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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bedingen und andre Modewörter

nächsten Sonntag eine frische Sendung Kulmbacher zum glasweisen (!)
Ausschaut gelangen würde.

Aber die Sprache ist ein launisches Ding, sie gefällt sich in den wunder¬
lichsten Gegensätzen. Wie sie das Streben nach Kürze jetzt bis zur Häßlichkeit
mit der Vorliebe für Breite bis zu eben solcher Häßlichkeit verbindet, so be¬
vorzugt sie auf der einen Seite möglichst sinnliche Ausdrücke und hetzt ans der
andern sinnlos ein Ädstrg.ot.uni, ja no8er!ivtiL8unum zu Tode, wie bedingen.

Der erste Band von Grimms Wörterbuch, der die Jahreszahl 1854
trägt, erklärt bedingen durch: aushalten, bestimmen, ausnehmen. Die
Beispiele, die er anführt, sind meist Luther und Goethe entnommen. Luther
braucht es namentlich in Verbindung mit bekennen und bezeugen (denn
das will ich hiermit gar frei öffentlich haben bedinget und bekennet),
Goethe im Sinne von beschränken (daß nicht des Lebens bedingender
Drang mich, den Menschen, verändert), daher gern bedingt im Gegensatze zu
frei unbedingt (es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich
den Augenblick als bedingt; wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt
er sich frei).

Diese Bedeutungen erschöpfen nun freilich nicht den frühern Sprach¬
gebrauch. Vollständiger ist der Abschnitt über bedingen im ersten Bande
des Sandersschen Wörterbuches vom Jahre 18V0. Dort sind zunächst die
Bedeutungen aufgezählt und belegt: verpflichten, festsetzen, ausmachen,
beschränken, von etwas abhängig machen. Dann aber behandelt Sanders
eine Anwendung des Wortes, die bei Grimm vollständig fehlt, und die heute
fast die einzige ist und die, um deretwillen ich das Wort hier bespreche,
nämlich die Anwendung bei unpersönlichen Subjekt: eine Sache bedingt
eine andre, oder passiv: es ist oder wird eine Sache dnrch eine andre
bedingt. Was heißt das? In den paar Beispielen, die Sanders für den
aktiven Gebrauch anführt, erklärt er es durch: notwendig machen, er¬
heischen, erfordern (die Reise wurde, wie es die Natur des Weges be¬
dingte, zu Pferde gemacht; eine gute Übersetzung bedingt Verständnis des
Urtextes und Herrschaft über die Sprache). Deu passiven Gebrauch erklärt er
durch: abhängig sein von etwas, sei es nnn als etwas daraus hervor-
gehendes oder als etwas notwendig damit verbundenes, ohne dies nicht be¬
stehendes. Außerdem führt er nur noch aus Goethe an: Gühruug und
Fäulnis heben die Farbe nicht auf, soudern bedingen sie, was er durch
modifiziren erklärt (warum uicht durch beeinflussen, verändern?).

Nun vergleiche mau einmal damit den heutigen Sprachgebrauch. Ich
brauche wohl nicht zu versichern, daß ich von den nachfolgenden Beispielen
keins erfunden, sondern daß ich sie alle gesammelt habe. Ich könnte ihre An¬
zahl verzehnfachen, wenn es nicht so langweilig wäre, für ein und denselben
Unsinn immer wieder Beispiele abzuschreiben. In den Weg laufen sie einem


Bedingen und andre Modewörter

nächsten Sonntag eine frische Sendung Kulmbacher zum glasweisen (!)
Ausschaut gelangen würde.

Aber die Sprache ist ein launisches Ding, sie gefällt sich in den wunder¬
lichsten Gegensätzen. Wie sie das Streben nach Kürze jetzt bis zur Häßlichkeit
mit der Vorliebe für Breite bis zu eben solcher Häßlichkeit verbindet, so be¬
vorzugt sie auf der einen Seite möglichst sinnliche Ausdrücke und hetzt ans der
andern sinnlos ein Ädstrg.ot.uni, ja no8er!ivtiL8unum zu Tode, wie bedingen.

Der erste Band von Grimms Wörterbuch, der die Jahreszahl 1854
trägt, erklärt bedingen durch: aushalten, bestimmen, ausnehmen. Die
Beispiele, die er anführt, sind meist Luther und Goethe entnommen. Luther
braucht es namentlich in Verbindung mit bekennen und bezeugen (denn
das will ich hiermit gar frei öffentlich haben bedinget und bekennet),
Goethe im Sinne von beschränken (daß nicht des Lebens bedingender
Drang mich, den Menschen, verändert), daher gern bedingt im Gegensatze zu
frei unbedingt (es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich
den Augenblick als bedingt; wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt
er sich frei).

