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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Schopenhauer und Richard Magner

noch Mitleid, weder Klage "och Jubel, wen" sie ihrer auch als wirkender Mittel
nicht mag entbehre" könne", soll sie zum Zwecke, zur Wirkung des Ganzen
machen; sie ist im höchsten Sinne des Wortes optimistisch, natürlich ohne den
Glauben, der sie gar nichts angeht, alles in der Welt oder das meiste sei
"gut" oder nützlich, a"ge"eben oder schön. Die Aristotelische Lehre von
"Furcht und Mitleid," in meinen Auge" von jeher ein ga"z äußerlich ab-
strahirter Dilettanteneinfall, beherrscht die Ästhetik des Dramas leider ins zum
Überdruß,

Die Wagnerische Kunst hat sich nnn aber mit den eigentlich "Wagnerischen"
Dramen wie "Tristan und Isolde" ""d de" vier Nibelungendrame" in den a"f
el"er tieferen Kulturstufe entstandene" Pessimismus zurückbegeben. Wagner hat
die Kunst wieder in den Dienst des bessere" Nichtseins gestellt; wer jene Dramen
ernstlich und gläubig angehört hat, verläßt das Theater, statt befreit und auf
eine das Leben lminiv sorsuv oder auch nur a,cano imimo überschauende Höhe
gestellt, vielmehr mit einer Fülle von tiefschmerzlichen Problemen beladen, die
die Grundlagen des Lebens betreffen: Ehe, Eigentum, Arbeit, Rang. Ihre
Lösung im Bilde ist durchaus nicht Zweck der Kunst; denn nicht das Sein¬
sollende oder das besser Nichtseiende, sondern das Seiende ohne den Beigeschmack
der Klage, des Vorwurfs, des Vorschlages zum Besseren, und zwar das
Seiende, Wirkende auch nicht bloß im geschichtlichen Sinne (als wirklich
Gewesenes), ist ihr Objekt. Bei Wagner ist die Lösung im Bilde versucht, und
das noch auf eine so täppische Art, daß man bei näherem Zusehen erstaunt, wie
diese Dramen in solchem Sir"e ernst genommen werden könne", denn der
Hauptgrundsatz der Lösungen ist, auch schon im "Lohengrin" und "Tannhäuser,"
der Satz: das höhere Recht ist allemal auf Seite" des genialeren Unrechts,
und der Vorrang gebührt allemal dem, der der Begabtere ist, alö lar visu
oder als igs cllcmx oder ac äroit imwrvl; es ist das Recht des Stärkeren
auf geistiges Gebiet übertragen, also nnr auf einer höheren Stufe, nahezu vou
derselbe" Roheit wie das Faustrecht. Daß der Pessimismus einer tiefern Kultur¬
stufe entspricht, ist zweifellos; seiue Grundidee ist eine solche, die ihre Bekenner
vernünftigen Menschen oder einer Mehrzahl vo" Mensche" auf die Dauer doch
nicht weismache" könne", nämlich daß der Quell der Erkenntnis und des
Heils in etwas liege, das zu erkennen der Verstand des Menschen, wie die
Natur ihn erschaffen hat. schlechterdings durch seine Beschaffenheit selbst un¬
fähig sei und das im Leben nicht anders endgiltig zu verwirklichen gesucht
werden könne, als durch jene Art von Scheinselbstmord -- daß aber eine
bestimmte Menschenart, wenn sie auch jenes höchstens Vorzuges, des Nirwana,
hienieden noch nicht teilhaftig geworden sei, jene Beschaffenheit des Verstandes
so weit überwunden habe, um deu schlichten, gesunde" Menschenverstand den
gemeinen, schlechten schelten zu können und die wirklich oder angeblich minder
begabten als Mensche" zu tieferem Range, ja bis zur gänzliche" Verworfen-


Schopenhauer und Richard Magner

noch Mitleid, weder Klage »och Jubel, wen» sie ihrer auch als wirkender Mittel
nicht mag entbehre» könne», soll sie zum Zwecke, zur Wirkung des Ganzen
machen; sie ist im höchsten Sinne des Wortes optimistisch, natürlich ohne den
Glauben, der sie gar nichts angeht, alles in der Welt oder das meiste sei
„gut" oder nützlich, a»ge»eben oder schön. Die Aristotelische Lehre von
„Furcht und Mitleid," in meinen Auge» von jeher ein ga»z äußerlich ab-
strahirter Dilettanteneinfall, beherrscht die Ästhetik des Dramas leider ins zum
Überdruß,

