Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Schopenhauer und Äichard N)agner sie zu haben und sich darin "wohl" sein zu lassen. In dieser Weise aber Schopenhauer und Äichard N)agner sie zu haben und sich darin „wohl" sein zu lassen. In dieser Weise aber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207769"/> <fw type="header" place="top"> Schopenhauer und Äichard N)agner</fw><lb/> <p xml:id="ID_1306" prev="#ID_1305" next="#ID_1307"> sie zu haben und sich darin „wohl" sein zu lassen. In dieser Weise aber<lb/> müßte dennoch das Nichtsein aller Dinge einschließlich des Ich als besser ge¬<lb/> fühlt werden können, um als besser gelten zu können; dazu aber würde Dauer,<lb/> würde Zeit gehören, also hinzugedacht werden müsse». Das Nichtsein sollte<lb/> ja aber jenseits der Schranken von Raum und Zeit sein, die wir nun wohl<lb/> oder übel in sie wieder hineinzudenken gar nicht umhin könnten; kurz, die Idee<lb/> des bessern Nichtseins — das bessere Jenseits, dein vergnügt und offenherzig<lb/> die „ewige Dauer" (auch wieder eine vouti-Äclictio in g^vet-o) beigelegt wird,<lb/> ist eine gemütliche Sache dagegen — der Pessimismus also ist, wie die Hegelei,<lb/> ein Gedanke, den man, um ihn zu verstehen, um sich etwas dabei zu denken,<lb/> wenigstens mißverstehen muß, wie es Hegel, wenn auch unfreiwillig, selbst von<lb/> dem Schulgespeust aussagte, das er seine Philosophie nannte: „Nur einer hat<lb/> mich verstanden, und der hat mich mißverstanden." Aber keiner kann etwas<lb/> andres damit anfangen, um sie zu verstehen, wenn er nicht verrückt dabei<lb/> werden will. Darum waren die Hegelianer besser als Hegel, bei dem sie sich<lb/> noch für ihr Selbst bedankten, seinen Kredit vermehrend. Für den Gläubigen<lb/> des Pessimismus aber, der ihn nicht mißverstehen will, der ihn durchaus ernst<lb/> nimmt, muß gerade dies zweifelhaft bleiben, ob er im Tode nicht bloß des<lb/> eignen Nicht-mehr-Seins genießen werde, ob er in ihm schon des Nirwana teil¬<lb/> haftig werden könne, des Nichtseins aller Dinge, des AufHörens von allem<lb/> Wohl und Wehe, allem Wollen als Suchen wie als Fliehen, allem Werde»<lb/> und Vergehen, allem Wandel der Dinge. Die etwaige Unsterblichkeit der Seele<lb/> hätte echten und ernsten Pessimisten daher als ein Gut von sehr zweifelhaftem<lb/> Werte erscheinen müssen. Dazu um noch die Ungewißheit, die jeder Leichnam<lb/> sichtlich genug lehrt, ob mau mich dem Tode noch irgeud etwas, also auch ob<lb/> man das Nirwana aufzusuchen imstande sein werde! Wer also den Glauben<lb/> an das Nirwana, wer den Pessimismus, den Schopenhauer ans einer brah-<lb/> manischen in eine deutsche Lehre verwandelt hat, durchaus ernst nimmt, dem<lb/> bleibt, um in das Nirwana zu gelangen, um dieses Vorteils für die Seele<lb/> habhaft zu werden, in der That kein Weg, als der Versuch einer praktischen<lb/> Vorausnahme desselben im Leben, also — die Hypnose. So steigt der Fakir<lb/> auf die Säule und starrt bei Tag und Nacht, bei Wetter und Wind gefühllos<lb/> ins Firmament; oder er setzt sich ein für allemal auf den Erdboden, eine<lb/> Handvoll Reis, ein Schluck Wasser täglich seiue Nahrung, vielleicht noch still<lb/> verzückt Orakel an bedauernswert lebenwollende spendend, oder er hungert<lb/> Wochen lang, ja er macht sich zuletzt für Monate scheintot; kurz, er bringt sich<lb/> in abnorme, für uus unbegreifliche Körperznstäude, durch die Ekstase», Nerven-<lb/> bemuschungen, Krümpfe, Phantasien und Worte zu stände kommeu, die das<lb/> Volk dann für überirdische, „metaphysische" Erfahrungen und Wahrheiten<lb/> nimmt. Beides, Hunger u»d — i» Indien — selbst eine Art von Tod a»f<lb/> Zeit durch Hypnose, ist noch in neuester Zeit mit Erfolg unternommen oder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
