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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahren der Sozicildemokratie

>n Belagerungszustand zu erklären und Cavaignac mit der ganzen vollziehenden
Gewalt zu bekleiden. Die große Mehrheit der Versanunlung stimmte zu, und
der neue Diktator säumte nicht, von der ihm verliehenen Macht Gebrauch zu
Machen. Er that es mit gutem Erfolge; die Empörer wurden in der Vor¬
stadt Se. Jacques aus einer Stellung nach der andern, zuletzt auch aus dem
gewaltig verschanzten Pantheon vertrieben, und am Abend war sast das ganze
^nlle Ufer der Seine im Besitze der Truppen und der Nationalgarde, und im
Mittelpunkte der Stadt hatten sie die Empörer so weit zurückgedrängt, daß
das Rathaus nicht mehr gefährdet erschien. Damit aber war noch nicht alle
Gefahr vorüber, es wurden noch mehrmals Versuche angestellt, die Arbeiter
"ut Zureden und Versprechungen zur Niederlegung der Waffen zu bewegen.
Aber alles war vergeblich, hie und da kam es zwar zu Unterhandlungen, aber
unrer zerschlugen sie sich, und bei der einen wurde General Brva mit seinem
Begleiter, einem jungen Offizier der Nationalgarde, als sie die Verteidiger
Micr der letzten und stärkste" Barrikaden des linken Seinenfers beschwichtigen
Zollten, von diesen zum Gefangenen gemacht und dann von einer blutgierigen
Rotte, die in ihr Gefängnis drang, in greuelvoller Weise ermordet. Auch
^er Erzbischof von Paris büßte einen solchen Versuch, zu vermitteln, mit
^e>n Leben. Er fiel, als er, um Frieden zu predigen, eine Barrikade am
^stilleuplatze überschritten hatte und den dortigen Rebellen eine versöhnliche
Proklamation des Diktators zur Beachtuug empfahl, von einer Kugel getroffen,
^"d kaum war er zu Boden gesunken, so wurden die drei Mitglieder der
^tivnalversanlmlung, die ihn begleitet hatten, von den Barrikadenmännern
Gefangenen erklärt und uuter Mißhandlungen und Bedrohungen gedrängt,
^ne Übereinkunft einzugehen, kraft deren den Aufständischen nicht weniger be¬
willigt worden wäre als Auflösung der Nationalversammlung, Abzug aller
"waten von Paris bis auf eine Entfernung von vierzig Wegstunden und
^^ebuug der in Vincennes gefangen gehaltenen Aufrührer vom 15. Mai.
' ver ti^. Abgeordneten weigerten sich standhaft, diesen Zumutungen zu
^sprechen, und schließlich gelang es ihnen, die Aufständischen zu überzeuge",
^ ein von ihnen eingegangener Vertrag weder die Nationalversammlung noch
^ Negierung zu seiner Erfüllung verpflichten könne.

., Die Aufständischen knüpften nun mit Cavaignac Unterhandlungen an, er¬
helle,, aber von ihm den Bescheid, daß er unbedingte Unterwerfung verlange
dazu mir Frist bis zehn Uhr morgens gebe, nach deren Ablauf er die
"rstndt Se. Antoine mit aller Macht angreifen werde. Inzwischen hatte
^ulich Lamvrieivre unter vielem Blutvergießen und furchtbarer Zerstörung
Mau vertrieb die Verschwörer aus den vou ihnen besetzten Häusern dadurch,
^^"an diese in Brand steckte und ihre Wände durchbrach -- die Vorstadt
bin^"^ so weit erobert, daß der vom Diktator angekündigte Angriff auch
^ dieser Seite unterstützt werden konnte. Die andre Vorstadt, die letzte


^°"zboten 1l 1890 :in
Aus den Jugendjahren der Sozicildemokratie

>n Belagerungszustand zu erklären und Cavaignac mit der ganzen vollziehenden
Gewalt zu bekleiden. Die große Mehrheit der Versanunlung stimmte zu, und
der neue Diktator säumte nicht, von der ihm verliehenen Macht Gebrauch zu
Machen. Er that es mit gutem Erfolge; die Empörer wurden in der Vor¬
stadt Se. Jacques aus einer Stellung nach der andern, zuletzt auch aus dem
gewaltig verschanzten Pantheon vertrieben, und am Abend war sast das ganze
^nlle Ufer der Seine im Besitze der Truppen und der Nationalgarde, und im
Mittelpunkte der Stadt hatten sie die Empörer so weit zurückgedrängt, daß
das Rathaus nicht mehr gefährdet erschien. Damit aber war noch nicht alle
Gefahr vorüber, es wurden noch mehrmals Versuche angestellt, die Arbeiter
"ut Zureden und Versprechungen zur Niederlegung der Waffen zu bewegen.
Aber alles war vergeblich, hie und da kam es zwar zu Unterhandlungen, aber
unrer zerschlugen sie sich, und bei der einen wurde General Brva mit seinem
Begleiter, einem jungen Offizier der Nationalgarde, als sie die Verteidiger
Micr der letzten und stärkste» Barrikaden des linken Seinenfers beschwichtigen
Zollten, von diesen zum Gefangenen gemacht und dann von einer blutgierigen
Rotte, die in ihr Gefängnis drang, in greuelvoller Weise ermordet. Auch
^er Erzbischof von Paris büßte einen solchen Versuch, zu vermitteln, mit
^e>n Leben. Er fiel, als er, um Frieden zu predigen, eine Barrikade am
^stilleuplatze überschritten hatte und den dortigen Rebellen eine versöhnliche
Proklamation des Diktators zur Beachtuug empfahl, von einer Kugel getroffen,
^"d kaum war er zu Boden gesunken, so wurden die drei Mitglieder der
^tivnalversanlmlung, die ihn begleitet hatten, von den Barrikadenmännern
Gefangenen erklärt und uuter Mißhandlungen und Bedrohungen gedrängt,
^ne Übereinkunft einzugehen, kraft deren den Aufständischen nicht weniger be¬
willigt worden wäre als Auflösung der Nationalversammlung, Abzug aller
"waten von Paris bis auf eine Entfernung von vierzig Wegstunden und
^^ebuug der in Vincennes gefangen gehaltenen Aufrührer vom 15. Mai.
' ver ti^. Abgeordneten weigerten sich standhaft, diesen Zumutungen zu
^sprechen, und schließlich gelang es ihnen, die Aufständischen zu überzeuge»,
^ ein von ihnen eingegangener Vertrag weder die Nationalversammlung noch
^ Negierung zu seiner Erfüllung verpflichten könne.

