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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bedingen und andre Modewörter

Natürlich fällt die ganze große Masse darauf hinein, denn Geschmack ist, wie
Verstand, "stets bei wenigen nur gewesen": je dümmer, je besser. Zuletzt,
wenn eine Mode so gemein (d, h. allgemein) geworden ist, daß sie auch den
Ungebildetsten als das erscheint, was sie für den Gebildeten von vornherein
gewesen ist, als gemein (d. h. niedrig), verschwindet sie wieder, um einer andern
Platz zu machen, die nun denselben Lebenslauf hat. Vornehme Naturen halten
sich von der Mode fern. Es giebt Frauen und Mädchen, die in ihrer Klei¬
dung alles verschmähen, was an die jeweilig herrschende Mode streift, im
Stoff, in den Farben, im Schnitt, im Aufputz; wenn sie den Hut abnehmen,
sieht man weder Stirnlöckchen, noch Dreher, noch Käuzchen, und doch ist nichts
in ihrem Äußern, was man absonderlich oder gar altmodisch nennen konnte,
sie erscheinen so modern und dabei so vornehm, daß alle Mvdegänschen sie
darum beneiden konnten. Ganz so geht es mit gewissen Wörtern und Redens¬
arten. Man hört oder liest sie irgendwo zum erstenmale, nach einiger Zeit
zum zweiten, dann kommen sie öfter und öfter, und endlich führt sie alle Welt
im Munde, sie werden so gemein, daß sie selbst denen, die sie eine Zeit lang
mit Wonne ungebraucht haben, widerwärtig werden, sie sich darüber lustig
machen, sie gleichsam nur noch mit Gänsefüßchen brauchen, bis sie endlich ganz
wieder verschwinden. Aber es giebt immer auch eine kleine Anzahl von Leuten,
die, sowie ein solches Wort auftaucht, vou einem unbesieglichen Ekel davor er¬
griffen werden, die es nicht über die Lippen, nicht aus der Feder bringen,
lind da ist anch gar kein Zweifel möglich; wer überhaupt die Fähigkeit hat,
solche Wörter zu erkennen, erkennt sie sofort und erkennt sie alle. Wenn zwei
oder drei zusammenkommen, die den Mvdewörterabschen teilen, und sie ver¬
gleichen ihre Liste, so haben sie genau dieselben Wörter darauf -- ein schlagender
Beweis, daß es an den Wörtern liegt, und nicht an den Menschen, wenn
manche Menschen manche Wörter unausstehlich finden. Ihrer Ausdrucksweise
merkt aber deshalb niemand an, daß sie die Wörter vermeiden, die klingt so
modern wie möglich, kein Mensch vermißt die Modewörter drin. Leider be¬
gegnet es auch "ersten" Schriftstellern nicht selten, daß sie auf Modewörter
hineinfallen.

Ich will ein paar Beispiele geben. Es mag etwa fünfzehn oder zwanzig
Jahre her sein, daß ich zum erstenmale das schöne Wort Bälde las. Es
dauerte uicht lange, so waren alle Zeitungen voll davou. Alles mürbe als in
Bälde bevorstehend angekündigt. Kürzlich fiel mir auf, daß ich das Wort
mindestens seit zwei Jahren nicht mehr gelesen oder gehört habe. Es ist also
offenbar wieder verschwunden. Da haben wir ein richtiges Modewort. Ganz
ähnlich ist es mit Tragweite gegangen. Das dem Gcschtttzwesen entlehnte
Bild wurde in der Zeitungssprache eine Zeit lang so massenhaft gebraucht,
daß mans schließlich anständigerweise nicht mehr brauchen konnte, und so ist
es wieder "ans der Mode gekommen."


Bedingen und andre Modewörter

Natürlich fällt die ganze große Masse darauf hinein, denn Geschmack ist, wie
Verstand, „stets bei wenigen nur gewesen": je dümmer, je besser. Zuletzt,
wenn eine Mode so gemein (d, h. allgemein) geworden ist, daß sie auch den
Ungebildetsten als das erscheint, was sie für den Gebildeten von vornherein
gewesen ist, als gemein (d. h. niedrig), verschwindet sie wieder, um einer andern
Platz zu machen, die nun denselben Lebenslauf hat. Vornehme Naturen halten
sich von der Mode fern. Es giebt Frauen und Mädchen, die in ihrer Klei¬
dung alles verschmähen, was an die jeweilig herrschende Mode streift, im
Stoff, in den Farben, im Schnitt, im Aufputz; wenn sie den Hut abnehmen,
sieht man weder Stirnlöckchen, noch Dreher, noch Käuzchen, und doch ist nichts
in ihrem Äußern, was man absonderlich oder gar altmodisch nennen konnte,
sie erscheinen so modern und dabei so vornehm, daß alle Mvdegänschen sie
darum beneiden konnten. Ganz so geht es mit gewissen Wörtern und Redens¬
arten. Man hört oder liest sie irgendwo zum erstenmale, nach einiger Zeit
zum zweiten, dann kommen sie öfter und öfter, und endlich führt sie alle Welt
im Munde, sie werden so gemein, daß sie selbst denen, die sie eine Zeit lang
mit Wonne ungebraucht haben, widerwärtig werden, sie sich darüber lustig
machen, sie gleichsam nur noch mit Gänsefüßchen brauchen, bis sie endlich ganz
wieder verschwinden. Aber es giebt immer auch eine kleine Anzahl von Leuten,
die, sowie ein solches Wort auftaucht, vou einem unbesieglichen Ekel davor er¬
griffen werden, die es nicht über die Lippen, nicht aus der Feder bringen,
lind da ist anch gar kein Zweifel möglich; wer überhaupt die Fähigkeit hat,
solche Wörter zu erkennen, erkennt sie sofort und erkennt sie alle. Wenn zwei
oder drei zusammenkommen, die den Mvdewörterabschen teilen, und sie ver¬
gleichen ihre Liste, so haben sie genau dieselben Wörter darauf — ein schlagender
Beweis, daß es an den Wörtern liegt, und nicht an den Menschen, wenn
manche Menschen manche Wörter unausstehlich finden. Ihrer Ausdrucksweise
merkt aber deshalb niemand an, daß sie die Wörter vermeiden, die klingt so
modern wie möglich, kein Mensch vermißt die Modewörter drin. Leider be¬
gegnet es auch „ersten" Schriftstellern nicht selten, daß sie auf Modewörter
hineinfallen.

