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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Reform der Heeresverfassung

eben thatsächlich durchgeführt zu haben, während die zweijährige Dienstzeit
uns mit denselben Kosten das nicht erlauben würde. Sobald man unter ihrer
Annahme die allgemeine Wehrpflicht, so streng als es nötig ist, zur Ausführung
bringt, steigen die Kosten bedeutend über die bei Festhaltung der gegenwärtigen
Dauer des aktiven Dienstes.

Selbstverständlich dürfte" die Kosten nicht in Betracht kommen, wenn es
vom militärischen Standpunkt aus unbedenklich wäre, die Dienstzeit zu ver¬
kürzen. Das ist aber nicht der Fall, denn es ist nicht möglich, den Durchschnitt
unsers Ersatzes in zwei Jahren genügend durchzubilden, es ist gefährlich, einem
Teile des Volkes grundsätzlich nur zwei, dem andern drei Jahre Dienstver¬
pflichtung aufzuerlegen, und es läßt sich nicht absehen, woher mau augenblicklich
die in sehr viel größerer Zahl als bisher nötig werdenden Offiziere und Unter¬
offiziere nehmen soll. Über die beiden ersten Punkte habe ich schon früher in
diesen Blättern eingehend gesprochen, sodaß eine nochmalige Erörterung hier
überflüssig erscheint. Der letzte Punkt würde einer solchen ebenfalls nicht bedürfen,
da es klar ist, daß eine um ein ganzes Drittel gesteigerte Arbeitsleistung auch
annähernd ein Drittel mehr Arbeitskräfte verlangt, und da, wie jedermann
weiß, die Füllung unsrer jetzigen Offizier- und Unteroffizieretats nur mit großen
Schwierigkeiten gelingt -- wenn nicht in einer großen Berliner Zeitung ein
Vorschlag aufgetaucht wäre, der nicht scharf genug zurückgewiesen werden kann.
Mit der größten Gemütsruhe wird da der Heeresleitung an die Hand gegeben,
zur Abstellung der erwähnten Notlage einfach den Unteroffizieren die Laufbahn
des Offiziers zu öffnen. Wenn freilich mit einer solchen Leichtfertigkeit über
ernste Dinge zur Tagesordnung übergegangen wird, dann läßt sich jedes Rätsel
lösen. Jedem Kinde ist bekannt, daß die Erfolge unsrer Armee einzig und
allein dem Offizierkorps zu verdanken sind: es hat das Instrument geschult,
es hat es zu gebrauchen verstanden. Die Verdienste des gemeinen Soldaten
werden durch diese Thatsache in keiner Weise berührt, ihm bleibt der Nuhm
der einzige und höchste, der ihm bleiben kann, das, was man von ihm ver¬
langt hat, mit deutscher Treue, Tapferkeit und Tüchtigkeit geleistet zu haben.
Das Offizierkorps anderseits hat wieder nur deswegen so Großes vollbringen
können, weil es ein einheitliches, weil es ein wissenschaftlich erzogenes und weil
es ein gebildetes Offizierkorps ist. Alle drei Grundlagen würden ihm mit
einem Schlage durch die Zulassung von Unteroffizieren zum Offizierstande ent¬
zogen werden. Die Einheitlichkeit ginge verloren, denn Leute, die nicht aus
denselben gesellschaftlichen Kreisen kommen, können erfahrungsmäßig nicht
dauernd zusammen leben und wirken. Der wissenschaftliche Boden schwante
dahin, denn die Masse der Unteroffizier-Offiziere würde niemals fähig sein,
sich gründliche wissenschaftliche Kenntnisse zu verschaffen. Mit der Bildung
des Offizierstandes endlich sähe es traurig aus, denn man kennt ja die
Bildung, die Leute "ohne Kinderstube," d. h. ohne regelrechte Erziehung von


Zur Reform der Heeresverfassung

eben thatsächlich durchgeführt zu haben, während die zweijährige Dienstzeit
uns mit denselben Kosten das nicht erlauben würde. Sobald man unter ihrer
Annahme die allgemeine Wehrpflicht, so streng als es nötig ist, zur Ausführung
bringt, steigen die Kosten bedeutend über die bei Festhaltung der gegenwärtigen
Dauer des aktiven Dienstes.

