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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Reform der Heeresverfassung

Schließlich ist auch die gegenwärtig bestehende Ungleichheit der Bürger
hinsichtlich der militärischen Lasten nicht mehr aufrecht zu erhalten. Es ist
Thatsache, daß jährlich mehr als 50000 brauchbarer, waffenfähiger junger
Leute nicht zum Dienst herangezogen werden. Welche Vorteile genießen diese
im Vergleich zu denen, die drei Jahre lang durch die militärischen Pflichten
ihrem bürgerlichen Beruf entzogen werden! Glaubt man, es trüge zur Stär¬
kung des Vertrauens des Volkes zur Gerechtigkeit der Negierung, zur Zu¬
friedenheit im Volke bei, wenn der Rekrut Hinz sieht, wie der Nachbar Kunz,
von dessen Tauglichkeit für den Dienst er die "schlagendsten Beweise" hat,
sehr vergnügt seinen Privatgeschäften nachgeht, während Hinz seine .Kräfte in
ernster Schulung für den Krieg dem Staate opfern muß? Wir denken nicht.

Erwägt man dies alles ehrlich, so wird man dem Bestreben, die allge¬
meine Wehrpflicht wirklich durchzuführen, kaum feindlich entgegentreten können.
Wer nicht zugeben will, daß wir der durch die Wehrpflicht gelieferten Heeres¬
massen zur Sicherung nach außen bedürfen, der wird ihr doch beistimmen,
weil sie als Schule des Volkes unschätzbar ist. Wer sie als solche nicht
würdigt, dem muß ihre militärische Bedeutung einleuchten. Doch steht hoffent¬
lich die Mehrzahl der Deutschen nicht auf einem dieser Standpunkte, sondern
erkennt beide Gründe als gleich richtig und gleich wichtig an. Es handelt
sich jn vorläufig nur um das Prinzip, nicht um die Art der Aufbringung der
.Kosten für seine Durchführung. Die Regierung hat keinerlei Anhaltepunkte
gegeben, wie sie in dieser Hinsicht vorzugehen gedenkt, deshalb dürfte die Frage
kaum schon spruchreif sein.

Demnach werden die Kosten von gewisser Seite schon jetzt in den Vorder¬
grund geschoben und merkwürdigerweise mit der Verkürzung der Dienstzeit
in Verbindung gebracht. Man verlangt diese Verkürzung dort mit Nachdruck
als "Kompensation" (warum nicht als Ausgleichung?) sür die in Aussicht
stehende stärkere Belastung.

Die Forderung einer "Kompensation" mag hingehen, obgleich es wohl
unsicher ist, ob sie bei derartigen Vorlagen der Negierung ganz berechtigt ist.
Irgendwelche größern Ersparnisse aber würden sich durch die Einführung der
zweijährigen Dienstzeit bei den Fußtruppen nicht machen lassen. Im Gegen¬
teil, der Regierungsvertreter hat in der Kommission nachgewiesen, daß die
Verkürzung der Dienstzeit unter Festhaltung der jetzigen Heeresstärke etwa
20 Millionen an dauernden und 140 bis 150 an einmaligen Ausgaben mehr
erfordern würde als jetzt. Man könnte nun einwenden, daß diese Ausgaben
auch bei der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht mit dreijähriger
Dienstzeit notwendig sein würden und die Erleichterung des Einzelnen bliebe,
da er kürzere Zeit seinem Beruf entzogen würde. Gewiß, die Erleichterung
ist unbestreitbar, aber man vergißt, daß wir nach Durchführung der allgemeinen
Wehrpflicht den sehr großen Vorteil haben werden, die allgemeine Wehrpflicht


Zur Reform der Heeresverfassung

Schließlich ist auch die gegenwärtig bestehende Ungleichheit der Bürger
hinsichtlich der militärischen Lasten nicht mehr aufrecht zu erhalten. Es ist
Thatsache, daß jährlich mehr als 50000 brauchbarer, waffenfähiger junger
Leute nicht zum Dienst herangezogen werden. Welche Vorteile genießen diese
im Vergleich zu denen, die drei Jahre lang durch die militärischen Pflichten
ihrem bürgerlichen Beruf entzogen werden! Glaubt man, es trüge zur Stär¬
kung des Vertrauens des Volkes zur Gerechtigkeit der Negierung, zur Zu¬
friedenheit im Volke bei, wenn der Rekrut Hinz sieht, wie der Nachbar Kunz,
von dessen Tauglichkeit für den Dienst er die „schlagendsten Beweise" hat,
sehr vergnügt seinen Privatgeschäften nachgeht, während Hinz seine .Kräfte in
ernster Schulung für den Krieg dem Staate opfern muß? Wir denken nicht.

Erwägt man dies alles ehrlich, so wird man dem Bestreben, die allge¬
meine Wehrpflicht wirklich durchzuführen, kaum feindlich entgegentreten können.
Wer nicht zugeben will, daß wir der durch die Wehrpflicht gelieferten Heeres¬
massen zur Sicherung nach außen bedürfen, der wird ihr doch beistimmen,
weil sie als Schule des Volkes unschätzbar ist. Wer sie als solche nicht
würdigt, dem muß ihre militärische Bedeutung einleuchten. Doch steht hoffent¬
lich die Mehrzahl der Deutschen nicht auf einem dieser Standpunkte, sondern
erkennt beide Gründe als gleich richtig und gleich wichtig an. Es handelt
sich jn vorläufig nur um das Prinzip, nicht um die Art der Aufbringung der
.Kosten für seine Durchführung. Die Regierung hat keinerlei Anhaltepunkte
gegeben, wie sie in dieser Hinsicht vorzugehen gedenkt, deshalb dürfte die Frage
kaum schon spruchreif sein.

