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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

sich durch körperschaftliches Zusammenwirken verallgemeinern und vielen zu¬
gänglich machen. Noscher hat es schon vor mehr als zwanzig Jahren für
Aberglauben und Irrtum erklärt, daß alles Kleingewerbe dem Untergange
geweiht sei. Eine flüchtige Umschau wird uns sofort zeigen, wie verschieden
sich die verschiednen Gelverbszweige dem Großkapital und dem Maschinenwesen
gegen ü ber verhalten.

Einige der Gewerbe, die nur als Großindustrie denkbar sind, wurden
schon genannt. Beim Maschinenbau kommt es darauf an, was für Maschinen
gebaut werden. Je großer sie sind, desto großer müssen natürlich auch Werk¬
statt, Arbeiterzahl und Kapital sein. Für mittelgroße Maschinen genügen
mittelgroße Werkstätten. Ich kenne solche, die ausgezeichnete Geschäfte machen,
die vom Großkapital nicht das mindeste zu fürchten haben, und in denen ein
herzliches Einvernehmen zwischen Prinzipalen, Werkführern und Arbeitern
herrscht. Je kleiner die Maschinen sind (Handsiedemaschinen n. dergl.), desto
leichter können sie in einer gewöhnlichen Mechaniker- oder Schlvsserwertstatt
hergestellt werden. Es giebt Werkstellen, in denen es geschieht, und ihnen
vor allem wird der von Siemers in Aussicht gestellte Fortschritt zu statten
kommen.

Die Baugewerker im engern Sinne: die Maurer, die Zimmerer und die
Schieferdecker, haben bisher weder vom Großkapital noch von der Dampf¬
maschine irgend welche Störung erlitten. Sie verwenden einige Maschinen-
Produkte, wie eiserne Anker und Schienen, aber zum größten Teil ist ihr
Material dasselbe wie vor Jahrhunderten. Wenn nußer den Steinen und
Backsteinen, Brettern und Balken, Schiefertafeln und Zinkplatten auch Dach¬
pappen, Asphalt, Stuck u. dergl. in die Mode gekommen sind, so schadet
das niemandem, nützt aber vielen durch Erzeugung neuer Gewerbe. Beim
Kanal- und Brückenbau wird allerdings die Dampfmaschine verwendet, beim
Häuserbau aber kennt man keine andern Maschinen als die seit Jahrtausenden
üblichen: Krähn und Flaschenzug. Und was das Kapital anlangt: ganz arme
Maurer- und Zimmermeister giebt es seit Jahrhunderten nicht mehr. Allein
oder mit einem Lehrjungen kann der Mail" kein Haus bauen. Um aber
zwanzig Leuten den Unterhalt verbürgen und Bauholz kaufen zu können, muß
er einiges Vermögen haben. Darin ist seit Ablauf jener sehr alten Zeiten,
wo der Bauherr das Material lieferte und mit seinen Hörigen baute, keine
wesentliche Änderung eingetreten. Neu ist nur, daß einzelne Maurer- und
Zimmermeister sich zu Bauunternehmern und Hüuserspekulanten emporschwangen,
als welche sie entweder Reichtümer aufhäufen oder Ptene machen. Im allge¬
meinen bleibt das alte Verhältnis von Meistern, Polieren, Gesellen, Lehrlingen
und Handlangern bestehen.

Den Hilfsgewerben des Baugewerks haben die Mode und der technische
Fortschritt einige neue hinzugefügt, was wahrlich kein Schaden ist. Unter den


Die soziale Frage

sich durch körperschaftliches Zusammenwirken verallgemeinern und vielen zu¬
gänglich machen. Noscher hat es schon vor mehr als zwanzig Jahren für
Aberglauben und Irrtum erklärt, daß alles Kleingewerbe dem Untergange
geweiht sei. Eine flüchtige Umschau wird uns sofort zeigen, wie verschieden
sich die verschiednen Gelverbszweige dem Großkapital und dem Maschinenwesen
gegen ü ber verhalten.

Einige der Gewerbe, die nur als Großindustrie denkbar sind, wurden
schon genannt. Beim Maschinenbau kommt es darauf an, was für Maschinen
gebaut werden. Je großer sie sind, desto großer müssen natürlich auch Werk¬
statt, Arbeiterzahl und Kapital sein. Für mittelgroße Maschinen genügen
mittelgroße Werkstätten. Ich kenne solche, die ausgezeichnete Geschäfte machen,
die vom Großkapital nicht das mindeste zu fürchten haben, und in denen ein
herzliches Einvernehmen zwischen Prinzipalen, Werkführern und Arbeitern
herrscht. Je kleiner die Maschinen sind (Handsiedemaschinen n. dergl.), desto
leichter können sie in einer gewöhnlichen Mechaniker- oder Schlvsserwertstatt
hergestellt werden. Es giebt Werkstellen, in denen es geschieht, und ihnen
vor allem wird der von Siemers in Aussicht gestellte Fortschritt zu statten
kommen.

