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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

alten hat sich die Steinmetzarbeit über Beeinträchtigung durch die Thonwaren¬
fabriken zu beklagen. Die Töpfer sind nur noch Ofensetzer; die Bestandteile
des Ofens werdeu ihnen fertig aus der Fabrik geliefert. Die Bautischler und
-Schlosser, namentlich die letztern, haben einen Teil ihrer Arbeit an die Fabrik
verloren, die ihnen Schlösser, Thür- und Fensterbeschläge fertig liefert; sie
selbst können niemals überflüssig werdeu, denn das Anpassen, Anschlagen u. s. w.
muß an Ort und Stelle besorgt werden. Letzteres gilt auch von den Glasern
und Klempnern.

Die Gewerbe der persönlichen Hilfsleistung können vom Kapitalismus nur
wenig, von der Dampfmaschine gar nicht beeinträchtigt werden. Dem Barbier
und Friseur wird niemals eine dumme Dampfmaschine sein Vorrecht streitig
machen, die Gewaltigen der Erde an der Nase zu fassen und Engelsköpfen in
den Locken zu wühlen, und weder die Hühnerangenkünstler, Badediener,
Masseure, Masseusen und Wehmütter, noch die Schornsteinfeger haben bis jetzt
Besorgnis vor der Konkurrenz der Dampfmaschine geäußert. Den Nagelschmied
verschlingt die Fabrik; den Hufschmied wird sie sein an: Amboß lassen, denn
das Pferd will mit Hand und Auge bedient sein; auch ist kein "Dörflein so
kleine," in dem sich nicht Rad- und Deichselbrüche ereigneten, zu deren Heilung
der Meister Schmied und der Nachbar Stellmacher zusammenwirken müssen.
Alle diese Gewerbe lassen sich teils ohne, teils mit einem ganz geringen Kapital
betreiben.

Manche Gewerbe sind von Haus aus und ihrer Natur nach Neparatur-
gewerbe, nicht etwa erst durch die Konkurrenz der Dampfmaschine dazu herab¬
gedrückt worden. Hauptvertreterin dieser Gattung ist die gewöhnliche Uhr-
macherei. Die Anfertigung neuer Uhren ist als rentables Gewerbe, wie sich
jeder selbst klar machen kann, nur im großen bei weitgehender Arbeitsteilung
möglich. Die Büchsenschäfter und Goldschmiede sind erst in neuerer Zeit zu
Neparaturhandwerkern herabgedrückt worden. Der Optikus und Mechanikus
bezieht zwar die meisten seiner Waren fertig, stellt aber auch einzelne selbst
her und findet Gelegenheit, die erworbene Kunstfertigkeit bei Telegraphen-,
Telephon- und andern ähnlichen Anlagen zu bethätigen. Der Gerber, der Sattler,
der Tapezierer, der Instrumentenmacher, der Orgelbauer, der Buchdrucker
dürften sich kaum über die Dampfmaschine beklagen. Einige der Genannten
ziehen sie in ihren Dienst, andre haben überhaupt nichts mit ihr zu schassen.
Mit der Dampfmaschine kann man weder Tapeten ankleben noch den Gardinen
einen schönen Faltenwurf geben. Einiges Kapital gehörte zu allen diesen Ge¬
werben von jeher. Ein Sattler, der das Leder in kleinen Stücken auf Borg
beziehen müßte, würde besser thun, er schlösse seine Werkstatt und arbeitete als
gut bezahlter Geselle bei einem größern Meister. Weniger Kapital erfordert
die Buchbinderei. Auch ihre Verhältnisse haben sich nicht sehr geändert. Es
lst nur ein kleiner Teil ihrer Beschäftigung, den die Buchbinder der amusischen


Die soziale Frage

alten hat sich die Steinmetzarbeit über Beeinträchtigung durch die Thonwaren¬
fabriken zu beklagen. Die Töpfer sind nur noch Ofensetzer; die Bestandteile
des Ofens werdeu ihnen fertig aus der Fabrik geliefert. Die Bautischler und
-Schlosser, namentlich die letztern, haben einen Teil ihrer Arbeit an die Fabrik
verloren, die ihnen Schlösser, Thür- und Fensterbeschläge fertig liefert; sie
selbst können niemals überflüssig werdeu, denn das Anpassen, Anschlagen u. s. w.
muß an Ort und Stelle besorgt werden. Letzteres gilt auch von den Glasern
und Klempnern.

Die Gewerbe der persönlichen Hilfsleistung können vom Kapitalismus nur
wenig, von der Dampfmaschine gar nicht beeinträchtigt werden. Dem Barbier
und Friseur wird niemals eine dumme Dampfmaschine sein Vorrecht streitig
machen, die Gewaltigen der Erde an der Nase zu fassen und Engelsköpfen in
den Locken zu wühlen, und weder die Hühnerangenkünstler, Badediener,
Masseure, Masseusen und Wehmütter, noch die Schornsteinfeger haben bis jetzt
Besorgnis vor der Konkurrenz der Dampfmaschine geäußert. Den Nagelschmied
verschlingt die Fabrik; den Hufschmied wird sie sein an: Amboß lassen, denn
das Pferd will mit Hand und Auge bedient sein; auch ist kein „Dörflein so
kleine," in dem sich nicht Rad- und Deichselbrüche ereigneten, zu deren Heilung
der Meister Schmied und der Nachbar Stellmacher zusammenwirken müssen.
Alle diese Gewerbe lassen sich teils ohne, teils mit einem ganz geringen Kapital
betreiben.

