Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Bedingen nul) andre Modewörter Eine große Menge Modewörter giebt es unter den Adjektiven. Ich nenne *) Ich bedaure überhaupt bei manchen dieser Wörter, daß ich sie dem Leser nicht vor-
IPrechen k^,^,^ manche müsse" gequetscht und genäselt werden, um ihren ganzen Reiz zu ent¬ ölten, z. B. ägencirtig. Bedingen nul) andre Modewörter Eine große Menge Modewörter giebt es unter den Adjektiven. Ich nenne *) Ich bedaure überhaupt bei manchen dieser Wörter, daß ich sie dem Leser nicht vor-
IPrechen k^,^,^ manche müsse» gequetscht und genäselt werden, um ihren ganzen Reiz zu ent¬ ölten, z. B. ägencirtig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207716"/> <fw type="header" place="top"> Bedingen nul) andre Modewörter</fw><lb/> <p xml:id="ID_1161" next="#ID_1162"> Eine große Menge Modewörter giebt es unter den Adjektiven. Ich nenne<lb/> nur: eigenartig, beachtlich, erstmalig, diesbezüglich, belangreich und<lb/> belanglos, unerfindlich, verläßlich, selbstlos, zielbewußt, unent¬<lb/> wegt, erheblich und unerheblich. Für eigenartig sagte man früher<lb/> eigentümlich; jetzt scheint man unter eigentümlich nur so viel wie selt¬<lb/> sam, wunderlich zu verstehen, alle Welt spreizt sich mit dem neumodischen<lb/> eigenartig, namentlich gern die Herren Kritiker. Für beachtlich sagte man<lb/> früher beachtenswert, für belangreich und belanglos wichtig und un¬<lb/> wichtig, für verläßlich zuverlässig, für selbstlos uneigennützig. Die<lb/> guten, alten Wörter bestehen neben den Modewörtern ruhig weiter, aber der<lb/> schriftstellerische Gigerl braucht sie nicht mehr, er braucht nur die Modewörter.<lb/> Eine fürchterliche Dummheit ist unerfindlich (statt unbegreiflich), eine große<lb/> Geschmacklosigkeit erstmalig (die erstmalige Aufführung statt: die erste,<lb/> auch als Adverbium schon beliebt: das Stück wurde gestern erstmalig auf¬<lb/> geführt); dennoch war das eine eine Zeit lang außerordentlich beliebt, neuerdings<lb/> geht es wieder zurück, das andere gewinnt immer größere Verbreitung. Zu<lb/> den großartigsten Modewörtern gehören diesbezüglich und erheblich, ziel¬<lb/> bewußt und unentwegt. Ohne diesbezüglich und erheblich kann ein<lb/> Beamter oder ein Zeitungsschreiber nicht den kleinsten Aufsatz liefern, und ein<lb/> vortrug, eine Rede, ein Toast bei einem Festessen ohne zielbewußt und un¬<lb/> entwegt ist gar nicht denkbar. Sie sind aber, mit Ausnahme von erheblich,<lb/> auch schon alle wieder etwas im Rückgänge begriffen. Namentlich über dies¬<lb/> bezüglich und unentwegt ist so viel gespottet, sie sind so oft mit Gänse¬<lb/> füßchen gedruckt worden, daß doch auch die naivsten endlich anfangen, stutzig<lb/> l,u werden. Auch zielbewußt gehört in diese Reihe. Daß ich erheblich<lb/> und unerheblich mit hierher ziehe, wird manchem Leser auffallen. Mir ist es<lb/> unbegreiflich, daß der massenhafte Verbrauch dieses Wortes deu Leuten noch<lb/> uicht zum Ekel geworden ist. Es ist das Lieblingsadjektivum aller Zeitungs-<lb/> schreiber, Juristen und Beamten. Früher sagte man bedeutend und un¬<lb/> bedeutend, wesentlich und unwesentlich. Das bekommt man kaum noch<lb/> »u hören, heute ist alles erhepplich und nuerhepplich — so nämlich muß<lb/> '»an die Wörter aussprechen, wenn man die Mode richtig mitmachen will.")<lb/> ^es hatte einen Universitätsfreund, der später zum Schulrat emporklomm und<lb/> "us der Heimat versetzt wurde. Als wir uns nach einer Reihe von Jahren<lb/> "erstmalig" wiedersahen und vergnügt beim Schoppen saßen, war immer das<lb/> dritte Wort, das er sagte: erhepplich und unerhepplich, und ich wußte<lb/> "och gennn, daß das früher nie über seine Lippen gekommen war, am aller-</p><lb/> <note xml:id="FID_37" place="foot"> *) Ich bedaure überhaupt bei manchen dieser Wörter, daß ich sie dem Leser nicht vor-<lb/> IPrechen k^,^,^ manche müsse» gequetscht und genäselt werden, um ihren ganzen Reiz zu ent¬<lb/> ölten, z. B. ägencirtig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
