Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

daran, sich dessen guten Willen zu erhalten. Er füge sich darum lieber gegen
besseres Wissen und in dem Gefühle, Unrecht zu erleiden, aber er äußere seine
Nerstimmung bei den Wahlen und bei all den Gelegenheiten, wo sein freund¬
liches oder feindliches Urteil über die Negierung Ausdruck finden könne. Die
Einrichtung des Fabrikinspektors war nach deu damaligen unter dem Nord¬
deutschen Bund erlassenen Bestimmungen der Gewerbeordnung noch mehr
vorbeugender Natur, als es jetzt der Fall ist, nachdem sie im Jahre 1878 von
dem Bundesrat, und zwar im wesentlichen nach den Vorschlügen des Fürsten
Bismarck, nen organisirt worden ist. Bismarck stand allen gesetzgeberischen
und Verwnltungsmaßregeln von solcher vorbeugenden Art, also dem ganzen
Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung, nicht gerade feindlich, aber vorsichtig
gegenüber, weil jede Übertreibung hier natürlich mit Eingriffen in Privatrechte
verbunden ist, für die dann, abgesehen von ihrer Schädlichkeit für die Industrie
selbst, auch von konservativen, ruhigen und verständigen Männern die Regierung
verantwortlich gemacht zu werden pflegt. Er berief sich dabei auf seine
eignen Erfahrungen: "Ich bin in der Lage, die Wirkung unsrer gesetzgebe¬
rischen und administrativen Arbeit zu beobachten, weil ich nicht bloß der
regierenden und gesetzgeberischen Klasse angehöre, sondern auch der regierten,
und selbst fühle, wie fehlerhafte Gesetze wirken." Er fürchtete darum jedes
weitere Vorgehen in dieser Richtung und war nicht bereit, ein solches mit
seiner ministeriellen Verantwortlichkeit zu decken. "Wie weit in dieser Richtung
die Aspirationen der in unsrer Gesetzgebung entwickelten Faktoren bereits gehen,
habe ich aus dem Gesetzentwürfe entnommen, welcher unter dem Namen eines
"Fabrikgesetzes" in diesen Tagen von dem Neichskanzleramtc vorgelegt worden
ist." Für seine eigne Stellung zur Sache beruft er sich auch auf ein Schreiben
vom 30. September 1876, auf das wir noch zurückkommen werden. Im
übrigen war er der Ansicht, daß die Kämpfe der Arbeiter und Arbeitgeber sich
wesentlich nur um Lohn und Arbeitszeit drehten. Die Punkte dagegen, die
jener Gesetzentwurf ius Auge fasse, die Sorge für die körperliche Sicherheit
der Arbeiter, für die Schonung der Jugend, für die Trennung der Geschlechter,
für die Sonntagsheiligung, würden ebenso wenig den Frieden zwischen dein
Arbeiter und dem Arbeitgeber herstellen, als dies die Steigerung der Macht der
Inspektoren thue. "Im Gegenteil, jede weitere Hemmung und künstliche Be¬
schränkung im Fabrikbetriebe vermindert die Fähigkeit des Arbeitgebers zur Lohn¬
zahlung." Er scheute also jede Übertreibung. "Wenn von der Industrie alle
Gefahren, mit denen sie die Sicherheit und Gesundheit des Arbeiters bedrohen kann,
fern gehalten werden sollen, so müßte den Pulver- und Dynamitfabriken, der Ver¬
arbeitung von giftigen Stoffen und Anstrengungen, wie die der Glasfabrikation und
andrer, die eben nur eine kurze und hochbezahlte Periode eines Arbeiterlebens
hindurch ertragen werden können, schon jedes Existenzrecht versagt werden.
