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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Schopenhauer und Richard Wagner

menschlicherweise die Sorge für seine lliliU'iiW als Vorstufe nötig war. Vor¬
nehmlich wegen dieser zur Fürstentngend gehörenden Erhabenheit hieß er "Ho¬
heit" und Lsr0mis8iiiui8, der heiterste. Wie oft und schwer dies, auch von
den Fürsten selbst, im Sinne von In1g.riti>,8, auch von ssimäwM, als Zweck mi߬
verstanden und gemißbraucht worden ist, kommt dabei nicht in Betracht; die
8srsnilN8 war und ist damit als Ideal aufgestellt. Statt der lächelnden ist
heute freilich die grinsende "Heiterkeit" bekannter, die entsteht, wenn ein Parla¬
mentarier einen Witz oder eine Dummheit losgelassen hat, und die Menge der
andern darüber lacht. Dennoch, so gut jeder auch weiß, daß der Herrscher
ernstlich arbeiten muß, um sich zu behaupten, denkt doch jeder, denkt mindestens
das Volk den Fürsten sich unwillkürlich als heiter, und so allenfalls kennt
man heute noch das Ideal der 8LrsintA8, das dein vorigen Jahrhundert so
vertraut war.

Wie aber heute wenigstens noch das niedrige Volk sich den Fürsten als
den denkt, der lächelnden Angesichts nur zu befehlen brauche, um seinen Beruf
auszuüben, fo denkt sich die Gesellschaft bis in viel höhere Schichten der
"Bildung" hinauf den Künstler als jemanden, der nicht nötig habe, zu "üben,"
sondern der jederzeit, um seinen Beruf als Säuger, als Virtuose zu erfüllen,
nur den Mund nnfzuthuu, fein Instrument zur Hand zu nehmen brauche,
d. h. es wird in Bezug auf den Fürsten wie auf den Künstler das Ideal
der Erhabenheit über den Ernst und die Arbeit, des Angelangtseins auf der
Höhe müheloser Heiterkeit als das Auszeichnende, Vornehme in der Vorstellung
festgehalten, so stark, daß der Künstler mit der Entschuldigung, er sei jetzt
außer Übung, niemals, auch in bester Gesellschaft nicht, Glauben findet. In
dieser überall anzutreffenden Ansicht pflanzt sich noch die Erkenntnis fort, daß
die Kunst dem Ideal der Heiterkeit diene.

Wird die Kunst von niederen Menschen geübt oder genossen, so ist sie
auf das Gaudium der Menge oder auf die stupide Bewunderung gerichtet.
Aber selbst noch oberhalb der Stufe der Marita dient demselben Ideal die
tragische Kunst, die des Bösen nur als bewegender Kraft bedarf: sie will
weder durch das dargestellte Böse abschrecken, noch durch das dargestellte Gute
anziehen oder den Zuhörer "bessern"; denn dann müßte es nicht auf den Zu¬
hörer ankommen, ob ihn nicht das Böse anzieht und der "Gute" ihn
langweilt, was doch auf jeder Kulturstufe vorkommt. Keins von beiden:
soll vorbildlich verstanden werden, sondern beides als naturnotwendig, die
Schicksale des Handelnden als unabwendbar aus eines jeden Natur uuter
den gegebenen Umstünden herbeigeführt; nur auf das Gebiet des blinden,
absoluten Zufalls 1^ Müllner und Werner) soll die Kunst nicht sklavisch
der Wirklichkeit oder Möglichkeit folgen. So soll sie uns über beides, Gut
und Böse, stellen, die Handelnden nur als dramatische Kräfte aufführen,
weder ein Verwerfen noch auch ein Verzeihen in uns anregen. Weder Furcht


Schopenhauer und Richard Wagner

menschlicherweise die Sorge für seine lliliU'iiW als Vorstufe nötig war. Vor¬
nehmlich wegen dieser zur Fürstentngend gehörenden Erhabenheit hieß er „Ho¬
heit" und Lsr0mis8iiiui8, der heiterste. Wie oft und schwer dies, auch von
den Fürsten selbst, im Sinne von In1g.riti>,8, auch von ssimäwM, als Zweck mi߬
verstanden und gemißbraucht worden ist, kommt dabei nicht in Betracht; die
8srsnilN8 war und ist damit als Ideal aufgestellt. Statt der lächelnden ist
heute freilich die grinsende „Heiterkeit" bekannter, die entsteht, wenn ein Parla¬
mentarier einen Witz oder eine Dummheit losgelassen hat, und die Menge der
andern darüber lacht. Dennoch, so gut jeder auch weiß, daß der Herrscher
ernstlich arbeiten muß, um sich zu behaupten, denkt doch jeder, denkt mindestens
das Volk den Fürsten sich unwillkürlich als heiter, und so allenfalls kennt
man heute noch das Ideal der 8LrsintA8, das dein vorigen Jahrhundert so
vertraut war.

Wie aber heute wenigstens noch das niedrige Volk sich den Fürsten als
den denkt, der lächelnden Angesichts nur zu befehlen brauche, um seinen Beruf
auszuüben, fo denkt sich die Gesellschaft bis in viel höhere Schichten der
„Bildung" hinauf den Künstler als jemanden, der nicht nötig habe, zu „üben,"
sondern der jederzeit, um seinen Beruf als Säuger, als Virtuose zu erfüllen,
nur den Mund nnfzuthuu, fein Instrument zur Hand zu nehmen brauche,
d. h. es wird in Bezug auf den Fürsten wie auf den Künstler das Ideal
der Erhabenheit über den Ernst und die Arbeit, des Angelangtseins auf der
Höhe müheloser Heiterkeit als das Auszeichnende, Vornehme in der Vorstellung
festgehalten, so stark, daß der Künstler mit der Entschuldigung, er sei jetzt
außer Übung, niemals, auch in bester Gesellschaft nicht, Glauben findet. In
dieser überall anzutreffenden Ansicht pflanzt sich noch die Erkenntnis fort, daß
die Kunst dem Ideal der Heiterkeit diene.

