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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Lhre

abhanden gekommen; er erörtert, daß sein Tod niemand Vorteil bringen könne,
vielleicht aber sein Leben, und so beginnt er in der neuen Welt einen neuen
Abschnitt seines Erdendaseins. Darüber hätten wir mit ihm nicht zu rechten.
Aber er kehrt wieder, er feiert eine sittliche Auferstehung, er wird der Prophet
einer neuen Lebensanschauung, und er siegt sittlich über die, die an diese Auf¬
erstehung und diese Prophetie nicht glauben wollen. Das ist der zweite Punkt,
auf den es hier ankommt; er ist äußerst bedenklich, und die ganze Art und
Weise, wie ihn der Dichter behandelt, dient nicht zur Klärung, geschweige denn
zur Lösung des Problems, sondern verwirrt es.

Gras Trask steht vor uns, keineswegs von dem Bewußtsein gedrückt, einen
Flecke" auf seinem Charakter zu tragen; diesen Flecken hat die weitere Ver¬
gangenheit des Mannes völlig abgewischt. Fast scheint es, als ob man seine
Ehre verlieren und wiederfinden oder ersetzen könne wie seine Taschenuhr; oder
nein, sie hat nicht einmal den Wert einer solchen, sie ist nur ein glänzendes
Gehäuse, worin die Nichtigkeit wohnt. Der echte Mann verzichtet ganz auf
diese Luxusware; er stützt sich auf den gehaltvolleren Begriff der Pflicht und
geht in dem Gefühle der eignen Selbstachtung unbekümmert an denen vorüber,
die ihm die ihrige versagen. Der Maßstab für eine solche Achtung ist ja doch
bei den verschiednen Gesellschaftsklasse!, verschieden; jede hat ihre besondre
Ehre, ihre besondre Tugend, Die Leute im Hinterhause, deren eine Tochter
eine Dirne, deren andre eine Kupplerin ist, und die das Sündengeld, womit
der Kommerzienrat seinen liederlichen Sohn von der Dirne loskauft, mit Jubel
in Empfang nehmen, sind nicht schlechter als andre Meuschen, als wir selbst;
sie leben nur in andern Anschauungen; wir können sie nicht verurteilen, wir
siehen uns nur von ihnen zurück, weil wir innerlich nicht mit ihnen zusammen¬
stimme". Kurz, Graf Trask predigt sehr deutlich und nachdrücklich die Rela¬
tivität von Ehre und Tugend und läßt uns nur darüber im Unklaren, was
^' selber nnter dein gewiß doch eben so dehnbaren und lonsliktschN'ärgeren
^'griff der Pflicht versteht. Solche Anschauungen liegen min freilich ganz in
der Konsequenz dieses Charakters; aber vergessen wir nicht, daß hinter ihm
^ Dichter selber steht und seinen Lehren mit dem Aufwand eines ungewöhn-
Uche" Talentes Geltung zu verschaffen sucht. Ist ihm dies wirklich gelungen?
^ein. Die Wahrheit einer sittlichen Lehre bethätigt sich im heißen Kampfe --
ist von einem solchen hier die Rede? Zwar ringt in dem jungen Heineke
"ut rührender Gewalt die Kindes- und Geschwisterliebe mit den Forderungen
eines sittlichen Gemütes; aber gerade an diesen Forderungen übt Gras Trask
seine zersetzende Kritik. Er schiebt und lenkt den jungen Freund und endet
schließlich den Konflikt mit Hilfe seines Reichtums; er löst ihn in der That
tvie eine Art von ckeus ox iimollim;, nur daß unser Gott nicht erst am schlaffe
angreift. Wo aber führt ihn denn feine eigne "moderne" Lehre in einen
Jnseen Zusammenstoß mit würdigen Vertretern dessen, was er bekämpft? Das


Grmzbvte" II 1890 4V
Die Lhre

abhanden gekommen; er erörtert, daß sein Tod niemand Vorteil bringen könne,
vielleicht aber sein Leben, und so beginnt er in der neuen Welt einen neuen
Abschnitt seines Erdendaseins. Darüber hätten wir mit ihm nicht zu rechten.
Aber er kehrt wieder, er feiert eine sittliche Auferstehung, er wird der Prophet
einer neuen Lebensanschauung, und er siegt sittlich über die, die an diese Auf¬
erstehung und diese Prophetie nicht glauben wollen. Das ist der zweite Punkt,
auf den es hier ankommt; er ist äußerst bedenklich, und die ganze Art und
Weise, wie ihn der Dichter behandelt, dient nicht zur Klärung, geschweige denn
zur Lösung des Problems, sondern verwirrt es.

