Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Sittenrichter Positives Ideal über seine unerquickliche Welt zu erheben; er ist eben kein Grenzboten II 1890 11
Sittenrichter Positives Ideal über seine unerquickliche Welt zu erheben; er ist eben kein Grenzboten II 1890 11
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207624"/> <fw type="header" place="top"> Sittenrichter</fw><lb/> <p xml:id="ID_909" prev="#ID_908" next="#ID_910"> Positives Ideal über seine unerquickliche Welt zu erheben; er ist eben kein<lb/> Dichter, sonder» ein satirischer Moralist; aber er findet doch in einer schneidigen<lb/> Ironie den richtigen Ton, mit dem man über solche Welt zur Tagesordnung<lb/> hüiwegschreitet. Nur könnte man sich fragen, ob es nötig war, erst mit so<lb/> viel Umständlichkeit dahin zu kommen? Im ersten Roman „Quartett" gilt die<lb/> Satire dem Börsengetriebe, dem Jvbbertnm, dem Aktienschwindel. Im zweiten<lb/> Roman „Fanfare" ist die niedere Journalistik, der Jnseratenhandel, die Macht<lb/> der Reklame, der Handel mit Lob und Tadel, mit Talent und Gewissen ein¬<lb/> gehend und geistreich gegeißelt. Es fehlt- auch nicht die typische Figur des<lb/> jüdischen Jnseratenagenten, der sich zum eigentlichen Hausgeist der „Fanfare"<lb/> aufschwingt. Die Gestalt des brutalen Zeitnngsspeknlanten Gottlob Mettmann<lb/> und die des gegen sein Gewissen mitthuenden Gelehrten Bode sind meisterliche<lb/> Satiren. Im dritten Bande „Billenhvf" wird die Heuchelei der Vereiuswvhl-<lb/> Wtigkeit gegeißelt. Neu ist die Kritik aller dieser Erscheinungen des gro߬<lb/> städtischen Treibens nicht. Wenn man sich aber einmal drein gesunden hat,<lb/> ^ueist in einer Gesellschaft zu verweilen, die einem gründlich widerwärtig sein<lb/> '"uß, dann wird man den Romanen Mnnthners doch auch ihre guten Seiten<lb/> zuerkennen. Einzelne Teile, wie die Schilderung des Höllenlärms im Börseu¬<lb/> saale im „Quartett," das Grüuderfestessen ebenda, die Schilderung des Banketts<lb/> „Fanfare" im großen Biergarteu, die Schilderung des Wvhlthätigkeits-<lb/> "azars, des burlesken Balls weit draußen in einer Schenke eines Berliner<lb/> Vorortes im „Villenhvf," ja selbst die verfängliche und doch rein ästhetisch<lb/> gehaltene Mvdellszene zwischen Leontine und Reinhold sind sehr wohl gelungen<lb/> und bleiben in der Erinnerung haften. Ferner ist es eigentümlich für Mnnthners<lb/> ^gnbung, daß er ironische Charaktere, die parvdistisch die Wahrheit sagen und<lb/> sich über sich selbst lustig machen, wie z. B. Jakubowski im „Quartett," Re¬<lb/> dakteur Bode in der „Fanfare," sehr hübsch zeichnet. Auch die Darstellung der<lb/> ^mstler, des schwachen und guten Musikers Gruber, des Malers Disselhoff<lb/> Fanfare) und des naiv ehrlichen jungen Genius Reinhold muß wegen ihrer<lb/> ^arwe hervorgehoben werden. Eine der feinsten Figuren ist die des abgelebten<lb/> ^fen Trieuitz im „Villenhof," dessen Kunstbegeisternng das einzige echte<lb/> ^übt ist, das er sich noch hat bewahren können. Also: an Geist mangelt<lb/> , »ritz Mauthner nicht, wohl aber an wahrer Poesie. So lange sich<lb/> ^ne Erzählung durch bloße Denkarbeit machen läßt, gelingt sie ihm; aber<lb/> Freude um Znständlichen, an der Situation, an der naiven Äußerung<lb/> ^ Menschlichen Natur vermag er nicht zu bereiten. Er fesselt und belustigt<lb/> ^'h die schlau geflochtene Intrigue, aber nicht durch die Kunst der Darstellung.<lb/> ist viel zu dialektisch und viel zu wenig aus der Anschauung ge-<lb/> "!>en. Mnnthners Objektivität ist nur scheinbar: die des Ironikers, nicht die<lb/> r,s Künstlers, die besser mit dem deutschen Worte „Gegenständlichkeit" be-<lb/> ^'ehret wird. Trotz aller Sorgfalt in der Charakteristik, die von reichen°</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1890 11</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0329]
