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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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zialistisch angehauchte Thätigkeit zuzuleiten; diese Ämter sollten mit Rücksicht
auf die Schwankungen der Waren- und Lebensmittelpreise auf eine angemessene
Regelung der Lohnsätze hinwirken und überhaupt als Vermittlungsvrgan
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern dienen. So weit sind nur sogar heute
"och nicht und wollen froh sein, wenn es dem jetzigen Reichstage gelingt, durch
Schaffung von solchen Schiedsgerichten, die als Einigungsämter wirke" können,
die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital gerade da zum Ausdruck zu
bringen, wo es sich um Regelung der Arbeitszeit und des Arbeitslohnes
handelt. Gelingt die Sache, so kann sie viel dazu beitragen, die Arbeiter¬
bewegung in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Es ist das allerdings einer
der schwierigsten Punkte in der Arbeiterschutzgesetzgebung. Auch wenn das Gesetz
nut Unparteilichkeit und Sachlichkeit ausgerüstet und das Schiedsgericht, worauf
die Vorlage jetzt mit Recht besteht, dnrch die staatliche Bestätigung des Vor¬
sitzenden und durch die Unwiderruflichkeit seiner Entscheidungen gekräftigt wird,
indem eine Berufung an die Landgerichte uicht eintritt, so bleibt doch immer
das drohende Gespenst der Streiks, die jede Entscheidung schließlich illusorisch
machen. Doch gilt es auch hier deu Versuch; soll es überhaupt eine Aus¬
gleichung der streitenden Interessen geben, so ist sie nur durch diese von Bis-
warck bereits als notwendig anerkannten Schiedsgerichte möglich.

Wir kommen nun zu dem dritten Schriftstücke. Es ist datirt vom 10. Aug.
1877 und ist wieder an den Handelsminister gerichtet (damals Dr. Ueberhand).
Das Schreiben betrifft die Einrichtung der Fabrikinspektoren, worin Bismarck
"ach ihrem damaligen Bestand eine Behörde von fehlerhafter Organisation
sah. Am meisten nimmt er Anstoß an der diskretionäreu Gewalt des Fabrik-
uispektvrs. Er weist auf 5? 107 der damals bestehenden Gewerbeordnung hin,
der lautete: "Jeder Gewerbeunternehmer ist verbunden, auf seine Kosten alle
diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Riicksicht
"us die besondere Beschaffenheit des Gewerbebetriebes und der Betriebsstätte zu
thunlichster Sicherung der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit
notwendig sind." Die Entscheidung über das, was "notwendig" sei, liege
"un thatsächlich in der Hand des Fabrikinspektvrs, d. h. eines Einzelbeamten,
bon dem man nicht erwarten könne, daß er die Universalität, die für dieses Amt
notwendig sei, anch immer habe; man könne uicht erwarte", daß eine genügende
Anzahl von Beamten zur Verfügung stehe, die technisch gebildete Männer
wären und zugleich ein uicht unbedeutendes Maß von juristischen und
politischen Kenntnissen besäßen, dabei von einer solchen sozialen Bildung
nud vor allem von einer solchen Selbstbeherrschung, wie sie mit einer so
umgreifenden Stellung verbunden sein müsse. Zwar könne der Fabrikin¬
haber, wenn er sich durch die Anordnungen des Inspektors beschwert fühle,
Rekurs ergreifen, aber er werde sich in der Regel hüten, das zu thun; bei
der großen diskretivuären Gewalt des Fabrikiuspektors liege ihm vielmehr


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zialistisch angehauchte Thätigkeit zuzuleiten; diese Ämter sollten mit Rücksicht
auf die Schwankungen der Waren- und Lebensmittelpreise auf eine angemessene
Regelung der Lohnsätze hinwirken und überhaupt als Vermittlungsvrgan
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern dienen. So weit sind nur sogar heute
»och nicht und wollen froh sein, wenn es dem jetzigen Reichstage gelingt, durch
Schaffung von solchen Schiedsgerichten, die als Einigungsämter wirke» können,
die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital gerade da zum Ausdruck zu
bringen, wo es sich um Regelung der Arbeitszeit und des Arbeitslohnes
handelt. Gelingt die Sache, so kann sie viel dazu beitragen, die Arbeiter¬
bewegung in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Es ist das allerdings einer
der schwierigsten Punkte in der Arbeiterschutzgesetzgebung. Auch wenn das Gesetz
nut Unparteilichkeit und Sachlichkeit ausgerüstet und das Schiedsgericht, worauf
die Vorlage jetzt mit Recht besteht, dnrch die staatliche Bestätigung des Vor¬
sitzenden und durch die Unwiderruflichkeit seiner Entscheidungen gekräftigt wird,
indem eine Berufung an die Landgerichte uicht eintritt, so bleibt doch immer
das drohende Gespenst der Streiks, die jede Entscheidung schließlich illusorisch
machen. Doch gilt es auch hier deu Versuch; soll es überhaupt eine Aus¬
gleichung der streitenden Interessen geben, so ist sie nur durch diese von Bis-
warck bereits als notwendig anerkannten Schiedsgerichte möglich.