Schon jetzt hat die wohlwollende Sorge für jugendliche Arbeiter die Folge',


Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

daran, sich dessen guten Willen zu erhalten. Er füge sich darum lieber gegen
besseres Wissen und in dem Gefühle, Unrecht zu erleiden, aber er äußere seine
Nerstimmung bei den Wahlen und bei all den Gelegenheiten, wo sein freund¬
liches oder feindliches Urteil über die Negierung Ausdruck finden könne. Die
Einrichtung des Fabrikinspektors war nach deu damaligen unter dem Nord¬
deutschen Bund erlassenen Bestimmungen der Gewerbeordnung noch mehr
vorbeugender Natur, als es jetzt der Fall ist, nachdem sie im Jahre 1878 von
dem Bundesrat, und zwar im wesentlichen nach den Vorschlügen des Fürsten
Bismarck, nen organisirt worden ist. Bismarck stand allen gesetzgeberischen
und Verwnltungsmaßregeln von solcher vorbeugenden Art, also dem ganzen
Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung, nicht gerade feindlich, aber vorsichtig
gegenüber, weil jede Übertreibung hier natürlich mit Eingriffen in Privatrechte
verbunden ist, für die dann, abgesehen von ihrer Schädlichkeit für die Industrie
selbst, auch von konservativen, ruhigen und verständigen Männern die Regierung
verantwortlich gemacht zu werden pflegt. Er berief sich dabei auf seine
eignen Erfahrungen: „Ich bin in der Lage, die Wirkung unsrer gesetzgebe¬
rischen und administrativen Arbeit zu beobachten, weil ich nicht bloß der
regierenden und gesetzgeberischen Klasse angehöre, sondern auch der regierten,
und selbst fühle, wie fehlerhafte Gesetze wirken." Er fürchtete darum jedes
weitere Vorgehen in dieser Richtung und war nicht bereit, ein solches mit
seiner ministeriellen Verantwortlichkeit zu decken. „Wie weit in dieser Richtung
die Aspirationen der in unsrer Gesetzgebung entwickelten Faktoren bereits gehen,
habe ich aus dem Gesetzentwürfe entnommen, welcher unter dem Namen eines
»Fabrikgesetzes« in diesen Tagen von dem Neichskanzleramtc vorgelegt worden
ist." Für seine eigne Stellung zur Sache beruft er sich auch auf ein Schreiben
vom 30. September 1876, auf das wir noch zurückkommen werden. Im
übrigen war er der Ansicht, daß die Kämpfe der Arbeiter und Arbeitgeber sich
wesentlich nur um Lohn und Arbeitszeit drehten. Die Punkte dagegen, die
jener Gesetzentwurf ius Auge fasse, die Sorge für die körperliche Sicherheit
der Arbeiter, für die Schonung der Jugend, für die Trennung der Geschlechter,
für die Sonntagsheiligung, würden ebenso wenig den Frieden zwischen dein
Arbeiter und dem Arbeitgeber herstellen, als dies die Steigerung der Macht der
Inspektoren thue. „Im Gegenteil, jede weitere Hemmung und künstliche Be¬
schränkung im Fabrikbetriebe vermindert die Fähigkeit des Arbeitgebers zur Lohn¬
zahlung." Er scheute also jede Übertreibung. „Wenn von der Industrie alle
Gefahren, mit denen sie die Sicherheit und Gesundheit des Arbeiters bedrohen kann,
fern gehalten werden sollen, so müßte den Pulver- und Dynamitfabriken, der Ver¬
arbeitung von giftigen Stoffen und Anstrengungen, wie die der Glasfabrikation und
andrer, die eben nur eine kurze und hochbezahlte Periode eines Arbeiterlebens
hindurch ertragen werden können, schon jedes Existenzrecht versagt werden.
