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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Neue Novellen

Tag gelegt. Es ist manches Bekenntnis in das Buch verwoben, das ihm seinen
Persönlichen Reiz verleiht.

Es zerfällt nach den: Schauplatz der Handlung in zwei Teile; die erste
Hälfte ist Dorfgeschichte, und zwar in einem Dorfe des Kuhländcheus, einer
deutschen Sprachinsel Mährens (wo Eichendorff in seineu letzten Jahren an¬
sässig war); die zweite Hälfte ist ein Wiener Sittenbild. Ans dem großen
reichen Hofe des Erbrichters von Kunzcndorf wachsen die zwei ungleich ge¬
arteten Söhne in der gemeinsamen Liebe zu ihrer Gespielin, den: Judenmädchen
Fany, der Tochter des blutarmen Mautjnden, heran. Georg, der ältere, ist
nach dem uralten Hofrecht der einstige Erbe des Hofes; er ist stolz und
bäurisch roh. Gustav, der jüngere Bruder, studirt und geht schließlich ans
die Universität "ach Wien. Fany zieht ihn vor, nicht weil sie ihn wirklich
liebte, sondern weil sie von ihm mehr für sich erwarten kauu. Sie geht ihm
nach Wien nach und wird dort sein Verderben. In der großen Stadt wächst
ihre Begehrlichkeit, sie stürzt den liebenden Studenten in Schulden, verläßt
ihn, macht ihn zum Kasfeehnusbummler -- echt wienerisch. Enttäuscht, sittlich
herabgekommen kehrt er ius Dorf zurück und läßt sich von seinem rohen Bruder
viele Demütigungen gefallen, bis er ihn, gemein herausgefordert, im Zorn
erschlägt. Die Mutter, eine stolze, hohe, herb ideale Gestalt, steht, beider
Söhne mit dem einen Streiche beraubt, an: Schlüsse wie eine Niobe da; der
zerrüttete Brudermörder wandert ins Gefängnis.

Das Höferecht ist im vergangnen Jahre Gegenstand lebhafter Debatten
im österreichischen Parlament gewesen. Es wurde die Frage erörtert: was ist
für die Erhaltung des Bauerntums vorteilhafter: Schutz des alten Höferechts,
wonach der Erstgeborene den ungeteilten Hof erbt, die andern Kinder aber mit
einer Auszahlung abgefertigt werden und meist dem Proletariat der nahen
Städte verfallen, oder fortschreitende Teilung der Bauerngüter, bis sie schließlich
so klein werden, daß sie eine Bewirtschaftung nicht lohnen und von Kapitalisten
wieder aufgekauft werdeu, dabei aber die alten Bauerngeschlechter verlieren.
Ili dieser schwierigen politischen Frage ergreift Davids Erzählung uach keiner
Seite hin Partei, man darf sich von dem Titel uicht irre führen lassen. Nicht
das Höferecht, sondern die Eifersucht, der ursprüngliche instinktive Charakter-
gegensatz zweier Brüder ist ihr Motiv, das allerdings durch die ungleiche Ver¬
teilung der Güter verstärkt wird. Als realistische Dichtung entbehrt sie auch,
wie der politischen Tendenz, einer allgemeinen poetischen Idee- Es ist ein ganz
individueller Fall. Sitteumalend ist nnr der Teil, der das Wiener Studenteu-
kaffeehaus und man muß sagen mit großer Lebenswahrheit und treffendem
Lokalkolorit schildert. Die Jugendgeschichte, die Erklärung der durch die Um¬
stände der Geburt, der Erziehung und des Charakters verhärteten Fany ist
Mit gelungen. Die Charakteristik der Mutter der feindlichen Brüder entbehrt
nicht der Größe. Mit kräftiger Folgerichtigkeit sind auch die Brüder selbst


Neue Novellen

Tag gelegt. Es ist manches Bekenntnis in das Buch verwoben, das ihm seinen
Persönlichen Reiz verleiht.

Es zerfällt nach den: Schauplatz der Handlung in zwei Teile; die erste
Hälfte ist Dorfgeschichte, und zwar in einem Dorfe des Kuhländcheus, einer
deutschen Sprachinsel Mährens (wo Eichendorff in seineu letzten Jahren an¬
sässig war); die zweite Hälfte ist ein Wiener Sittenbild. Ans dem großen
reichen Hofe des Erbrichters von Kunzcndorf wachsen die zwei ungleich ge¬
arteten Söhne in der gemeinsamen Liebe zu ihrer Gespielin, den: Judenmädchen
Fany, der Tochter des blutarmen Mautjnden, heran. Georg, der ältere, ist
nach dem uralten Hofrecht der einstige Erbe des Hofes; er ist stolz und
bäurisch roh. Gustav, der jüngere Bruder, studirt und geht schließlich ans
die Universität »ach Wien. Fany zieht ihn vor, nicht weil sie ihn wirklich
liebte, sondern weil sie von ihm mehr für sich erwarten kauu. Sie geht ihm
nach Wien nach und wird dort sein Verderben. In der großen Stadt wächst
ihre Begehrlichkeit, sie stürzt den liebenden Studenten in Schulden, verläßt
ihn, macht ihn zum Kasfeehnusbummler — echt wienerisch. Enttäuscht, sittlich
herabgekommen kehrt er ius Dorf zurück und läßt sich von seinem rohen Bruder
viele Demütigungen gefallen, bis er ihn, gemein herausgefordert, im Zorn
erschlägt. Die Mutter, eine stolze, hohe, herb ideale Gestalt, steht, beider
Söhne mit dem einen Streiche beraubt, an: Schlüsse wie eine Niobe da; der
zerrüttete Brudermörder wandert ins Gefängnis.