., Die Aufständischen knüpften nun mit Cavaignac Unterhandlungen an, er¬
helle,, aber von ihm den Bescheid, daß er unbedingte Unterwerfung verlange
dazu mir Frist bis zehn Uhr morgens gebe, nach deren Ablauf er die
"rstndt Se. Antoine mit aller Macht angreifen werde. Inzwischen hatte
^ulich Lamvrieivre unter vielem Blutvergießen und furchtbarer Zerstörung
Mau vertrieb die Verschwörer aus den vou ihnen besetzten Häusern dadurch,
^^«an diese in Brand steckte und ihre Wände durchbrach — die Vorstadt
bin^"^ so weit erobert, daß der vom Diktator angekündigte Angriff auch
^ dieser Seite unterstützt werden konnte. Die andre Vorstadt, die letzte


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[0313] Aus den Jugendjahren der Sozicildemokratie >n Belagerungszustand zu erklären und Cavaignac mit der ganzen vollziehenden Gewalt zu bekleiden. Die große Mehrheit der Versanunlung stimmte zu, und der neue Diktator säumte nicht, von der ihm verliehenen Macht Gebrauch zu Machen. Er that es mit gutem Erfolge; die Empörer wurden in der Vor¬ stadt Se. Jacques aus einer Stellung nach der andern, zuletzt auch aus dem gewaltig verschanzten Pantheon vertrieben, und am Abend war sast das ganze ^nlle Ufer der Seine im Besitze der Truppen und der Nationalgarde, und im Mittelpunkte der Stadt hatten sie die Empörer so weit zurückgedrängt, daß das Rathaus nicht mehr gefährdet erschien. Damit aber war noch nicht alle Gefahr vorüber, es wurden noch mehrmals Versuche angestellt, die Arbeiter "ut Zureden und Versprechungen zur Niederlegung der Waffen zu bewegen. Aber alles war vergeblich, hie und da kam es zwar zu Unterhandlungen, aber unrer zerschlugen sie sich, und bei der einen wurde General Brva mit seinem Begleiter, einem jungen Offizier der Nationalgarde, als sie die Verteidiger Micr der letzten und stärkste» Barrikaden des linken Seinenfers beschwichtigen Zollten, von diesen zum Gefangenen gemacht und dann von einer blutgierigen Rotte, die in ihr Gefängnis drang, in greuelvoller Weise ermordet. Auch ^er Erzbischof von Paris büßte einen solchen Versuch, zu vermitteln, mit ^e>n Leben. Er fiel, als er, um Frieden zu predigen, eine Barrikade am ^stilleuplatze überschritten hatte und den dortigen Rebellen eine versöhnliche Proklamation des Diktators zur Beachtuug empfahl, von einer Kugel getroffen, ^"d kaum war er zu Boden gesunken, so wurden die drei Mitglieder der ^tivnalversanlmlung, die ihn begleitet hatten, von den Barrikadenmännern Gefangenen erklärt und uuter Mißhandlungen und Bedrohungen gedrängt, ^ne Übereinkunft einzugehen, kraft deren den Aufständischen nicht weniger be¬ willigt worden wäre als Auflösung der Nationalversammlung, Abzug aller "waten von Paris bis auf eine Entfernung von vierzig Wegstunden und ^^ebuug der in Vincennes gefangen gehaltenen Aufrührer vom 15. Mai. ' ver ti^. Abgeordneten weigerten sich standhaft, diesen Zumutungen zu ^sprechen, und schließlich gelang es ihnen, die Aufständischen zu überzeuge», ^ ein von ihnen eingegangener Vertrag weder die Nationalversammlung noch ^ Negierung zu seiner Erfüllung verpflichten könne. ., Die Aufständischen knüpften nun mit Cavaignac Unterhandlungen an, er¬ helle,, aber von ihm den Bescheid, daß er unbedingte Unterwerfung verlange dazu mir Frist bis zehn Uhr morgens gebe, nach deren Ablauf er die "rstndt Se. Antoine mit aller Macht angreifen werde. Inzwischen hatte ^ulich Lamvrieivre unter vielem Blutvergießen und furchtbarer Zerstörung Mau vertrieb die Verschwörer aus den vou ihnen besetzten Häusern dadurch, ^^«an diese in Brand steckte und ihre Wände durchbrach — die Vorstadt bin^"^ so weit erobert, daß der vom Diktator angekündigte Angriff auch ^ dieser Seite unterstützt werden konnte. Die andre Vorstadt, die letzte ^°"zboten 1l 1890 :in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/313>, abgerufen am 22.07.2024.