Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sittenrichter

psychologischen Studien zeugt, mangelt es der Darstellung Mauthuers an
Plastik: er denkt ebeu nur und schaut nicht; häufig genug erkennt man deu
Erzähler hinter der Maske seiner Gestalten.

Ein einigermaßen Mauthuer verwandter Geist ist Gustav Schwarzkopf,
von dem eine neue Sammlung "novellistischer Studien": Moderne Type"
(Stuttgart, Bonz, 1890) vorliegt. Auch Schwarzkopf ist Sittenrichter, auch
er ein scharfer und analytischer Geist der Beobachtung. Aber er steht doch
unter Mauthuer, nicht bloß was Wissen und Bildung betrifft, nicht bloß
in dem Reichtum der Erscheinungen und Charaktere, die er begreift, soudern
auch wesentlich als Mensch in der geringern Freiheit und Liebenswürdigkeit
des Gemütes. Mauthuer hat in der vornehmen sokratischen Ironie ein Ventil
für seinen sittlichen Zorn gefunden und damit wenigstens eine Stufe künst¬
lerischer Weltbetrachtung erreicht. Schwarzkopf versucht es wohl, ironisch zu
sein, aber es gelingt ihm nur mit knapper Not, er bleibt im moralische"
Grimm stecken, und er hat für die großen und kleinen Schwachen der Menschen
nur einen bittern Ton übrig, der ans die Dauer langweilt. Daher kommt es,
daß man sich hier noch öfter fragt als bei Mauthner, wie es denn einem
ernsten Manne Befriedigung gewähren könne, mit solchem Fleiß die erbärm¬
lichsten Erscheinungen des Großstadtlebens zu studiren und zu verfolgen?
Ob denn die sittliche Entrüstung, wenn sie schon in einem kocht, nicht M
wichtigere, bedeutendere, schädlichere Dinge aufgespart werden sollte, als M
das Treiben dummer, eitler, selbstsüchtiger Weiber und Männer? Wie man
sich nur in solche Kleinigkeiten verbeißen kann?

Schwarzkopf ist ein Mann, der, wo er hinschaut, keine Charaktere findet,
oder richtiger keine sittliche Kraft finden zu können glaubt. Er sieht sie nicht,
er hat wohl auch nicht das Organ, sie zu sehen, und daraus schließt er: sie
ist nicht da. Was er sieht, ist nur Strebertum, Schwäche, Eitelkeit, Dummheit,
Selbstsucht, gemeine Goldjagd. Ihm ist es eine ausgemachte Thatsache, daß
alles äußere Glück nnr dem Zufall zu verdanken sei. Wer eine hohe Stellung
erklommen hat, ist nicht der Begabteste, sondern der von Familienrücksichten,
vom Reichtum, vom blinden Ungefähr begünstigte gewesen. Die Meinungen
darüber ändern sich nur nach dem Standpunkte, deu man einnimmt: wer unten
an der Leiter des Glückes steht (das nach Schwarzkopfs Überzeugung nur lM
Besitze von Gold und Macht bestehen kann), der schimpft wie ein Rohrspatz
auf die Streber, ans die glücklichen Schurken von Nebenbuhlern; oben ange¬
langt, gesteht derselbe Mensch sich ein, daß er auch uicht besser als die Be¬
schimpften ist. Die ganze Philosophie Schwarzkvpfs erschöpft sich also in dem
Studium des Egoismus und der Schwäche der Menschen; der ganze Reichtum
der menschlichen Natur, den Kunst und Wissenschaft Jahrtausende hindurch nicht er¬
schöpfen konnten, schrumpft vor diesem Ange auf diese zwei Eigenschaften zusammen,
die in allen ihren Äußerungen zu studiren er ein eigentümliches Vergnügen hat-


Sittenrichter

psychologischen Studien zeugt, mangelt es der Darstellung Mauthuers an
Plastik: er denkt ebeu nur und schaut nicht; häufig genug erkennt man deu
Erzähler hinter der Maske seiner Gestalten.

