Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Schopenhauer und Richard Wagner sich übler als das Nichtsein, und selbst schon Leiden sei; diesen nicht, weil Grenzboten II 1890
Schopenhauer und Richard Wagner sich übler als das Nichtsein, und selbst schon Leiden sei; diesen nicht, weil Grenzboten II 1890
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Schopenhauer und Richard Wagner
sich übler als das Nichtsein, und selbst schon Leiden sei; diesen nicht, weil
„besseres Nichtsein," bei Lichte besehen, überhaupt nichts Denkbares ist, weder,
wenn mau, um sich ein allgemeines Nichtsein vorzustellen, sich aus der Welt
hinweg, noch wenn man dazu die Welt aus sich hinweg denken will. Im
erster,, Falle kehrt man, wie Schopenhauer selbst schou bemerkt hat. unver¬
sehens als Zuschauer einer künftigen oder einer vergangenen Welt im Geiste
in die Welt zurück, müßte aber mindestens, um sein gewordenes „Ich" hinaus¬
zudenken, sie dabei mit dem Ange des soeben erschaffenen ersten Menschen an¬
sehen können; dieser hätte jedoch wieder kein solches Auge gehabt, denn er hätte
alsbald etwas andres zu thun bekommen, als sie sich anzusehen, schon weil er
uoch nüchtern und nackt dazu war, und außerdem noch arm, daher die Genesis
ihn vorsichtig gleich ins Paradies setzt. Im andern Falle müßte man, um
das bessere Nichtsein zu denken, sich mit Leib und Seele ans sich hinaus denke»,
schon weil beide von dieser gegenwärtigen Welt aufs stärkste beeinflußt sind, aber
anch weil mindestens der Leib zur Welt gehört, und dagegen dürfte doch das
Kunststück Münchhnnsens, sich am eignen Schöpfe aus dem Sumpfe zu ziehe»,
»och ein Kinderspiel sein. Vielleicht bliebe doch noch der „Begriff" von mir,
vo» »leinen: oder einem Ich übrig? Aber in Ermangelung von Seele und
Leib gehörte dazu, sich einen Begriff von mir zu macheu, doch wohl ein andrer,
zumal da ohnehin meistens ein andrer dazu gehört. Dieser „andre" ist wieder
ein Stück Welt, selbst sogar eine Welt, ein Mikrokosmos, ein Ich. Geniig,
die Vorstellung des „bessern" Nichtseins ist der denkbar verfänglichste oircmlus
vAosutt, mit dem i»a» gar nichts beweisen, also auch nichts rechtfertigen kann.
Es müßte denn sein, die Schlange, die sich so in den Schwanz beißt, hieße
Gott, als der, der vor mir u»d ohne mich den Begriff von meinem oder irgend
w'ein Ich „nach dem Bilde" seiner „Person" haben könnte - eine theologische
Wahrheit, ich gebe es zu. Aber wohlgemerkt, Gott vor Erschaffung der Welt.
"Iso weder als' Wille, noch als Borstellung. Denn der Wille schafft, wäre es
""es erst am siebenten Tage, den Menschen, dessen Vorstellung dieser Gott
dann ist; zur Vorstellung des bessern Nichtseins gehörten aber Welt und Mensch
als nicht seiend, folglich Gott mindestens als niemanden! bekannt, auch uur der
Erstellung, dein Worte nach. Nicht einmal ^ ä7ol>w>> ^ könnten wir an
des so Erratenen Tempel schreiben, sondern nnr die Gleichung: X? ex>.
Außerdem müßte man, um die Möglichkeit vorstellig zu machen, daß das Nicht¬
sein im Vergleich zum Dasein besser sei, ihm notwendig Dauer beilegen, schon
weil das im Vergleich zum Dasein als besser, höher, heilsamer zu empfindende
doch notwendig als Zustand gedacht werden muß — womit diese ganze Philo¬
sophie sich selbst widerspricht.' Diese Vorstellung einer Dauer des Nichtseins
wäre zwar selbst die höhere Potenz des Fehlers, deir wir machen, locum wir
l'vo Toten sagen, er habe Ruhe, wohl gar: ihm sei wohl, ihm sei (im Nicht-
snn) „besser"; denn er müßte doch Ruhe und Nichtsein empfinden können, um
Grenzboten II 1890
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