Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bedinge" und andre Modewörter

anders wird gar nicht mehr geschrieben. Aber es wird auch vorübergehen.
Wenn wir erst so weit sein werden, daß der Gigerl naturjemäß für --
selbstredend braucht -- und das kommt sicher, ist vielleicht schon da --,
dann wird das alte natürlich wieder in seine Rechte eingesetzt werden.

Nicht immer handelt sichs bei der Sprachmode um neue Wörter; mit¬
unter ist es nur ein neuer Sinn, der einem alten Worte untergelegt wird,
eine neue Satzverbindung, worin das Modische liegt. Das zeigt sich nament¬
lich beim Verbum. Wem wäre es früher eingefallen, vertrauen mit einem
Jnhaltssatze zu verbinden? Das that mau mit hoffen und erwarten. Jetzt
gilt es für fein, zu sagen: wir vertrauen, daß u. s. w. Erhellen brauchte
man früher nur transitiv: die Lampe erhellt das Zimmer. Jetzt ist es Hoch-
Modern, es in intransitivem Sinne zu brauchen (für hervorgehen, sich er¬
geben): aus Vorstehendem erhellt -- aus den Jahresberichten der Fabrik¬
inspektoren erhellt -- schon aus diesem flüchtigen Überblick dürfte die
Bedeutung des Museums erhellen -- der hohe Wert, den die Landesherr¬
schaft auf den Besitz Freibergs legte, erhellt besonders aus der Geschichte der
Landesteiluugeu. Ähnlich ist es mit eröffnen. Von einem Konzert, einer
Versammlung sagte man früher und sagen vernünftige Menschen noch jetzt:
sie wurden eröffnet. Der Sprachmodenaffe sagt jetzt nie anders als: die
Börse eröffnete flau -- die Feier eröffnete mit einer Festrede -- das
Konzert eröffnete mit Schumanns Manfred-Ouverture. Unterstehen brauchte
man früher nur reflexiv: sich etwas unterstehen; intransitiv sagte man ge¬
trennt: unter der Herrschaft des Kaisers stehen. Jetzt heißt es: der Herr¬
schaft unterstehen, dein Kommando unterstehen.

In andern Fällen liegt die Modencirrheit in der Art der Zusammensetzung.
Früher hoffte oder erwartete man etwas; jetzt wird alles erhofft (erst
°n"n lassen sich Änderungen des Bestehenden in den einzelnen Anstalten er¬
hoffen). Ein Haus war früher in eiuer Straße, eine Fabrik in einer Vor¬
stadt gelegen; jetzt sind sie nnr noch belegen -- 's ist zu dumm!") Wenn
eine Summe geteilt wird, so sagte man früher: es kommt oder fällt auf
jeden einzelnen so und so viel; jetzt entfällt alles: auf den national-
liberalen Kandidaten entfielen 3500 Stimmen. Wem entfielen sie denn?
Entfalten verlangt doch Angabe der Person, der etwas entfällt. Von Sitten,
Gebräuchen, Zuständen sagte man früher: sie haben sich gebildet oder aus¬
gebildet; jetzt bilden sie sich nur noch heraus (schou lange vor Einführung
der Vuchdruckerkunst hatte sich bei der Kirche die Sitte herausgebildet).
Wvherans denn?> Der Ausdruck hat etwas so krampfhaftes, daß mau die
Sitte förmlich aus einem Trichter oder Krater hervorbrodeln sieht. Für vor-



*> Ähnlich war im vorigen Jahrhundert eine Zeit lang im Akten- und Zeitungsstil beschehe n
u"d behüren Mode, statt geschehen und gehören.
Bedinge» und andre Modewörter

anders wird gar nicht mehr geschrieben. Aber es wird auch vorübergehen.
Wenn wir erst so weit sein werden, daß der Gigerl naturjemäß für —
selbstredend braucht — und das kommt sicher, ist vielleicht schon da —,
dann wird das alte natürlich wieder in seine Rechte eingesetzt werden.

Nicht immer handelt sichs bei der Sprachmode um neue Wörter; mit¬
unter ist es nur ein neuer Sinn, der einem alten Worte untergelegt wird,
eine neue Satzverbindung, worin das Modische liegt. Das zeigt sich nament¬
lich beim Verbum. Wem wäre es früher eingefallen, vertrauen mit einem
Jnhaltssatze zu verbinden? Das that mau mit hoffen und erwarten. Jetzt
gilt es für fein, zu sagen: wir vertrauen, daß u. s. w. Erhellen brauchte
man früher nur transitiv: die Lampe erhellt das Zimmer. Jetzt ist es Hoch-
Modern, es in intransitivem Sinne zu brauchen (für hervorgehen, sich er¬
geben): aus Vorstehendem erhellt — aus den Jahresberichten der Fabrik¬
inspektoren erhellt — schon aus diesem flüchtigen Überblick dürfte die
Bedeutung des Museums erhellen — der hohe Wert, den die Landesherr¬
schaft auf den Besitz Freibergs legte, erhellt besonders aus der Geschichte der
Landesteiluugeu. Ähnlich ist es mit eröffnen. Von einem Konzert, einer
Versammlung sagte man früher und sagen vernünftige Menschen noch jetzt:
sie wurden eröffnet. Der Sprachmodenaffe sagt jetzt nie anders als: die
Börse eröffnete flau — die Feier eröffnete mit einer Festrede — das
Konzert eröffnete mit Schumanns Manfred-Ouverture. Unterstehen brauchte
man früher nur reflexiv: sich etwas unterstehen; intransitiv sagte man ge¬
trennt: unter der Herrschaft des Kaisers stehen. Jetzt heißt es: der Herr¬
schaft unterstehen, dein Kommando unterstehen.

