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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bedingen und andre Modewörter

zustellen (die Phantasie), ist entschieden im Abnehmen begriffen, man will alles
sehen, alles mit Händen greifen. So erklärt sich die außerordentliche Vorliebe
für die zahlreichen Zusammensetzungen mit stellen und legen, die jetzt an
Stelle früherer Abstracta Mode geworden sind. Stellen und legen, dazu braucht
'nun keine geistige Anstrengung, das macht man mit den Händen. Daher wird
jetzt nichts mehr vollendet, berichtigt, gesichert, aufgeklärt, sondern
alles wird fertiggestellt, richtiggestellt, sichergestellt, klargestellt,
klargelegt, festgelegt u. s. w. Wir leben eben im Zeitalter der Technik
und Mechanik. So erklärt sich auch der massenhafte Gebrauch, der jetzt
-- geradezu bis zum Ekel -- von getragen sein und getragen werden
gemacht wird. Früher sagte man: es ist jemand von Begeisterung oder
von einer Überzeugung oder einem Bewußtsein erfüllt. Das ist für unsre
denkfaule Zeit viel zu innerlich, zu geistig, man kann es ja nicht sehen.
Wie aber der Luftball durch das Gas, das ihn erfüllt, gehoben, also von
dem Gas gleichsam getragen wird, sodaß man die Wirkung der Füllung sieht,
so heißt es jetzt nur noch: von künstlerischer Überzeugung getragen -- von
gesundem Humor getragen -- von religiöser Gläubigkeit getragen -- vou
düsterm Pessimismus getragen u. s. w. Hierher gehört es auch, daß man
nicht mehr sagt: eine Summe, eine Einnahme, eine Ausgabe beläuft sich auf
so und so viel, das wäre ja ein Bild, dabei müßte man sich etwas denken;
jetzt heißt es nur noch sich beziffern: das ihm unterstellte Personal be¬
zifferte sich auf 100 Köpfe der Verlust bezifferte sich auf 30000 Mann.
An die Zahl und ihre geistige Bedeutung denkt gar niemand mehr, bloß an
die verwünschte Ziffer, die doch nur das äußerliche, auf dem Papier stehende
Zeichen für die Zahl ist! Hierher gehört endlich auch die immer weitere Kreise
gehende, kann noch irgend einen Thätigkeitsbegriff verschönerte Umschreibung
einfacher Zeitwörter durch bringen im Aktivum, gebracht werden, kommen
und gelaugen im Passionen. Die Neigung zum Schwulst und die Vor¬
liebe für sinnlichen, mechanischen Ausdruck arbeiten sich hier bestens in die
Hände. Es ist ganz erstaunlich, wozu die Dinge jetzt alles gebracht werden.
Nichts wird mehr vorgetragen, aufgeführt, ausgeführt, durchgeführt,
angeregt, angerechnet, vorgeschlagen, abgezogen, angezeigt, aus¬
gegeben, angewendet, geordnet, erledigt, erfüllt, sondern alles wird
"um Vortrag gebracht, zur Aufführung, zur Ausführung und zur
Durchführung gebracht, in Anregung und in Abrechnung gebracht,
in Vorschlag, in Abzug, zur Anzeige, in Anwendung, in Ordnung,
zur Erledigung, zur Erfüllung gebracht, oder aber: es kommt oder
^'langt zum Vortrage, zur Aufführung, in Vorschlag, zur Anzeige,
gur Anwendung u. s. w. Ein Buch wird nicht mehr gedruckt und aus¬
gegeben, sondern erst gelaugt es zum Abdruck, und dann gelangt es
Zur Ausgabe. Kürzlich zeigte sogar ein Schankwirt in Leipzig an, daß


