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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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lind Limen so wesentlichen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen bilden, daß
es von vornherein als undurchführbar bezeichnet werden kann. Das; das den
Sonnabend betreffende Verbot für den damit erstrebten Zweck (die Pflege des
häuslichen Sinnes) wirkungslos sein würde, kommt dabei nicht einmal in
Betracht."

Nach allem sieht man, was Bismarck hinderte, sich, "wenn nicht etwa
bisher verschwiegen gebliebene, der Abhilfe dringlich bedürfende Zustände noch
nachgewiesen werden," gegen eine Verschärfung der sogenannten Arbeiterschutz¬
gesetze auszusprechen. Zuerst war es der Ausfall in der Einnahme des Ar¬
beiters. Ehe man ihm nicht nachwiese, so äußerte er sich auch später wieder¬
holt, wie dieser Ausfall zu decken sei, könne er sich ans eine Veränderung der
bestehenden Gewerbeordnung nicht einlassen. Sodann war es der Eingriff in
die Freiheit des einzelnen Arbeiters, ein Eingriff, den er darum nicht befür¬
worten wollte, weil er damit eiuer Lösung der sozialen Frage nicht näher zu
kommen glaubte. Durch alle diese Veschräukuugeu, die verschärfte Arbeiter¬
schutzgesetze im Gefolge haben müssen, sah er den Frieden der Arbeiter und
Arbeitgeber nicht hergestellt. "Im Gegenteil, jede weitere Hemmung und
künstliche Beschränkung im Fabrikbetriebe vermindert die Fähigkeit des Arbeit¬
gebers zur Lohuzahlung."

Was die Lösung der sozialen Frage betrifft, so bekennen wir uns zu dem¬
selben Glauben. Wer aber nun nicht dieses Glaubens lebt, wer der Ansicht
ist, daß das Kapital auch uoch mit dem Gewichte belastet werden könne, das der
Arbeiterschutz ihm noch aufzuerlegen sich anschickt, der wird trotz aller Bedeuten
der Ausdehnung und Verschärfung der Schutzgesetzgebung mit ruhigem Auge
und gutem Gewissen entgegensehen. Bismarck glaubte die Angelegenheit noch
vertagen zu müssen; grundsätzlich und unbedingt von der Hand geWiese" hat er
sie nicht, das hätte ihm schon sein menschenfreundlicher Sinn in vielen Punkten
nicht erlaubt; aber er glaubte aus den angegebenen Gründe", "auf diesem wie
a"f andern Gebieten der Legislatur dürfte eine Pause durchaus iudizirt sei"."
Der letzte Reichstag dagegen hat durch seineu fast mit Einstimmigkeit gefaßten
Beschluß und durch sein wiederholtes Drängen gegenüber dem Bundesrat ans
Durchführung der Arbeiterschutzgesetzgebung schon allein und ganz abgesehen
von allen deu Erscheinungen, die die Ausstandsbewegungen an vielen Orten
zu Tage treten ließen, dem .Kaiser dus Recht gegeben, den Arbeiterschutz
als die bedeutsamste Frage der Gesetzgebung für den neue" Reichstag hin-
zustellen. Die fast hundert Paragraphen des Entwurfs werden nnn einer
gründlichen und gewissenhafte" Prüfung zu unterwerfen sein, für die die
Rücksicht auf die Konkurrenzfähigkeit unsrer Industrie auf dem Weltmarkt
obenan stehen muß. Wenn der Fabrikant keine" Lob" oder keine" auskömm¬
liche" Lohn mehr zahle" kann, dann kann dem Arbeiter alle Schntzgesetzgebung
nichts helfen.


lind Limen so wesentlichen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen bilden, daß
es von vornherein als undurchführbar bezeichnet werden kann. Das; das den
Sonnabend betreffende Verbot für den damit erstrebten Zweck (die Pflege des
häuslichen Sinnes) wirkungslos sein würde, kommt dabei nicht einmal in
Betracht."

Nach allem sieht man, was Bismarck hinderte, sich, „wenn nicht etwa
bisher verschwiegen gebliebene, der Abhilfe dringlich bedürfende Zustände noch
nachgewiesen werden," gegen eine Verschärfung der sogenannten Arbeiterschutz¬
gesetze auszusprechen. Zuerst war es der Ausfall in der Einnahme des Ar¬
beiters. Ehe man ihm nicht nachwiese, so äußerte er sich auch später wieder¬
holt, wie dieser Ausfall zu decken sei, könne er sich ans eine Veränderung der
bestehenden Gewerbeordnung nicht einlassen. Sodann war es der Eingriff in
die Freiheit des einzelnen Arbeiters, ein Eingriff, den er darum nicht befür¬
worten wollte, weil er damit eiuer Lösung der sozialen Frage nicht näher zu
kommen glaubte. Durch alle diese Veschräukuugeu, die verschärfte Arbeiter¬
schutzgesetze im Gefolge haben müssen, sah er den Frieden der Arbeiter und
Arbeitgeber nicht hergestellt. „Im Gegenteil, jede weitere Hemmung und
künstliche Beschränkung im Fabrikbetriebe vermindert die Fähigkeit des Arbeit¬
gebers zur Lohuzahlung."

