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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

reichen Gewinn ab, um dann den ersten oder zweiten Nachfolger desto tiefer
in Not zu stürzen, mich dein bekannten Programm: Reingewinn, Überproduktion,
Preisfall, Krach (Zucker!), Der steigende Vodenpreis endlich nutzt nur dem,
der ihn erlebt, nachdem er seine Geschwister noch zu dem alten niedrigen Preise
abgefunden hat. Seinem Sohne nützt der hohe Preis nichts mehr. Denn
der erbt zwar ein nominell größeres Kapital, muß aber seinen Geschwister"
entsprechend größere Kapitalien Heranszahlen oder verzinsen, sodaß heilt Ve-
sitznnteil am Gute derselbe bleibt, als wenn die Preise nicht gestiegen
wären.

Im einzelnen gestaltet sich die Lage der Landwirte nnter dem Einfluß
verschiedner Umstände ungemein verschieden. Manchem scheinen alle guten
Geister zu helfen; schöner Boden, günstiges Wetter, schuldenfreie Übernahme
von einem Vater, der so gefällig war, ihn mit Geschwistern zu verschone",
eine reiche Heirat, leichte Verwertbarkeit der Produkte, glückliche Juspektvrwahl
und andre glückliche Umstände begründen im schönen Verein seinen Wohlstand
so bombenfest, daß ihn nnr unsinnige Verschwendung erschüttern könnte. Ander¬
seits giebt es Pechvogel. Sie stammen aus kinderreichen Familien, übernehmen
das Gut mit übermäßigen Schulden, heiraten aus Liebe, werde" vo" jeder
Viehseuche heimgesucht, müssen ihren Roggen oder Weizen meilenweit auf
schlechten Wege" auf deu nächsten Markt oder zur nächsten Bahnstation schleppen
lassen und sind mit einem halben Dutzend lebenslnstiger Söhne und vier oder
fünf heiratsfähigen Töchtern gesegnet. Zuweilen finden sich die günstige" wie
die ""günstigen Unistände dvrferweise beisammen. Es giebt Dörfer, deren
Bauer" sich sämtlich in der behaglichsten Lage befinden, und gleich daneben
andre, deren Güter überschüttet siud. Vor allem führen Erbteiluug und
Subhastation großer Güter weit seltner zu der im Schema angenommenen
Entstehung kleinerer Güter als im Gegenteil zur Latifundienbildung. Je größer
ein grundherrlicher Besitz ist, desto weniger vermag der Besitzer den Ertrag
zu verzehren; er kauft demnach vom Überschuß ein Landgut nach dem andern
dazu, und die Kinder können ohne Teilung oder Belastung des Stammguts
versorgt werden. Der Haupterbe übernimmt es sogar vergrößert, und all¬
mählich wächst es sich zur Magnatenherrschaft aus. Das Gesetz des Kapita¬
lismus, wonach die kleinen von den großen verschüuige" werde", herrscht eben
i" der Landwirtschaft so gut wie in der Industrie. Wer hat, dem wird ge¬
geben, auf daß er die Fülle habe, und wer wenig hat, dein wird auch das
Wenige genommen; dieses Bibelwort ist der volkswirtschaftlichen Erfahrung
entnommen.

Beruht nnn die "Not der Landwirtschaft," die richtig ausgedrückt uur die
Not der verschuldeten Landwirte ist, ans unabänderlichen geometrischen und arith¬
metischen Verhältnissen, so steht auch von vornherein fest, daß ihr dnrch Ge¬
setzgebungskunststücke nicht beizukommen ist; wer die Mvrgenzahl nicht ver-


Greuzlwien II 189V
Die soziale Frage

reichen Gewinn ab, um dann den ersten oder zweiten Nachfolger desto tiefer
in Not zu stürzen, mich dein bekannten Programm: Reingewinn, Überproduktion,
Preisfall, Krach (Zucker!), Der steigende Vodenpreis endlich nutzt nur dem,
der ihn erlebt, nachdem er seine Geschwister noch zu dem alten niedrigen Preise
abgefunden hat. Seinem Sohne nützt der hohe Preis nichts mehr. Denn
der erbt zwar ein nominell größeres Kapital, muß aber seinen Geschwister»
entsprechend größere Kapitalien Heranszahlen oder verzinsen, sodaß heilt Ve-
sitznnteil am Gute derselbe bleibt, als wenn die Preise nicht gestiegen
wären.

