Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Lozicilismiis und Erziehung Wäre, die blutenden Wunden der Gesellschaft zu heilen, die klaffenden Nisse zu Lozicilismiis und Erziehung Wäre, die blutenden Wunden der Gesellschaft zu heilen, die klaffenden Nisse zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207796"/> <fw type="header" place="top"> Lozicilismiis und Erziehung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1397" prev="#ID_1396" next="#ID_1398"> Wäre, die blutenden Wunden der Gesellschaft zu heilen, die klaffenden Nisse zu<lb/> schließen, die offenen Schäden zu beseitigen und einem neuen Geschlecht ein<lb/> neues, schöneres Zeitalter zu verheißen! Nicht wenige freilich mögen sich mit¬<lb/> leidig lächelnd von solchem Optimismus abwenden. In pessimistischer Ver¬<lb/> stimmung spotten sie des Gedankens an eine glücklichere Zukunft. Mag das<lb/> Rad, so seufzen sie resignirt, das einmal in: Rollen begriffen ist, ruhig weiter<lb/> laufen! Wo der Glaube an die Zukunft verloren gegangen ist, da braucht<lb/> man sich allerdings nicht zu bemühen um die Frage, was aus dem kommenden<lb/> Geschlecht werden soll. Wo aber die Überzeugung fest wurzelt, daß die Er¬<lb/> ziehung etwas vermag, indem sie glückverheißende Anfänge zur Blüte bringt<lb/> und vordringende Schäden vorsorglich eindämmt, da wird dieser Glaube in<lb/> Wahrheit auch Berge versetzen. Jede gründliche und haltbare Reform des<lb/> Gesellschaftslebens ist nur in einer planvollen und stetigen Hebung der Volks¬<lb/> kultur zu suchen. Hier ist immer und immer wieder der Hebel anzusetzen.<lb/> Erlahmt die Kraft, ist sie nicht ausreichend, dann ist kein Halten auf der ab¬<lb/> schüssigen Bahn, dann war es zu spät. Daher muß bei Zeiten dafür gesorgt<lb/> werden, es darf keine Lücke in der Fortbildung entstehen, weder zu langes<lb/> Ausruhen ans den erworbenen Schätzen, noch ein zu hastiges, überstürztes Vor¬<lb/> wärtsdrängen. Immer und überall wird es sich aber rächen, wenn eine Be¬<lb/> wegung, die sich von innen heraus geltend macht, künstlich eingedämmt wird.<lb/> Deshalb forderte der Erlaß Kaiser Friedrichs mit Recht, daß eine höhere<lb/> Bildung immer weitern Kreisen zugänglich gemacht werden solle. Denn der<lb/> mittelalterliche Standpunkt einer künstlichen Einengung und Zurückstauung der<lb/> Volksbildung ist dem einsichtigen staatsmännischen Blick gegenüber nicht mehr<lb/> haltbar. Überdies birgt sie die größten Gefahren in sich. Wie der Strom,<lb/> der künstlich aufgehalten sich in seinem ruhigen Fortgang gehemmt fühlt, nach<lb/> und nach immer mächtiger anschwellend die Ufer überströmt und Verheerung<lb/> bringend sich in die fruchtbaren Fluren ergießt, so wird auch die Volksbildung,<lb/> wenn sie künstlich zurückgehalten und gehemmt wird, eiues Tages die gezogenen<lb/> Schranken durchbrechen und alles mit sich fortreißen, was ihr in den Weg<lb/> tritt. Darum sorgt eine weise Staatsregierung für ein gesundes, stetiges<lb/> Wachstum, ohne Übereilung, ohne Überstürzung, vor allem auch ohne einseitige<lb/> Bevorzugung eines der Interessen, die den menschlichen Geist erfüllen. Hieraus<lb/> vor allem, aus der Einseitigkeit, geht die Halbbildung hervor, vor der der<lb/> kaiserliche Erlaß so eindringlich warnt. Wird die Bildung des Verstandes in<lb/> den Bordergrund gestellt — und der übliche katechetische Unterricht läuft<lb/> wesentlich nur auf eine Verstandesübnng hinaus —, wird dadurch die Pflege<lb/> des Gemütes und des Willens überwuchert, so kann das Ergebnis nur eine<lb/> traurige Halbbildung sein. Wo die Gymnasialbildung nur in der grammatische!,<lb/> Beherrschung der alten Sprachen mittels der berüchtigten Extemporalien gipfelt,<lb/> da kann nach der formalen Seite hin wohl Vorzügliches geleistet werden, aber</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
