Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Zur Reform der Heeresverfassung Kindesbeinen an, in der Regel haben. Ein gähnender Riß, so oft man Die Heeresverwaltung hat ihren Standpunkt zur Reform der Heeres- Schon in einem frühern Aufsatz habe ich darauf hingewiesen, daß Deutsch¬ In seiner "Vevölkerungslehre" weist Rümelin mit Recht darauf hin, Zur Reform der Heeresverfassung Kindesbeinen an, in der Regel haben. Ein gähnender Riß, so oft man Die Heeresverwaltung hat ihren Standpunkt zur Reform der Heeres- Schon in einem frühern Aufsatz habe ich darauf hingewiesen, daß Deutsch¬ In seiner „Vevölkerungslehre" weist Rümelin mit Recht darauf hin, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207803"/> <fw type="header" place="top"> Zur Reform der Heeresverfassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1418" prev="#ID_1417"> Kindesbeinen an, in der Regel haben. Ein gähnender Riß, so oft man<lb/> ihn auch zu verkleistern gesucht hat, geht nach dem eignen Eingeständnis der<lb/> Franzosen durch das stolze Heer Frankreichs. Und was ist seine Ursache?<lb/> Der Umstand, daß es darin zwei Sorten von Offizieren giebt, die eine, kleinere,<lb/> für die große Karriere bestimmt, aus den höhern Militärschulen hervorgegangen,<lb/> die andre, größere, aus dem Unteroffizierstande entsprossen, subaltern denkend<lb/> und drzu verdammt, mit höhern Ansprüchen das Leben in subalternen Stellungen<lb/> zuzubringen. „Alles können sie uns nachmachen, nur den preußischen, den<lb/> deutschen darf man jetzt wohl hinzusetzen, Sekondeleutnant nicht!" sagte Fürst<lb/> Bismarck in seiner berühmten Februarrede 1887. Und den sollten wir opfern,<lb/> sollten wir hingeben, um phantastischen Luftbildern der Gleichmacherei — denn<lb/> dies ist doch die innerste Veranlassung jenes jetzt noch zaghaft vorgebrachten<lb/> Vorschlages — nachzujagen. Wir wollen uns lieber der Worte des großen<lb/> Menschenkenners Washington erinnern, mit denen er stets den Genossen, denen<lb/> die Bildung der Armee oblag, antwortete, wenn sie mit Bitten um Rat auf<lb/> ihn eindrangen: Wählt nur Gentlemen zu Offizieren!</p><lb/> <p xml:id="ID_1419"> Die Heeresverwaltung hat ihren Standpunkt zur Reform der Heeres-<lb/> verfnssung scharf dargelegt. Sie sagt: Die Annahme der zweijährigen Dienst¬<lb/> zeit ist zur Zeit uicht möglich, sie wird eintreten, sobald die gegenwärtig be¬<lb/> stehenden, oben aufgeführten Hindernisse beseitigt sind; auch ohne sie aber<lb/> wird man auf Mittel sinnen müssen, die allgemeine Wehrpflicht thatsächlich<lb/> durchzuführen. Diese Sachlage läßt einen Umstand in den Vordergrund treten,<lb/> der seit langer Zeit wirkt, jedoch scheinbar nicht genügend beachtet wird.<lb/> Haben wir alle unsre waffenfähigen Männer für einen etwaigen Krieg nötig,<lb/> so liegt es auch in unserm Interesse, eine möglichst hohe Zahl derselben zu<lb/> besitzen. Eine Grenze, an der man sagen könnte, jetzt sei es genng, giebt es<lb/> in dieser Beziehung uicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1420"> Schon in einem frühern Aufsatz habe ich darauf hingewiesen, daß Deutsch¬<lb/> land verhältnismäßig weniger Männer im wehrfähigen Alter hat als z. V.<lb/> Frankreich oder ein andrer Großstaat Europas. Man hat diese merkwürdige<lb/> Erscheinung durch die größere Kindersterblichkeit in Deutschland zu erklären<lb/> gesucht, und sie mag mitsprechen, sie ist aber nicht der Hauptgrund. Dieser<lb/> liegt vielmehr in der Auswanderung und in der Entvölkerung des platten<lb/> Landes zu Gunsten der Städte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1421" next="#ID_1422"> In seiner „Vevölkerungslehre" weist Rümelin mit Recht darauf hin,<lb/> daß durch die Auswanderung die zurückbleibende Bevölkerung nicht nur einen<lb/> Verlust an Personenzahl, sondern einen relativ größern an Arbeits- und<lb/> Wehrkraft erleidet. In den Jahren 1875 bis 1889 betrug die Zahl der<lb/> deutschen Auswanderer etwa 1,4 Millionen, weit über ein Drittel davon männ¬<lb/> liche Personen im Alter von vierzehn bis vierzig Jahren. Frankreich, das<lb/> wir zum Vergleiche stellen, weil uns die statistischen Angaben dafür zugänglich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0508]
Zur Reform der Heeresverfassung
Kindesbeinen an, in der Regel haben. Ein gähnender Riß, so oft man
ihn auch zu verkleistern gesucht hat, geht nach dem eignen Eingeständnis der
Franzosen durch das stolze Heer Frankreichs. Und was ist seine Ursache?