Ein einigermaßen Mauthuer verwandter Geist ist Gustav Schwarzkopf,
von dem eine neue Sammlung „novellistischer Studien": Moderne Type»
(Stuttgart, Bonz, 1890) vorliegt. Auch Schwarzkopf ist Sittenrichter, auch
er ein scharfer und analytischer Geist der Beobachtung. Aber er steht doch
unter Mauthuer, nicht bloß was Wissen und Bildung betrifft, nicht bloß
in dem Reichtum der Erscheinungen und Charaktere, die er begreift, soudern
auch wesentlich als Mensch in der geringern Freiheit und Liebenswürdigkeit
des Gemütes. Mauthuer hat in der vornehmen sokratischen Ironie ein Ventil
für seinen sittlichen Zorn gefunden und damit wenigstens eine Stufe künst¬
lerischer Weltbetrachtung erreicht. Schwarzkopf versucht es wohl, ironisch zu
sein, aber es gelingt ihm nur mit knapper Not, er bleibt im moralische»
Grimm stecken, und er hat für die großen und kleinen Schwachen der Menschen
nur einen bittern Ton übrig, der ans die Dauer langweilt. Daher kommt es,
daß man sich hier noch öfter fragt als bei Mauthner, wie es denn einem
ernsten Manne Befriedigung gewähren könne, mit solchem Fleiß die erbärm¬
lichsten Erscheinungen des Großstadtlebens zu studiren und zu verfolgen?
Ob denn die sittliche Entrüstung, wenn sie schon in einem kocht, nicht M
wichtigere, bedeutendere, schädlichere Dinge aufgespart werden sollte, als M
das Treiben dummer, eitler, selbstsüchtiger Weiber und Männer? Wie man
sich nur in solche Kleinigkeiten verbeißen kann?

