Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lhre

Zusammentreffen mit jenen "Simili-Offizieren," wie sie ein Rezensent treffend
genannt hat, soll doch nicht dafür gelten, das sind gar keine Gegner. Aber
in den glänzenden Salons des Kommerzienrates hätte Graf Trask gar leicht
auch noch mit andern Männern zusammengeraten können -- schade, daß wir
nicht ahnen können, wie er sich dabei benommen hätte! So, wie die Begeben¬
heiten sich auf der Bühne abwickeln, hat er überall leichtes Spiel. Man darf
sie nur ändern, ohne die Wahrscheinlichkeit im geringsten zu verletzen, und die
Sache wird gleich ganz anders. Im letzten Akte will der junge Heineke in
verzweifelter Stimmung, eine geladene Pistole in der Brusttasche, das Arbeits¬
zimmer seines Prinzipals betreten, um mit diesem "Abrechnung zu halten."
An der Thürschwelle hält ihn Graf Trask zurück und überzeugt ihn von der
Zweckwidrigkeit des geplanten Mordes; er fordert von seinem Freunde die
Pistole, läßt sie ihm aber, auf sein Versprechen hin, sie in der Tasche zu lassen.
Es war doch unvorsichtig. Graf Trask hatte soeben den jungen Hitzkopf darauf
aufmerksam gemacht, daß sich die Mordwaffe günz deutlich an den Falten seines
Oberrockes absehe - wie nun, wenn der Kommmerzienrat dieselbe Bemerkung
machte, Verdacht schöpfte und nach Hilfe rief? Hätte diese Situation nicht
für den jungen Helden höchst bedenklich werden müssen und - hätte ihn das
Zeugnis des einst wegen Wortbruchs verschenken Freundes befreien können?
Womit hätte dieser seinen Anspruch auf Vertrauen rechtfertigen wollen? Oder
hätte er auch jetzt dieses Vertrauen "entbehren" können? Es gehört ganz in
den Plan des Stückes, wenn der junge Heineke bei seiner Rückkehr aus Indien
die innig geliebte Schwester als ein gemeines Mädchen wiederfindet, das auf
seine Frage, ob sie ihren Galan denn wenigstens von Herzen lieb habe, mit
cynischer Harmlosigkeit erwidert: "Welchen denn?" Da wird es unserm Trask
nicht schwer, den Bruder von der Nutzlosigkeit eines Zweikampfes zu über¬
zeugen. Wie aber, wenn dies junge Mädchen, in einer auf Zucht und Sitte
haltenden Familie rein und edel aufgewachsen, den listigen Künsten eines Ver¬
führers zum Opfer gefallen wäre, von dem Gefühl ihrer Schmach zu Boden
gedrückt würde? Sollten solche Familien und solche Mädchen dem Verfasser,
der die Familie Heineke so lebenswahr geschildert hat, unbekannt sein? Hätte
sein Graf Trask den zurückgekehrten Bruder, der die Rolle des Beschützers
und Rächers für sich in Anspruch genommen hätte, jetzt auch so einfach eines
Bessern belehren können? In solchen Fällen hat der entschlossene Mann noch
immer zur Wehr gegriffen, selbst im bewußten Widerspruch zum geschriebenen
Gesetz, das die Reinheit seiner Schwelle nicht zu schützen vermag. Hier ist
ein Konflikt, der nicht so einfach mit Schlagwörtern zu beseitigen ist. U"d
dieser .Konflikt würde noch an Stärke und Pathos gewinnen, wenn jetzt der
übermütige Sohn des Kommerzienrates, der Leutnant, dem Kommis seines
Vaters die "Ehre" eines ritterlichen Auftrages höhnisch verweigerte. Hi^
wäre ein Standesvornrteil im vollsten Sinne: denn wer sich nicht scheut,


Die Lhre

Zusammentreffen mit jenen „Simili-Offizieren," wie sie ein Rezensent treffend
genannt hat, soll doch nicht dafür gelten, das sind gar keine Gegner. Aber
in den glänzenden Salons des Kommerzienrates hätte Graf Trask gar leicht
auch noch mit andern Männern zusammengeraten können — schade, daß wir
nicht ahnen können, wie er sich dabei benommen hätte! So, wie die Begeben¬
heiten sich auf der Bühne abwickeln, hat er überall leichtes Spiel. Man darf
sie nur ändern, ohne die Wahrscheinlichkeit im geringsten zu verletzen, und die
Sache wird gleich ganz anders. Im letzten Akte will der junge Heineke in
verzweifelter Stimmung, eine geladene Pistole in der Brusttasche, das Arbeits¬
zimmer seines Prinzipals betreten, um mit diesem „Abrechnung zu halten."