Der Umstand, daß es darin zwei Sorten von Offizieren giebt, die eine, kleinere,
für die große Karriere bestimmt, aus den höhern Militärschulen hervorgegangen,
die andre, größere, aus dem Unteroffizierstande entsprossen, subaltern denkend
und drzu verdammt, mit höhern Ansprüchen das Leben in subalternen Stellungen
zuzubringen. „Alles können sie uns nachmachen, nur den preußischen, den
deutschen darf man jetzt wohl hinzusetzen, Sekondeleutnant nicht!" sagte Fürst
Bismarck in seiner berühmten Februarrede 1887. Und den sollten wir opfern,
sollten wir hingeben, um phantastischen Luftbildern der Gleichmacherei — denn
dies ist doch die innerste Veranlassung jenes jetzt noch zaghaft vorgebrachten
Vorschlages — nachzujagen. Wir wollen uns lieber der Worte des großen
Menschenkenners Washington erinnern, mit denen er stets den Genossen, denen
die Bildung der Armee oblag, antwortete, wenn sie mit Bitten um Rat auf
ihn eindrangen: Wählt nur Gentlemen zu Offizieren!
Die Heeresverwaltung hat ihren Standpunkt zur Reform der Heeres-
verfnssung scharf dargelegt. Sie sagt: Die Annahme der zweijährigen Dienst¬
zeit ist zur Zeit uicht möglich, sie wird eintreten, sobald die gegenwärtig be¬
stehenden, oben aufgeführten Hindernisse beseitigt sind; auch ohne sie aber
wird man auf Mittel sinnen müssen, die allgemeine Wehrpflicht thatsächlich
durchzuführen. Diese Sachlage läßt einen Umstand in den Vordergrund treten,
der seit langer Zeit wirkt, jedoch scheinbar nicht genügend beachtet wird.
Haben wir alle unsre waffenfähigen Männer für einen etwaigen Krieg nötig,
so liegt es auch in unserm Interesse, eine möglichst hohe Zahl derselben zu
besitzen. Eine Grenze, an der man sagen könnte, jetzt sei es genng, giebt es
in dieser Beziehung uicht.
Schon in einem frühern Aufsatz habe ich darauf hingewiesen, daß Deutsch¬
land verhältnismäßig weniger Männer im wehrfähigen Alter hat als z. V.
Frankreich oder ein andrer Großstaat Europas. Man hat diese merkwürdige
Erscheinung durch die größere Kindersterblichkeit in Deutschland zu erklären
gesucht, und sie mag mitsprechen, sie ist aber nicht der Hauptgrund. Dieser
liegt vielmehr in der Auswanderung und in der Entvölkerung des platten
Landes zu Gunsten der Städte.
In seiner „Vevölkerungslehre" weist Rümelin mit Recht darauf hin,
daß durch die Auswanderung die zurückbleibende Bevölkerung nicht nur einen
Verlust an Personenzahl, sondern einen relativ größern an Arbeits- und
Wehrkraft erleidet. In den Jahren 1875 bis 1889 betrug die Zahl der
deutschen Auswanderer etwa 1,4 Millionen, weit über ein Drittel davon männ¬
liche Personen im Alter von vierzehn bis vierzig Jahren. Frankreich, das
wir zum Vergleiche stellen, weil uns die statistischen Angaben dafür zugänglich
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