Schwarzkopf ist ein Mann, der, wo er hinschaut, keine Charaktere findet,
oder richtiger keine sittliche Kraft finden zu können glaubt. Er sieht sie nicht,
er hat wohl auch nicht das Organ, sie zu sehen, und daraus schließt er: sie
ist nicht da. Was er sieht, ist nur Strebertum, Schwäche, Eitelkeit, Dummheit,
Selbstsucht, gemeine Goldjagd. Ihm ist es eine ausgemachte Thatsache, daß
alles äußere Glück nnr dem Zufall zu verdanken sei. Wer eine hohe Stellung
erklommen hat, ist nicht der Begabteste, sondern der von Familienrücksichten,
vom Reichtum, vom blinden Ungefähr begünstigte gewesen. Die Meinungen
darüber ändern sich nur nach dem Standpunkte, deu man einnimmt: wer unten
an der Leiter des Glückes steht (das nach Schwarzkopfs Überzeugung nur lM
Besitze von Gold und Macht bestehen kann), der schimpft wie ein Rohrspatz
auf die Streber, ans die glücklichen Schurken von Nebenbuhlern; oben ange¬
langt, gesteht derselbe Mensch sich ein, daß er auch uicht besser als die Be¬
schimpften ist. Die ganze Philosophie Schwarzkvpfs erschöpft sich also in dem
Studium des Egoismus und der Schwäche der Menschen; der ganze Reichtum
der menschlichen Natur, den Kunst und Wissenschaft Jahrtausende hindurch nicht er¬
schöpfen konnten, schrumpft vor diesem Ange auf diese zwei Eigenschaften zusammen,
die in allen ihren Äußerungen zu studiren er ein eigentümliches Vergnügen hat-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207625"/>
          <fw type="header" place="top"> Sittenrichter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_910" prev="#ID_909"> psychologischen Studien zeugt, mangelt es der Darstellung Mauthuers an<lb/>
Plastik: er denkt ebeu nur und schaut nicht; häufig genug erkennt man deu<lb/>
Erzähler hinter der Maske seiner Gestalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_911"> Ein einigermaßen Mauthuer verwandter Geist ist Gustav Schwarzkopf,<lb/>
von dem eine neue Sammlung &#x201E;novellistischer Studien": Moderne Type»<lb/>
(Stuttgart, Bonz, 1890) vorliegt. Auch Schwarzkopf ist Sittenrichter, auch<lb/>
er ein scharfer und analytischer Geist der Beobachtung. Aber er steht doch<lb/>
unter Mauthuer, nicht bloß was Wissen und Bildung betrifft, nicht bloß<lb/>
in dem Reichtum der Erscheinungen und Charaktere, die er begreift, soudern<lb/>
auch wesentlich als Mensch in der geringern Freiheit und Liebenswürdigkeit<lb/>
des Gemütes. Mauthuer hat in der vornehmen sokratischen Ironie ein Ventil<lb/>
für seinen sittlichen Zorn gefunden und damit wenigstens eine Stufe künst¬<lb/>
lerischer Weltbetrachtung erreicht. Schwarzkopf versucht es wohl, ironisch zu<lb/>
sein, aber es gelingt ihm nur mit knapper Not, er bleibt im moralische»<lb/>
Grimm stecken, und er hat für die großen und kleinen Schwachen der Menschen<lb/>
nur einen bittern Ton übrig, der ans die Dauer langweilt. Daher kommt es,<lb/>
daß man sich hier noch öfter fragt als bei Mauthner, wie es denn einem<lb/>
ernsten Manne Befriedigung gewähren könne, mit solchem Fleiß die erbärm¬<lb/>
lichsten Erscheinungen des Großstadtlebens zu studiren und zu verfolgen?<lb/>
Ob denn die sittliche Entrüstung, wenn sie schon in einem kocht, nicht M<lb/>
wichtigere, bedeutendere, schädlichere Dinge aufgespart werden sollte, als M<lb/>
das Treiben dummer, eitler, selbstsüchtiger Weiber und Männer? Wie man<lb/>
sich nur in solche Kleinigkeiten verbeißen kann?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_912"> Schwarzkopf ist ein Mann, der, wo er hinschaut, keine Charaktere findet,<lb/>
oder richtiger keine sittliche Kraft finden zu können glaubt. Er sieht sie nicht,<lb/>
er hat wohl auch nicht das Organ, sie zu sehen, und daraus schließt er: sie<lb/>
ist nicht da. Was er sieht, ist nur Strebertum, Schwäche, Eitelkeit, Dummheit,<lb/>
Selbstsucht, gemeine Goldjagd. Ihm ist es eine ausgemachte Thatsache, daß<lb/>
alles äußere Glück nnr dem Zufall zu verdanken sei. Wer eine hohe Stellung<lb/>
erklommen hat, ist nicht der Begabteste, sondern der von Familienrücksichten,<lb/>