Wir kommen nun zu dem dritten Schriftstücke. Es ist datirt vom 10. Aug.
1877 und ist wieder an den Handelsminister gerichtet (damals Dr. Ueberhand).
Das Schreiben betrifft die Einrichtung der Fabrikinspektoren, worin Bismarck
»ach ihrem damaligen Bestand eine Behörde von fehlerhafter Organisation
sah. Am meisten nimmt er Anstoß an der diskretionäreu Gewalt des Fabrik-
uispektvrs. Er weist auf 5? 107 der damals bestehenden Gewerbeordnung hin,
der lautete: „Jeder Gewerbeunternehmer ist verbunden, auf seine Kosten alle
diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Riicksicht
"us die besondere Beschaffenheit des Gewerbebetriebes und der Betriebsstätte zu
thunlichster Sicherung der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit
notwendig sind." Die Entscheidung über das, was „notwendig" sei, liege
"un thatsächlich in der Hand des Fabrikinspektvrs, d. h. eines Einzelbeamten,
bon dem man nicht erwarten könne, daß er die Universalität, die für dieses Amt
notwendig sei, anch immer habe; man könne uicht erwarte», daß eine genügende
Anzahl von Beamten zur Verfügung stehe, die technisch gebildete Männer
wären und zugleich ein uicht unbedeutendes Maß von juristischen und
politischen Kenntnissen besäßen, dabei von einer solchen sozialen Bildung
nud vor allem von einer solchen Selbstbeherrschung, wie sie mit einer so
umgreifenden Stellung verbunden sein müsse. Zwar könne der Fabrikin¬
haber, wenn er sich durch die Anordnungen des Inspektors beschwert fühle,
Rekurs ergreifen, aber er werde sich in der Regel hüten, das zu thun; bei
der großen diskretivuären Gewalt des Fabrikiuspektors liege ihm vielmehr


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[0355] Visinarck und dio sozialpolitische GesetzgcblliilZ zialistisch angehauchte Thätigkeit zuzuleiten; diese Ämter sollten mit Rücksicht auf die Schwankungen der Waren- und Lebensmittelpreise auf eine angemessene Regelung der Lohnsätze hinwirken und überhaupt als Vermittlungsvrgan zwischen Arbeitgebern und Arbeitern dienen. So weit sind nur sogar heute »och nicht und wollen froh sein, wenn es dem jetzigen Reichstage gelingt, durch Schaffung von solchen Schiedsgerichten, die als Einigungsämter wirke» können, die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital gerade da zum Ausdruck zu bringen, wo es sich um Regelung der Arbeitszeit und des Arbeitslohnes handelt. Gelingt die Sache, so kann sie viel dazu beitragen, die Arbeiter¬ bewegung in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Es ist das allerdings einer der schwierigsten Punkte in der Arbeiterschutzgesetzgebung. Auch wenn das Gesetz nut Unparteilichkeit und Sachlichkeit ausgerüstet und das Schiedsgericht, worauf die Vorlage jetzt mit Recht besteht, dnrch die staatliche Bestätigung des Vor¬ sitzenden und durch die Unwiderruflichkeit seiner Entscheidungen gekräftigt wird, indem eine Berufung an die Landgerichte uicht eintritt, so bleibt doch immer das drohende Gespenst der Streiks, die jede Entscheidung schließlich illusorisch machen. Doch gilt es auch hier deu Versuch; soll es überhaupt eine Aus¬ gleichung der streitenden Interessen geben, so ist sie nur durch diese von Bis- warck bereits als notwendig anerkannten Schiedsgerichte möglich. Wir kommen nun zu dem dritten Schriftstücke. Es ist datirt vom 10. Aug. 1877 und ist wieder an den Handelsminister gerichtet (damals Dr. Ueberhand). Das Schreiben betrifft die Einrichtung der Fabrikinspektoren, worin Bismarck »ach ihrem damaligen Bestand eine Behörde von fehlerhafter Organisation sah. Am meisten nimmt er Anstoß an der diskretionäreu Gewalt des Fabrik- uispektvrs. Er weist auf 5? 107 der damals bestehenden Gewerbeordnung hin, der lautete: „Jeder Gewerbeunternehmer ist verbunden, auf seine Kosten alle diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Riicksicht "us die besondere Beschaffenheit des Gewerbebetriebes und der Betriebsstätte zu thunlichster Sicherung der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit notwendig sind." Die Entscheidung über das, was „notwendig" sei, liege "un thatsächlich in der Hand des Fabrikinspektvrs, d. h. eines Einzelbeamten, bon dem man nicht erwarten könne, daß er die Universalität, die für dieses Amt notwendig sei, anch immer habe; man könne uicht erwarte», daß eine genügende Anzahl von Beamten zur Verfügung stehe, die technisch gebildete Männer wären und zugleich ein uicht unbedeutendes Maß von juristischen und politischen Kenntnissen besäßen, dabei von einer solchen sozialen Bildung nud vor allem von einer solchen Selbstbeherrschung, wie sie mit einer so umgreifenden Stellung verbunden sein müsse. Zwar könne der Fabrikin¬ haber, wenn er sich durch die Anordnungen des Inspektors beschwert fühle, Rekurs ergreifen, aber er werde sich in der Regel hüten, das zu thun; bei der großen diskretivuären Gewalt des Fabrikiuspektors liege ihm vielmehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/355>, abgerufen am 22.07.2024.