmlich sein Grundsatz war; er wollte alles Gewohnte, das Bewährteste,
menschlich Notwendigste nicht ausgeschlossen, verneinen. Aber das Hus w <?8


Schopenhauer und Richard Wagner

der szenische» Mittel: berauschender, sinnewandelnder Zaubertrank, heiß oder
kühl gereicht, warmer, Düfte führender Wind oder ein rasend niederbrcchender
Sturm, schimmernder Wolkenzug, Strom mit stiirzenden, Fluß mit sanft-
railschenden Wellen und allerhand bunten Dingen darin und darauf, opiatischer
Traum, glicderlvsende oder starrkrampfige Hhpnose, wechselnd intermittirende
und konstante Elektrizität, Fata Morgana, polychromes Nebelbild, kaleidoskopisch
zuckende Farbenrvsette, kontaino luirunsuM, blendendes Niesenlichtstrahlenbündel
am Firmament, mit einem Wort: Nervenrnusch, je nachdem, bis zum „Nerven-
krumpf" — aber nicht Kunst! Thematische Kunst z. B. ist es nicht, Motive je
uach Bedarf an einander zu reihen, in einander zu flechten und orchestral geschickt
zu koloriren (das bloße Aneinanderreihen ist bei Wagner noch das bei weitem
häufigere), ferner alle Verhältnisse, alle Umrisse bis ans die der Einzelheiten
schlechtweg aufzugeben, alles, was schließen sollte, nur aufhören zu lassen,
während doch der Text nicht umhin kann, eine Reihe in sich geschlossener
Situationen vorzuführen; selbstverständlich schließt das die Musik zwischen den
Grenzen der Situation nicht zu formaler Einheit zusammen. Die bis zum
Überdruß an diesen Grenzen wiederkehrenden Trugschlüsse sind da freilich uoch
zweckmäßiger als wirkliche Schlußkadenzen, die das Fehlen formaler Einheit
zwischen je zweien erst recht ersichtlich machen würden.

Dieser Art zu komponieren lag außer der von Schopenhauer schon
dilettantisch-irrtümlich angenommenen, von Wagner noch mißverständlich an¬
gewandten metaphysischen Bedeutung der Tonkunst noch ein mißverständlich
angewandtes Prinzip zu Grunde, nämlich das Prinzip, den Anschein der
Improvisation hervorzubringen. Das Mißverständnis hatte seine Ursache
wieder in dem obenerwähnten Mangel an geschulten Denken: des Denkens
bedarf ein Autor mit so hohen Aufgaben um einmal durchaus, mag er
es nun um Universitäten oder wo und wie es ihm besser gefiele, erwerben.
Er hatte jenen Anschein an sich richtig als die Ursache des Hinreißenden ent¬
deckt, das er in dein Vortrage der Schröder-Devrient, Wohl trotz der halb
geschwundenen Stimme, und wie er sagt, trotz der schlechten Musik, die sie
sang, empfunden hatte; es ist ein Prinzip, das in der reproduktiven Kunst
an seinem Platze ist, weil da der Komponist, wenn er darnach ist, für Ordnung
gesorgt hat. Ihre Freiheit aber, von dem Wie des Vortrages auf das über¬
tragen, was vorzutragen ist, auf das Schaffen des Komponisten selbst, kann
nicht Ordnung, anch nicht eine nur vou der gewohnten verschiedne, sondern
nur den trügender Schein der Ordnung, der Folgerichtigkeit, der Übersichtlich¬
keit hervorbringen, sondern nur eine allenfalls „entzückende Unordnung," soweit
dieses Entzückende sich mit der absoluten Beunruhigung namentlich des Perioden-
baues vertragen mag, die bei Wagner sehr leicht statistisch nachweisbar ist und
förmlich sein Grundsatz war; er wollte alles Gewohnte, das Bewährteste,
menschlich Notwendigste nicht ausgeschlossen, verneinen. Aber das Hus w <?8


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207810"/>