Wird die Kunst von niederen Menschen geübt oder genossen, so ist sie
auf das Gaudium der Menge oder auf die stupide Bewunderung gerichtet.
Aber selbst noch oberhalb der Stufe der Marita dient demselben Ideal die
tragische Kunst, die des Bösen nur als bewegender Kraft bedarf: sie will
weder durch das dargestellte Böse abschrecken, noch durch das dargestellte Gute
anziehen oder den Zuhörer „bessern"; denn dann müßte es nicht auf den Zu¬
hörer ankommen, ob ihn nicht das Böse anzieht und der „Gute" ihn
langweilt, was doch auf jeder Kulturstufe vorkommt. Keins von beiden:
soll vorbildlich verstanden werden, sondern beides als naturnotwendig, die
Schicksale des Handelnden als unabwendbar aus eines jeden Natur uuter
den gegebenen Umstünden herbeigeführt; nur auf das Gebiet des blinden,
absoluten Zufalls 1^ Müllner und Werner) soll die Kunst nicht sklavisch
der Wirklichkeit oder Möglichkeit folgen. So soll sie uns über beides, Gut
und Böse, stellen, die Handelnden nur als dramatische Kräfte aufführen,
weder ein Verwerfen noch auch ein Verzeihen in uns anregen. Weder Furcht


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[0476] Schopenhauer und Richard Wagner menschlicherweise die Sorge für seine lliliU'iiW als Vorstufe nötig war. Vor¬ nehmlich wegen dieser zur Fürstentngend gehörenden Erhabenheit hieß er „Ho¬ heit" und Lsr0mis8iiiui8, der heiterste. Wie oft und schwer dies, auch von den Fürsten selbst, im Sinne von In1g.riti>,8, auch von ssimäwM, als Zweck mi߬ verstanden und gemißbraucht worden ist, kommt dabei nicht in Betracht; die 8srsnilN8 war und ist damit als Ideal aufgestellt. Statt der lächelnden ist heute freilich die grinsende „Heiterkeit" bekannter, die entsteht, wenn ein Parla¬ mentarier einen Witz oder eine Dummheit losgelassen hat, und die Menge der andern darüber lacht. Dennoch, so gut jeder auch weiß, daß der Herrscher ernstlich arbeiten muß, um sich zu behaupten, denkt doch jeder, denkt mindestens das Volk den Fürsten sich unwillkürlich als heiter, und so allenfalls kennt man heute noch das Ideal der 8LrsintA8, das dein vorigen Jahrhundert so vertraut war. Wie aber heute wenigstens noch das niedrige Volk sich den Fürsten als den denkt, der lächelnden Angesichts nur zu befehlen brauche, um seinen Beruf auszuüben, fo denkt sich die Gesellschaft bis in viel höhere Schichten der „Bildung" hinauf den Künstler als jemanden, der nicht nötig habe, zu „üben," sondern der jederzeit, um seinen Beruf als Säuger, als Virtuose zu erfüllen, nur den Mund nnfzuthuu, fein Instrument zur Hand zu nehmen brauche, d. h. es wird in Bezug auf den Fürsten wie auf den Künstler das Ideal der Erhabenheit über den Ernst und die Arbeit, des Angelangtseins auf der Höhe müheloser Heiterkeit als das Auszeichnende, Vornehme in der Vorstellung festgehalten, so stark, daß der Künstler mit der Entschuldigung, er sei jetzt außer Übung, niemals, auch in bester Gesellschaft nicht, Glauben findet. In dieser überall anzutreffenden Ansicht pflanzt sich noch die Erkenntnis fort, daß die Kunst dem Ideal der Heiterkeit diene. Wird die Kunst von niederen Menschen geübt oder genossen, so ist sie auf das Gaudium der Menge oder auf die stupide Bewunderung gerichtet. Aber selbst noch oberhalb der Stufe der Marita dient demselben Ideal die tragische Kunst, die des Bösen nur als bewegender Kraft bedarf: sie will weder durch das dargestellte Böse abschrecken, noch durch das dargestellte Gute anziehen oder den Zuhörer „bessern"; denn dann müßte es nicht auf den Zu¬ hörer ankommen, ob ihn nicht das Böse anzieht und der „Gute" ihn langweilt, was doch auf jeder Kulturstufe vorkommt. Keins von beiden: soll vorbildlich verstanden werden, sondern beides als naturnotwendig, die Schicksale des Handelnden als unabwendbar aus eines jeden Natur uuter den gegebenen Umstünden herbeigeführt; nur auf das Gebiet des blinden, absoluten Zufalls 1^ Müllner und Werner) soll die Kunst nicht sklavisch der Wirklichkeit oder Möglichkeit folgen. So soll sie uns über beides, Gut und Böse, stellen, die Handelnden nur als dramatische Kräfte aufführen, weder ein Verwerfen noch auch ein Verzeihen in uns anregen. Weder Furcht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/476>, abgerufen am 01.10.2024.