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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Reform der Heeresverfassung

Frankreich hat die allgemeine Wehrpflicht in Wirklichkeit durchgeführt; es
ist auf dem besten Wege, uns trotz seiner bedeutend geringern Bevölkerung in
der Zahl der ausgebildeten wehrfähigen Mannschaften beträchtlich zu Überholen.
Rußland schlägt uns darin schon längst, obwohl es die allgemeine Wehrpflicht
nicht durchführt, in absehbarer Zeit auch wohl kaum in die Lage kommen wird,
sie durchzuführen. Dem gegenüber wird eine Anspannung aller Kräfte für einen
etwaigen Krieg dringend notwendig. Was helfen aber Millionen waffenfähiger
Leute ohne militärische Ausbildung? So gut wie nichts, denn sie sind sür die
entscheidenden Schläge, die ganz gewiß im Beginn der Zukunftskriege fallen,
nicht verfügbar. Deshalb genügt es nicht, daß sie durch das Gesetz sür den
Kriegsfall bereit gestellt sind, sondern sie müssen auch im Frieden auf ihre
kriegerische Thätigkeit vorbereitet werden.

Aber neben diesem äußern Grunde mußten auch schwerwiegende innere
jeden, der sich mit derartigen Fragen beschäftigt, auf die jetzt von der Regierung
geplante Maßregel bringen.

Wir haben doch seit des unsterblichen Scharnhorst Tagen niemals auf¬
gehört, die Armee als die beste Volksschule zu betrachten. Dieser Gedanke
konnte vor andern, vor finanziellen Rücksichten zurücktreten, er konnte aber nicht
spurlos verloren gehen. Allerdings ist die allgemeine Wehrpflicht in Preußen
aus der Not des Augenblicks erwachsen, aber sie war und ist trotzdem keine
auf den Augenblick berechnete Einrichtung. Nicht in erster Linie ist sie ge¬
schaffen, um ein den Franzosen oder Russen oder irgend einem andern be¬
stimmten Gegner gewachsenes Heer zu liefern; das hätte sich 1814 ohne jeden
Zweifel wenn nicht auf einfachere, so doch gewiß auf billigere Weise erreichen
lassen. Sie verdankt ihre Entstehung sehr viel mehr der Absicht, allen waffen¬
fähigen Bürgern des Staates die militärische Schulung zu geben, um so deu
männlichen, wehrhaften Sinn und zugleich den Staatsgedanken in der Nation
zu stärken. Man vergesse nicht, daß sie in derselben Zeit ihre Wieder-
auferstehung feierte, wo die letzten Schranken der persönlichen Freiheit in
Preußen sielen; sie stellt nur eine Erneuerung des uralten germanischen Rechts¬
grundsatzes dar, daß jeder Freie zur Verteidigung des heimischen Herdes ver¬
pflichtet sei.

Niemals aber ist eine strenge Zucht der Jugend -- "zuchtlos" nannte sie
der Reichskanzler im Reichstage, ohne Widerspruch zu finden -- notwendiger
gewesen als hente, niemals hat sie heilsamer wirken können. Ohne uns in
langatmige politische Erörterungen zu verlieren, können wir doch als Beweis
für diese Behauptung erwähnen, daß nach allen Berichten der gefährlichste,
unruhigste Bestandteil jener Partei, die die Grundlagen unsers Kultur- wie
Staatslebens umzustürzen bemüht ist, die jungen Arbeiter im Alter von
siebzehn bis vierundzwanzig Jahren sind, die nicht den bunten Rock getragen
haben.


Grenzboten II 1890 !>3
Zur Reform der Heeresverfassung

Frankreich hat die allgemeine Wehrpflicht in Wirklichkeit durchgeführt; es
ist auf dem besten Wege, uns trotz seiner bedeutend geringern Bevölkerung in
der Zahl der ausgebildeten wehrfähigen Mannschaften beträchtlich zu Überholen.
Rußland schlägt uns darin schon längst, obwohl es die allgemeine Wehrpflicht
nicht durchführt, in absehbarer Zeit auch wohl kaum in die Lage kommen wird,
sie durchzuführen. Dem gegenüber wird eine Anspannung aller Kräfte für einen
etwaigen Krieg dringend notwendig. Was helfen aber Millionen waffenfähiger
Leute ohne militärische Ausbildung? So gut wie nichts, denn sie sind sür die
entscheidenden Schläge, die ganz gewiß im Beginn der Zukunftskriege fallen,
nicht verfügbar. Deshalb genügt es nicht, daß sie durch das Gesetz sür den
Kriegsfall bereit gestellt sind, sondern sie müssen auch im Frieden auf ihre
kriegerische Thätigkeit vorbereitet werden.

Aber neben diesem äußern Grunde mußten auch schwerwiegende innere
jeden, der sich mit derartigen Fragen beschäftigt, auf die jetzt von der Regierung
geplante Maßregel bringen.