Die Baugewerker im engern Sinne: die Maurer, die Zimmerer und die
Schieferdecker, haben bisher weder vom Großkapital noch von der Dampf¬
maschine irgend welche Störung erlitten. Sie verwenden einige Maschinen-
Produkte, wie eiserne Anker und Schienen, aber zum größten Teil ist ihr
Material dasselbe wie vor Jahrhunderten. Wenn nußer den Steinen und
Backsteinen, Brettern und Balken, Schiefertafeln und Zinkplatten auch Dach¬
pappen, Asphalt, Stuck u. dergl. in die Mode gekommen sind, so schadet
das niemandem, nützt aber vielen durch Erzeugung neuer Gewerbe. Beim
Kanal- und Brückenbau wird allerdings die Dampfmaschine verwendet, beim
Häuserbau aber kennt man keine andern Maschinen als die seit Jahrtausenden
üblichen: Krähn und Flaschenzug. Und was das Kapital anlangt: ganz arme
Maurer- und Zimmermeister giebt es seit Jahrhunderten nicht mehr. Allein
oder mit einem Lehrjungen kann der Mail» kein Haus bauen. Um aber
zwanzig Leuten den Unterhalt verbürgen und Bauholz kaufen zu können, muß
er einiges Vermögen haben. Darin ist seit Ablauf jener sehr alten Zeiten,
wo der Bauherr das Material lieferte und mit seinen Hörigen baute, keine
wesentliche Änderung eingetreten. Neu ist nur, daß einzelne Maurer- und
Zimmermeister sich zu Bauunternehmern und Hüuserspekulanten emporschwangen,
als welche sie entweder Reichtümer aufhäufen oder Ptene machen. Im allge¬
meinen bleibt das alte Verhältnis von Meistern, Polieren, Gesellen, Lehrlingen
und Handlangern bestehen.

Den Hilfsgewerben des Baugewerks haben die Mode und der technische
Fortschritt einige neue hinzugefügt, was wahrlich kein Schaden ist. Unter den


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[0370] Die soziale Frage sich durch körperschaftliches Zusammenwirken verallgemeinern und vielen zu¬ gänglich machen. Noscher hat es schon vor mehr als zwanzig Jahren für Aberglauben und Irrtum erklärt, daß alles Kleingewerbe dem Untergange geweiht sei. Eine flüchtige Umschau wird uns sofort zeigen, wie verschieden sich die verschiednen Gelverbszweige dem Großkapital und dem Maschinenwesen gegen ü ber verhalten. Einige der Gewerbe, die nur als Großindustrie denkbar sind, wurden schon genannt. Beim Maschinenbau kommt es darauf an, was für Maschinen gebaut werden. Je großer sie sind, desto großer müssen natürlich auch Werk¬ statt, Arbeiterzahl und Kapital sein. Für mittelgroße Maschinen genügen mittelgroße Werkstätten. Ich kenne solche, die ausgezeichnete Geschäfte machen, die vom Großkapital nicht das mindeste zu fürchten haben, und in denen ein herzliches Einvernehmen zwischen Prinzipalen, Werkführern und Arbeitern herrscht. Je kleiner die Maschinen sind (Handsiedemaschinen n. dergl.), desto leichter können sie in einer gewöhnlichen Mechaniker- oder Schlvsserwertstatt hergestellt werden. Es giebt Werkstellen, in denen es geschieht, und ihnen vor allem wird der von Siemers in Aussicht gestellte Fortschritt zu statten kommen. Die Baugewerker im engern Sinne: die Maurer, die Zimmerer und die Schieferdecker, haben bisher weder vom Großkapital noch von der Dampf¬ maschine irgend welche Störung erlitten. Sie verwenden einige Maschinen- Produkte, wie eiserne Anker und Schienen, aber zum größten Teil ist ihr Material dasselbe wie vor Jahrhunderten. Wenn nußer den Steinen und Backsteinen, Brettern und Balken, Schiefertafeln und Zinkplatten auch Dach¬ pappen, Asphalt, Stuck u. dergl. in die Mode gekommen sind, so schadet das niemandem, nützt aber vielen durch Erzeugung neuer Gewerbe. Beim Kanal- und Brückenbau wird allerdings die Dampfmaschine verwendet, beim Häuserbau aber kennt man keine andern Maschinen als die seit Jahrtausenden üblichen: Krähn und Flaschenzug. Und was das Kapital anlangt: ganz arme Maurer- und Zimmermeister giebt es seit Jahrhunderten nicht mehr. Allein oder mit einem Lehrjungen kann der Mail» kein Haus bauen. Um aber zwanzig Leuten den Unterhalt verbürgen und Bauholz kaufen zu können, muß er einiges Vermögen haben. Darin ist seit Ablauf jener sehr alten Zeiten, wo der Bauherr das Material lieferte und mit seinen Hörigen baute, keine wesentliche Änderung eingetreten. Neu ist nur, daß einzelne Maurer- und Zimmermeister sich zu Bauunternehmern und Hüuserspekulanten emporschwangen, als welche sie entweder Reichtümer aufhäufen oder Ptene machen. Im allge¬ meinen bleibt das alte Verhältnis von Meistern, Polieren, Gesellen, Lehrlingen und Handlangern bestehen. Den Hilfsgewerben des Baugewerks haben die Mode und der technische Fortschritt einige neue hinzugefügt, was wahrlich kein Schaden ist. Unter den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/370>, abgerufen am 03.07.2024.