Ich will ein paar Beispiele geben. Es mag etwa fünfzehn oder zwanzig
Jahre her sein, daß ich zum erstenmale das schöne Wort Bälde las. Es
dauerte uicht lange, so waren alle Zeitungen voll davou. Alles mürbe als in
Bälde bevorstehend angekündigt. Kürzlich fiel mir auf, daß ich das Wort
mindestens seit zwei Jahren nicht mehr gelesen oder gehört habe. Es ist also
offenbar wieder verschwunden. Da haben wir ein richtiges Modewort. Ganz
ähnlich ist es mit Tragweite gegangen. Das dem Gcschtttzwesen entlehnte
Bild wurde in der Zeitungssprache eine Zeit lang so massenhaft gebraucht,
daß mans schließlich anständigerweise nicht mehr brauchen konnte, und so ist
es wieder „ans der Mode gekommen."


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[0420] Bedingen und andre Modewörter Natürlich fällt die ganze große Masse darauf hinein, denn Geschmack ist, wie Verstand, „stets bei wenigen nur gewesen": je dümmer, je besser. Zuletzt, wenn eine Mode so gemein (d, h. allgemein) geworden ist, daß sie auch den Ungebildetsten als das erscheint, was sie für den Gebildeten von vornherein gewesen ist, als gemein (d. h. niedrig), verschwindet sie wieder, um einer andern Platz zu machen, die nun denselben Lebenslauf hat. Vornehme Naturen halten sich von der Mode fern. Es giebt Frauen und Mädchen, die in ihrer Klei¬ dung alles verschmähen, was an die jeweilig herrschende Mode streift, im Stoff, in den Farben, im Schnitt, im Aufputz; wenn sie den Hut abnehmen, sieht man weder Stirnlöckchen, noch Dreher, noch Käuzchen, und doch ist nichts in ihrem Äußern, was man absonderlich oder gar altmodisch nennen konnte, sie erscheinen so modern und dabei so vornehm, daß alle Mvdegänschen sie darum beneiden konnten. Ganz so geht es mit gewissen Wörtern und Redens¬ arten. Man hört oder liest sie irgendwo zum erstenmale, nach einiger Zeit zum zweiten, dann kommen sie öfter und öfter, und endlich führt sie alle Welt im Munde, sie werden so gemein, daß sie selbst denen, die sie eine Zeit lang mit Wonne ungebraucht haben, widerwärtig werden, sie sich darüber lustig machen, sie gleichsam nur noch mit Gänsefüßchen brauchen, bis sie endlich ganz wieder verschwinden. Aber es giebt immer auch eine kleine Anzahl von Leuten, die, sowie ein solches Wort auftaucht, vou einem unbesieglichen Ekel davor er¬ griffen werden, die es nicht über die Lippen, nicht aus der Feder bringen, lind da ist anch gar kein Zweifel möglich; wer überhaupt die Fähigkeit hat, solche Wörter zu erkennen, erkennt sie sofort und erkennt sie alle. Wenn zwei oder drei zusammenkommen, die den Mvdewörterabschen teilen, und sie ver¬ gleichen ihre Liste, so haben sie genau dieselben Wörter darauf — ein schlagender Beweis, daß es an den Wörtern liegt, und nicht an den Menschen, wenn manche Menschen manche Wörter unausstehlich finden. Ihrer Ausdrucksweise merkt aber deshalb niemand an, daß sie die Wörter vermeiden, die klingt so modern wie möglich, kein Mensch vermißt die Modewörter drin. Leider be¬ gegnet es auch „ersten" Schriftstellern nicht selten, daß sie auf Modewörter hineinfallen. Ich will ein paar Beispiele geben. Es mag etwa fünfzehn oder zwanzig Jahre her sein, daß ich zum erstenmale das schöne Wort Bälde las. Es dauerte uicht lange, so waren alle Zeitungen voll davou. Alles mürbe als in Bälde bevorstehend angekündigt. Kürzlich fiel mir auf, daß ich das Wort mindestens seit zwei Jahren nicht mehr gelesen oder gehört habe. Es ist also offenbar wieder verschwunden. Da haben wir ein richtiges Modewort. Ganz ähnlich ist es mit Tragweite gegangen. Das dem Gcschtttzwesen entlehnte Bild wurde in der Zeitungssprache eine Zeit lang so massenhaft gebraucht, daß mans schließlich anständigerweise nicht mehr brauchen konnte, und so ist es wieder „ans der Mode gekommen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/420>, abgerufen am 28.09.2024.