Schon jetzt hat die wohlwollende Sorge für jugendliche Arbeiter die Folge',


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207651"/>
          <fw type="header" place="top"> Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_966" prev="#ID_965" next="#ID_967"> daran, sich dessen guten Willen zu erhalten. Er füge sich darum lieber gegen<lb/>
besseres Wissen und in dem Gefühle, Unrecht zu erleiden, aber er äußere seine<lb/>
Nerstimmung bei den Wahlen und bei all den Gelegenheiten, wo sein freund¬<lb/>
liches oder feindliches Urteil über die Negierung Ausdruck finden könne. Die<lb/>
Einrichtung des Fabrikinspektors war nach deu damaligen unter dem Nord¬<lb/>
deutschen Bund erlassenen Bestimmungen der Gewerbeordnung noch mehr<lb/>
vorbeugender Natur, als es jetzt der Fall ist, nachdem sie im Jahre 1878 von<lb/>
dem Bundesrat, und zwar im wesentlichen nach den Vorschlügen des Fürsten<lb/>
Bismarck, nen organisirt worden ist. Bismarck stand allen gesetzgeberischen<lb/>
und Verwnltungsmaßregeln von solcher vorbeugenden Art, also dem ganzen<lb/>
Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung, nicht gerade feindlich, aber vorsichtig<lb/>
gegenüber, weil jede Übertreibung hier natürlich mit Eingriffen in Privatrechte<lb/>
verbunden ist, für die dann, abgesehen von ihrer Schädlichkeit für die Industrie<lb/>
selbst, auch von konservativen, ruhigen und verständigen Männern die Regierung<lb/>
verantwortlich gemacht zu werden pflegt. Er berief sich dabei auf seine<lb/>
eignen Erfahrungen: &#x201E;Ich bin in der Lage, die Wirkung unsrer gesetzgebe¬<lb/>
rischen und administrativen Arbeit zu beobachten, weil ich nicht bloß der<lb/>
regierenden und gesetzgeberischen Klasse angehöre, sondern auch der regierten,<lb/>
und selbst fühle, wie fehlerhafte Gesetze wirken." Er fürchtete darum jedes<lb/>
weitere Vorgehen in dieser Richtung und war nicht bereit, ein solches mit<lb/>
seiner ministeriellen Verantwortlichkeit zu decken. &#x201E;Wie weit in dieser Richtung<lb/>
die Aspirationen der in unsrer Gesetzgebung entwickelten Faktoren bereits gehen,<lb/>
habe ich aus dem Gesetzentwürfe entnommen, welcher unter dem Namen eines<lb/>
»Fabrikgesetzes« in diesen Tagen von dem Neichskanzleramtc vorgelegt worden<lb/>
ist." Für seine eigne Stellung zur Sache beruft er sich auch auf ein Schreiben<lb/>
vom 30. September 1876, auf das wir noch zurückkommen werden. Im<lb/>
übrigen war er der Ansicht, daß die Kämpfe der Arbeiter und Arbeitgeber sich<lb/>
wesentlich nur um Lohn und Arbeitszeit drehten. Die Punkte dagegen, die<lb/>
jener Gesetzentwurf ius Auge fasse, die Sorge für die körperliche Sicherheit<lb/>
der Arbeiter, für die Schonung der Jugend, für die Trennung der Geschlechter,<lb/>
für die Sonntagsheiligung, würden ebenso wenig den Frieden zwischen dein<lb/>
Arbeiter und dem Arbeitgeber herstellen, als dies die Steigerung der Macht der<lb/>
Inspektoren thue. &#x201E;Im Gegenteil, jede weitere Hemmung und künstliche Be¬<lb/>
schränkung im Fabrikbetriebe vermindert die Fähigkeit des Arbeitgebers zur Lohn¬<lb/>
zahlung." Er scheute also jede Übertreibung. &#x201E;Wenn von der Industrie alle<lb/>
Gefahren, mit denen sie die Sicherheit und Gesundheit des Arbeiters bedrohen kann,<lb/>
fern gehalten werden sollen, so müßte den Pulver- und Dynamitfabriken, der Ver¬<lb/>
arbeitung von giftigen Stoffen und Anstrengungen, wie die der Glasfabrikation und<lb/>
andrer, die eben nur eine kurze und hochbezahlte Periode eines Arbeiterlebens<lb/>