Gras Trask steht vor uns, keineswegs von dem Bewußtsein gedrückt, einen
Flecke» auf seinem Charakter zu tragen; diesen Flecken hat die weitere Ver¬
gangenheit des Mannes völlig abgewischt. Fast scheint es, als ob man seine
Ehre verlieren und wiederfinden oder ersetzen könne wie seine Taschenuhr; oder
nein, sie hat nicht einmal den Wert einer solchen, sie ist nur ein glänzendes
Gehäuse, worin die Nichtigkeit wohnt. Der echte Mann verzichtet ganz auf
diese Luxusware; er stützt sich auf den gehaltvolleren Begriff der Pflicht und
geht in dem Gefühle der eignen Selbstachtung unbekümmert an denen vorüber,
die ihm die ihrige versagen. Der Maßstab für eine solche Achtung ist ja doch
bei den verschiednen Gesellschaftsklasse!, verschieden; jede hat ihre besondre
Ehre, ihre besondre Tugend, Die Leute im Hinterhause, deren eine Tochter
eine Dirne, deren andre eine Kupplerin ist, und die das Sündengeld, womit
der Kommerzienrat seinen liederlichen Sohn von der Dirne loskauft, mit Jubel
in Empfang nehmen, sind nicht schlechter als andre Meuschen, als wir selbst;
sie leben nur in andern Anschauungen; wir können sie nicht verurteilen, wir
siehen uns nur von ihnen zurück, weil wir innerlich nicht mit ihnen zusammen¬
stimme». Kurz, Graf Trask predigt sehr deutlich und nachdrücklich die Rela¬
tivität von Ehre und Tugend und läßt uns nur darüber im Unklaren, was
^' selber nnter dein gewiß doch eben so dehnbaren und lonsliktschN'ärgeren
^'griff der Pflicht versteht. Solche Anschauungen liegen min freilich ganz in
der Konsequenz dieses Charakters; aber vergessen wir nicht, daß hinter ihm
^ Dichter selber steht und seinen Lehren mit dem Aufwand eines ungewöhn-
Uche» Talentes Geltung zu verschaffen sucht. Ist ihm dies wirklich gelungen?
^ein. Die Wahrheit einer sittlichen Lehre bethätigt sich im heißen Kampfe —
ist von einem solchen hier die Rede? Zwar ringt in dem jungen Heineke
"ut rührender Gewalt die Kindes- und Geschwisterliebe mit den Forderungen
eines sittlichen Gemütes; aber gerade an diesen Forderungen übt Gras Trask
seine zersetzende Kritik. Er schiebt und lenkt den jungen Freund und endet
schließlich den Konflikt mit Hilfe seines Reichtums; er löst ihn in der That
tvie eine Art von ckeus ox iimollim;, nur daß unser Gott nicht erst am schlaffe
angreift. Wo aber führt ihn denn feine eigne „moderne" Lehre in einen
Jnseen Zusammenstoß mit würdigen Vertretern dessen, was er bekämpft? Das


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[0321] Die Lhre abhanden gekommen; er erörtert, daß sein Tod niemand Vorteil bringen könne, vielleicht aber sein Leben, und so beginnt er in der neuen Welt einen neuen Abschnitt seines Erdendaseins. Darüber hätten wir mit ihm nicht zu rechten. Aber er kehrt wieder, er feiert eine sittliche Auferstehung, er wird der Prophet einer neuen Lebensanschauung, und er siegt sittlich über die, die an diese Auf¬ erstehung und diese Prophetie nicht glauben wollen. Das ist der zweite Punkt, auf den es hier ankommt; er ist äußerst bedenklich, und die ganze Art und Weise, wie ihn der Dichter behandelt, dient nicht zur Klärung, geschweige denn zur Lösung des Problems, sondern verwirrt es. Gras Trask steht vor uns, keineswegs von dem Bewußtsein gedrückt, einen Flecke» auf seinem Charakter zu tragen; diesen Flecken hat die weitere Ver¬ gangenheit des Mannes völlig abgewischt. Fast scheint es, als ob man seine Ehre verlieren und wiederfinden oder ersetzen könne wie seine Taschenuhr; oder nein, sie hat nicht einmal den Wert einer solchen, sie ist nur ein glänzendes Gehäuse, worin die Nichtigkeit wohnt. Der echte Mann verzichtet ganz auf diese Luxusware; er stützt sich auf den gehaltvolleren Begriff der Pflicht und geht in dem Gefühle der eignen Selbstachtung unbekümmert an denen vorüber, die ihm die ihrige versagen. Der Maßstab für eine solche Achtung ist ja doch bei den verschiednen Gesellschaftsklasse!, verschieden; jede hat ihre besondre Ehre, ihre besondre Tugend, Die Leute im Hinterhause, deren eine Tochter eine Dirne, deren andre eine Kupplerin ist, und die das Sündengeld, womit der Kommerzienrat seinen liederlichen Sohn von der Dirne loskauft, mit Jubel in Empfang nehmen, sind nicht schlechter als andre Meuschen, als wir selbst; sie leben nur in andern Anschauungen; wir können sie nicht verurteilen, wir siehen uns nur von ihnen zurück, weil wir innerlich nicht mit ihnen zusammen¬ stimme». Kurz, Graf Trask predigt sehr deutlich und nachdrücklich die Rela¬ tivität von Ehre und Tugend und läßt uns nur darüber im Unklaren, was ^' selber nnter dein gewiß doch eben so dehnbaren und lonsliktschN'ärgeren ^'griff der Pflicht versteht. Solche Anschauungen liegen min freilich ganz in der Konsequenz dieses Charakters; aber vergessen wir nicht, daß hinter ihm ^ Dichter selber steht und seinen Lehren mit dem Aufwand eines ungewöhn- Uche» Talentes Geltung zu verschaffen sucht. Ist ihm dies wirklich gelungen? ^ein. Die Wahrheit einer sittlichen Lehre bethätigt sich im heißen Kampfe — ist von einem solchen hier die Rede? Zwar ringt in dem jungen Heineke "ut rührender Gewalt die Kindes- und Geschwisterliebe mit den Forderungen eines sittlichen Gemütes; aber gerade an diesen Forderungen übt Gras Trask seine zersetzende Kritik. Er schiebt und lenkt den jungen Freund und endet schließlich den Konflikt mit Hilfe seines Reichtums; er löst ihn in der That tvie eine Art von ckeus ox iimollim;, nur daß unser Gott nicht erst am schlaffe angreift. Wo aber führt ihn denn feine eigne „moderne" Lehre in einen Jnseen Zusammenstoß mit würdigen Vertretern dessen, was er bekämpft? Das Grmzbvte» II 1890 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/321>, abgerufen am 22.07.2024.