Bedingen nul) andre Modewörter
Eine große Menge Modewörter giebt es unter den Adjektiven. Ich nenne
nur: eigenartig, beachtlich, erstmalig, diesbezüglich, belangreich und
belanglos, unerfindlich, verläßlich, selbstlos, zielbewußt, unent¬
wegt, erheblich und unerheblich. Für eigenartig sagte man früher
eigentümlich; jetzt scheint man unter eigentümlich nur so viel wie selt¬
sam, wunderlich zu verstehen, alle Welt spreizt sich mit dem neumodischen
eigenartig, namentlich gern die Herren Kritiker. Für beachtlich sagte man
früher beachtenswert, für belangreich und belanglos wichtig und un¬
wichtig, für verläßlich zuverlässig, für selbstlos uneigennützig. Die
guten, alten Wörter bestehen neben den Modewörtern ruhig weiter, aber der
schriftstellerische Gigerl braucht sie nicht mehr, er braucht nur die Modewörter.
Eine fürchterliche Dummheit ist unerfindlich (statt unbegreiflich), eine große
Geschmacklosigkeit erstmalig (die erstmalige Aufführung statt: die erste,
auch als Adverbium schon beliebt: das Stück wurde gestern erstmalig auf¬
geführt); dennoch war das eine eine Zeit lang außerordentlich beliebt, neuerdings
geht es wieder zurück, das andere gewinnt immer größere Verbreitung. Zu
den großartigsten Modewörtern gehören diesbezüglich und erheblich, ziel¬
bewußt und unentwegt. Ohne diesbezüglich und erheblich kann ein
Beamter oder ein Zeitungsschreiber nicht den kleinsten Aufsatz liefern, und ein
vortrug, eine Rede, ein Toast bei einem Festessen ohne zielbewußt und un¬
entwegt ist gar nicht denkbar. Sie sind aber, mit Ausnahme von erheblich,
auch schon alle wieder etwas im Rückgänge begriffen. Namentlich über dies¬
bezüglich und unentwegt ist so viel gespottet, sie sind so oft mit Gänse¬
füßchen gedruckt worden, daß doch auch die naivsten endlich anfangen, stutzig
l,u werden. Auch zielbewußt gehört in diese Reihe. Daß ich erheblich
und unerheblich mit hierher ziehe, wird manchem Leser auffallen. Mir ist es
unbegreiflich, daß der massenhafte Verbrauch dieses Wortes deu Leuten noch
uicht zum Ekel geworden ist. Es ist das Lieblingsadjektivum aller Zeitungs-
schreiber, Juristen und Beamten. Früher sagte man bedeutend und un¬
bedeutend, wesentlich und unwesentlich. Das bekommt man kaum noch
»u hören, heute ist alles erhepplich und nuerhepplich — so nämlich muß
'»an die Wörter aussprechen, wenn man die Mode richtig mitmachen will.")
^es hatte einen Universitätsfreund, der später zum Schulrat emporklomm und
"us der Heimat versetzt wurde. Als wir uns nach einer Reihe von Jahren
"erstmalig" wiedersahen und vergnügt beim Schoppen saßen, war immer das
dritte Wort, das er sagte: erhepplich und unerhepplich, und ich wußte
"och gennn, daß das früher nie über seine Lippen gekommen war, am aller-
*) Ich bedaure überhaupt bei manchen dieser Wörter, daß ich sie dem Leser nicht vor-
IPrechen k^,^,^ manche müsse» gequetscht und genäselt werden, um ihren ganzen Reiz zu ent¬
ölten, z. B. ägencirtig.
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