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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Burg der Rebellen, war freilich außerordentlich stark befestigt, allein in der
Hauptstraße zählte man über sechzig ungeheure Barrikaden, und es mangelte
zur Verteidigung dieser Niesenschanzen weder an Mannschaft noch an Waffen-
Der gleichzeitige Ansturm vom Bastiltcnplatze und vom Boulevard du Temple
her mußte gleichwohl den Widerstand auch hier mit der Zeit brechen, und so
geschah es denn auch am 26. Juni, nachdem der Aufstand reichlich vier Tage
gedauert hatte. Die Rebellen der Vorstadt Se. Antoine entsprachen der Auf¬
forderung des Diktators, sich unbedingt zu unterwerfen, zunächst nicht, aber
als Cavaigunc darauf ein furchtbares Geschützfeuer gegen ihre Stellung er-
ervffnen ließ, ergaben sie sich ans Gnade nud Ungnade. Doch wurde in
einigen Seitenstraßen noch bis zum Abend gekämpft und selbst in der Nacht
krachten noch einzelne Schliffe.

Niemals hatte bisher ein Aufstand in den Straßen von Paris so lange
nud so blutig gewütet wie diese sozialdemokratische Erhebung. Die Zahl der
während des Kampfes gefallenen wurde auf 10000 geschätzt. Außerdem
aber waren auf beiden Seiten viele Gefangene erschossen worden. Namentlich
verfuhren die Mohn- und die ans den Nachbarorten der Hauptstadt erschienene
Nationalgarde um mehreren Punkten ohne Erbarmen gegen die Empörer, die
ihnen bewaffnet in die Hände fielen, und nach Beendigung der großen Schlacht
mußte man die 12 bis 14000 Rebellen, die mau durch förmliche Treibjagden
einfing, schleunigst vor der Niedermetzelung, mit der die Nationalgarde sie be¬
drohte, nach den .Kasematten der Forts vou Paris schaffen. Auch die Truppe"
erlitten große Verluste. Die Mobilgarde allem büßte gegen 1000 Manu ein,
und von den 14 Generalen, die kommandirteu, wurden 2 ermordet, 4 tötlich
und 5 leicht verwundet.

Die früheren Aufstünde hatten in keiner Beziehung Ähnlichkeit mit der
Arbeiterrevolution vom Juni 1848. Früher hatten zwei politische Spöte""'
mit einander gekümpft, der überlieferte Staat sollte nur in einigen Stücken
verändert werden, es kam vorzüglich darauf an, wer ihn leiten sollte, und
immer wurde wenigsteus insoweit loyal gefochten, daß man Heimtücke und
Niedertracht vermied. Jetzt rief man die sozialdemokratische Republik aus
und gleichsam als Kommentar dazu schrieben einige der Nebellenhaufen auf ihr
roten Fahnen: ?illaZo se le, Vivi! Einer der Insurgenten, der mit den
Waffen in der Hand ergriffen wurde, äußerte: "Alle Leute, die etwas be¬
sitzen, sind Spitzbuben, das ist meine Ansicht, und dafür habe ich mich
schlagen." Ein andrer, gefragt, was er sich unter der sozialdemokratischen Re¬
publik vorstelle, gab zur Antwort: "Die Regierung der Arbeiter." Seb/
schwer zu glauben von unserm Jahrhundert, das es in der Gesittung so herrlich
weit gebracht haben soll, und vornehmlich von der Hauptstadt eines Landes,
das von sich rühmt, es schreite um der Spitze dieser Gesittung, aber wohl'
verbürgt sind die Handlungen rasender Mordlust und scheußlicher Barbarei,e


Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Burg der Rebellen, war freilich außerordentlich stark befestigt, allein in der
Hauptstraße zählte man über sechzig ungeheure Barrikaden, und es mangelte
zur Verteidigung dieser Niesenschanzen weder an Mannschaft noch an Waffen-
Der gleichzeitige Ansturm vom Bastiltcnplatze und vom Boulevard du Temple
her mußte gleichwohl den Widerstand auch hier mit der Zeit brechen, und so
geschah es denn auch am 26. Juni, nachdem der Aufstand reichlich vier Tage
gedauert hatte. Die Rebellen der Vorstadt Se. Antoine entsprachen der Auf¬
forderung des Diktators, sich unbedingt zu unterwerfen, zunächst nicht, aber
als Cavaigunc darauf ein furchtbares Geschützfeuer gegen ihre Stellung er-
ervffnen ließ, ergaben sie sich ans Gnade nud Ungnade. Doch wurde in
einigen Seitenstraßen noch bis zum Abend gekämpft und selbst in der Nacht
krachten noch einzelne Schliffe.

Niemals hatte bisher ein Aufstand in den Straßen von Paris so lange
nud so blutig gewütet wie diese sozialdemokratische Erhebung. Die Zahl der
während des Kampfes gefallenen wurde auf 10000 geschätzt. Außerdem
aber waren auf beiden Seiten viele Gefangene erschossen worden. Namentlich
verfuhren die Mohn- und die ans den Nachbarorten der Hauptstadt erschienene
Nationalgarde um mehreren Punkten ohne Erbarmen gegen die Empörer, die
ihnen bewaffnet in die Hände fielen, und nach Beendigung der großen Schlacht
mußte man die 12 bis 14000 Rebellen, die mau durch förmliche Treibjagden
einfing, schleunigst vor der Niedermetzelung, mit der die Nationalgarde sie be¬
drohte, nach den .Kasematten der Forts vou Paris schaffen. Auch die Truppe»
erlitten große Verluste. Die Mobilgarde allem büßte gegen 1000 Manu ein,
und von den 14 Generalen, die kommandirteu, wurden 2 ermordet, 4 tötlich
und 5 leicht verwundet.

