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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Neue Novellen

indem er ihn in den kochenden Kessel wirft. Diese furchtbare Szene wird uns
allerdings Gottseidank erspart! Aber ein Beispiel wird uns vorher von der
Furchtbarkeit dieses mit kochenden Chemikalien gefüllten Kessels dadurch ge¬
geben, daß einmal eine Rose hineinfällt, die spurlos und still verschwindet.
Ganz genau so hat es Hans Hoffmann in seiner Novelle "Irrlicht" gemacht,
wo ein Mann in dem sumpfigen Sande des Moorbodens untergeht; da wird
vorher von Schulbuben eine Maus hineingeworfen und deren Versinken ver¬
folgt. Vielleicht ist eine Beziehung in diesen so ganz ähnlichen Kunstgriffen
Hoffmanns und unsrer Erzählerin vorhanden. Hier aber hat die Novelle
damit noch nicht ihren Abschluß. Denn nun erhebt sie sich zu erschütternder
Poesie in der Schilderung von Heims Bestreben, die Last des guälerischen
Gewissens von sich abzuwerfen. Wie er sich mit der Hoffnung schmeichelt,
in ein Land zu kommen, wo keiner Kenntnis von ihm hat, wie er sich selbst ver¬
rät, und wie er schließlich in einem immerhin ehrenvollen Tode, bei der
Rettung eines vom Sturm gepeitschten Bootes untergeht - ^ denn ohne wohl¬
thuende Lösung mag uns Ilse Frapan nicht entlassen - , diese ganze Dar¬
stellung atmet hohe Poesie.

Man darf Ilse Frapan ohne Bedenken zu unsern besten Novellisten
rechnen. Sie darf neben die Ebner gestellt werden, deren Tiefe sie zwar in
der schöpferischen Menschenbildung nicht erreicht, vor der sie aber die gänzliche
Freiheit von irgendwelchen moralischen oder politischen Tendenzen, die rein
künstlerische Haltung voraus hat; freilich ist sie auch kein so originaler Geist,
wie diese. Nicht einen neuen Menschen, sondern ein ungewöhnliches poetisches
Vermögen hat Ilse Frapan bisher bekundet. Aber es ist doch noch viel von
ihr zu erwarten; der vorliegende Band ist erst ihr drittes Nvvellenbuch. Als
Eigentümlichkeit verdient noch ihre Vorliebe Erwähnung, durch den Dialekt
-- hier den plattdeutschen und auch schwäbischen (Brosämle) -- zu charakterisire";
es steht das im Zusammenhange mit ihrem sachlichen Stil. Ju dieser Sach¬
lichkeit ist sie auch Hans Hoffmann überlegen, der nicht ganz in den Dingen
aufgehen kann; gemein mit ihm hat sie die auf die Vischersche Ästhetik
gegründete künstlerische Bildung.

Nicht ebenbürtig, aber doch als ein echt dichterischer Mensch tritt ein
junger Wiener Dichter I. I. David, dessen zerstreut veröffentlichte Ge¬
dichte und Novellen viele Anerkennung gefunden haben, mit seinein ersten
Buch hervor: Das Höfe-Recht, eine Erzählung (Dresden, Minden). Erflehe
noch im Banne des Realismus; auch im Mittelpunkte seiner Erzählung steht
das Weib, das mit seiner Selbst- und Genußsucht die Männer ins Verderben
zieht: das beliebteste Motiv der Modernen. Aber in der Darstellung hat
David seinen eignen Ton offenbart, wenn auch noch nicht eigen genug. Jeden¬
falls hat er mitten unter den vielen Feuilletonisten Wiens seine originalen
Beobachtungen gemacht und sittlichen Ernst, kräftige Gestaltungskraft an den


Neue Novellen

indem er ihn in den kochenden Kessel wirft. Diese furchtbare Szene wird uns
allerdings Gottseidank erspart! Aber ein Beispiel wird uns vorher von der
Furchtbarkeit dieses mit kochenden Chemikalien gefüllten Kessels dadurch ge¬
geben, daß einmal eine Rose hineinfällt, die spurlos und still verschwindet.
Ganz genau so hat es Hans Hoffmann in seiner Novelle „Irrlicht" gemacht,
wo ein Mann in dem sumpfigen Sande des Moorbodens untergeht; da wird
vorher von Schulbuben eine Maus hineingeworfen und deren Versinken ver¬
folgt. Vielleicht ist eine Beziehung in diesen so ganz ähnlichen Kunstgriffen
Hoffmanns und unsrer Erzählerin vorhanden. Hier aber hat die Novelle
damit noch nicht ihren Abschluß. Denn nun erhebt sie sich zu erschütternder
Poesie in der Schilderung von Heims Bestreben, die Last des guälerischen
Gewissens von sich abzuwerfen. Wie er sich mit der Hoffnung schmeichelt,
in ein Land zu kommen, wo keiner Kenntnis von ihm hat, wie er sich selbst ver¬
rät, und wie er schließlich in einem immerhin ehrenvollen Tode, bei der
Rettung eines vom Sturm gepeitschten Bootes untergeht - ^ denn ohne wohl¬
thuende Lösung mag uns Ilse Frapan nicht entlassen - , diese ganze Dar¬
stellung atmet hohe Poesie.

Man darf Ilse Frapan ohne Bedenken zu unsern besten Novellisten
rechnen. Sie darf neben die Ebner gestellt werden, deren Tiefe sie zwar in
der schöpferischen Menschenbildung nicht erreicht, vor der sie aber die gänzliche
Freiheit von irgendwelchen moralischen oder politischen Tendenzen, die rein
künstlerische Haltung voraus hat; freilich ist sie auch kein so originaler Geist,
wie diese. Nicht einen neuen Menschen, sondern ein ungewöhnliches poetisches
Vermögen hat Ilse Frapan bisher bekundet. Aber es ist doch noch viel von
ihr zu erwarten; der vorliegende Band ist erst ihr drittes Nvvellenbuch. Als
Eigentümlichkeit verdient noch ihre Vorliebe Erwähnung, durch den Dialekt
— hier den plattdeutschen und auch schwäbischen (Brosämle) — zu charakterisire«;
es steht das im Zusammenhange mit ihrem sachlichen Stil. Ju dieser Sach¬
lichkeit ist sie auch Hans Hoffmann überlegen, der nicht ganz in den Dingen
aufgehen kann; gemein mit ihm hat sie die auf die Vischersche Ästhetik
gegründete künstlerische Bildung.

Nicht ebenbürtig, aber doch als ein echt dichterischer Mensch tritt ein
junger Wiener Dichter I. I. David, dessen zerstreut veröffentlichte Ge¬
dichte und Novellen viele Anerkennung gefunden haben, mit seinein ersten
Buch hervor: Das Höfe-Recht, eine Erzählung (Dresden, Minden). Erflehe
noch im Banne des Realismus; auch im Mittelpunkte seiner Erzählung steht
das Weib, das mit seiner Selbst- und Genußsucht die Männer ins Verderben
zieht: das beliebteste Motiv der Modernen. Aber in der Darstellung hat
David seinen eignen Ton offenbart, wenn auch noch nicht eigen genug. Jeden¬
falls hat er mitten unter den vielen Feuilletonisten Wiens seine originalen
Beobachtungen gemacht und sittlichen Ernst, kräftige Gestaltungskraft an den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/434>, abgerufen am 28.12.2024.