Diese Bedeutungen erschöpfen nun freilich nicht den frühern Sprach¬
gebrauch. Vollständiger ist der Abschnitt über bedingen im ersten Bande
des Sandersschen Wörterbuches vom Jahre 18V0. Dort sind zunächst die
Bedeutungen aufgezählt und belegt: verpflichten, festsetzen, ausmachen,
beschränken, von etwas abhängig machen. Dann aber behandelt Sanders
eine Anwendung des Wortes, die bei Grimm vollständig fehlt, und die heute
fast die einzige ist und die, um deretwillen ich das Wort hier bespreche,
nämlich die Anwendung bei unpersönlichen Subjekt: eine Sache bedingt
eine andre, oder passiv: es ist oder wird eine Sache dnrch eine andre
bedingt. Was heißt das? In den paar Beispielen, die Sanders für den
aktiven Gebrauch anführt, erklärt er es durch: notwendig machen, er¬
heischen, erfordern (die Reise wurde, wie es die Natur des Weges be¬
dingte, zu Pferde gemacht; eine gute Übersetzung bedingt Verständnis des
Urtextes und Herrschaft über die Sprache). Deu passiven Gebrauch erklärt er
durch: abhängig sein von etwas, sei es nnn als etwas daraus hervor-
gehendes oder als etwas notwendig damit verbundenes, ohne dies nicht be¬
stehendes. Außerdem führt er nur noch aus Goethe an: Gühruug und
Fäulnis heben die Farbe nicht auf, soudern bedingen sie, was er durch
modifiziren erklärt (warum uicht durch beeinflussen, verändern?).

Nun vergleiche mau einmal damit den heutigen Sprachgebrauch. Ich
brauche wohl nicht zu versichern, daß ich von den nachfolgenden Beispielen
keins erfunden, sondern daß ich sie alle gesammelt habe. Ich könnte ihre An¬
zahl verzehnfachen, wenn es nicht so langweilig wäre, für ein und denselben
Unsinn immer wieder Beispiele abzuschreiben. In den Weg laufen sie einem


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[0426] Bedingen und andre Modewörter nächsten Sonntag eine frische Sendung Kulmbacher zum glasweisen (!) Ausschaut gelangen würde. Aber die Sprache ist ein launisches Ding, sie gefällt sich in den wunder¬ lichsten Gegensätzen. Wie sie das Streben nach Kürze jetzt bis zur Häßlichkeit mit der Vorliebe für Breite bis zu eben solcher Häßlichkeit verbindet, so be¬ vorzugt sie auf der einen Seite möglichst sinnliche Ausdrücke und hetzt ans der andern sinnlos ein Ädstrg.ot.uni, ja no8er!ivtiL8unum zu Tode, wie bedingen. Der erste Band von Grimms Wörterbuch, der die Jahreszahl 1854 trägt, erklärt bedingen durch: aushalten, bestimmen, ausnehmen. Die Beispiele, die er anführt, sind meist Luther und Goethe entnommen. Luther braucht es namentlich in Verbindung mit bekennen und bezeugen (denn das will ich hiermit gar frei öffentlich haben bedinget und bekennet), Goethe im Sinne von beschränken (daß nicht des Lebens bedingender Drang mich, den Menschen, verändert), daher gern bedingt im Gegensatze zu frei unbedingt (es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick als bedingt; wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei). Diese Bedeutungen erschöpfen nun freilich nicht den frühern Sprach¬ gebrauch. Vollständiger ist der Abschnitt über bedingen im ersten Bande des Sandersschen Wörterbuches vom Jahre 18V0. Dort sind zunächst die Bedeutungen aufgezählt und belegt: verpflichten, festsetzen, ausmachen, beschränken, von etwas abhängig machen. Dann aber behandelt Sanders eine Anwendung des Wortes, die bei Grimm vollständig fehlt, und die heute fast die einzige ist und die, um deretwillen ich das Wort hier bespreche, nämlich die Anwendung bei unpersönlichen Subjekt: eine Sache bedingt eine andre, oder passiv: es ist oder wird eine Sache dnrch eine andre bedingt. Was heißt das? In den paar Beispielen, die Sanders für den aktiven Gebrauch anführt, erklärt er es durch: notwendig machen, er¬ heischen, erfordern (die Reise wurde, wie es die Natur des Weges be¬ dingte, zu Pferde gemacht; eine gute Übersetzung bedingt Verständnis des Urtextes und Herrschaft über die Sprache). Deu passiven Gebrauch erklärt er durch: abhängig sein von etwas, sei es nnn als etwas daraus hervor- gehendes oder als etwas notwendig damit verbundenes, ohne dies nicht be¬ stehendes. Außerdem führt er nur noch aus Goethe an: Gühruug und Fäulnis heben die Farbe nicht auf, soudern bedingen sie, was er durch modifiziren erklärt (warum uicht durch beeinflussen, verändern?). Nun vergleiche mau einmal damit den heutigen Sprachgebrauch. Ich brauche wohl nicht zu versichern, daß ich von den nachfolgenden Beispielen keins erfunden, sondern daß ich sie alle gesammelt habe. Ich könnte ihre An¬ zahl verzehnfachen, wenn es nicht so langweilig wäre, für ein und denselben Unsinn immer wieder Beispiele abzuschreiben. In den Weg laufen sie einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/426>, abgerufen am 03.07.2024.