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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bisam'et und die sozialpolitische Gesetzgebung

aus, auf diesem Wege positiver Gesetzgebung vorzuschreiten, auf dem einer ver¬
schärften, die Industrie hemmenden Arbeiterschutzgesetzgebung aber nicht weiter
zu gehen. "Wenn Ew. Exzellenz ans diesem Wege die nähere Ausbildung
unsrer Gesetzgebung in Angriff nehmen wollen, so werde ich dabei zu voller
Mitwirkung gern bereit sein, auf dem der Prophylaxis durch Beamte aber
nicht."

Und so geschah es. Ein "Fabrikgesetz" wurde dem Reichstage uicht vor¬
gelegt. Dagegen wurde die Gewerbeordnung unter Festhaltung ihrer Grund¬
lagen und unter Beriicksichtignng der hervorgetretenen praktischen Bedürfnisse
nach den in dem Schreiben des Kanzlers enthaltenen Gesichtspunkten durch die
Vorlage des Bundesrath an den Reichstag vom 23. Februar 1878 verbessert.
Die Allmacht der Fabrikinspektoren wurde wesentlich eingeschränkt und durch das
Gesetz von 17. Juli l878 die bestehende Gelverbeordnnng insoweit abgeändert,
daß eine größere Sicherung der Beteiligten gegen die Verletzung der durch den
Arbeitsvertrag eingegangnen Verpflichtungen, eine strengere Ordnung des Lehr¬
verhältnisses, eine Regelung der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter, die den
besondern Verhältnissen der verschiednen Industriezweige Rechnung trägt, darin
Aufnahme fand. Das wichtigste aber, die auch von Vismarck gewollte, in dein
Regiernngsentwurf vvrgeschlngne Einführung von Gewerbegerichten, und damit
eine zur Erledigung der Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern
festgesetzte Einrichtung, fand beim Reichstage keine Zustimmung.

Wie wir schon sagten, hatte sich Vismarck anch in seinem Schreiben an
den Handelsminister auf ein Votum vom 30. September 1870 bezogen, das
er über beabsichtigte Änderungen der Gewerbeordnung abgegeben hatte, die aus
Grund von Erhebungen über die Frauen- und Kinderarbeit in Allssicht ge¬
nommen waren. Diese Erhebungen waren infolge eines Neichstagsbeschlnsses
vom 30. April 1873 veranlaßt worden und sollten zur Beurteilung dienen für
die Angemessenheit und Notwendigkeit eines gesetzlichen Schutzes der in den
Fabriken beschäftigten Frauen und Minderjährigen gegen Sonntagsarbeit sowie
gegen übermäßige Beschäftigung all den Werktagen. In diesem Votum wird
darauf hingewiesen, daß die Ergebnisse dieser Erhebungen sehr wenig brauchbare
Anhaltepunkte zur Prüfung der Frage böte", ob die Bestimmungen über Frauen-
und Kinderarbeit einer schützenden Verschärfung bedürften. Darum schien es
Bismarck richtiger zu sein, zumal bei der damaligen ungünstigen Lage der
Industrie, dieser zunächst Ruhe zu lassen, als dnrch neue Gesetze deu Kampf
mit der ausländischen Konkurrenz zu erschweren. Eine Verschärfung der
Schutzgesetze sei nur gerechtfertigt, wenn durch die Erhebung Notstände auf¬
gedeckt worden seien, die unverzügliche Abhilfe erheischten, was nicht der Fall
sei. Bismarck geht bei der Beurteilung über die Notwendigkeit einer Aus-
dehililng und Verschärfung der gesetzgeberischen und administrativen Thätigkeit
auf dem Gebiete von Schutzmaßregeln immer darauf zurück, ob die Lage der


Bisam'et und die sozialpolitische Gesetzgebung

aus, auf diesem Wege positiver Gesetzgebung vorzuschreiten, auf dem einer ver¬
schärften, die Industrie hemmenden Arbeiterschutzgesetzgebung aber nicht weiter
zu gehen. „Wenn Ew. Exzellenz ans diesem Wege die nähere Ausbildung
unsrer Gesetzgebung in Angriff nehmen wollen, so werde ich dabei zu voller
Mitwirkung gern bereit sein, auf dem der Prophylaxis durch Beamte aber
nicht."

Und so geschah es. Ein „Fabrikgesetz" wurde dem Reichstage uicht vor¬
gelegt. Dagegen wurde die Gewerbeordnung unter Festhaltung ihrer Grund¬
lagen und unter Beriicksichtignng der hervorgetretenen praktischen Bedürfnisse
nach den in dem Schreiben des Kanzlers enthaltenen Gesichtspunkten durch die
Vorlage des Bundesrath an den Reichstag vom 23. Februar 1878 verbessert.
Die Allmacht der Fabrikinspektoren wurde wesentlich eingeschränkt und durch das
Gesetz von 17. Juli l878 die bestehende Gelverbeordnnng insoweit abgeändert,
daß eine größere Sicherung der Beteiligten gegen die Verletzung der durch den
Arbeitsvertrag eingegangnen Verpflichtungen, eine strengere Ordnung des Lehr¬
verhältnisses, eine Regelung der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter, die den
besondern Verhältnissen der verschiednen Industriezweige Rechnung trägt, darin
Aufnahme fand. Das wichtigste aber, die auch von Vismarck gewollte, in dein
Regiernngsentwurf vvrgeschlngne Einführung von Gewerbegerichten, und damit
eine zur Erledigung der Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern
festgesetzte Einrichtung, fand beim Reichstage keine Zustimmung.