An der Thürschwelle hält ihn Graf Trask zurück und überzeugt ihn von der
Zweckwidrigkeit des geplanten Mordes; er fordert von seinem Freunde die
Pistole, läßt sie ihm aber, auf sein Versprechen hin, sie in der Tasche zu lassen.
Es war doch unvorsichtig. Graf Trask hatte soeben den jungen Hitzkopf darauf
aufmerksam gemacht, daß sich die Mordwaffe günz deutlich an den Falten seines
Oberrockes absehe - wie nun, wenn der Kommmerzienrat dieselbe Bemerkung
machte, Verdacht schöpfte und nach Hilfe rief? Hätte diese Situation nicht
für den jungen Helden höchst bedenklich werden müssen und - hätte ihn das
Zeugnis des einst wegen Wortbruchs verschenken Freundes befreien können?
Womit hätte dieser seinen Anspruch auf Vertrauen rechtfertigen wollen? Oder
hätte er auch jetzt dieses Vertrauen „entbehren" können? Es gehört ganz in
den Plan des Stückes, wenn der junge Heineke bei seiner Rückkehr aus Indien
die innig geliebte Schwester als ein gemeines Mädchen wiederfindet, das auf
seine Frage, ob sie ihren Galan denn wenigstens von Herzen lieb habe, mit
cynischer Harmlosigkeit erwidert: „Welchen denn?" Da wird es unserm Trask
nicht schwer, den Bruder von der Nutzlosigkeit eines Zweikampfes zu über¬
zeugen. Wie aber, wenn dies junge Mädchen, in einer auf Zucht und Sitte
haltenden Familie rein und edel aufgewachsen, den listigen Künsten eines Ver¬
führers zum Opfer gefallen wäre, von dem Gefühl ihrer Schmach zu Boden
gedrückt würde? Sollten solche Familien und solche Mädchen dem Verfasser,
der die Familie Heineke so lebenswahr geschildert hat, unbekannt sein? Hätte
sein Graf Trask den zurückgekehrten Bruder, der die Rolle des Beschützers
und Rächers für sich in Anspruch genommen hätte, jetzt auch so einfach eines
Bessern belehren können? In solchen Fällen hat der entschlossene Mann noch
immer zur Wehr gegriffen, selbst im bewußten Widerspruch zum geschriebenen
Gesetz, das die Reinheit seiner Schwelle nicht zu schützen vermag. Hier ist
ein Konflikt, der nicht so einfach mit Schlagwörtern zu beseitigen ist. U"d
dieser .Konflikt würde noch an Stärke und Pathos gewinnen, wenn jetzt der
übermütige Sohn des Kommerzienrates, der Leutnant, dem Kommis seines
Vaters die „Ehre" eines ritterlichen Auftrages höhnisch verweigerte. Hi^
wäre ein Standesvornrteil im vollsten Sinne: denn wer sich nicht scheut,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207617"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lhre</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_895" prev="#ID_894" next="#ID_896"> Zusammentreffen mit jenen &#x201E;Simili-Offizieren," wie sie ein Rezensent treffend<lb/>
genannt hat, soll doch nicht dafür gelten, das sind gar keine Gegner. Aber<lb/>
in den glänzenden Salons des Kommerzienrates hätte Graf Trask gar leicht<lb/>
auch noch mit andern Männern zusammengeraten können &#x2014; schade, daß wir<lb/>
nicht ahnen können, wie er sich dabei benommen hätte! So, wie die Begeben¬<lb/>
heiten sich auf der Bühne abwickeln, hat er überall leichtes Spiel. Man darf<lb/>
