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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Sittenrichter

Die Erklärung zu dieser Seltsamkeit giebt Schwarzkopfs Buch selbst.
Das Beste darin, eine beachtenswerte Talentprobe, ist die Studie "Wahn."
Hwr schildert er uns in vorwiegend monologischer Form die Entstehung des
Wahnsinns aus der Hypochondrie, Ein bis zu einer gewissen Zeit naiv
lebender junger Mensch bekommt plötzlich die Neigung, sich selbst zu beobachten,
^un ist dieses Sichbewußtwerden des eignen Denkens bei starken und gesunden
^e"scho" der Anfang aller höhern geistigen Thätigkeit, und gewiß war es
auch so bei Schwnrzkopf selbst. Dieses Sichverwundern über das Denken,
dieses Fragen nach der Art des logischen oder psychischen Vorganges, dieses
plötzliche Wissen darum: "Die Welt ist meine Vorstellung," diese Zweiteilung
Ich in Gegenstand und Beobachter ist in der neuern Philosophie der AnS-
öang aller Neuschöpfung auf wissenschaftlichem Gebiete geworden: das
^artesianische (^"ssito, srgo fumi hat hier seine Quelle. Also an sich ist diese
psychologische Erscheinung nicht nur nicht krankhaft, fondern geradezu normal,
^der, der über die menschliche Natur aus der innern Erfahrung was zu sagen
^'iß, muß dieses Erlebnis einmal in sich gehabt haben. Daß aber Schwarz¬
es nicht diese Folgerung zieht, sondern die zweite, krankhafte, die allerdings
l^nes Erlebnis zu begleiten pflegt, wie ja auch die Gelehrten- und Dichter-
Biographen viel von der Hypochondrie als zeitweiligen Leiden ihrer Helden zu
Wählen wissen: das ist sehr bezeichnend für Schwarzkopfs mit krankhafter
^iguiig sich just ans Unglück, ans Böse klammernde Phantasie. Ein gesunder
Wähler hätte uns diesen Menschen geschildert, wie er durch begeisterte
^as merkwürdige innere Erlebnis ausnutzt, um ein Mann der Wissenschaft
oder der Kunst zu werden. Es wäre in der That ja auch nur die reine
Wahrheit gewesen: Schwarzkopf selbst ist ja auch noch nicht darüber verrückt
geworden. Er aber zieht es vor, von diesem Ereignis aus den Weg zum
Wahnsinn zu verfolge,?, und thut sich noch was darauf zu gute!

Und wie in diesem Falle -- ein besserer Typus als sämtliche, die er
"umstellt hat -- benimmt sich Schwarzkopf überall. Er flößt daher bei all
Mucin Talent meist nur ein pathologisches Interesse ein. Er ist glücklich
Beobachten. Eine starke, wenn auch sehr einseitige Innerlichkeit giebt ihm
schlich Stoff für Selbstbeobachtung der schonungslosesten Art. Nur wegen
icses seines einseitigen Mittels, Kenntnisse von der menschlichen Natur zu
! unrein, kaun er keine andern Charaktere schildern als die, deren Urbild er
^ der eignen Brust trägt. Er glaubt irrigerweise schon dann menschliche
^sper zu schaffen, wenn er aus einem Zug, einer Beobachtung, einer Eigen¬
last eine ganze Persönlichkeit konstruirt. Die schlichte Einsicht, daß die
wuschen viel zusammengesetzter sind, Gutes und Böses schon nach der Bibel
Lischt in sich vereinigen, diese fehlt ihm als Darsteller; darum sind seine
^syn Begriffe, oft fein und glücklich gemachte Beobachtungen, aber um alles
Ul der Welt nicht wahre, typische Menschen. Man lese z. B. eines der


Sittenrichter

Die Erklärung zu dieser Seltsamkeit giebt Schwarzkopfs Buch selbst.
Das Beste darin, eine beachtenswerte Talentprobe, ist die Studie „Wahn."
Hwr schildert er uns in vorwiegend monologischer Form die Entstehung des
Wahnsinns aus der Hypochondrie, Ein bis zu einer gewissen Zeit naiv
lebender junger Mensch bekommt plötzlich die Neigung, sich selbst zu beobachten,
^un ist dieses Sichbewußtwerden des eignen Denkens bei starken und gesunden
^e»scho„ der Anfang aller höhern geistigen Thätigkeit, und gewiß war es
auch so bei Schwnrzkopf selbst. Dieses Sichverwundern über das Denken,
dieses Fragen nach der Art des logischen oder psychischen Vorganges, dieses
plötzliche Wissen darum: „Die Welt ist meine Vorstellung," diese Zweiteilung
Ich in Gegenstand und Beobachter ist in der neuern Philosophie der AnS-
öang aller Neuschöpfung auf wissenschaftlichem Gebiete geworden: das
^artesianische (^»ssito, srgo fumi hat hier seine Quelle. Also an sich ist diese
psychologische Erscheinung nicht nur nicht krankhaft, fondern geradezu normal,
^der, der über die menschliche Natur aus der innern Erfahrung was zu sagen
^'iß, muß dieses Erlebnis einmal in sich gehabt haben. Daß aber Schwarz¬
es nicht diese Folgerung zieht, sondern die zweite, krankhafte, die allerdings
l^nes Erlebnis zu begleiten pflegt, wie ja auch die Gelehrten- und Dichter-
Biographen viel von der Hypochondrie als zeitweiligen Leiden ihrer Helden zu
Wählen wissen: das ist sehr bezeichnend für Schwarzkopfs mit krankhafter
^iguiig sich just ans Unglück, ans Böse klammernde Phantasie. Ein gesunder
Wähler hätte uns diesen Menschen geschildert, wie er durch begeisterte
^as merkwürdige innere Erlebnis ausnutzt, um ein Mann der Wissenschaft
oder der Kunst zu werden. Es wäre in der That ja auch nur die reine
Wahrheit gewesen: Schwarzkopf selbst ist ja auch noch nicht darüber verrückt
geworden. Er aber zieht es vor, von diesem Ereignis aus den Weg zum
Wahnsinn zu verfolge,?, und thut sich noch was darauf zu gute!