          <fw type="header" place="top"> Schopenhauer und Richard Wagner</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1434" prev="#ID_1433"> der szenische» Mittel: berauschender, sinnewandelnder Zaubertrank, heiß oder<lb/>
kühl gereicht, warmer, Düfte führender Wind oder ein rasend niederbrcchender<lb/>
Sturm, schimmernder Wolkenzug, Strom mit stiirzenden, Fluß mit sanft-<lb/>
railschenden Wellen und allerhand bunten Dingen darin und darauf, opiatischer<lb/>
Traum, glicderlvsende oder starrkrampfige Hhpnose, wechselnd intermittirende<lb/>
und konstante Elektrizität, Fata Morgana, polychromes Nebelbild, kaleidoskopisch<lb/>
zuckende Farbenrvsette, kontaino luirunsuM, blendendes Niesenlichtstrahlenbündel<lb/>
am Firmament, mit einem Wort: Nervenrnusch, je nachdem, bis zum &#x201E;Nerven-<lb/>
krumpf" &#x2014; aber nicht Kunst! Thematische Kunst z. B. ist es nicht, Motive je<lb/>
uach Bedarf an einander zu reihen, in einander zu flechten und orchestral geschickt<lb/>
zu koloriren (das bloße Aneinanderreihen ist bei Wagner noch das bei weitem<lb/>
häufigere), ferner alle Verhältnisse, alle Umrisse bis ans die der Einzelheiten<lb/>
schlechtweg aufzugeben, alles, was schließen sollte, nur aufhören zu lassen,<lb/>
während doch der Text nicht umhin kann, eine Reihe in sich geschlossener<lb/>
Situationen vorzuführen; selbstverständlich schließt das die Musik zwischen den<lb/>
Grenzen der Situation nicht zu formaler Einheit zusammen. Die bis zum<lb/>
Überdruß an diesen Grenzen wiederkehrenden Trugschlüsse sind da freilich uoch<lb/>
zweckmäßiger als wirkliche Schlußkadenzen, die das Fehlen formaler Einheit<lb/>
zwischen je zweien erst recht ersichtlich machen würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1435" next="#ID_1436"> Dieser Art zu komponieren lag außer der von Schopenhauer schon<lb/>
dilettantisch-irrtümlich angenommenen, von Wagner noch mißverständlich an¬<lb/>
gewandten metaphysischen Bedeutung der Tonkunst noch ein mißverständlich<lb/>
angewandtes Prinzip zu Grunde, nämlich das Prinzip, den Anschein der<lb/>
Improvisation hervorzubringen. Das Mißverständnis hatte seine Ursache<lb/>
wieder in dem obenerwähnten Mangel an geschulten Denken: des Denkens<lb/>
bedarf ein Autor mit so hohen Aufgaben um einmal durchaus, mag er<lb/>
es nun um Universitäten oder wo und wie es ihm besser gefiele, erwerben.<lb/>
Er hatte jenen Anschein an sich richtig als die Ursache des Hinreißenden ent¬<lb/>
deckt, das er in dein Vortrage der Schröder-Devrient, Wohl trotz der halb<lb/>
geschwundenen Stimme, und wie er sagt, trotz der schlechten Musik, die sie<lb/>
sang, empfunden hatte; es ist ein Prinzip, das in der reproduktiven Kunst<lb/>
an seinem Platze ist, weil da der Komponist, wenn er darnach ist, für Ordnung<lb/>
gesorgt hat. Ihre Freiheit aber, von dem Wie des Vortrages auf das über¬<lb/>
tragen, was vorzutragen ist, auf das Schaffen des Komponisten selbst, kann<lb/>
nicht Ordnung, anch nicht eine nur vou der gewohnten verschiedne, sondern<lb/>
nur den trügender Schein der Ordnung, der Folgerichtigkeit, der Übersichtlich¬<lb/>
keit hervorbringen, sondern nur eine allenfalls &#x201E;entzückende Unordnung," soweit<lb/>
dieses Entzückende sich mit der absoluten Beunruhigung namentlich des Perioden-<lb/>
baues vertragen mag, die bei Wagner sehr leicht statistisch nachweisbar ist und<lb/>
förmlich sein Grundsatz war; er wollte alles Gewohnte, das Bewährteste,<lb/>