In andern Fällen liegt die Modencirrheit in der Art der Zusammensetzung.
Früher hoffte oder erwartete man etwas; jetzt wird alles erhofft (erst
°n»n lassen sich Änderungen des Bestehenden in den einzelnen Anstalten er¬
hoffen). Ein Haus war früher in eiuer Straße, eine Fabrik in einer Vor¬
stadt gelegen; jetzt sind sie nnr noch belegen — 's ist zu dumm!") Wenn
eine Summe geteilt wird, so sagte man früher: es kommt oder fällt auf
jeden einzelnen so und so viel; jetzt entfällt alles: auf den national-
liberalen Kandidaten entfielen 3500 Stimmen. Wem entfielen sie denn?
Entfalten verlangt doch Angabe der Person, der etwas entfällt. Von Sitten,
Gebräuchen, Zuständen sagte man früher: sie haben sich gebildet oder aus¬
gebildet; jetzt bilden sie sich nur noch heraus (schou lange vor Einführung
der Vuchdruckerkunst hatte sich bei der Kirche die Sitte herausgebildet).
Wvherans denn?> Der Ausdruck hat etwas so krampfhaftes, daß mau die
Sitte förmlich aus einem Trichter oder Krater hervorbrodeln sieht. Für vor-



*> Ähnlich war im vorigen Jahrhundert eine Zeit lang im Akten- und Zeitungsstil beschehe n
u»d behüren Mode, statt geschehen und gehören.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207718"/>
          <fw type="header" place="top"> Bedinge» und andre Modewörter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1164" prev="#ID_1163"> anders wird gar nicht mehr geschrieben. Aber es wird auch vorübergehen.<lb/>
Wenn wir erst so weit sein werden, daß der Gigerl naturjemäß für &#x2014;<lb/>
selbstredend braucht &#x2014; und das kommt sicher, ist vielleicht schon da &#x2014;,<lb/>
dann wird das alte natürlich wieder in seine Rechte eingesetzt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1165"> Nicht immer handelt sichs bei der Sprachmode um neue Wörter; mit¬<lb/>
unter ist es nur ein neuer Sinn, der einem alten Worte untergelegt wird,<lb/>
eine neue Satzverbindung, worin das Modische liegt. Das zeigt sich nament¬<lb/>
lich beim Verbum. Wem wäre es früher eingefallen, vertrauen mit einem<lb/>
Jnhaltssatze zu verbinden? Das that mau mit hoffen und erwarten. Jetzt<lb/>
gilt es für fein, zu sagen: wir vertrauen, daß u. s. w. Erhellen brauchte<lb/>
man früher nur transitiv: die Lampe erhellt das Zimmer. Jetzt ist es Hoch-<lb/>
Modern, es in intransitivem Sinne zu brauchen (für hervorgehen, sich er¬<lb/>
geben): aus Vorstehendem erhellt &#x2014; aus den Jahresberichten der Fabrik¬<lb/>
inspektoren erhellt &#x2014; schon aus diesem flüchtigen Überblick dürfte die<lb/>
Bedeutung des Museums erhellen &#x2014; der hohe Wert, den die Landesherr¬<lb/>
schaft auf den Besitz Freibergs legte, erhellt besonders aus der Geschichte der<lb/>
Landesteiluugeu. Ähnlich ist es mit eröffnen. Von einem Konzert, einer<lb/>
Versammlung sagte man früher und sagen vernünftige Menschen noch jetzt:<lb/>
sie wurden eröffnet. Der Sprachmodenaffe sagt jetzt nie anders als: die<lb/>
Börse eröffnete flau &#x2014; die Feier eröffnete mit einer Festrede &#x2014; das<lb/>
Konzert eröffnete mit Schumanns Manfred-Ouverture. Unterstehen brauchte<lb/>
man früher nur reflexiv: sich etwas unterstehen; intransitiv sagte man ge¬<lb/>
trennt: unter der Herrschaft des Kaisers stehen. Jetzt heißt es: der Herr¬<lb/>
schaft unterstehen, dein Kommando unterstehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1166" next="#ID_1167"> In andern Fällen liegt die Modencirrheit in der Art der Zusammensetzung.<lb/>
Früher hoffte oder erwartete man etwas; jetzt wird alles erhofft (erst<lb/>
°n»n lassen sich Änderungen des Bestehenden in den einzelnen Anstalten er¬<lb/>
hoffen). Ein Haus war früher in eiuer Straße, eine Fabrik in einer Vor¬<lb/>
stadt gelegen; jetzt sind sie nnr noch belegen &#x2014; 's ist zu dumm!") Wenn<lb/>
eine Summe geteilt wird, so sagte man früher: es kommt oder fällt auf<lb/>