Grenzboten 1t 1890 66
Bedingen und andre Modewörter

zustellen (die Phantasie), ist entschieden im Abnehmen begriffen, man will alles
sehen, alles mit Händen greifen. So erklärt sich die außerordentliche Vorliebe
für die zahlreichen Zusammensetzungen mit stellen und legen, die jetzt an
Stelle früherer Abstracta Mode geworden sind. Stellen und legen, dazu braucht
'nun keine geistige Anstrengung, das macht man mit den Händen. Daher wird
jetzt nichts mehr vollendet, berichtigt, gesichert, aufgeklärt, sondern
alles wird fertiggestellt, richtiggestellt, sichergestellt, klargestellt,
klargelegt, festgelegt u. s. w. Wir leben eben im Zeitalter der Technik
und Mechanik. So erklärt sich auch der massenhafte Gebrauch, der jetzt
— geradezu bis zum Ekel — von getragen sein und getragen werden
gemacht wird. Früher sagte man: es ist jemand von Begeisterung oder
von einer Überzeugung oder einem Bewußtsein erfüllt. Das ist für unsre
denkfaule Zeit viel zu innerlich, zu geistig, man kann es ja nicht sehen.
Wie aber der Luftball durch das Gas, das ihn erfüllt, gehoben, also von
dem Gas gleichsam getragen wird, sodaß man die Wirkung der Füllung sieht,
so heißt es jetzt nur noch: von künstlerischer Überzeugung getragen — von
gesundem Humor getragen — von religiöser Gläubigkeit getragen — vou
düsterm Pessimismus getragen u. s. w. Hierher gehört es auch, daß man
nicht mehr sagt: eine Summe, eine Einnahme, eine Ausgabe beläuft sich auf
so und so viel, das wäre ja ein Bild, dabei müßte man sich etwas denken;
jetzt heißt es nur noch sich beziffern: das ihm unterstellte Personal be¬
zifferte sich auf 100 Köpfe der Verlust bezifferte sich auf 30000 Mann.
An die Zahl und ihre geistige Bedeutung denkt gar niemand mehr, bloß an
die verwünschte Ziffer, die doch nur das äußerliche, auf dem Papier stehende
Zeichen für die Zahl ist! Hierher gehört endlich auch die immer weitere Kreise
gehende, kann noch irgend einen Thätigkeitsbegriff verschönerte Umschreibung
einfacher Zeitwörter durch bringen im Aktivum, gebracht werden, kommen
und gelaugen im Passionen. Die Neigung zum Schwulst und die Vor¬
liebe für sinnlichen, mechanischen Ausdruck arbeiten sich hier bestens in die
Hände. Es ist ganz erstaunlich, wozu die Dinge jetzt alles gebracht werden.
Nichts wird mehr vorgetragen, aufgeführt, ausgeführt, durchgeführt,
angeregt, angerechnet, vorgeschlagen, abgezogen, angezeigt, aus¬
gegeben, angewendet, geordnet, erledigt, erfüllt, sondern alles wird
»um Vortrag gebracht, zur Aufführung, zur Ausführung und zur
Durchführung gebracht, in Anregung und in Abrechnung gebracht,
in Vorschlag, in Abzug, zur Anzeige, in Anwendung, in Ordnung,
zur Erledigung, zur Erfüllung gebracht, oder aber: es kommt oder
^'langt zum Vortrage, zur Aufführung, in Vorschlag, zur Anzeige,
gur Anwendung u. s. w. Ein Buch wird nicht mehr gedruckt und aus¬
gegeben, sondern erst gelaugt es zum Abdruck, und dann gelangt es
Zur Ausgabe. Kürzlich zeigte sogar ein Schankwirt in Leipzig an, daß


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[0425] Bedingen und andre Modewörter zustellen (die Phantasie), ist entschieden im Abnehmen begriffen, man will alles sehen, alles mit Händen greifen. So erklärt sich die außerordentliche Vorliebe für die zahlreichen Zusammensetzungen mit stellen und legen, die jetzt an Stelle früherer Abstracta Mode geworden sind. Stellen und legen, dazu braucht 'nun keine geistige Anstrengung, das macht man mit den Händen. Daher wird jetzt nichts mehr vollendet, berichtigt, gesichert, aufgeklärt, sondern alles wird fertiggestellt, richtiggestellt, sichergestellt, klargestellt, klargelegt, festgelegt u. s. w. Wir leben eben im Zeitalter der Technik und Mechanik. So erklärt sich auch der massenhafte Gebrauch, der jetzt — geradezu bis zum Ekel — von getragen sein und getragen werden gemacht wird. Früher sagte man: es ist jemand von Begeisterung oder von einer Überzeugung oder einem Bewußtsein erfüllt. Das ist für unsre denkfaule Zeit viel zu innerlich, zu geistig, man kann es ja nicht sehen. Wie aber der Luftball durch das Gas, das ihn erfüllt, gehoben, also von dem Gas gleichsam getragen wird, sodaß man die Wirkung der Füllung sieht, so heißt es jetzt nur noch: von künstlerischer Überzeugung getragen — von gesundem Humor getragen — von religiöser Gläubigkeit getragen — vou düsterm Pessimismus getragen u. s. w. Hierher gehört es auch, daß man nicht mehr sagt: eine Summe, eine Einnahme, eine Ausgabe beläuft sich auf so und so viel, das wäre ja ein Bild, dabei müßte man sich etwas denken; jetzt heißt es nur noch sich beziffern: das ihm unterstellte Personal be¬ zifferte sich auf 100 Köpfe der Verlust bezifferte sich auf 30000 Mann. An die Zahl und ihre geistige Bedeutung denkt gar niemand mehr, bloß an die verwünschte Ziffer, die doch nur das äußerliche, auf dem Papier stehende Zeichen für die Zahl ist! Hierher gehört endlich auch die immer weitere Kreise gehende, kann noch irgend einen Thätigkeitsbegriff verschönerte Umschreibung einfacher Zeitwörter durch bringen im Aktivum, gebracht werden, kommen und gelaugen im Passionen. Die Neigung zum Schwulst und die Vor¬ liebe für sinnlichen, mechanischen Ausdruck arbeiten sich hier bestens in die Hände. Es ist ganz erstaunlich, wozu die Dinge jetzt alles gebracht werden. Nichts wird mehr vorgetragen, aufgeführt, ausgeführt, durchgeführt, angeregt, angerechnet, vorgeschlagen, abgezogen, angezeigt, aus¬ gegeben, angewendet, geordnet, erledigt, erfüllt, sondern alles wird »um Vortrag gebracht, zur Aufführung, zur Ausführung und zur Durchführung gebracht, in Anregung und in Abrechnung gebracht, in Vorschlag, in Abzug, zur Anzeige, in Anwendung, in Ordnung, zur Erledigung, zur Erfüllung gebracht, oder aber: es kommt oder ^'langt zum Vortrage, zur Aufführung, in Vorschlag, zur Anzeige, gur Anwendung u. s. w. Ein Buch wird nicht mehr gedruckt und aus¬ gegeben, sondern erst gelaugt es zum Abdruck, und dann gelangt es Zur Ausgabe. Kürzlich zeigte sogar ein Schankwirt in Leipzig an, daß Grenzboten 1t 1890 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/425>, abgerufen am 22.07.2024.