Und wie in diesem Falle — ein besserer Typus als sämtliche, die er
"umstellt hat — benimmt sich Schwarzkopf überall. Er flößt daher bei all
Mucin Talent meist nur ein pathologisches Interesse ein. Er ist glücklich
Beobachten. Eine starke, wenn auch sehr einseitige Innerlichkeit giebt ihm
schlich Stoff für Selbstbeobachtung der schonungslosesten Art. Nur wegen
icses seines einseitigen Mittels, Kenntnisse von der menschlichen Natur zu
! unrein, kaun er keine andern Charaktere schildern als die, deren Urbild er
^ der eignen Brust trägt. Er glaubt irrigerweise schon dann menschliche
^sper zu schaffen, wenn er aus einem Zug, einer Beobachtung, einer Eigen¬
last eine ganze Persönlichkeit konstruirt. Die schlichte Einsicht, daß die
wuschen viel zusammengesetzter sind, Gutes und Böses schon nach der Bibel
Lischt in sich vereinigen, diese fehlt ihm als Darsteller; darum sind seine
^syn Begriffe, oft fein und glücklich gemachte Beobachtungen, aber um alles
Ul der Welt nicht wahre, typische Menschen. Man lese z. B. eines der


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[0331] Sittenrichter Die Erklärung zu dieser Seltsamkeit giebt Schwarzkopfs Buch selbst. Das Beste darin, eine beachtenswerte Talentprobe, ist die Studie „Wahn." Hwr schildert er uns in vorwiegend monologischer Form die Entstehung des Wahnsinns aus der Hypochondrie, Ein bis zu einer gewissen Zeit naiv lebender junger Mensch bekommt plötzlich die Neigung, sich selbst zu beobachten, ^un ist dieses Sichbewußtwerden des eignen Denkens bei starken und gesunden ^e»scho„ der Anfang aller höhern geistigen Thätigkeit, und gewiß war es auch so bei Schwnrzkopf selbst. Dieses Sichverwundern über das Denken, dieses Fragen nach der Art des logischen oder psychischen Vorganges, dieses plötzliche Wissen darum: „Die Welt ist meine Vorstellung," diese Zweiteilung Ich in Gegenstand und Beobachter ist in der neuern Philosophie der AnS- öang aller Neuschöpfung auf wissenschaftlichem Gebiete geworden: das ^artesianische (^»ssito, srgo fumi hat hier seine Quelle. Also an sich ist diese psychologische Erscheinung nicht nur nicht krankhaft, fondern geradezu normal, ^der, der über die menschliche Natur aus der innern Erfahrung was zu sagen ^'iß, muß dieses Erlebnis einmal in sich gehabt haben. Daß aber Schwarz¬ es nicht diese Folgerung zieht, sondern die zweite, krankhafte, die allerdings l^nes Erlebnis zu begleiten pflegt, wie ja auch die Gelehrten- und Dichter- Biographen viel von der Hypochondrie als zeitweiligen Leiden ihrer Helden zu Wählen wissen: das ist sehr bezeichnend für Schwarzkopfs mit krankhafter ^iguiig sich just ans Unglück, ans Böse klammernde Phantasie. Ein gesunder Wähler hätte uns diesen Menschen geschildert, wie er durch begeisterte ^as merkwürdige innere Erlebnis ausnutzt, um ein Mann der Wissenschaft oder der Kunst zu werden. Es wäre in der That ja auch nur die reine Wahrheit gewesen: Schwarzkopf selbst ist ja auch noch nicht darüber verrückt geworden. Er aber zieht es vor, von diesem Ereignis aus den Weg zum Wahnsinn zu verfolge,?, und thut sich noch was darauf zu gute! Und wie in diesem Falle — ein besserer Typus als sämtliche, die er "umstellt hat — benimmt sich Schwarzkopf überall. Er flößt daher bei all Mucin Talent meist nur ein pathologisches Interesse ein. Er ist glücklich Beobachten. Eine starke, wenn auch sehr einseitige Innerlichkeit giebt ihm schlich Stoff für Selbstbeobachtung der schonungslosesten Art. Nur wegen icses seines einseitigen Mittels, Kenntnisse von der menschlichen Natur zu ! unrein, kaun er keine andern Charaktere schildern als die, deren Urbild er ^ der eignen Brust trägt. Er glaubt irrigerweise schon dann menschliche ^sper zu schaffen, wenn er aus einem Zug, einer Beobachtung, einer Eigen¬ last eine ganze Persönlichkeit konstruirt. Die schlichte Einsicht, daß die wuschen viel zusammengesetzter sind, Gutes und Böses schon nach der Bibel Lischt in sich vereinigen, diese fehlt ihm als Darsteller; darum sind seine ^syn Begriffe, oft fein und glücklich gemachte Beobachtungen, aber um alles Ul der Welt nicht wahre, typische Menschen. Man lese z. B. eines der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/331>, abgerufen am 27.06.2024.