Das Höferecht ist im vergangnen Jahre Gegenstand lebhafter Debatten
im österreichischen Parlament gewesen. Es wurde die Frage erörtert: was ist
für die Erhaltung des Bauerntums vorteilhafter: Schutz des alten Höferechts,
wonach der Erstgeborene den ungeteilten Hof erbt, die andern Kinder aber mit
einer Auszahlung abgefertigt werden und meist dem Proletariat der nahen
Städte verfallen, oder fortschreitende Teilung der Bauerngüter, bis sie schließlich
so klein werden, daß sie eine Bewirtschaftung nicht lohnen und von Kapitalisten
wieder aufgekauft werdeu, dabei aber die alten Bauerngeschlechter verlieren.
Ili dieser schwierigen politischen Frage ergreift Davids Erzählung uach keiner
Seite hin Partei, man darf sich von dem Titel uicht irre führen lassen. Nicht
das Höferecht, sondern die Eifersucht, der ursprüngliche instinktive Charakter-
gegensatz zweier Brüder ist ihr Motiv, das allerdings durch die ungleiche Ver¬
teilung der Güter verstärkt wird. Als realistische Dichtung entbehrt sie auch,
wie der politischen Tendenz, einer allgemeinen poetischen Idee- Es ist ein ganz
individueller Fall. Sitteumalend ist nnr der Teil, der das Wiener Studenteu-
kaffeehaus und man muß sagen mit großer Lebenswahrheit und treffendem
Lokalkolorit schildert. Die Jugendgeschichte, die Erklärung der durch die Um¬
stände der Geburt, der Erziehung und des Charakters verhärteten Fany ist
Mit gelungen. Die Charakteristik der Mutter der feindlichen Brüder entbehrt
nicht der Größe. Mit kräftiger Folgerichtigkeit sind auch die Brüder selbst


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[0435] Neue Novellen Tag gelegt. Es ist manches Bekenntnis in das Buch verwoben, das ihm seinen Persönlichen Reiz verleiht. Es zerfällt nach den: Schauplatz der Handlung in zwei Teile; die erste Hälfte ist Dorfgeschichte, und zwar in einem Dorfe des Kuhländcheus, einer deutschen Sprachinsel Mährens (wo Eichendorff in seineu letzten Jahren an¬ sässig war); die zweite Hälfte ist ein Wiener Sittenbild. Ans dem großen reichen Hofe des Erbrichters von Kunzcndorf wachsen die zwei ungleich ge¬ arteten Söhne in der gemeinsamen Liebe zu ihrer Gespielin, den: Judenmädchen Fany, der Tochter des blutarmen Mautjnden, heran. Georg, der ältere, ist nach dem uralten Hofrecht der einstige Erbe des Hofes; er ist stolz und bäurisch roh. Gustav, der jüngere Bruder, studirt und geht schließlich ans die Universität »ach Wien. Fany zieht ihn vor, nicht weil sie ihn wirklich liebte, sondern weil sie von ihm mehr für sich erwarten kauu. Sie geht ihm nach Wien nach und wird dort sein Verderben. In der großen Stadt wächst ihre Begehrlichkeit, sie stürzt den liebenden Studenten in Schulden, verläßt ihn, macht ihn zum Kasfeehnusbummler — echt wienerisch. Enttäuscht, sittlich herabgekommen kehrt er ius Dorf zurück und läßt sich von seinem rohen Bruder viele Demütigungen gefallen, bis er ihn, gemein herausgefordert, im Zorn erschlägt. Die Mutter, eine stolze, hohe, herb ideale Gestalt, steht, beider Söhne mit dem einen Streiche beraubt, an: Schlüsse wie eine Niobe da; der zerrüttete Brudermörder wandert ins Gefängnis. Das Höferecht ist im vergangnen Jahre Gegenstand lebhafter Debatten im österreichischen Parlament gewesen. Es wurde die Frage erörtert: was ist für die Erhaltung des Bauerntums vorteilhafter: Schutz des alten Höferechts, wonach der Erstgeborene den ungeteilten Hof erbt, die andern Kinder aber mit einer Auszahlung abgefertigt werden und meist dem Proletariat der nahen Städte verfallen, oder fortschreitende Teilung der Bauerngüter, bis sie schließlich so klein werden, daß sie eine Bewirtschaftung nicht lohnen und von Kapitalisten wieder aufgekauft werdeu, dabei aber die alten Bauerngeschlechter verlieren. Ili dieser schwierigen politischen Frage ergreift Davids Erzählung uach keiner Seite hin Partei, man darf sich von dem Titel uicht irre führen lassen. Nicht das Höferecht, sondern die Eifersucht, der ursprüngliche instinktive Charakter- gegensatz zweier Brüder ist ihr Motiv, das allerdings durch die ungleiche Ver¬ teilung der Güter verstärkt wird. Als realistische Dichtung entbehrt sie auch, wie der politischen Tendenz, einer allgemeinen poetischen Idee- Es ist ein ganz individueller Fall. Sitteumalend ist nnr der Teil, der das Wiener Studenteu- kaffeehaus und man muß sagen mit großer Lebenswahrheit und treffendem Lokalkolorit schildert. Die Jugendgeschichte, die Erklärung der durch die Um¬ stände der Geburt, der Erziehung und des Charakters verhärteten Fany ist Mit gelungen. Die Charakteristik der Mutter der feindlichen Brüder entbehrt nicht der Größe. Mit kräftiger Folgerichtigkeit sind auch die Brüder selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/435>, abgerufen am 27.12.2024.