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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

erträglichste!?, weil doch noch mit einiger Wärme schließenden Kapitel: "Die
Anempfindcrin." Daß die weiche Schmiegsamkeit des Weibes und seine Fähig¬
keit, in der Geisteswelt des geliebten Mannes aufzugehen, eine der wesentlichsten
Grundlagen ehelichen Glückes ist, das ist zwar keine Entdeckung, aber eine
Wahrheit. Um diese Wahrheit zu veranschaulichen, erzählt Schwarzkopf die
Geschichte einer Frau, die nach einander einen Gelehrten, einen Kaufmann,
einen Advokaten und einen Politiker liebt, den ersten als Bruder, die zwei
andern als Gatten, den vierten als Sohn, und nun soll dieser abstrakte
Hnnbenstock für eine am ganzen weiblichen Geschlechte gemachte Beobachtung
ein moderner Typus sein! Das ist eine geistreiche Geschmacklosigkeit. Und
dergleichen Kunststücke weist das Buch eine ganze Reihe auf. Man muß das
Bestreben Schwarzkopfs, aus der Welt der Geldjäger, Theaterdamen, Streber,
kurz des großstädtischen Sumpfes sich herauszuarbeiten, anerkennen. Aber
es bleibt ihm uoch viel zu thun übrig. Er muß sich selbst umwandeln, er
muß die Grundlage seiner Weltanschauung erneuern, er muß sich Gemüt und
Herz freier, weiter stimmen, er muß erkennen, daß die Wahrheit des Lebens
niemals vom galligen, sondern vom begeisterten Ange erfaßt wird: dann wird
sich sein Talent zu erquicklicheren Leistungen erheben können. Vorläufig ist
er nur das bittere Original im Kreise seiner flachern Genossen.


M. N.


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Herr von Bodelschwingh

als Unterstützer der Streiks, das klingt sonderbar,
und doch ist es wahr. Das Bodclschwinghsche System der Verpflegnngsstationen
ist ein idealer Gedanke; daß es aber neben seinen guten Früchten, seitdem sich das
Sieh der Verpflegnngsstativnen über Westfalen hinaus in ganz Deutschland aus¬
gebreitet hat, auch bedenkliche Folgen nach sich ziehen kann, haben lebhafte Freunde
der Einrichtung, wie z. B. der Oberregierungsrat von Massow zu Lüneburg, stlM
mehrfach öffentlich dargelegt. Es hat sich durch die Möglichkeit, Verpflegung S"
erhalten, ohne sich legitimiren zu müssen nud ohne einer zeitlichen Beschränkung
ausgesetzt zu sein, allmählich eine Klasse von Herumtreibern gebildet, die mit dein
Namen Stationsbnmmler belegt werden und sich arbeitsscheu von Station zu
Station begeben, überall Nerpflegnng erhaltend. Ganz besonders aber macht sich
diese Wirkung zur Zeit von Arbeilsauöständen geltend, indem die Gesellen, die die
Arbeit eingestellt haben, nun auf Rechnung der Verpflegnngsstativnen umherziehen
und daneben womöglich noch ihre Streiluntcrstütznng erhalten. Nun soll keineswegs


Maßgebliches und Unmaßgebliches

erträglichste!?, weil doch noch mit einiger Wärme schließenden Kapitel: „Die
Anempfindcrin." Daß die weiche Schmiegsamkeit des Weibes und seine Fähig¬
keit, in der Geisteswelt des geliebten Mannes aufzugehen, eine der wesentlichsten
Grundlagen ehelichen Glückes ist, das ist zwar keine Entdeckung, aber eine
Wahrheit. Um diese Wahrheit zu veranschaulichen, erzählt Schwarzkopf die
Geschichte einer Frau, die nach einander einen Gelehrten, einen Kaufmann,
einen Advokaten und einen Politiker liebt, den ersten als Bruder, die zwei
andern als Gatten, den vierten als Sohn, und nun soll dieser abstrakte
Hnnbenstock für eine am ganzen weiblichen Geschlechte gemachte Beobachtung
ein moderner Typus sein! Das ist eine geistreiche Geschmacklosigkeit. Und
dergleichen Kunststücke weist das Buch eine ganze Reihe auf. Man muß das
Bestreben Schwarzkopfs, aus der Welt der Geldjäger, Theaterdamen, Streber,
kurz des großstädtischen Sumpfes sich herauszuarbeiten, anerkennen. Aber
es bleibt ihm uoch viel zu thun übrig. Er muß sich selbst umwandeln, er
muß die Grundlage seiner Weltanschauung erneuern, er muß sich Gemüt und
Herz freier, weiter stimmen, er muß erkennen, daß die Wahrheit des Lebens
niemals vom galligen, sondern vom begeisterten Ange erfaßt wird: dann wird
sich sein Talent zu erquicklicheren Leistungen erheben können. Vorläufig ist
er nur das bittere Original im Kreise seiner flachern Genossen.