jeden einzelnen so und so viel; jetzt entfällt alles: auf den national-<lb/>
liberalen Kandidaten entfielen 3500 Stimmen. Wem entfielen sie denn?<lb/>
Entfalten verlangt doch Angabe der Person, der etwas entfällt. Von Sitten,<lb/>
Gebräuchen, Zuständen sagte man früher: sie haben sich gebildet oder aus¬<lb/>
gebildet; jetzt bilden sie sich nur noch heraus (schou lange vor Einführung<lb/>
der Vuchdruckerkunst hatte sich bei der Kirche die Sitte herausgebildet).<lb/>
Wvherans denn?&gt; Der Ausdruck hat etwas so krampfhaftes, daß mau die<lb/>
Sitte förmlich aus einem Trichter oder Krater hervorbrodeln sieht. Für vor-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_38" place="foot"> *&gt; Ähnlich war im vorigen Jahrhundert eine Zeit lang im Akten- und Zeitungsstil beschehe n<lb/>
u»d behüren Mode, statt geschehen und gehören.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Bedinge» und andre Modewörter anders wird gar nicht mehr geschrieben. Aber es wird auch vorübergehen. Wenn wir erst so weit sein werden, daß der Gigerl naturjemäß für — selbstredend braucht — und das kommt sicher, ist vielleicht schon da —, dann wird das alte natürlich wieder in seine Rechte eingesetzt werden. Nicht immer handelt sichs bei der Sprachmode um neue Wörter; mit¬ unter ist es nur ein neuer Sinn, der einem alten Worte untergelegt wird, eine neue Satzverbindung, worin das Modische liegt. Das zeigt sich nament¬ lich beim Verbum. Wem wäre es früher eingefallen, vertrauen mit einem Jnhaltssatze zu verbinden? Das that mau mit hoffen und erwarten. Jetzt gilt es für fein, zu sagen: wir vertrauen, daß u. s. w. Erhellen brauchte man früher nur transitiv: die Lampe erhellt das Zimmer. Jetzt ist es Hoch- Modern, es in intransitivem Sinne zu brauchen (für hervorgehen, sich er¬ geben): aus Vorstehendem erhellt — aus den Jahresberichten der Fabrik¬ inspektoren erhellt — schon aus diesem flüchtigen Überblick dürfte die Bedeutung des Museums erhellen — der hohe Wert, den die Landesherr¬ schaft auf den Besitz Freibergs legte, erhellt besonders aus der Geschichte der Landesteiluugeu. Ähnlich ist es mit eröffnen. Von einem Konzert, einer Versammlung sagte man früher und sagen vernünftige Menschen noch jetzt: sie wurden eröffnet. Der Sprachmodenaffe sagt jetzt nie anders als: die Börse eröffnete flau — die Feier eröffnete mit einer Festrede — das Konzert eröffnete mit Schumanns Manfred-Ouverture. Unterstehen brauchte man früher nur reflexiv: sich etwas unterstehen; intransitiv sagte man ge¬ trennt: unter der Herrschaft des Kaisers stehen. Jetzt heißt es: der Herr¬ schaft unterstehen, dein Kommando unterstehen. In andern Fällen liegt die Modencirrheit in der Art der Zusammensetzung. Früher hoffte oder erwartete man etwas; jetzt wird alles erhofft (erst °n»n lassen sich Änderungen des Bestehenden in den einzelnen Anstalten er¬ hoffen). Ein Haus war früher in eiuer Straße, eine Fabrik in einer Vor¬ stadt gelegen; jetzt sind sie nnr noch belegen — 's ist zu dumm!") Wenn eine Summe geteilt wird, so sagte man früher: es kommt oder fällt auf jeden einzelnen so und so viel; jetzt entfällt alles: auf den national- liberalen Kandidaten entfielen 3500 Stimmen. Wem entfielen sie denn? Entfalten verlangt doch Angabe der Person, der etwas entfällt. Von Sitten, Gebräuchen, Zuständen sagte man früher: sie haben sich gebildet oder aus¬ gebildet; jetzt bilden sie sich nur noch heraus (schou lange vor Einführung der Vuchdruckerkunst hatte sich bei der Kirche die Sitte herausgebildet). Wvherans denn?> Der Ausdruck hat etwas so krampfhaftes, daß mau die Sitte förmlich aus einem Trichter oder Krater hervorbrodeln sieht. Für vor- *> Ähnlich war im vorigen Jahrhundert eine Zeit lang im Akten- und Zeitungsstil beschehe n u»d behüren Mode, statt geschehen und gehören.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/423>, abgerufen am 22.07.2024.