menschlich Notwendigste nicht ausgeschlossen, verneinen. Aber das Hus w &lt;?8</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] Schopenhauer und Richard Wagner der szenische» Mittel: berauschender, sinnewandelnder Zaubertrank, heiß oder kühl gereicht, warmer, Düfte führender Wind oder ein rasend niederbrcchender Sturm, schimmernder Wolkenzug, Strom mit stiirzenden, Fluß mit sanft- railschenden Wellen und allerhand bunten Dingen darin und darauf, opiatischer Traum, glicderlvsende oder starrkrampfige Hhpnose, wechselnd intermittirende und konstante Elektrizität, Fata Morgana, polychromes Nebelbild, kaleidoskopisch zuckende Farbenrvsette, kontaino luirunsuM, blendendes Niesenlichtstrahlenbündel am Firmament, mit einem Wort: Nervenrnusch, je nachdem, bis zum „Nerven- krumpf" — aber nicht Kunst! Thematische Kunst z. B. ist es nicht, Motive je uach Bedarf an einander zu reihen, in einander zu flechten und orchestral geschickt zu koloriren (das bloße Aneinanderreihen ist bei Wagner noch das bei weitem häufigere), ferner alle Verhältnisse, alle Umrisse bis ans die der Einzelheiten schlechtweg aufzugeben, alles, was schließen sollte, nur aufhören zu lassen, während doch der Text nicht umhin kann, eine Reihe in sich geschlossener Situationen vorzuführen; selbstverständlich schließt das die Musik zwischen den Grenzen der Situation nicht zu formaler Einheit zusammen. Die bis zum Überdruß an diesen Grenzen wiederkehrenden Trugschlüsse sind da freilich uoch zweckmäßiger als wirkliche Schlußkadenzen, die das Fehlen formaler Einheit zwischen je zweien erst recht ersichtlich machen würden. Dieser Art zu komponieren lag außer der von Schopenhauer schon dilettantisch-irrtümlich angenommenen, von Wagner noch mißverständlich an¬ gewandten metaphysischen Bedeutung der Tonkunst noch ein mißverständlich angewandtes Prinzip zu Grunde, nämlich das Prinzip, den Anschein der Improvisation hervorzubringen. Das Mißverständnis hatte seine Ursache wieder in dem obenerwähnten Mangel an geschulten Denken: des Denkens bedarf ein Autor mit so hohen Aufgaben um einmal durchaus, mag er es nun um Universitäten oder wo und wie es ihm besser gefiele, erwerben. Er hatte jenen Anschein an sich richtig als die Ursache des Hinreißenden ent¬ deckt, das er in dein Vortrage der Schröder-Devrient, Wohl trotz der halb geschwundenen Stimme, und wie er sagt, trotz der schlechten Musik, die sie sang, empfunden hatte; es ist ein Prinzip, das in der reproduktiven Kunst an seinem Platze ist, weil da der Komponist, wenn er darnach ist, für Ordnung gesorgt hat. Ihre Freiheit aber, von dem Wie des Vortrages auf das über¬ tragen, was vorzutragen ist, auf das Schaffen des Komponisten selbst, kann nicht Ordnung, anch nicht eine nur vou der gewohnten verschiedne, sondern nur den trügender Schein der Ordnung, der Folgerichtigkeit, der Übersichtlich¬ keit hervorbringen, sondern nur eine allenfalls „entzückende Unordnung," soweit dieses Entzückende sich mit der absoluten Beunruhigung namentlich des Perioden- baues vertragen mag, die bei Wagner sehr leicht statistisch nachweisbar ist und förmlich sein Grundsatz war; er wollte alles Gewohnte, das Bewährteste, menschlich Notwendigste nicht ausgeschlossen, verneinen. Aber das Hus w <?8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/515>, abgerufen am 03.07.2024.