Sittenrichter
Positives Ideal über seine unerquickliche Welt zu erheben; er ist eben kein
Dichter, sonder» ein satirischer Moralist; aber er findet doch in einer schneidigen
Ironie den richtigen Ton, mit dem man über solche Welt zur Tagesordnung
hüiwegschreitet. Nur könnte man sich fragen, ob es nötig war, erst mit so
viel Umständlichkeit dahin zu kommen? Im ersten Roman „Quartett" gilt die
Satire dem Börsengetriebe, dem Jvbbertnm, dem Aktienschwindel. Im zweiten
Roman „Fanfare" ist die niedere Journalistik, der Jnseratenhandel, die Macht
der Reklame, der Handel mit Lob und Tadel, mit Talent und Gewissen ein¬
gehend und geistreich gegeißelt. Es fehlt- auch nicht die typische Figur des
jüdischen Jnseratenagenten, der sich zum eigentlichen Hausgeist der „Fanfare"
aufschwingt. Die Gestalt des brutalen Zeitnngsspeknlanten Gottlob Mettmann
und die des gegen sein Gewissen mitthuenden Gelehrten Bode sind meisterliche
Satiren. Im dritten Bande „Billenhvf" wird die Heuchelei der Vereiuswvhl-
Wtigkeit gegeißelt. Neu ist die Kritik aller dieser Erscheinungen des gro߬
städtischen Treibens nicht. Wenn man sich aber einmal drein gesunden hat,
^ueist in einer Gesellschaft zu verweilen, die einem gründlich widerwärtig sein
'"uß, dann wird man den Romanen Mnnthners doch auch ihre guten Seiten
zuerkennen. Einzelne Teile, wie die Schilderung des Höllenlärms im Börseu¬
saale im „Quartett," das Grüuderfestessen ebenda, die Schilderung des Banketts
„Fanfare" im großen Biergarteu, die Schilderung des Wvhlthätigkeits-
"azars, des burlesken Balls weit draußen in einer Schenke eines Berliner
Vorortes im „Villenhvf," ja selbst die verfängliche und doch rein ästhetisch
gehaltene Mvdellszene zwischen Leontine und Reinhold sind sehr wohl gelungen
und bleiben in der Erinnerung haften. Ferner ist es eigentümlich für Mnnthners
^gnbung, daß er ironische Charaktere, die parvdistisch die Wahrheit sagen und
sich über sich selbst lustig machen, wie z. B. Jakubowski im „Quartett," Re¬
dakteur Bode in der „Fanfare," sehr hübsch zeichnet. Auch die Darstellung der
^mstler, des schwachen und guten Musikers Gruber, des Malers Disselhoff
Fanfare) und des naiv ehrlichen jungen Genius Reinhold muß wegen ihrer
^arwe hervorgehoben werden. Eine der feinsten Figuren ist die des abgelebten
^fen Trieuitz im „Villenhof," dessen Kunstbegeisternng das einzige echte
^übt ist, das er sich noch hat bewahren können. Also: an Geist mangelt
, »ritz Mauthner nicht, wohl aber an wahrer Poesie. So lange sich
^ne Erzählung durch bloße Denkarbeit machen läßt, gelingt sie ihm; aber
Freude um Znständlichen, an der Situation, an der naiven Äußerung
^ Menschlichen Natur vermag er nicht zu bereiten. Er fesselt und belustigt
^'h die schlau geflochtene Intrigue, aber nicht durch die Kunst der Darstellung.
ist viel zu dialektisch und viel zu wenig aus der Anschauung ge-
"!>en. Mnnthners Objektivität ist nur scheinbar: die des Ironikers, nicht die
r,s Künstlers, die besser mit dem deutschen Worte „Gegenständlichkeit" be-
^'ehret wird. Trotz aller Sorgfalt in der Charakteristik, die von reichen°
Grenzboten II 1890 11
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