sie nur ändern, ohne die Wahrscheinlichkeit im geringsten zu verletzen, und die<lb/>
Sache wird gleich ganz anders.  Im letzten Akte will der junge Heineke in<lb/>
verzweifelter Stimmung, eine geladene Pistole in der Brusttasche, das Arbeits¬<lb/>
zimmer seines Prinzipals betreten, um mit diesem &#x201E;Abrechnung zu halten."<lb/>
An der Thürschwelle hält ihn Graf Trask zurück und überzeugt ihn von der<lb/>
Zweckwidrigkeit des geplanten Mordes; er fordert von seinem Freunde die<lb/>
Pistole, läßt sie ihm aber, auf sein Versprechen hin, sie in der Tasche zu lassen.<lb/>
Es war doch unvorsichtig. Graf Trask hatte soeben den jungen Hitzkopf darauf<lb/>
aufmerksam gemacht, daß sich die Mordwaffe günz deutlich an den Falten seines<lb/>
Oberrockes absehe  - wie nun, wenn der Kommmerzienrat dieselbe Bemerkung<lb/>
machte, Verdacht schöpfte und nach Hilfe rief?  Hätte diese Situation nicht<lb/>
für den jungen Helden höchst bedenklich werden müssen und -  hätte ihn das<lb/>
Zeugnis des einst wegen Wortbruchs verschenken Freundes befreien können?<lb/>
Womit hätte dieser seinen Anspruch auf Vertrauen rechtfertigen wollen? Oder<lb/>
hätte er auch jetzt dieses Vertrauen &#x201E;entbehren" können? Es gehört ganz in<lb/>
den Plan des Stückes, wenn der junge Heineke bei seiner Rückkehr aus Indien<lb/>
die innig geliebte Schwester als ein gemeines Mädchen wiederfindet, das auf<lb/>
seine Frage, ob sie ihren Galan denn wenigstens von Herzen lieb habe, mit<lb/>
cynischer Harmlosigkeit erwidert: &#x201E;Welchen denn?" Da wird es unserm Trask<lb/>
nicht schwer, den Bruder von der Nutzlosigkeit eines Zweikampfes zu über¬<lb/>
zeugen.  Wie aber, wenn dies junge Mädchen, in einer auf Zucht und Sitte<lb/>
haltenden Familie rein und edel aufgewachsen, den listigen Künsten eines Ver¬<lb/>
führers zum Opfer gefallen wäre, von dem Gefühl ihrer Schmach zu Boden<lb/>
gedrückt würde? Sollten solche Familien und solche Mädchen dem Verfasser,<lb/>
der die Familie Heineke so lebenswahr geschildert hat, unbekannt sein? Hätte<lb/>
sein Graf Trask den zurückgekehrten Bruder, der die Rolle des Beschützers<lb/>
und Rächers für sich in Anspruch genommen hätte, jetzt auch so einfach eines<lb/>
Bessern belehren können? In solchen Fällen hat der entschlossene Mann noch<lb/>
immer zur Wehr gegriffen, selbst im bewußten Widerspruch zum geschriebenen<lb/>
Gesetz, das die Reinheit seiner Schwelle nicht zu schützen vermag.  Hier ist<lb/>
ein Konflikt, der nicht so einfach mit Schlagwörtern zu beseitigen ist. U"d<lb/>
dieser .Konflikt würde noch an Stärke und Pathos gewinnen, wenn jetzt der<lb/>
übermütige Sohn des Kommerzienrates, der Leutnant, dem Kommis seines<lb/>
Vaters die &#x201E;Ehre" eines ritterlichen Auftrages höhnisch verweigerte. Hi^<lb/>
wäre ein Standesvornrteil im vollsten Sinne: denn wer sich nicht scheut,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0322] Die Lhre Zusammentreffen mit jenen „Simili-Offizieren," wie sie ein Rezensent treffend genannt hat, soll doch nicht dafür gelten, das sind gar keine Gegner. Aber in den glänzenden Salons des Kommerzienrates hätte Graf Trask gar leicht auch noch mit andern Männern zusammengeraten können — schade, daß wir nicht ahnen können, wie er sich dabei benommen hätte! So, wie die Begeben¬ heiten sich auf der Bühne abwickeln, hat er überall leichtes Spiel. Man darf sie nur ändern, ohne die Wahrscheinlichkeit im geringsten zu verletzen, und die Sache wird gleich ganz anders. Im letzten Akte will der junge Heineke in verzweifelter Stimmung, eine geladene Pistole in der Brusttasche, das Arbeits¬ zimmer seines Prinzipals betreten, um mit diesem „Abrechnung zu halten." An der Thürschwelle hält ihn Graf Trask zurück und überzeugt ihn von der Zweckwidrigkeit des geplanten Mordes; er fordert von seinem Freunde die Pistole, läßt sie ihm aber, auf sein Versprechen hin, sie in der Tasche zu lassen. Es war doch unvorsichtig. Graf Trask hatte soeben den jungen Hitzkopf darauf aufmerksam gemacht, daß sich die Mordwaffe günz deutlich an den Falten seines Oberrockes absehe - wie nun, wenn der Kommmerzienrat dieselbe Bemerkung machte, Verdacht schöpfte und nach Hilfe rief? Hätte diese Situation nicht für den jungen Helden höchst bedenklich werden müssen und - hätte ihn das Zeugnis des einst wegen Wortbruchs verschenken Freundes befreien können? Womit hätte dieser seinen Anspruch auf Vertrauen rechtfertigen wollen? Oder hätte er auch jetzt dieses Vertrauen „entbehren" können? Es gehört ganz in den Plan des Stückes, wenn der junge Heineke bei seiner Rückkehr aus Indien die innig geliebte Schwester als ein gemeines Mädchen wiederfindet, das auf seine Frage, ob sie ihren Galan denn wenigstens von Herzen lieb habe, mit cynischer Harmlosigkeit erwidert: „Welchen denn?" Da wird es unserm Trask nicht schwer, den Bruder von der Nutzlosigkeit eines Zweikampfes zu über¬ zeugen. Wie aber, wenn dies junge Mädchen, in einer auf Zucht und Sitte haltenden Familie rein und edel aufgewachsen, den listigen Künsten eines Ver¬ führers zum Opfer gefallen wäre, von dem Gefühl ihrer Schmach zu Boden gedrückt würde? Sollten solche Familien und solche Mädchen dem Verfasser, der die Familie Heineke so lebenswahr geschildert hat, unbekannt sein? Hätte sein Graf Trask den zurückgekehrten Bruder, der die Rolle des Beschützers und Rächers für sich in Anspruch genommen hätte, jetzt auch so einfach eines Bessern belehren können? In solchen Fällen hat der entschlossene Mann noch immer zur Wehr gegriffen, selbst im bewußten Widerspruch zum geschriebenen Gesetz, das die Reinheit seiner Schwelle nicht zu schützen vermag. Hier ist ein Konflikt, der nicht so einfach mit Schlagwörtern zu beseitigen ist. U"d dieser .Konflikt würde noch an Stärke und Pathos gewinnen, wenn jetzt der übermütige Sohn des Kommerzienrates, der Leutnant, dem Kommis seines Vaters die „Ehre" eines ritterlichen Auftrages höhnisch verweigerte. Hi^ wäre ein Standesvornrteil im vollsten Sinne: denn wer sich nicht scheut,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/322
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/322>, abgerufen am 22.07.2024.