Was die Lösung der sozialen Frage betrifft, so bekennen wir uns zu dem¬
selben Glauben. Wer aber nun nicht dieses Glaubens lebt, wer der Ansicht
ist, daß das Kapital auch uoch mit dem Gewichte belastet werden könne, das der
Arbeiterschutz ihm noch aufzuerlegen sich anschickt, der wird trotz aller Bedeuten
der Ausdehnung und Verschärfung der Schutzgesetzgebung mit ruhigem Auge
und gutem Gewissen entgegensehen. Bismarck glaubte die Angelegenheit noch
vertagen zu müssen; grundsätzlich und unbedingt von der Hand geWiese» hat er
sie nicht, das hätte ihm schon sein menschenfreundlicher Sinn in vielen Punkten
nicht erlaubt; aber er glaubte aus den angegebenen Gründe», „auf diesem wie
a»f andern Gebieten der Legislatur dürfte eine Pause durchaus iudizirt sei»."
Der letzte Reichstag dagegen hat durch seineu fast mit Einstimmigkeit gefaßten
Beschluß und durch sein wiederholtes Drängen gegenüber dem Bundesrat ans
Durchführung der Arbeiterschutzgesetzgebung schon allein und ganz abgesehen
von allen deu Erscheinungen, die die Ausstandsbewegungen an vielen Orten
zu Tage treten ließen, dem .Kaiser dus Recht gegeben, den Arbeiterschutz
als die bedeutsamste Frage der Gesetzgebung für den neue» Reichstag hin-
zustellen. Die fast hundert Paragraphen des Entwurfs werden nnn einer
gründlichen und gewissenhafte» Prüfung zu unterwerfen sein, für die die
Rücksicht auf die Konkurrenzfähigkeit unsrer Industrie auf dem Weltmarkt
obenan stehen muß. Wenn der Fabrikant keine» Lob» oder keine» auskömm¬
liche» Lohn mehr zahle» kann, dann kann dem Arbeiter alle Schntzgesetzgebung
nichts helfen.


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[0360] lind Limen so wesentlichen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen bilden, daß es von vornherein als undurchführbar bezeichnet werden kann. Das; das den Sonnabend betreffende Verbot für den damit erstrebten Zweck (die Pflege des häuslichen Sinnes) wirkungslos sein würde, kommt dabei nicht einmal in Betracht." Nach allem sieht man, was Bismarck hinderte, sich, „wenn nicht etwa bisher verschwiegen gebliebene, der Abhilfe dringlich bedürfende Zustände noch nachgewiesen werden," gegen eine Verschärfung der sogenannten Arbeiterschutz¬ gesetze auszusprechen. Zuerst war es der Ausfall in der Einnahme des Ar¬ beiters. Ehe man ihm nicht nachwiese, so äußerte er sich auch später wieder¬ holt, wie dieser Ausfall zu decken sei, könne er sich ans eine Veränderung der bestehenden Gewerbeordnung nicht einlassen. Sodann war es der Eingriff in die Freiheit des einzelnen Arbeiters, ein Eingriff, den er darum nicht befür¬ worten wollte, weil er damit eiuer Lösung der sozialen Frage nicht näher zu kommen glaubte. Durch alle diese Veschräukuugeu, die verschärfte Arbeiter¬ schutzgesetze im Gefolge haben müssen, sah er den Frieden der Arbeiter und Arbeitgeber nicht hergestellt. „Im Gegenteil, jede weitere Hemmung und künstliche Beschränkung im Fabrikbetriebe vermindert die Fähigkeit des Arbeit¬ gebers zur Lohuzahlung." Was die Lösung der sozialen Frage betrifft, so bekennen wir uns zu dem¬ selben Glauben. Wer aber nun nicht dieses Glaubens lebt, wer der Ansicht ist, daß das Kapital auch uoch mit dem Gewichte belastet werden könne, das der Arbeiterschutz ihm noch aufzuerlegen sich anschickt, der wird trotz aller Bedeuten der Ausdehnung und Verschärfung der Schutzgesetzgebung mit ruhigem Auge und gutem Gewissen entgegensehen. Bismarck glaubte die Angelegenheit noch vertagen zu müssen; grundsätzlich und unbedingt von der Hand geWiese» hat er sie nicht, das hätte ihm schon sein menschenfreundlicher Sinn in vielen Punkten nicht erlaubt; aber er glaubte aus den angegebenen Gründe», „auf diesem wie a»f andern Gebieten der Legislatur dürfte eine Pause durchaus iudizirt sei»." Der letzte Reichstag dagegen hat durch seineu fast mit Einstimmigkeit gefaßten Beschluß und durch sein wiederholtes Drängen gegenüber dem Bundesrat ans Durchführung der Arbeiterschutzgesetzgebung schon allein und ganz abgesehen von allen deu Erscheinungen, die die Ausstandsbewegungen an vielen Orten zu Tage treten ließen, dem .Kaiser dus Recht gegeben, den Arbeiterschutz als die bedeutsamste Frage der Gesetzgebung für den neue» Reichstag hin- zustellen. Die fast hundert Paragraphen des Entwurfs werden nnn einer gründlichen und gewissenhafte» Prüfung zu unterwerfen sein, für die die Rücksicht auf die Konkurrenzfähigkeit unsrer Industrie auf dem Weltmarkt obenan stehen muß. Wenn der Fabrikant keine» Lob» oder keine» auskömm¬ liche» Lohn mehr zahle» kann, dann kann dem Arbeiter alle Schntzgesetzgebung nichts helfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/360>, abgerufen am 22.07.2024.