Lozicilismiis und Erziehung
Wäre, die blutenden Wunden der Gesellschaft zu heilen, die klaffenden Nisse zu
schließen, die offenen Schäden zu beseitigen und einem neuen Geschlecht ein
neues, schöneres Zeitalter zu verheißen! Nicht wenige freilich mögen sich mit¬
leidig lächelnd von solchem Optimismus abwenden. In pessimistischer Ver¬
stimmung spotten sie des Gedankens an eine glücklichere Zukunft. Mag das
Rad, so seufzen sie resignirt, das einmal in: Rollen begriffen ist, ruhig weiter
laufen! Wo der Glaube an die Zukunft verloren gegangen ist, da braucht
man sich allerdings nicht zu bemühen um die Frage, was aus dem kommenden
Geschlecht werden soll. Wo aber die Überzeugung fest wurzelt, daß die Er¬
ziehung etwas vermag, indem sie glückverheißende Anfänge zur Blüte bringt
und vordringende Schäden vorsorglich eindämmt, da wird dieser Glaube in
Wahrheit auch Berge versetzen. Jede gründliche und haltbare Reform des
Gesellschaftslebens ist nur in einer planvollen und stetigen Hebung der Volks¬
kultur zu suchen. Hier ist immer und immer wieder der Hebel anzusetzen.
Erlahmt die Kraft, ist sie nicht ausreichend, dann ist kein Halten auf der ab¬
schüssigen Bahn, dann war es zu spät. Daher muß bei Zeiten dafür gesorgt
werden, es darf keine Lücke in der Fortbildung entstehen, weder zu langes
Ausruhen ans den erworbenen Schätzen, noch ein zu hastiges, überstürztes Vor¬
wärtsdrängen. Immer und überall wird es sich aber rächen, wenn eine Be¬
wegung, die sich von innen heraus geltend macht, künstlich eingedämmt wird.
Deshalb forderte der Erlaß Kaiser Friedrichs mit Recht, daß eine höhere
Bildung immer weitern Kreisen zugänglich gemacht werden solle. Denn der
mittelalterliche Standpunkt einer künstlichen Einengung und Zurückstauung der
Volksbildung ist dem einsichtigen staatsmännischen Blick gegenüber nicht mehr
haltbar. Überdies birgt sie die größten Gefahren in sich. Wie der Strom,
der künstlich aufgehalten sich in seinem ruhigen Fortgang gehemmt fühlt, nach
und nach immer mächtiger anschwellend die Ufer überströmt und Verheerung
bringend sich in die fruchtbaren Fluren ergießt, so wird auch die Volksbildung,
wenn sie künstlich zurückgehalten und gehemmt wird, eiues Tages die gezogenen
Schranken durchbrechen und alles mit sich fortreißen, was ihr in den Weg
tritt. Darum sorgt eine weise Staatsregierung für ein gesundes, stetiges
Wachstum, ohne Übereilung, ohne Überstürzung, vor allem auch ohne einseitige
Bevorzugung eines der Interessen, die den menschlichen Geist erfüllen. Hieraus
vor allem, aus der Einseitigkeit, geht die Halbbildung hervor, vor der der
kaiserliche Erlaß so eindringlich warnt. Wird die Bildung des Verstandes in
den Bordergrund gestellt — und der übliche katechetische Unterricht läuft
wesentlich nur auf eine Verstandesübnng hinaus —, wird dadurch die Pflege
des Gemütes und des Willens überwuchert, so kann das Ergebnis nur eine
traurige Halbbildung sein. Wo die Gymnasialbildung nur in der grammatische!,
Beherrschung der alten Sprachen mittels der berüchtigten Extemporalien gipfelt,
da kann nach der formalen Seite hin wohl Vorzügliches geleistet werden, aber
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