vom Reichtum, vom blinden Ungefähr begünstigte gewesen. Die Meinungen<lb/>
darüber ändern sich nur nach dem Standpunkte, deu man einnimmt: wer unten<lb/>
an der Leiter des Glückes steht (das nach Schwarzkopfs Überzeugung nur lM<lb/>
Besitze von Gold und Macht bestehen kann), der schimpft wie ein Rohrspatz<lb/>
auf die Streber, ans die glücklichen Schurken von Nebenbuhlern; oben ange¬<lb/>
langt, gesteht derselbe Mensch sich ein, daß er auch uicht besser als die Be¬<lb/>
schimpften ist. Die ganze Philosophie Schwarzkvpfs erschöpft sich also in dem<lb/>
Studium des Egoismus und der Schwäche der Menschen; der ganze Reichtum<lb/>
der menschlichen Natur, den Kunst und Wissenschaft Jahrtausende hindurch nicht er¬<lb/>
schöpfen konnten, schrumpft vor diesem Ange auf diese zwei Eigenschaften zusammen,<lb/>
die in allen ihren Äußerungen zu studiren er ein eigentümliches Vergnügen hat-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] Sittenrichter psychologischen Studien zeugt, mangelt es der Darstellung Mauthuers an Plastik: er denkt ebeu nur und schaut nicht; häufig genug erkennt man deu Erzähler hinter der Maske seiner Gestalten. Ein einigermaßen Mauthuer verwandter Geist ist Gustav Schwarzkopf, von dem eine neue Sammlung „novellistischer Studien": Moderne Type» (Stuttgart, Bonz, 1890) vorliegt. Auch Schwarzkopf ist Sittenrichter, auch er ein scharfer und analytischer Geist der Beobachtung. Aber er steht doch unter Mauthuer, nicht bloß was Wissen und Bildung betrifft, nicht bloß in dem Reichtum der Erscheinungen und Charaktere, die er begreift, soudern auch wesentlich als Mensch in der geringern Freiheit und Liebenswürdigkeit des Gemütes. Mauthuer hat in der vornehmen sokratischen Ironie ein Ventil für seinen sittlichen Zorn gefunden und damit wenigstens eine Stufe künst¬ lerischer Weltbetrachtung erreicht. Schwarzkopf versucht es wohl, ironisch zu sein, aber es gelingt ihm nur mit knapper Not, er bleibt im moralische» Grimm stecken, und er hat für die großen und kleinen Schwachen der Menschen nur einen bittern Ton übrig, der ans die Dauer langweilt. Daher kommt es, daß man sich hier noch öfter fragt als bei Mauthner, wie es denn einem ernsten Manne Befriedigung gewähren könne, mit solchem Fleiß die erbärm¬ lichsten Erscheinungen des Großstadtlebens zu studiren und zu verfolgen? Ob denn die sittliche Entrüstung, wenn sie schon in einem kocht, nicht M wichtigere, bedeutendere, schädlichere Dinge aufgespart werden sollte, als M das Treiben dummer, eitler, selbstsüchtiger Weiber und Männer? Wie man sich nur in solche Kleinigkeiten verbeißen kann? Schwarzkopf ist ein Mann, der, wo er hinschaut, keine Charaktere findet, oder richtiger keine sittliche Kraft finden zu können glaubt. Er sieht sie nicht, er hat wohl auch nicht das Organ, sie zu sehen, und daraus schließt er: sie ist nicht da. Was er sieht, ist nur Strebertum, Schwäche, Eitelkeit, Dummheit, Selbstsucht, gemeine Goldjagd. Ihm ist es eine ausgemachte Thatsache, daß alles äußere Glück nnr dem Zufall zu verdanken sei. Wer eine hohe Stellung erklommen hat, ist nicht der Begabteste, sondern der von Familienrücksichten, vom Reichtum, vom blinden Ungefähr begünstigte gewesen. Die Meinungen darüber ändern sich nur nach dem Standpunkte, deu man einnimmt: wer unten an der Leiter des Glückes steht (das nach Schwarzkopfs Überzeugung nur lM Besitze von Gold und Macht bestehen kann), der schimpft wie ein Rohrspatz auf die Streber, ans die glücklichen Schurken von Nebenbuhlern; oben ange¬ langt, gesteht derselbe Mensch sich ein, daß er auch uicht besser als die Be¬ schimpften ist. Die ganze Philosophie Schwarzkvpfs erschöpft sich also in dem Studium des Egoismus und der Schwäche der Menschen; der ganze Reichtum der menschlichen Natur, den Kunst und Wissenschaft Jahrtausende hindurch nicht er¬ schöpfen konnten, schrumpft vor diesem Ange auf diese zwei Eigenschaften zusammen, die in allen ihren Äußerungen zu studiren er ein eigentümliches Vergnügen hat-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/330>, abgerufen am 28.12.2024.