Demnach werden die Kosten von gewisser Seite schon jetzt in den Vorder¬
grund geschoben und merkwürdigerweise mit der Verkürzung der Dienstzeit
in Verbindung gebracht. Man verlangt diese Verkürzung dort mit Nachdruck
als „Kompensation" (warum nicht als Ausgleichung?) sür die in Aussicht
stehende stärkere Belastung.

Die Forderung einer „Kompensation" mag hingehen, obgleich es wohl
unsicher ist, ob sie bei derartigen Vorlagen der Negierung ganz berechtigt ist.
Irgendwelche größern Ersparnisse aber würden sich durch die Einführung der
zweijährigen Dienstzeit bei den Fußtruppen nicht machen lassen. Im Gegen¬
teil, der Regierungsvertreter hat in der Kommission nachgewiesen, daß die
Verkürzung der Dienstzeit unter Festhaltung der jetzigen Heeresstärke etwa
20 Millionen an dauernden und 140 bis 150 an einmaligen Ausgaben mehr
erfordern würde als jetzt. Man könnte nun einwenden, daß diese Ausgaben
auch bei der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht mit dreijähriger
Dienstzeit notwendig sein würden und die Erleichterung des Einzelnen bliebe,
da er kürzere Zeit seinem Beruf entzogen würde. Gewiß, die Erleichterung
ist unbestreitbar, aber man vergißt, daß wir nach Durchführung der allgemeinen
Wehrpflicht den sehr großen Vorteil haben werden, die allgemeine Wehrpflicht


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[0506] Zur Reform der Heeresverfassung Schließlich ist auch die gegenwärtig bestehende Ungleichheit der Bürger hinsichtlich der militärischen Lasten nicht mehr aufrecht zu erhalten. Es ist Thatsache, daß jährlich mehr als 50000 brauchbarer, waffenfähiger junger Leute nicht zum Dienst herangezogen werden. Welche Vorteile genießen diese im Vergleich zu denen, die drei Jahre lang durch die militärischen Pflichten ihrem bürgerlichen Beruf entzogen werden! Glaubt man, es trüge zur Stär¬ kung des Vertrauens des Volkes zur Gerechtigkeit der Negierung, zur Zu¬ friedenheit im Volke bei, wenn der Rekrut Hinz sieht, wie der Nachbar Kunz, von dessen Tauglichkeit für den Dienst er die „schlagendsten Beweise" hat, sehr vergnügt seinen Privatgeschäften nachgeht, während Hinz seine .Kräfte in ernster Schulung für den Krieg dem Staate opfern muß? Wir denken nicht. Erwägt man dies alles ehrlich, so wird man dem Bestreben, die allge¬ meine Wehrpflicht wirklich durchzuführen, kaum feindlich entgegentreten können. Wer nicht zugeben will, daß wir der durch die Wehrpflicht gelieferten Heeres¬ massen zur Sicherung nach außen bedürfen, der wird ihr doch beistimmen, weil sie als Schule des Volkes unschätzbar ist. Wer sie als solche nicht würdigt, dem muß ihre militärische Bedeutung einleuchten. Doch steht hoffent¬ lich die Mehrzahl der Deutschen nicht auf einem dieser Standpunkte, sondern erkennt beide Gründe als gleich richtig und gleich wichtig an. Es handelt sich jn vorläufig nur um das Prinzip, nicht um die Art der Aufbringung der .Kosten für seine Durchführung. Die Regierung hat keinerlei Anhaltepunkte gegeben, wie sie in dieser Hinsicht vorzugehen gedenkt, deshalb dürfte die Frage kaum schon spruchreif sein. Demnach werden die Kosten von gewisser Seite schon jetzt in den Vorder¬ grund geschoben und merkwürdigerweise mit der Verkürzung der Dienstzeit in Verbindung gebracht. Man verlangt diese Verkürzung dort mit Nachdruck als „Kompensation" (warum nicht als Ausgleichung?) sür die in Aussicht stehende stärkere Belastung. Die Forderung einer „Kompensation" mag hingehen, obgleich es wohl unsicher ist, ob sie bei derartigen Vorlagen der Negierung ganz berechtigt ist. Irgendwelche größern Ersparnisse aber würden sich durch die Einführung der zweijährigen Dienstzeit bei den Fußtruppen nicht machen lassen. Im Gegen¬ teil, der Regierungsvertreter hat in der Kommission nachgewiesen, daß die Verkürzung der Dienstzeit unter Festhaltung der jetzigen Heeresstärke etwa 20 Millionen an dauernden und 140 bis 150 an einmaligen Ausgaben mehr erfordern würde als jetzt. Man könnte nun einwenden, daß diese Ausgaben auch bei der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht mit dreijähriger Dienstzeit notwendig sein würden und die Erleichterung des Einzelnen bliebe, da er kürzere Zeit seinem Beruf entzogen würde. Gewiß, die Erleichterung ist unbestreitbar, aber man vergißt, daß wir nach Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht den sehr großen Vorteil haben werden, die allgemeine Wehrpflicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/506>, abgerufen am 01.07.2024.