Wir haben doch seit des unsterblichen Scharnhorst Tagen niemals auf¬
gehört, die Armee als die beste Volksschule zu betrachten. Dieser Gedanke
konnte vor andern, vor finanziellen Rücksichten zurücktreten, er konnte aber nicht
spurlos verloren gehen. Allerdings ist die allgemeine Wehrpflicht in Preußen
aus der Not des Augenblicks erwachsen, aber sie war und ist trotzdem keine
auf den Augenblick berechnete Einrichtung. Nicht in erster Linie ist sie ge¬
schaffen, um ein den Franzosen oder Russen oder irgend einem andern be¬
stimmten Gegner gewachsenes Heer zu liefern; das hätte sich 1814 ohne jeden
Zweifel wenn nicht auf einfachere, so doch gewiß auf billigere Weise erreichen
lassen. Sie verdankt ihre Entstehung sehr viel mehr der Absicht, allen waffen¬
fähigen Bürgern des Staates die militärische Schulung zu geben, um so deu
männlichen, wehrhaften Sinn und zugleich den Staatsgedanken in der Nation
zu stärken. Man vergesse nicht, daß sie in derselben Zeit ihre Wieder-
auferstehung feierte, wo die letzten Schranken der persönlichen Freiheit in
Preußen sielen; sie stellt nur eine Erneuerung des uralten germanischen Rechts¬
grundsatzes dar, daß jeder Freie zur Verteidigung des heimischen Herdes ver¬
pflichtet sei.

Niemals aber ist eine strenge Zucht der Jugend — „zuchtlos" nannte sie
der Reichskanzler im Reichstage, ohne Widerspruch zu finden — notwendiger
gewesen als hente, niemals hat sie heilsamer wirken können. Ohne uns in
langatmige politische Erörterungen zu verlieren, können wir doch als Beweis
für diese Behauptung erwähnen, daß nach allen Berichten der gefährlichste,
unruhigste Bestandteil jener Partei, die die Grundlagen unsers Kultur- wie
Staatslebens umzustürzen bemüht ist, die jungen Arbeiter im Alter von
siebzehn bis vierundzwanzig Jahren sind, die nicht den bunten Rock getragen
haben.


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[0505] Zur Reform der Heeresverfassung Frankreich hat die allgemeine Wehrpflicht in Wirklichkeit durchgeführt; es ist auf dem besten Wege, uns trotz seiner bedeutend geringern Bevölkerung in der Zahl der ausgebildeten wehrfähigen Mannschaften beträchtlich zu Überholen. Rußland schlägt uns darin schon längst, obwohl es die allgemeine Wehrpflicht nicht durchführt, in absehbarer Zeit auch wohl kaum in die Lage kommen wird, sie durchzuführen. Dem gegenüber wird eine Anspannung aller Kräfte für einen etwaigen Krieg dringend notwendig. Was helfen aber Millionen waffenfähiger Leute ohne militärische Ausbildung? So gut wie nichts, denn sie sind sür die entscheidenden Schläge, die ganz gewiß im Beginn der Zukunftskriege fallen, nicht verfügbar. Deshalb genügt es nicht, daß sie durch das Gesetz sür den Kriegsfall bereit gestellt sind, sondern sie müssen auch im Frieden auf ihre kriegerische Thätigkeit vorbereitet werden. Aber neben diesem äußern Grunde mußten auch schwerwiegende innere jeden, der sich mit derartigen Fragen beschäftigt, auf die jetzt von der Regierung geplante Maßregel bringen. Wir haben doch seit des unsterblichen Scharnhorst Tagen niemals auf¬ gehört, die Armee als die beste Volksschule zu betrachten. Dieser Gedanke konnte vor andern, vor finanziellen Rücksichten zurücktreten, er konnte aber nicht spurlos verloren gehen. Allerdings ist die allgemeine Wehrpflicht in Preußen aus der Not des Augenblicks erwachsen, aber sie war und ist trotzdem keine auf den Augenblick berechnete Einrichtung. Nicht in erster Linie ist sie ge¬ schaffen, um ein den Franzosen oder Russen oder irgend einem andern be¬ stimmten Gegner gewachsenes Heer zu liefern; das hätte sich 1814 ohne jeden Zweifel wenn nicht auf einfachere, so doch gewiß auf billigere Weise erreichen lassen. Sie verdankt ihre Entstehung sehr viel mehr der Absicht, allen waffen¬ fähigen Bürgern des Staates die militärische Schulung zu geben, um so deu männlichen, wehrhaften Sinn und zugleich den Staatsgedanken in der Nation zu stärken. Man vergesse nicht, daß sie in derselben Zeit ihre Wieder- auferstehung feierte, wo die letzten Schranken der persönlichen Freiheit in Preußen sielen; sie stellt nur eine Erneuerung des uralten germanischen Rechts¬ grundsatzes dar, daß jeder Freie zur Verteidigung des heimischen Herdes ver¬ pflichtet sei. Niemals aber ist eine strenge Zucht der Jugend — „zuchtlos" nannte sie der Reichskanzler im Reichstage, ohne Widerspruch zu finden — notwendiger gewesen als hente, niemals hat sie heilsamer wirken können. Ohne uns in langatmige politische Erörterungen zu verlieren, können wir doch als Beweis für diese Behauptung erwähnen, daß nach allen Berichten der gefährlichste, unruhigste Bestandteil jener Partei, die die Grundlagen unsers Kultur- wie Staatslebens umzustürzen bemüht ist, die jungen Arbeiter im Alter von siebzehn bis vierundzwanzig Jahren sind, die nicht den bunten Rock getragen haben. Grenzboten II 1890 !>3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/505>, abgerufen am 29.06.2024.