Selbstverständlich dürfte» die Kosten nicht in Betracht kommen, wenn es
vom militärischen Standpunkt aus unbedenklich wäre, die Dienstzeit zu ver¬
kürzen. Das ist aber nicht der Fall, denn es ist nicht möglich, den Durchschnitt
unsers Ersatzes in zwei Jahren genügend durchzubilden, es ist gefährlich, einem
Teile des Volkes grundsätzlich nur zwei, dem andern drei Jahre Dienstver¬
pflichtung aufzuerlegen, und es läßt sich nicht absehen, woher mau augenblicklich
die in sehr viel größerer Zahl als bisher nötig werdenden Offiziere und Unter¬
offiziere nehmen soll. Über die beiden ersten Punkte habe ich schon früher in
diesen Blättern eingehend gesprochen, sodaß eine nochmalige Erörterung hier
überflüssig erscheint. Der letzte Punkt würde einer solchen ebenfalls nicht bedürfen,
da es klar ist, daß eine um ein ganzes Drittel gesteigerte Arbeitsleistung auch
annähernd ein Drittel mehr Arbeitskräfte verlangt, und da, wie jedermann
weiß, die Füllung unsrer jetzigen Offizier- und Unteroffizieretats nur mit großen
Schwierigkeiten gelingt — wenn nicht in einer großen Berliner Zeitung ein
Vorschlag aufgetaucht wäre, der nicht scharf genug zurückgewiesen werden kann.
Mit der größten Gemütsruhe wird da der Heeresleitung an die Hand gegeben,
zur Abstellung der erwähnten Notlage einfach den Unteroffizieren die Laufbahn
des Offiziers zu öffnen. Wenn freilich mit einer solchen Leichtfertigkeit über
ernste Dinge zur Tagesordnung übergegangen wird, dann läßt sich jedes Rätsel
lösen. Jedem Kinde ist bekannt, daß die Erfolge unsrer Armee einzig und
allein dem Offizierkorps zu verdanken sind: es hat das Instrument geschult,
es hat es zu gebrauchen verstanden. Die Verdienste des gemeinen Soldaten
werden durch diese Thatsache in keiner Weise berührt, ihm bleibt der Nuhm
der einzige und höchste, der ihm bleiben kann, das, was man von ihm ver¬
langt hat, mit deutscher Treue, Tapferkeit und Tüchtigkeit geleistet zu haben.
Das Offizierkorps anderseits hat wieder nur deswegen so Großes vollbringen
können, weil es ein einheitliches, weil es ein wissenschaftlich erzogenes und weil
es ein gebildetes Offizierkorps ist. Alle drei Grundlagen würden ihm mit
einem Schlage durch die Zulassung von Unteroffizieren zum Offizierstande ent¬
zogen werden. Die Einheitlichkeit ginge verloren, denn Leute, die nicht aus
denselben gesellschaftlichen Kreisen kommen, können erfahrungsmäßig nicht
dauernd zusammen leben und wirken. Der wissenschaftliche Boden schwante
dahin, denn die Masse der Unteroffizier-Offiziere würde niemals fähig sein,
sich gründliche wissenschaftliche Kenntnisse zu verschaffen. Mit der Bildung
des Offizierstandes endlich sähe es traurig aus, denn man kennt ja die
Bildung, die Leute „ohne Kinderstube," d. h. ohne regelrechte Erziehung von


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[0507] Zur Reform der Heeresverfassung eben thatsächlich durchgeführt zu haben, während die zweijährige Dienstzeit uns mit denselben Kosten das nicht erlauben würde. Sobald man unter ihrer Annahme die allgemeine Wehrpflicht, so streng als es nötig ist, zur Ausführung bringt, steigen die Kosten bedeutend über die bei Festhaltung der gegenwärtigen Dauer des aktiven Dienstes. Selbstverständlich dürfte» die Kosten nicht in Betracht kommen, wenn es vom militärischen Standpunkt aus unbedenklich wäre, die Dienstzeit zu ver¬ kürzen. Das ist aber nicht der Fall, denn es ist nicht möglich, den Durchschnitt unsers Ersatzes in zwei Jahren genügend durchzubilden, es ist gefährlich, einem Teile des Volkes grundsätzlich nur zwei, dem andern drei Jahre Dienstver¬ pflichtung aufzuerlegen, und es läßt sich nicht absehen, woher mau augenblicklich die in sehr viel größerer Zahl als bisher nötig werdenden Offiziere und Unter¬ offiziere nehmen soll. Über die beiden ersten Punkte habe ich schon früher in diesen Blättern eingehend gesprochen, sodaß eine nochmalige Erörterung hier überflüssig erscheint. Der letzte Punkt würde einer solchen ebenfalls nicht bedürfen, da es klar ist, daß eine um ein ganzes Drittel gesteigerte Arbeitsleistung auch annähernd ein Drittel mehr Arbeitskräfte verlangt, und da, wie jedermann weiß, die Füllung unsrer jetzigen Offizier- und Unteroffizieretats nur mit großen Schwierigkeiten gelingt — wenn nicht in einer großen Berliner Zeitung ein Vorschlag aufgetaucht wäre, der nicht scharf genug zurückgewiesen werden kann. Mit der größten Gemütsruhe wird da der Heeresleitung an die Hand gegeben, zur Abstellung der erwähnten Notlage einfach den Unteroffizieren die Laufbahn des Offiziers zu öffnen. Wenn freilich mit einer solchen Leichtfertigkeit über ernste Dinge zur Tagesordnung übergegangen wird, dann läßt sich jedes Rätsel lösen. Jedem Kinde ist bekannt, daß die Erfolge unsrer Armee einzig und allein dem Offizierkorps zu verdanken sind: es hat das Instrument geschult, es hat es zu gebrauchen verstanden. Die Verdienste des gemeinen Soldaten werden durch diese Thatsache in keiner Weise berührt, ihm bleibt der Nuhm der einzige und höchste, der ihm bleiben kann, das, was man von ihm ver¬ langt hat, mit deutscher Treue, Tapferkeit und Tüchtigkeit geleistet zu haben. Das Offizierkorps anderseits hat wieder nur deswegen so Großes vollbringen können, weil es ein einheitliches, weil es ein wissenschaftlich erzogenes und weil es ein gebildetes Offizierkorps ist. Alle drei Grundlagen würden ihm mit einem Schlage durch die Zulassung von Unteroffizieren zum Offizierstande ent¬ zogen werden. Die Einheitlichkeit ginge verloren, denn Leute, die nicht aus denselben gesellschaftlichen Kreisen kommen, können erfahrungsmäßig nicht dauernd zusammen leben und wirken. Der wissenschaftliche Boden schwante dahin, denn die Masse der Unteroffizier-Offiziere würde niemals fähig sein, sich gründliche wissenschaftliche Kenntnisse zu verschaffen. Mit der Bildung des Offizierstandes endlich sähe es traurig aus, denn man kennt ja die Bildung, die Leute „ohne Kinderstube," d. h. ohne regelrechte Erziehung von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/507>, abgerufen am 01.07.2024.