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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie

der Franzosen, vorzüglich der Bauern, und die Besorgnis verbarg, das Er¬
gebnis der Februarrevolution werde durch eine reaktionäre oder doch gemäßigte
Nationalversammlung vernichtet, wenigstens stark beschränkt werden. Dazu
den für die äußersten Parteien, die in den Ereignissen des Februars nur den
Anfang ihrer Revolution erblickten, das dringende Interesse, die gegenwärtigen
Zustände nicht die Festigkeit gewinnen zu lassen, die von der Eröffnung der
Nationalversammlung zu erwarten war, und so wurde vom "Klub der Klubs,"
einer revolutionären Zentralbehörde, ein anarchistisches Unternehmen vorbereitet,
das die provisorische Regierung den Sozialdemokraten unterwerfen oder sie
beseitigen sollte. Die Ausführung des Plans war auf den 1". April fest¬
gesetzt; an diesem Tage rückten 40000 Sozialdemokraten vom Marsfelde her
Ma Angriffe auf das Rathaus heran. Die Negierung war aber gewarnt und
hatte sich vorgesehen. Sie hielt die Mobilgarde zum Empfange der Gegner
bereit, der Generalmnrsch rief noch zur rechten Stunde die Nntionalgarde
herbei, die begeistert Lamartine hoch leben ließ und "Nieder mit den Kommu¬
nisten!" rief, und die Aufständischen mußten von ihrem Angriff absehen. Bald
darauf fanden die Wahlen statt, und ihr Ergebnis war eine vollständige Nieder¬
lage der Noten. Selbst die 34 Vertreter der Hauptstadt waren größtenteils
Männer von Einsicht und gemäßigter Gesinnung. Die Nationalversammlung
trat zusammen, bestätigte die Republik und wählte, nachdem die provisorische
Regierung abgedankt hatte, am 10. Mai an deren Stelle eine "Vollziehungs-
konnnissivn," die durch ein verantwortliches Ministerium bis zur Vollendung
der neuen 'Verfassung regieren sollte, und in der die Partei der gemäßigten
Republikaner überwog, was denn anch in der Wahl der Minister sich ausprägte.

Die ersten Handlungen der Nationalversammlung und ihre ganze Haltung
rechtfertigten den Sozialdemokraten alle Besorgnisse, mit denen sie der Wirk¬
samkeit der Volksvertretung entgegengesehen hatten, und wenn es ihnen nicht
Ölungen war, die Wahlen lauge zu verhindern, so sollte jetzt deren Ergebnis
vernichtet, die Nationalversannnlnng und die von ihr eingesetzte Regierung
^sprengt und an deren Stelle eine sozialdemokrntische Diktatur eingesetzt werden,
'''u 15. Mai sammelten sich die Klubs und ihr Anhang auf dem Bnstillenplatze
und den benachbarten Boulevards und zogen mit roten Abzeichen und Waffen
Unter den Kleidern, geführt von Blanqui, Raspail und Svbrier, an hundert-
^usent Köpfe stark, nach dem Palaste der Nationalversammlung, die sich gerade
'"'t einer Adresse zu Gunsten Polens beschäftigte. Man drang massenhaft in
^' Beratungssal, erklärte die Versammlung sür aufgelöst und vertrieb die
Abgeordneten, worauf man sofort zur Errichtung einer neuen Regierung
^^ne. dabei aber durch den Anmarsch von Mohn- und Nationalgarde gestört
wurde, vor der die Leiter des Aufstandes sich zur Vollendung des Geschäfts
^>es dem Rathause zurückzogen. Hier wurden Barbös. Albert. Blauqui. Raspail,
svbrier, Prudhvn, Cabet, Pierre Leronx und Thors zu Regenten ernannt.


Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie

der Franzosen, vorzüglich der Bauern, und die Besorgnis verbarg, das Er¬
gebnis der Februarrevolution werde durch eine reaktionäre oder doch gemäßigte
Nationalversammlung vernichtet, wenigstens stark beschränkt werden. Dazu
den für die äußersten Parteien, die in den Ereignissen des Februars nur den
Anfang ihrer Revolution erblickten, das dringende Interesse, die gegenwärtigen
Zustände nicht die Festigkeit gewinnen zu lassen, die von der Eröffnung der
Nationalversammlung zu erwarten war, und so wurde vom „Klub der Klubs,"
einer revolutionären Zentralbehörde, ein anarchistisches Unternehmen vorbereitet,
das die provisorische Regierung den Sozialdemokraten unterwerfen oder sie
beseitigen sollte. Die Ausführung des Plans war auf den 1«. April fest¬
gesetzt; an diesem Tage rückten 40000 Sozialdemokraten vom Marsfelde her
Ma Angriffe auf das Rathaus heran. Die Negierung war aber gewarnt und
hatte sich vorgesehen. Sie hielt die Mobilgarde zum Empfange der Gegner
bereit, der Generalmnrsch rief noch zur rechten Stunde die Nntionalgarde
herbei, die begeistert Lamartine hoch leben ließ und „Nieder mit den Kommu¬
nisten!" rief, und die Aufständischen mußten von ihrem Angriff absehen. Bald
darauf fanden die Wahlen statt, und ihr Ergebnis war eine vollständige Nieder¬
lage der Noten. Selbst die 34 Vertreter der Hauptstadt waren größtenteils
Männer von Einsicht und gemäßigter Gesinnung. Die Nationalversammlung
trat zusammen, bestätigte die Republik und wählte, nachdem die provisorische
Regierung abgedankt hatte, am 10. Mai an deren Stelle eine „Vollziehungs-
konnnissivn," die durch ein verantwortliches Ministerium bis zur Vollendung
der neuen 'Verfassung regieren sollte, und in der die Partei der gemäßigten
Republikaner überwog, was denn anch in der Wahl der Minister sich ausprägte.

Die ersten Handlungen der Nationalversammlung und ihre ganze Haltung
rechtfertigten den Sozialdemokraten alle Besorgnisse, mit denen sie der Wirk¬
samkeit der Volksvertretung entgegengesehen hatten, und wenn es ihnen nicht
Ölungen war, die Wahlen lauge zu verhindern, so sollte jetzt deren Ergebnis
vernichtet, die Nationalversannnlnng und die von ihr eingesetzte Regierung
^sprengt und an deren Stelle eine sozialdemokrntische Diktatur eingesetzt werden,
'''u 15. Mai sammelten sich die Klubs und ihr Anhang auf dem Bnstillenplatze
und den benachbarten Boulevards und zogen mit roten Abzeichen und Waffen
Unter den Kleidern, geführt von Blanqui, Raspail und Svbrier, an hundert-
^usent Köpfe stark, nach dem Palaste der Nationalversammlung, die sich gerade
'"'t einer Adresse zu Gunsten Polens beschäftigte. Man drang massenhaft in
^' Beratungssal, erklärte die Versammlung sür aufgelöst und vertrieb die
Abgeordneten, worauf man sofort zur Errichtung einer neuen Regierung
^^ne. dabei aber durch den Anmarsch von Mohn- und Nationalgarde gestört
wurde, vor der die Leiter des Aufstandes sich zur Vollendung des Geschäfts
^>es dem Rathause zurückzogen. Hier wurden Barbös. Albert. Blauqui. Raspail,
svbrier, Prudhvn, Cabet, Pierre Leronx und Thors zu Regenten ernannt.


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[0309] Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie der Franzosen, vorzüglich der Bauern, und die Besorgnis verbarg, das Er¬ gebnis der Februarrevolution werde durch eine reaktionäre oder doch gemäßigte Nationalversammlung vernichtet, wenigstens stark beschränkt werden. Dazu den für die äußersten Parteien, die in den Ereignissen des Februars nur den Anfang ihrer Revolution erblickten, das dringende Interesse, die gegenwärtigen Zustände nicht die Festigkeit gewinnen zu lassen, die von der Eröffnung der Nationalversammlung zu erwarten war, und so wurde vom „Klub der Klubs," einer revolutionären Zentralbehörde, ein anarchistisches Unternehmen vorbereitet, das die provisorische Regierung den Sozialdemokraten unterwerfen oder sie beseitigen sollte. Die Ausführung des Plans war auf den 1«. April fest¬ gesetzt; an diesem Tage rückten 40000 Sozialdemokraten vom Marsfelde her Ma Angriffe auf das Rathaus heran. Die Negierung war aber gewarnt und hatte sich vorgesehen. Sie hielt die Mobilgarde zum Empfange der Gegner bereit, der Generalmnrsch rief noch zur rechten Stunde die Nntionalgarde herbei, die begeistert Lamartine hoch leben ließ und „Nieder mit den Kommu¬ nisten!" rief, und die Aufständischen mußten von ihrem Angriff absehen. Bald darauf fanden die Wahlen statt, und ihr Ergebnis war eine vollständige Nieder¬ lage der Noten. Selbst die 34 Vertreter der Hauptstadt waren größtenteils Männer von Einsicht und gemäßigter Gesinnung. Die Nationalversammlung trat zusammen, bestätigte die Republik und wählte, nachdem die provisorische Regierung abgedankt hatte, am 10. Mai an deren Stelle eine „Vollziehungs- konnnissivn," die durch ein verantwortliches Ministerium bis zur Vollendung der neuen 'Verfassung regieren sollte, und in der die Partei der gemäßigten Republikaner überwog, was denn anch in der Wahl der Minister sich ausprägte. