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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Kleinkinderschule

auf der Hand, da er alles Regieren und Dirigiren von der Kinderstube oder
dem Konservatorium bis zum Kaiserthron unmöglich machen und die Welt
zuletzt in einen weinenden Pöbel auflösen würde, worin nnr doch wieder keiner
wüßte, wie er dem "andern" helfen solle, und schwerlich jemand Zeit behielte,
zu philosophiren oder Flöte zu blasen, wie er!

(Schluß folgt)




Die Kleinkinderschule

cis Anlnnstssignal ertönte, wir fuhren in B, ein. Mit Paketen be¬
laden, drängten wir uns auf dem Bahnsteig durch die Meuge, Wir
wurden von einem großen, starken Herrn mit nicht gerade vornehmer
Haltung begrüßt. "Guten Abend, Frau Vorsteherin," rief er uus
entgegen. Meine Begleiterin, Frau Vorsteherin von L., unsre
"Mutter," wie wir sie nannten, streckte dem Herrn die Hand ent¬
gegen. "Sie haben doch einen Gepäckschein?" Mit dieser Frage wandte er sich
"n mich, nahm den Schein in Empfang und überreichte ihn einem Dienstmann,
oben er diesem einen Auftrag gab. Dann war ich für ihn nicht weiter vor¬
handen.

Wir schritten genieinsam der Stube zu, Kommerzienrat Hahn erklärte der
"-palier" dies und das, was ihm bemerkenswert schien. Mir war alles ziemlich
weichMig. Müde von der Reise, heißes Trennungsweh im Herzen, hatte mich
'eher hijchst seltsame Empfang noch unzugänglicher gemacht.

Der Konunerzienrnt führte uus in sein Haus, dort sollten wir zu Abend essen.
^ 'vor der Vorsitzende des Komitees, das die Kleinkinderschule in B,, die ich von
nun an leiten sollte, ins Leben gerufen hatte; daher hatte man ihm überlassen,
uns in Empfang zu nehmen.

In dem sehr einfach ausgestatteten Wohnzimmer befand sich Frau Kommerzienrat
^ahu nebst ihrer dreizehnjährigen Tochter Grita. Es erfolgte nun eine kurze Vor¬
an^ Einladung zum Abendbrot, und in wenigen Minuten saßen wir
H ""' den einfach hergerichteten Theetisch. Zwischen der "Mutter" und dem
/""u.ierzienrat entspann sich ein, lebhaftes Gespräch; da ich mich aber fremd, sehr
u-ab fnhllr. ".ihm ich nicht daran teil, folgte ihm auch nicht, sondern betrachtete
prüfend das Hahnsche Ehepaar.

,^ ^>e ungleich sie äußerlich waren! Die große kräftige Gestalt des Kommerzieu-
Kug eine" runden, dicht mit braunem Haar bedeckten Kopf, seine braunen
'"'gen blickten lebhaft und klug, ein bewegtes Mienenspiel belebte seine Rede, doch
vUei, ein stark ironischer Zug um den Mund, sein breites, schallendes Organ und
u starker Zug von Selbstbewußtsein den guten Eindruck. Wie klein und winzig


Die Kleinkinderschule

auf der Hand, da er alles Regieren und Dirigiren von der Kinderstube oder
dem Konservatorium bis zum Kaiserthron unmöglich machen und die Welt
zuletzt in einen weinenden Pöbel auflösen würde, worin nnr doch wieder keiner
wüßte, wie er dem „andern" helfen solle, und schwerlich jemand Zeit behielte,
zu philosophiren oder Flöte zu blasen, wie er!

(Schluß folgt)




Die Kleinkinderschule

cis Anlnnstssignal ertönte, wir fuhren in B, ein. Mit Paketen be¬
laden, drängten wir uns auf dem Bahnsteig durch die Meuge, Wir
wurden von einem großen, starken Herrn mit nicht gerade vornehmer
Haltung begrüßt. „Guten Abend, Frau Vorsteherin," rief er uus
entgegen. Meine Begleiterin, Frau Vorsteherin von L., unsre
„Mutter," wie wir sie nannten, streckte dem Herrn die Hand ent¬
gegen. „Sie haben doch einen Gepäckschein?" Mit dieser Frage wandte er sich
"n mich, nahm den Schein in Empfang und überreichte ihn einem Dienstmann,
oben er diesem einen Auftrag gab. Dann war ich für ihn nicht weiter vor¬
handen.

Wir schritten genieinsam der Stube zu, Kommerzienrat Hahn erklärte der
"-palier" dies und das, was ihm bemerkenswert schien. Mir war alles ziemlich
weichMig. Müde von der Reise, heißes Trennungsweh im Herzen, hatte mich
'eher hijchst seltsame Empfang noch unzugänglicher gemacht.