Manche Gewerbe sind von Haus aus und ihrer Natur nach Neparatur-
gewerbe, nicht etwa erst durch die Konkurrenz der Dampfmaschine dazu herab¬
gedrückt worden. Hauptvertreterin dieser Gattung ist die gewöhnliche Uhr-
macherei. Die Anfertigung neuer Uhren ist als rentables Gewerbe, wie sich
jeder selbst klar machen kann, nur im großen bei weitgehender Arbeitsteilung
möglich. Die Büchsenschäfter und Goldschmiede sind erst in neuerer Zeit zu
Neparaturhandwerkern herabgedrückt worden. Der Optikus und Mechanikus
bezieht zwar die meisten seiner Waren fertig, stellt aber auch einzelne selbst
her und findet Gelegenheit, die erworbene Kunstfertigkeit bei Telegraphen-,
Telephon- und andern ähnlichen Anlagen zu bethätigen. Der Gerber, der Sattler,
der Tapezierer, der Instrumentenmacher, der Orgelbauer, der Buchdrucker
dürften sich kaum über die Dampfmaschine beklagen. Einige der Genannten
ziehen sie in ihren Dienst, andre haben überhaupt nichts mit ihr zu schassen.
Mit der Dampfmaschine kann man weder Tapeten ankleben noch den Gardinen
einen schönen Faltenwurf geben. Einiges Kapital gehörte zu allen diesen Ge¬
werben von jeher. Ein Sattler, der das Leder in kleinen Stücken auf Borg
beziehen müßte, würde besser thun, er schlösse seine Werkstatt und arbeitete als
gut bezahlter Geselle bei einem größern Meister. Weniger Kapital erfordert
die Buchbinderei. Auch ihre Verhältnisse haben sich nicht sehr geändert. Es
lst nur ein kleiner Teil ihrer Beschäftigung, den die Buchbinder der amusischen


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[0371] Die soziale Frage alten hat sich die Steinmetzarbeit über Beeinträchtigung durch die Thonwaren¬ fabriken zu beklagen. Die Töpfer sind nur noch Ofensetzer; die Bestandteile des Ofens werdeu ihnen fertig aus der Fabrik geliefert. Die Bautischler und -Schlosser, namentlich die letztern, haben einen Teil ihrer Arbeit an die Fabrik verloren, die ihnen Schlösser, Thür- und Fensterbeschläge fertig liefert; sie selbst können niemals überflüssig werdeu, denn das Anpassen, Anschlagen u. s. w. muß an Ort und Stelle besorgt werden. Letzteres gilt auch von den Glasern und Klempnern. Die Gewerbe der persönlichen Hilfsleistung können vom Kapitalismus nur wenig, von der Dampfmaschine gar nicht beeinträchtigt werden. Dem Barbier und Friseur wird niemals eine dumme Dampfmaschine sein Vorrecht streitig machen, die Gewaltigen der Erde an der Nase zu fassen und Engelsköpfen in den Locken zu wühlen, und weder die Hühnerangenkünstler, Badediener, Masseure, Masseusen und Wehmütter, noch die Schornsteinfeger haben bis jetzt Besorgnis vor der Konkurrenz der Dampfmaschine geäußert. Den Nagelschmied verschlingt die Fabrik; den Hufschmied wird sie sein an: Amboß lassen, denn das Pferd will mit Hand und Auge bedient sein; auch ist kein „Dörflein so kleine," in dem sich nicht Rad- und Deichselbrüche ereigneten, zu deren Heilung der Meister Schmied und der Nachbar Stellmacher zusammenwirken müssen. Alle diese Gewerbe lassen sich teils ohne, teils mit einem ganz geringen Kapital betreiben. Manche Gewerbe sind von Haus aus und ihrer Natur nach Neparatur- gewerbe, nicht etwa erst durch die Konkurrenz der Dampfmaschine dazu herab¬ gedrückt worden. Hauptvertreterin dieser Gattung ist die gewöhnliche Uhr- macherei. Die Anfertigung neuer Uhren ist als rentables Gewerbe, wie sich jeder selbst klar machen kann, nur im großen bei weitgehender Arbeitsteilung möglich. Die Büchsenschäfter und Goldschmiede sind erst in neuerer Zeit zu Neparaturhandwerkern herabgedrückt worden. Der Optikus und Mechanikus bezieht zwar die meisten seiner Waren fertig, stellt aber auch einzelne selbst her und findet Gelegenheit, die erworbene Kunstfertigkeit bei Telegraphen-, Telephon- und andern ähnlichen Anlagen zu bethätigen. Der Gerber, der Sattler, der Tapezierer, der Instrumentenmacher, der Orgelbauer, der Buchdrucker dürften sich kaum über die Dampfmaschine beklagen. Einige der Genannten ziehen sie in ihren Dienst, andre haben überhaupt nichts mit ihr zu schassen. Mit der Dampfmaschine kann man weder Tapeten ankleben noch den Gardinen einen schönen Faltenwurf geben. Einiges Kapital gehörte zu allen diesen Ge¬ werben von jeher. Ein Sattler, der das Leder in kleinen Stücken auf Borg beziehen müßte, würde besser thun, er schlösse seine Werkstatt und arbeitete als gut bezahlter Geselle bei einem größern Meister. Weniger Kapital erfordert die Buchbinderei. Auch ihre Verhältnisse haben sich nicht sehr geändert. Es lst nur ein kleiner Teil ihrer Beschäftigung, den die Buchbinder der amusischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/371>, abgerufen am 28.12.2024.