hindurch ertragen werden können, schon jedes Existenzrecht versagt werden.<lb/>
Schon jetzt hat die wohlwollende Sorge für jugendliche Arbeiter die Folge',</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung daran, sich dessen guten Willen zu erhalten. Er füge sich darum lieber gegen besseres Wissen und in dem Gefühle, Unrecht zu erleiden, aber er äußere seine Nerstimmung bei den Wahlen und bei all den Gelegenheiten, wo sein freund¬ liches oder feindliches Urteil über die Negierung Ausdruck finden könne. Die Einrichtung des Fabrikinspektors war nach deu damaligen unter dem Nord¬ deutschen Bund erlassenen Bestimmungen der Gewerbeordnung noch mehr vorbeugender Natur, als es jetzt der Fall ist, nachdem sie im Jahre 1878 von dem Bundesrat, und zwar im wesentlichen nach den Vorschlügen des Fürsten Bismarck, nen organisirt worden ist. Bismarck stand allen gesetzgeberischen und Verwnltungsmaßregeln von solcher vorbeugenden Art, also dem ganzen Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung, nicht gerade feindlich, aber vorsichtig gegenüber, weil jede Übertreibung hier natürlich mit Eingriffen in Privatrechte verbunden ist, für die dann, abgesehen von ihrer Schädlichkeit für die Industrie selbst, auch von konservativen, ruhigen und verständigen Männern die Regierung verantwortlich gemacht zu werden pflegt. Er berief sich dabei auf seine eignen Erfahrungen: „Ich bin in der Lage, die Wirkung unsrer gesetzgebe¬ rischen und administrativen Arbeit zu beobachten, weil ich nicht bloß der regierenden und gesetzgeberischen Klasse angehöre, sondern auch der regierten, und selbst fühle, wie fehlerhafte Gesetze wirken." Er fürchtete darum jedes weitere Vorgehen in dieser Richtung und war nicht bereit, ein solches mit seiner ministeriellen Verantwortlichkeit zu decken. „Wie weit in dieser Richtung die Aspirationen der in unsrer Gesetzgebung entwickelten Faktoren bereits gehen, habe ich aus dem Gesetzentwürfe entnommen, welcher unter dem Namen eines »Fabrikgesetzes« in diesen Tagen von dem Neichskanzleramtc vorgelegt worden ist." Für seine eigne Stellung zur Sache beruft er sich auch auf ein Schreiben vom 30. September 1876, auf das wir noch zurückkommen werden. Im übrigen war er der Ansicht, daß die Kämpfe der Arbeiter und Arbeitgeber sich wesentlich nur um Lohn und Arbeitszeit drehten. Die Punkte dagegen, die jener Gesetzentwurf ius Auge fasse, die Sorge für die körperliche Sicherheit der Arbeiter, für die Schonung der Jugend, für die Trennung der Geschlechter, für die Sonntagsheiligung, würden ebenso wenig den Frieden zwischen dein Arbeiter und dem Arbeitgeber herstellen, als dies die Steigerung der Macht der Inspektoren thue. „Im Gegenteil, jede weitere Hemmung und künstliche Be¬ schränkung im Fabrikbetriebe vermindert die Fähigkeit des Arbeitgebers zur Lohn¬ zahlung." Er scheute also jede Übertreibung. „Wenn von der Industrie alle Gefahren, mit denen sie die Sicherheit und Gesundheit des Arbeiters bedrohen kann, fern gehalten werden sollen, so müßte den Pulver- und Dynamitfabriken, der Ver¬ arbeitung von giftigen Stoffen und Anstrengungen, wie die der Glasfabrikation und andrer, die eben nur eine kurze und hochbezahlte Periode eines Arbeiterlebens hindurch ertragen werden können, schon jedes Existenzrecht versagt werden. Schon jetzt hat die wohlwollende Sorge für jugendliche Arbeiter die Folge',

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/356>, abgerufen am 28.12.2024.