M. N.


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Herr von Bodelschwingh

als Unterstützer der Streiks, das klingt sonderbar,
und doch ist es wahr. Das Bodclschwinghsche System der Verpflegnngsstationen
ist ein idealer Gedanke; daß es aber neben seinen guten Früchten, seitdem sich das
Sieh der Verpflegnngsstativnen über Westfalen hinaus in ganz Deutschland aus¬
gebreitet hat, auch bedenkliche Folgen nach sich ziehen kann, haben lebhafte Freunde
der Einrichtung, wie z. B. der Oberregierungsrat von Massow zu Lüneburg, stlM
mehrfach öffentlich dargelegt. Es hat sich durch die Möglichkeit, Verpflegung S»
erhalten, ohne sich legitimiren zu müssen nud ohne einer zeitlichen Beschränkung
ausgesetzt zu sein, allmählich eine Klasse von Herumtreibern gebildet, die mit dein
Namen Stationsbnmmler belegt werden und sich arbeitsscheu von Station zu
Station begeben, überall Nerpflegnng erhaltend. Ganz besonders aber macht sich
diese Wirkung zur Zeit von Arbeilsauöständen geltend, indem die Gesellen, die die
Arbeit eingestellt haben, nun auf Rechnung der Verpflegnngsstativnen umherziehen
und daneben womöglich noch ihre Streiluntcrstütznng erhalten. Nun soll keineswegs


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[0332] Maßgebliches und Unmaßgebliches erträglichste!?, weil doch noch mit einiger Wärme schließenden Kapitel: „Die Anempfindcrin." Daß die weiche Schmiegsamkeit des Weibes und seine Fähig¬ keit, in der Geisteswelt des geliebten Mannes aufzugehen, eine der wesentlichsten Grundlagen ehelichen Glückes ist, das ist zwar keine Entdeckung, aber eine Wahrheit. Um diese Wahrheit zu veranschaulichen, erzählt Schwarzkopf die Geschichte einer Frau, die nach einander einen Gelehrten, einen Kaufmann, einen Advokaten und einen Politiker liebt, den ersten als Bruder, die zwei andern als Gatten, den vierten als Sohn, und nun soll dieser abstrakte Hnnbenstock für eine am ganzen weiblichen Geschlechte gemachte Beobachtung ein moderner Typus sein! Das ist eine geistreiche Geschmacklosigkeit. Und dergleichen Kunststücke weist das Buch eine ganze Reihe auf. Man muß das Bestreben Schwarzkopfs, aus der Welt der Geldjäger, Theaterdamen, Streber, kurz des großstädtischen Sumpfes sich herauszuarbeiten, anerkennen. Aber es bleibt ihm uoch viel zu thun übrig. Er muß sich selbst umwandeln, er muß die Grundlage seiner Weltanschauung erneuern, er muß sich Gemüt und Herz freier, weiter stimmen, er muß erkennen, daß die Wahrheit des Lebens niemals vom galligen, sondern vom begeisterten Ange erfaßt wird: dann wird sich sein Talent zu erquicklicheren Leistungen erheben können. Vorläufig ist er nur das bittere Original im Kreise seiner flachern Genossen. M. N. Maßgebliches und Unmaßgebliches Herr von Bodelschwingh als Unterstützer der Streiks, das klingt sonderbar, und doch ist es wahr. Das Bodclschwinghsche System der Verpflegnngsstationen ist ein idealer Gedanke; daß es aber neben seinen guten Früchten, seitdem sich das Sieh der Verpflegnngsstativnen über Westfalen hinaus in ganz Deutschland aus¬ gebreitet hat, auch bedenkliche Folgen nach sich ziehen kann, haben lebhafte Freunde der Einrichtung, wie z. B. der Oberregierungsrat von Massow zu Lüneburg, stlM mehrfach öffentlich dargelegt. Es hat sich durch die Möglichkeit, Verpflegung S» erhalten, ohne sich legitimiren zu müssen nud ohne einer zeitlichen Beschränkung ausgesetzt zu sein, allmählich eine Klasse von Herumtreibern gebildet, die mit dein Namen Stationsbnmmler belegt werden und sich arbeitsscheu von Station zu Station begeben, überall Nerpflegnng erhaltend. Ganz besonders aber macht sich diese Wirkung zur Zeit von Arbeilsauöständen geltend, indem die Gesellen, die die Arbeit eingestellt haben, nun auf Rechnung der Verpflegnngsstativnen umherziehen und daneben womöglich noch ihre Streiluntcrstütznng erhalten. Nun soll keineswegs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/332>, abgerufen am 21.06.2024.