Im einzelnen gestaltet sich die Lage der Landwirte nnter dem Einfluß
verschiedner Umstände ungemein verschieden. Manchem scheinen alle guten
Geister zu helfen; schöner Boden, günstiges Wetter, schuldenfreie Übernahme
von einem Vater, der so gefällig war, ihn mit Geschwistern zu verschone»,
eine reiche Heirat, leichte Verwertbarkeit der Produkte, glückliche Juspektvrwahl
und andre glückliche Umstände begründen im schönen Verein seinen Wohlstand
so bombenfest, daß ihn nnr unsinnige Verschwendung erschüttern könnte. Ander¬
seits giebt es Pechvogel. Sie stammen aus kinderreichen Familien, übernehmen
das Gut mit übermäßigen Schulden, heiraten aus Liebe, werde» vo» jeder
Viehseuche heimgesucht, müssen ihren Roggen oder Weizen meilenweit auf
schlechten Wege» auf deu nächsten Markt oder zur nächsten Bahnstation schleppen
lassen und sind mit einem halben Dutzend lebenslnstiger Söhne und vier oder
fünf heiratsfähigen Töchtern gesegnet. Zuweilen finden sich die günstige» wie
die »»günstigen Unistände dvrferweise beisammen. Es giebt Dörfer, deren
Bauer» sich sämtlich in der behaglichsten Lage befinden, und gleich daneben
andre, deren Güter überschüttet siud. Vor allem führen Erbteiluug und
Subhastation großer Güter weit seltner zu der im Schema angenommenen
Entstehung kleinerer Güter als im Gegenteil zur Latifundienbildung. Je größer
ein grundherrlicher Besitz ist, desto weniger vermag der Besitzer den Ertrag
zu verzehren; er kauft demnach vom Überschuß ein Landgut nach dem andern
dazu, und die Kinder können ohne Teilung oder Belastung des Stammguts
versorgt werden. Der Haupterbe übernimmt es sogar vergrößert, und all¬
mählich wächst es sich zur Magnatenherrschaft aus. Das Gesetz des Kapita¬
lismus, wonach die kleinen von den großen verschüuige» werde», herrscht eben
i» der Landwirtschaft so gut wie in der Industrie. Wer hat, dem wird ge¬
geben, auf daß er die Fülle habe, und wer wenig hat, dein wird auch das
Wenige genommen; dieses Bibelwort ist der volkswirtschaftlichen Erfahrung
entnommen.

Beruht nnn die „Not der Landwirtschaft," die richtig ausgedrückt uur die
Not der verschuldeten Landwirte ist, ans unabänderlichen geometrischen und arith¬
metischen Verhältnissen, so steht auch von vornherein fest, daß ihr dnrch Ge¬
setzgebungskunststücke nicht beizukommen ist; wer die Mvrgenzahl nicht ver-


Greuzlwien II 189V
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[0457] Die soziale Frage reichen Gewinn ab, um dann den ersten oder zweiten Nachfolger desto tiefer in Not zu stürzen, mich dein bekannten Programm: Reingewinn, Überproduktion, Preisfall, Krach (Zucker!), Der steigende Vodenpreis endlich nutzt nur dem, der ihn erlebt, nachdem er seine Geschwister noch zu dem alten niedrigen Preise abgefunden hat. Seinem Sohne nützt der hohe Preis nichts mehr. Denn der erbt zwar ein nominell größeres Kapital, muß aber seinen Geschwister» entsprechend größere Kapitalien Heranszahlen oder verzinsen, sodaß heilt Ve- sitznnteil am Gute derselbe bleibt, als wenn die Preise nicht gestiegen wären. Im einzelnen gestaltet sich die Lage der Landwirte nnter dem Einfluß verschiedner Umstände ungemein verschieden. Manchem scheinen alle guten Geister zu helfen; schöner Boden, günstiges Wetter, schuldenfreie Übernahme von einem Vater, der so gefällig war, ihn mit Geschwistern zu verschone», eine reiche Heirat, leichte Verwertbarkeit der Produkte, glückliche Juspektvrwahl und andre glückliche Umstände begründen im schönen Verein seinen Wohlstand so bombenfest, daß ihn nnr unsinnige Verschwendung erschüttern könnte. Ander¬ seits giebt es Pechvogel. Sie stammen aus kinderreichen Familien, übernehmen das Gut mit übermäßigen Schulden, heiraten aus Liebe, werde» vo» jeder Viehseuche heimgesucht, müssen ihren Roggen oder Weizen meilenweit auf schlechten Wege» auf deu nächsten Markt oder zur nächsten Bahnstation schleppen lassen und sind mit einem halben Dutzend lebenslnstiger Söhne und vier oder fünf heiratsfähigen Töchtern gesegnet. Zuweilen finden sich die günstige» wie die »»günstigen Unistände dvrferweise beisammen. Es giebt Dörfer, deren Bauer» sich sämtlich in der behaglichsten Lage befinden, und gleich daneben andre, deren Güter überschüttet siud. Vor allem führen Erbteiluug und Subhastation großer Güter weit seltner zu der im Schema angenommenen Entstehung kleinerer Güter als im Gegenteil zur Latifundienbildung. Je größer ein grundherrlicher Besitz ist, desto weniger vermag der Besitzer den Ertrag zu verzehren; er kauft demnach vom Überschuß ein Landgut nach dem andern dazu, und die Kinder können ohne Teilung oder Belastung des Stammguts versorgt werden. Der Haupterbe übernimmt es sogar vergrößert, und all¬ mählich wächst es sich zur Magnatenherrschaft aus. Das Gesetz des Kapita¬ lismus, wonach die kleinen von den großen verschüuige» werde», herrscht eben i» der Landwirtschaft so gut wie in der Industrie. Wer hat, dem wird ge¬ geben, auf daß er die Fülle habe, und wer wenig hat, dein wird auch das Wenige genommen; dieses Bibelwort ist der volkswirtschaftlichen Erfahrung entnommen. Beruht nnn die „Not der Landwirtschaft," die richtig ausgedrückt uur die Not der verschuldeten Landwirte ist, ans unabänderlichen geometrischen und arith¬ metischen Verhältnissen, so steht auch von vornherein fest, daß ihr dnrch Ge¬ setzgebungskunststücke nicht beizukommen ist; wer die Mvrgenzahl nicht ver- Greuzlwien II 189V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/457>, abgerufen am 28.12.2024.