Schopenhauer und Äichard N)agner
sie zu haben und sich darin „wohl" sein zu lassen. In dieser Weise aber
müßte dennoch das Nichtsein aller Dinge einschließlich des Ich als besser ge¬
fühlt werden können, um als besser gelten zu können; dazu aber würde Dauer,
würde Zeit gehören, also hinzugedacht werden müsse». Das Nichtsein sollte
ja aber jenseits der Schranken von Raum und Zeit sein, die wir nun wohl
oder übel in sie wieder hineinzudenken gar nicht umhin könnten; kurz, die Idee
des bessern Nichtseins — das bessere Jenseits, dein vergnügt und offenherzig
die „ewige Dauer" (auch wieder eine vouti-Äclictio in g^vet-o) beigelegt wird,
ist eine gemütliche Sache dagegen — der Pessimismus also ist, wie die Hegelei,
ein Gedanke, den man, um ihn zu verstehen, um sich etwas dabei zu denken,
wenigstens mißverstehen muß, wie es Hegel, wenn auch unfreiwillig, selbst von
dem Schulgespeust aussagte, das er seine Philosophie nannte: „Nur einer hat
mich verstanden, und der hat mich mißverstanden." Aber keiner kann etwas
andres damit anfangen, um sie zu verstehen, wenn er nicht verrückt dabei
werden will. Darum waren die Hegelianer besser als Hegel, bei dem sie sich
noch für ihr Selbst bedankten, seinen Kredit vermehrend. Für den Gläubigen
des Pessimismus aber, der ihn nicht mißverstehen will, der ihn durchaus ernst
nimmt, muß gerade dies zweifelhaft bleiben, ob er im Tode nicht bloß des
eignen Nicht-mehr-Seins genießen werde, ob er in ihm schon des Nirwana teil¬
haftig werden könne, des Nichtseins aller Dinge, des AufHörens von allem
Wohl und Wehe, allem Wollen als Suchen wie als Fliehen, allem Werde»
und Vergehen, allem Wandel der Dinge. Die etwaige Unsterblichkeit der Seele
hätte echten und ernsten Pessimisten daher als ein Gut von sehr zweifelhaftem
Werte erscheinen müssen. Dazu um noch die Ungewißheit, die jeder Leichnam
sichtlich genug lehrt, ob mau mich dem Tode noch irgeud etwas, also auch ob
man das Nirwana aufzusuchen imstande sein werde! Wer also den Glauben
an das Nirwana, wer den Pessimismus, den Schopenhauer ans einer brah-
manischen in eine deutsche Lehre verwandelt hat, durchaus ernst nimmt, dem
bleibt, um in das Nirwana zu gelangen, um dieses Vorteils für die Seele
habhaft zu werden, in der That kein Weg, als der Versuch einer praktischen
Vorausnahme desselben im Leben, also — die Hypnose. So steigt der Fakir
auf die Säule und starrt bei Tag und Nacht, bei Wetter und Wind gefühllos
ins Firmament; oder er setzt sich ein für allemal auf den Erdboden, eine
Handvoll Reis, ein Schluck Wasser täglich seiue Nahrung, vielleicht noch still
verzückt Orakel an bedauernswert lebenwollende spendend, oder er hungert
Wochen lang, ja er macht sich zuletzt für Monate scheintot; kurz, er bringt sich
in abnorme, für uus unbegreifliche Körperznstäude, durch die Ekstase», Nerven-
bemuschungen, Krümpfe, Phantasien und Worte zu stände kommeu, die das
Volk dann für überirdische, „metaphysische" Erfahrungen und Wahrheiten
nimmt. Beides, Hunger u»d — i» Indien — selbst eine Art von Tod a»f
Zeit durch Hypnose, ist noch in neuester Zeit mit Erfolg unternommen oder
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