Wie wir schon sagten, hatte sich Vismarck anch in seinem Schreiben an
den Handelsminister auf ein Votum vom 30. September 1870 bezogen, das
er über beabsichtigte Änderungen der Gewerbeordnung abgegeben hatte, die aus
Grund von Erhebungen über die Frauen- und Kinderarbeit in Allssicht ge¬
nommen waren. Diese Erhebungen waren infolge eines Neichstagsbeschlnsses
vom 30. April 1873 veranlaßt worden und sollten zur Beurteilung dienen für
die Angemessenheit und Notwendigkeit eines gesetzlichen Schutzes der in den
Fabriken beschäftigten Frauen und Minderjährigen gegen Sonntagsarbeit sowie
gegen übermäßige Beschäftigung all den Werktagen. In diesem Votum wird
darauf hingewiesen, daß die Ergebnisse dieser Erhebungen sehr wenig brauchbare
Anhaltepunkte zur Prüfung der Frage böte», ob die Bestimmungen über Frauen-
und Kinderarbeit einer schützenden Verschärfung bedürften. Darum schien es
Bismarck richtiger zu sein, zumal bei der damaligen ungünstigen Lage der
Industrie, dieser zunächst Ruhe zu lassen, als dnrch neue Gesetze deu Kampf
mit der ausländischen Konkurrenz zu erschweren. Eine Verschärfung der
Schutzgesetze sei nur gerechtfertigt, wenn durch die Erhebung Notstände auf¬
gedeckt worden seien, die unverzügliche Abhilfe erheischten, was nicht der Fall
sei. Bismarck geht bei der Beurteilung über die Notwendigkeit einer Aus-
dehililng und Verschärfung der gesetzgeberischen und administrativen Thätigkeit
auf dem Gebiete von Schutzmaßregeln immer darauf zurück, ob die Lage der


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[0358] Bisam'et und die sozialpolitische Gesetzgebung aus, auf diesem Wege positiver Gesetzgebung vorzuschreiten, auf dem einer ver¬ schärften, die Industrie hemmenden Arbeiterschutzgesetzgebung aber nicht weiter zu gehen. „Wenn Ew. Exzellenz ans diesem Wege die nähere Ausbildung unsrer Gesetzgebung in Angriff nehmen wollen, so werde ich dabei zu voller Mitwirkung gern bereit sein, auf dem der Prophylaxis durch Beamte aber nicht." Und so geschah es. Ein „Fabrikgesetz" wurde dem Reichstage uicht vor¬ gelegt. Dagegen wurde die Gewerbeordnung unter Festhaltung ihrer Grund¬ lagen und unter Beriicksichtignng der hervorgetretenen praktischen Bedürfnisse nach den in dem Schreiben des Kanzlers enthaltenen Gesichtspunkten durch die Vorlage des Bundesrath an den Reichstag vom 23. Februar 1878 verbessert. Die Allmacht der Fabrikinspektoren wurde wesentlich eingeschränkt und durch das Gesetz von 17. Juli l878 die bestehende Gelverbeordnnng insoweit abgeändert, daß eine größere Sicherung der Beteiligten gegen die Verletzung der durch den Arbeitsvertrag eingegangnen Verpflichtungen, eine strengere Ordnung des Lehr¬ verhältnisses, eine Regelung der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter, die den besondern Verhältnissen der verschiednen Industriezweige Rechnung trägt, darin Aufnahme fand. Das wichtigste aber, die auch von Vismarck gewollte, in dein Regiernngsentwurf vvrgeschlngne Einführung von Gewerbegerichten, und damit eine zur Erledigung der Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern festgesetzte Einrichtung, fand beim Reichstage keine Zustimmung. Wie wir schon sagten, hatte sich Vismarck anch in seinem Schreiben an den Handelsminister auf ein Votum vom 30. September 1870 bezogen, das er über beabsichtigte Änderungen der Gewerbeordnung abgegeben hatte, die aus Grund von Erhebungen über die Frauen- und Kinderarbeit in Allssicht ge¬ nommen waren. Diese Erhebungen waren infolge eines Neichstagsbeschlnsses vom 30. April 1873 veranlaßt worden und sollten zur Beurteilung dienen für die Angemessenheit und Notwendigkeit eines gesetzlichen Schutzes der in den Fabriken beschäftigten Frauen und Minderjährigen gegen Sonntagsarbeit sowie gegen übermäßige Beschäftigung all den Werktagen. In diesem Votum wird darauf hingewiesen, daß die Ergebnisse dieser Erhebungen sehr wenig brauchbare Anhaltepunkte zur Prüfung der Frage böte», ob die Bestimmungen über Frauen- und Kinderarbeit einer schützenden Verschärfung bedürften. Darum schien es Bismarck richtiger zu sein, zumal bei der damaligen ungünstigen Lage der Industrie, dieser zunächst Ruhe zu lassen, als dnrch neue Gesetze deu Kampf mit der ausländischen Konkurrenz zu erschweren. Eine Verschärfung der Schutzgesetze sei nur gerechtfertigt, wenn durch die Erhebung Notstände auf¬ gedeckt worden seien, die unverzügliche Abhilfe erheischten, was nicht der Fall sei. Bismarck geht bei der Beurteilung über die Notwendigkeit einer Aus- dehililng und Verschärfung der gesetzgeberischen und administrativen Thätigkeit auf dem Gebiete von Schutzmaßregeln immer darauf zurück, ob die Lage der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/358>, abgerufen am 22.07.2024.