Die früheren Aufstünde hatten in keiner Beziehung Ähnlichkeit mit der
Arbeiterrevolution vom Juni 1848. Früher hatten zwei politische Spöte""'
mit einander gekümpft, der überlieferte Staat sollte nur in einigen Stücken
verändert werden, es kam vorzüglich darauf an, wer ihn leiten sollte, und
immer wurde wenigsteus insoweit loyal gefochten, daß man Heimtücke und
Niedertracht vermied. Jetzt rief man die sozialdemokratische Republik aus
und gleichsam als Kommentar dazu schrieben einige der Nebellenhaufen auf ihr
roten Fahnen: ?illaZo se le, Vivi! Einer der Insurgenten, der mit den
Waffen in der Hand ergriffen wurde, äußerte: „Alle Leute, die etwas be¬
sitzen, sind Spitzbuben, das ist meine Ansicht, und dafür habe ich mich
schlagen." Ein andrer, gefragt, was er sich unter der sozialdemokratischen Re¬
publik vorstelle, gab zur Antwort: „Die Regierung der Arbeiter." Seb/
schwer zu glauben von unserm Jahrhundert, das es in der Gesittung so herrlich
weit gebracht haben soll, und vornehmlich von der Hauptstadt eines Landes,
das von sich rühmt, es schreite um der Spitze dieser Gesittung, aber wohl'
verbürgt sind die Handlungen rasender Mordlust und scheußlicher Barbarei,e


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[0314] Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie Burg der Rebellen, war freilich außerordentlich stark befestigt, allein in der Hauptstraße zählte man über sechzig ungeheure Barrikaden, und es mangelte zur Verteidigung dieser Niesenschanzen weder an Mannschaft noch an Waffen- Der gleichzeitige Ansturm vom Bastiltcnplatze und vom Boulevard du Temple her mußte gleichwohl den Widerstand auch hier mit der Zeit brechen, und so geschah es denn auch am 26. Juni, nachdem der Aufstand reichlich vier Tage gedauert hatte. Die Rebellen der Vorstadt Se. Antoine entsprachen der Auf¬ forderung des Diktators, sich unbedingt zu unterwerfen, zunächst nicht, aber als Cavaigunc darauf ein furchtbares Geschützfeuer gegen ihre Stellung er- ervffnen ließ, ergaben sie sich ans Gnade nud Ungnade. Doch wurde in einigen Seitenstraßen noch bis zum Abend gekämpft und selbst in der Nacht krachten noch einzelne Schliffe. Niemals hatte bisher ein Aufstand in den Straßen von Paris so lange nud so blutig gewütet wie diese sozialdemokratische Erhebung. Die Zahl der während des Kampfes gefallenen wurde auf 10000 geschätzt. Außerdem aber waren auf beiden Seiten viele Gefangene erschossen worden. Namentlich verfuhren die Mohn- und die ans den Nachbarorten der Hauptstadt erschienene Nationalgarde um mehreren Punkten ohne Erbarmen gegen die Empörer, die ihnen bewaffnet in die Hände fielen, und nach Beendigung der großen Schlacht mußte man die 12 bis 14000 Rebellen, die mau durch förmliche Treibjagden einfing, schleunigst vor der Niedermetzelung, mit der die Nationalgarde sie be¬ drohte, nach den .Kasematten der Forts vou Paris schaffen. Auch die Truppe» erlitten große Verluste. Die Mobilgarde allem büßte gegen 1000 Manu ein, und von den 14 Generalen, die kommandirteu, wurden 2 ermordet, 4 tötlich und 5 leicht verwundet. Die früheren Aufstünde hatten in keiner Beziehung Ähnlichkeit mit der Arbeiterrevolution vom Juni 1848. Früher hatten zwei politische Spöte""' mit einander gekümpft, der überlieferte Staat sollte nur in einigen Stücken verändert werden, es kam vorzüglich darauf an, wer ihn leiten sollte, und immer wurde wenigsteus insoweit loyal gefochten, daß man Heimtücke und Niedertracht vermied. Jetzt rief man die sozialdemokratische Republik aus und gleichsam als Kommentar dazu schrieben einige der Nebellenhaufen auf ihr roten Fahnen: ?illaZo se le, Vivi! Einer der Insurgenten, der mit den Waffen in der Hand ergriffen wurde, äußerte: „Alle Leute, die etwas be¬ sitzen, sind Spitzbuben, das ist meine Ansicht, und dafür habe ich mich schlagen." Ein andrer, gefragt, was er sich unter der sozialdemokratischen Re¬ publik vorstelle, gab zur Antwort: „Die Regierung der Arbeiter." Seb/ schwer zu glauben von unserm Jahrhundert, das es in der Gesittung so herrlich weit gebracht haben soll, und vornehmlich von der Hauptstadt eines Landes, das von sich rühmt, es schreite um der Spitze dieser Gesittung, aber wohl' verbürgt sind die Handlungen rasender Mordlust und scheußlicher Barbarei,e

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/314>, abgerufen am 28.09.2024.