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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Schopenhauer und Richard Wagner

heit bestimme", verurteilen, herabwürdigen zu dürfen. Dem Buddhisten, also
dem Originalpessimisten, wäre es niemals bcigekommen, daß der Buddhismus
uur eine Lehre, eine Erkenntnistheorie sein könne, ihm war er praktischer Ernst,
Lebensprinzip, das nicht bloß von Einzelnen, sondern irgendwie von Allen die,
wenn nötig passive, Verwirklichung forderte. Selbst der Fürst war nur Werk¬
zeug; die Welt zerfiel in Priester oder Höchstbegabte und solche, die es nicht
sind, sie ward in Kasten gegliedert. Sie war des Nichtseins wegen da, so
ungeheuer dieser Widerspruch in sich auch ist. Sie begann beim Oberpriester
und endigte bei der Pest, bei den Tschandalci, die so gehalten wurden, daß sie
die Pest bekommen mußten; nur die Pest machte nachher nicht Halt vor den
Scheidewänden der Kasten und fraß diese ganze buddhistische Welt gelegentlich
auf. Schopenhauer" aber, dein Guten, Tiefen, war die Metaphysik im Gegensatz
zum buddhistischen Originalpessimisten doch wesentlich nnr ein faustisches
Erkenntnisvergnügen. Der Stand der Wissenschaften ließ zum letztenmale
einen Nachklang der mittelalterlichen Illusion zu, daß einer alles bisher er¬
forschte wissen und den Nest hinzuthun könne, den Nachklang, der in der
Illusion besteht, die Welt, das All wie den Menschen aus einem Punkte er¬
klären zu können, als ob es nicht vielmehr darauf ankäme, den Menschen zu
steigern. So verbesserte er das "Ding an sich," von dem uns mstapIiMoL
verboten wurde, zu sagen, es sei nie und nirgends, und gelehrt wurde, es sei
zu keiner Zeit, um keinem Ort, aber es sei und sei das Seiendste von allem,
was da sei; um Etwas zu haben, was es sei, nahm Schopenhauer die mit dem
Mangel an "Zeit" und "Raum" verteidigte "Festung" durch "Verrat" -- das
Verratene war der schlichte Verstand -- und setzte den Willen zum Machthaber
ein, und wie es dann weiter ging, die gnostische Jakobsleiter vom Stein zur
Pflanze, zum Tier, zum Menschen hinauf, und ferner über die Brücke der
"Vorstellung" zu den "Ideen" als den Müttern der "willeusfreien" Künste,
endlich auf die höchste Staffel, wo die "Musik" über allem Menschlichen und
Übermenschlichen thronte. Nur schade, daß das alles schließlich doch besser
nicht wäre, am besten sich in die Götterdämmerung des Nirwana auflöste.
An diesem mystisch-melancholischen Traume mochte sich eine stille Gemeinde
erbauen, die dann wohl unter sich den Grundsatz des Mitleidens als Kor¬
relat des Urleidens praktizirt hätte. "min>>in l-recte, imo orlinss <,iumlmn
xotss Al^uvÄ, dieser Satz wurde das praktische Endergebnis der Lehre, weil zur
Philosophie am Ende auch eine "Ethik" gehörte. Diesen simpeln Grundsatz
aber zu finden, zu begründen (oder wieder zu erwecken) Hütte Schopenhauer
nicht faustisch Himmel und Erde, Künste und Wissenschaften, Willen und Vor¬
stellung in Bewegung zu setzen brauchen, das konnte er etwa der "freien
Gemeinde" oder irgend einer weichseligen Vetbrüderschaft überlassen; denn daß
er zu einem allgemeinen Lebensgrundsatz für die menschliche Gesellschaft (ohne
sophistische Interpretation, die ja alles kann) nicht taugt, liegt gar zu sehr


Schopenhauer und Richard Wagner

heit bestimme», verurteilen, herabwürdigen zu dürfen. Dem Buddhisten, also
dem Originalpessimisten, wäre es niemals bcigekommen, daß der Buddhismus
uur eine Lehre, eine Erkenntnistheorie sein könne, ihm war er praktischer Ernst,
Lebensprinzip, das nicht bloß von Einzelnen, sondern irgendwie von Allen die,
wenn nötig passive, Verwirklichung forderte. Selbst der Fürst war nur Werk¬
zeug; die Welt zerfiel in Priester oder Höchstbegabte und solche, die es nicht
sind, sie ward in Kasten gegliedert. Sie war des Nichtseins wegen da, so
ungeheuer dieser Widerspruch in sich auch ist. Sie begann beim Oberpriester
und endigte bei der Pest, bei den Tschandalci, die so gehalten wurden, daß sie
die Pest bekommen mußten; nur die Pest machte nachher nicht Halt vor den
Scheidewänden der Kasten und fraß diese ganze buddhistische Welt gelegentlich
auf. Schopenhauer» aber, dein Guten, Tiefen, war die Metaphysik im Gegensatz
zum buddhistischen Originalpessimisten doch wesentlich nnr ein faustisches
Erkenntnisvergnügen. Der Stand der Wissenschaften ließ zum letztenmale
einen Nachklang der mittelalterlichen Illusion zu, daß einer alles bisher er¬
forschte wissen und den Nest hinzuthun könne, den Nachklang, der in der
Illusion besteht, die Welt, das All wie den Menschen aus einem Punkte er¬
klären zu können, als ob es nicht vielmehr darauf ankäme, den Menschen zu
steigern. So verbesserte er das „Ding an sich," von dem uns mstapIiMoL
verboten wurde, zu sagen, es sei nie und nirgends, und gelehrt wurde, es sei
zu keiner Zeit, um keinem Ort, aber es sei und sei das Seiendste von allem,
was da sei; um Etwas zu haben, was es sei, nahm Schopenhauer die mit dem
Mangel an „Zeit" und „Raum" verteidigte „Festung" durch „Verrat" — das
Verratene war der schlichte Verstand — und setzte den Willen zum Machthaber
ein, und wie es dann weiter ging, die gnostische Jakobsleiter vom Stein zur
Pflanze, zum Tier, zum Menschen hinauf, und ferner über die Brücke der
„Vorstellung" zu den „Ideen" als den Müttern der „willeusfreien" Künste,
endlich auf die höchste Staffel, wo die „Musik" über allem Menschlichen und
Übermenschlichen thronte. Nur schade, daß das alles schließlich doch besser
nicht wäre, am besten sich in die Götterdämmerung des Nirwana auflöste.
An diesem mystisch-melancholischen Traume mochte sich eine stille Gemeinde
erbauen, die dann wohl unter sich den Grundsatz des Mitleidens als Kor¬
relat des Urleidens praktizirt hätte. »min>>in l-recte, imo orlinss <,iumlmn
xotss Al^uvÄ, dieser Satz wurde das praktische Endergebnis der Lehre, weil zur
Philosophie am Ende auch eine „Ethik" gehörte. Diesen simpeln Grundsatz
aber zu finden, zu begründen (oder wieder zu erwecken) Hütte Schopenhauer
nicht faustisch Himmel und Erde, Künste und Wissenschaften, Willen und Vor¬
stellung in Bewegung zu setzen brauchen, das konnte er etwa der „freien
Gemeinde" oder irgend einer weichseligen Vetbrüderschaft überlassen; denn daß
er zu einem allgemeinen Lebensgrundsatz für die menschliche Gesellschaft (ohne
sophistische Interpretation, die ja alles kann) nicht taugt, liegt gar zu sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/478>, abgerufen am 27.12.2024.