Die Wagnerische Kunst hat sich nnn aber mit den eigentlich „Wagnerischen"
Dramen wie „Tristan und Isolde" »»d de» vier Nibelungendrame» in den a»f
el»er tieferen Kulturstufe entstandene» Pessimismus zurückbegeben. Wagner hat
die Kunst wieder in den Dienst des bessere» Nichtseins gestellt; wer jene Dramen
ernstlich und gläubig angehört hat, verläßt das Theater, statt befreit und auf
eine das Leben lminiv sorsuv oder auch nur a,cano imimo überschauende Höhe
gestellt, vielmehr mit einer Fülle von tiefschmerzlichen Problemen beladen, die
die Grundlagen des Lebens betreffen: Ehe, Eigentum, Arbeit, Rang. Ihre
Lösung im Bilde ist durchaus nicht Zweck der Kunst; denn nicht das Sein¬
sollende oder das besser Nichtseiende, sondern das Seiende ohne den Beigeschmack
der Klage, des Vorwurfs, des Vorschlages zum Besseren, und zwar das
Seiende, Wirkende auch nicht bloß im geschichtlichen Sinne (als wirklich
Gewesenes), ist ihr Objekt. Bei Wagner ist die Lösung im Bilde versucht, und
das noch auf eine so täppische Art, daß man bei näherem Zusehen erstaunt, wie
diese Dramen in solchem Sir»e ernst genommen werden könne», denn der
Hauptgrundsatz der Lösungen ist, auch schon im „Lohengrin" und „Tannhäuser,"
der Satz: das höhere Recht ist allemal auf Seite» des genialeren Unrechts,
und der Vorrang gebührt allemal dem, der der Begabtere ist, alö lar visu
oder als igs cllcmx oder ac äroit imwrvl; es ist das Recht des Stärkeren
auf geistiges Gebiet übertragen, also nnr auf einer höheren Stufe, nahezu vou
derselbe» Roheit wie das Faustrecht. Daß der Pessimismus einer tiefern Kultur¬
stufe entspricht, ist zweifellos; seiue Grundidee ist eine solche, die ihre Bekenner
vernünftigen Menschen oder einer Mehrzahl vo» Mensche» auf die Dauer doch
nicht weismache» könne», nämlich daß der Quell der Erkenntnis und des
Heils in etwas liege, das zu erkennen der Verstand des Menschen, wie die
Natur ihn erschaffen hat. schlechterdings durch seine Beschaffenheit selbst un¬
fähig sei und das im Leben nicht anders endgiltig zu verwirklichen gesucht
werden könne, als durch jene Art von Scheinselbstmord — daß aber eine
bestimmte Menschenart, wenn sie auch jenes höchstens Vorzuges, des Nirwana,
hienieden noch nicht teilhaftig geworden sei, jene Beschaffenheit des Verstandes
so weit überwunden habe, um deu schlichten, gesunde» Menschenverstand den
gemeinen, schlechten schelten zu können und die wirklich oder angeblich minder
begabten als Mensche» zu tieferem Range, ja bis zur gänzliche» Verworfen-


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[0477] Schopenhauer und Richard Magner noch Mitleid, weder Klage »och Jubel, wen» sie ihrer auch als wirkender Mittel nicht mag entbehre» könne», soll sie zum Zwecke, zur Wirkung des Ganzen machen; sie ist im höchsten Sinne des Wortes optimistisch, natürlich ohne den Glauben, der sie gar nichts angeht, alles in der Welt oder das meiste sei „gut" oder nützlich, a»ge»eben oder schön. Die Aristotelische Lehre von „Furcht und Mitleid," in meinen Auge» von jeher ein ga»z äußerlich ab- strahirter Dilettanteneinfall, beherrscht die Ästhetik des Dramas leider ins zum Überdruß, Die Wagnerische Kunst hat sich nnn aber mit den eigentlich „Wagnerischen" Dramen wie „Tristan und Isolde" »»d de» vier Nibelungendrame» in den a»f el»er tieferen Kulturstufe entstandene» Pessimismus zurückbegeben. Wagner hat die Kunst wieder in den Dienst des bessere» Nichtseins gestellt; wer jene Dramen ernstlich und gläubig angehört hat, verläßt das Theater, statt befreit und auf eine das Leben lminiv sorsuv oder auch nur a,cano imimo überschauende Höhe gestellt, vielmehr mit einer Fülle von tiefschmerzlichen Problemen beladen, die die Grundlagen des Lebens betreffen: Ehe, Eigentum, Arbeit, Rang. Ihre Lösung im Bilde ist durchaus nicht Zweck der Kunst; denn nicht das Sein¬ sollende oder das besser Nichtseiende, sondern das Seiende ohne den Beigeschmack der Klage, des Vorwurfs, des Vorschlages zum Besseren, und zwar das Seiende, Wirkende auch nicht bloß im geschichtlichen Sinne (als wirklich Gewesenes), ist ihr Objekt. Bei Wagner ist die Lösung im Bilde versucht, und das noch auf eine so täppische Art, daß man bei näherem Zusehen erstaunt, wie diese Dramen in solchem Sir»e ernst genommen werden könne», denn der Hauptgrundsatz der Lösungen ist, auch schon im „Lohengrin" und „Tannhäuser," der Satz: das höhere Recht ist allemal auf Seite» des genialeren Unrechts, und der Vorrang gebührt allemal dem, der der Begabtere ist, alö lar visu oder als igs cllcmx oder ac äroit imwrvl; es ist das Recht des Stärkeren auf geistiges Gebiet übertragen, also nnr auf einer höheren Stufe, nahezu vou derselbe» Roheit wie das Faustrecht. Daß der Pessimismus einer tiefern Kultur¬ stufe entspricht, ist zweifellos; seiue Grundidee ist eine solche, die ihre Bekenner vernünftigen Menschen oder einer Mehrzahl vo» Mensche» auf die Dauer doch nicht weismache» könne», nämlich daß der Quell der Erkenntnis und des Heils in etwas liege, das zu erkennen der Verstand des Menschen, wie die Natur ihn erschaffen hat. schlechterdings durch seine Beschaffenheit selbst un¬ fähig sei und das im Leben nicht anders endgiltig zu verwirklichen gesucht werden könne, als durch jene Art von Scheinselbstmord — daß aber eine bestimmte Menschenart, wenn sie auch jenes höchstens Vorzuges, des Nirwana, hienieden noch nicht teilhaftig geworden sei, jene Beschaffenheit des Verstandes so weit überwunden habe, um deu schlichten, gesunde» Menschenverstand den gemeinen, schlechten schelten zu können und die wirklich oder angeblich minder begabten als Mensche» zu tieferem Range, ja bis zur gänzliche» Verworfen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/477>, abgerufen am 01.07.2024.