Der Konunerzienrnt führte uus in sein Haus, dort sollten wir zu Abend essen.
^ 'vor der Vorsitzende des Komitees, das die Kleinkinderschule in B,, die ich von
nun an leiten sollte, ins Leben gerufen hatte; daher hatte man ihm überlassen,
uns in Empfang zu nehmen.

In dem sehr einfach ausgestatteten Wohnzimmer befand sich Frau Kommerzienrat
^ahu nebst ihrer dreizehnjährigen Tochter Grita. Es erfolgte nun eine kurze Vor¬
an^ Einladung zum Abendbrot, und in wenigen Minuten saßen wir
H ""' den einfach hergerichteten Theetisch. Zwischen der „Mutter" und dem
/»»u.ierzienrat entspann sich ein, lebhaftes Gespräch; da ich mich aber fremd, sehr
u-ab fnhllr. «.ihm ich nicht daran teil, folgte ihm auch nicht, sondern betrachtete
prüfend das Hahnsche Ehepaar.

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Kug eine» runden, dicht mit braunem Haar bedeckten Kopf, seine braunen
'"'gen blickten lebhaft und klug, ein bewegtes Mienenspiel belebte seine Rede, doch
vUei, ein stark ironischer Zug um den Mund, sein breites, schallendes Organ und
u starker Zug von Selbstbewußtsein den guten Eindruck. Wie klein und winzig


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[0479] Die Kleinkinderschule auf der Hand, da er alles Regieren und Dirigiren von der Kinderstube oder dem Konservatorium bis zum Kaiserthron unmöglich machen und die Welt zuletzt in einen weinenden Pöbel auflösen würde, worin nnr doch wieder keiner wüßte, wie er dem „andern" helfen solle, und schwerlich jemand Zeit behielte, zu philosophiren oder Flöte zu blasen, wie er! (Schluß folgt) Die Kleinkinderschule cis Anlnnstssignal ertönte, wir fuhren in B, ein. Mit Paketen be¬ laden, drängten wir uns auf dem Bahnsteig durch die Meuge, Wir wurden von einem großen, starken Herrn mit nicht gerade vornehmer Haltung begrüßt. „Guten Abend, Frau Vorsteherin," rief er uus entgegen. Meine Begleiterin, Frau Vorsteherin von L., unsre „Mutter," wie wir sie nannten, streckte dem Herrn die Hand ent¬ gegen. „Sie haben doch einen Gepäckschein?" Mit dieser Frage wandte er sich "n mich, nahm den Schein in Empfang und überreichte ihn einem Dienstmann, oben er diesem einen Auftrag gab. Dann war ich für ihn nicht weiter vor¬ handen. Wir schritten genieinsam der Stube zu, Kommerzienrat Hahn erklärte der "-palier" dies und das, was ihm bemerkenswert schien. Mir war alles ziemlich weichMig. Müde von der Reise, heißes Trennungsweh im Herzen, hatte mich 'eher hijchst seltsame Empfang noch unzugänglicher gemacht. Der Konunerzienrnt führte uus in sein Haus, dort sollten wir zu Abend essen. ^ 'vor der Vorsitzende des Komitees, das die Kleinkinderschule in B,, die ich von nun an leiten sollte, ins Leben gerufen hatte; daher hatte man ihm überlassen, uns in Empfang zu nehmen. In dem sehr einfach ausgestatteten Wohnzimmer befand sich Frau Kommerzienrat ^ahu nebst ihrer dreizehnjährigen Tochter Grita. Es erfolgte nun eine kurze Vor¬ an^ Einladung zum Abendbrot, und in wenigen Minuten saßen wir H ""' den einfach hergerichteten Theetisch. Zwischen der „Mutter" und dem /»»u.ierzienrat entspann sich ein, lebhaftes Gespräch; da ich mich aber fremd, sehr u-ab fnhllr. «.ihm ich nicht daran teil, folgte ihm auch nicht, sondern betrachtete prüfend das Hahnsche Ehepaar. ,^ ^>e ungleich sie äußerlich waren! Die große kräftige Gestalt des Kommerzieu- Kug eine» runden, dicht mit braunem Haar bedeckten Kopf, seine braunen '"'gen blickten lebhaft und klug, ein bewegtes Mienenspiel belebte seine Rede, doch vUei, ein stark ironischer Zug um den Mund, sein breites, schallendes Organ und u starker Zug von Selbstbewußtsein den guten Eindruck. Wie klein und winzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/479>, abgerufen am 27.12.2024.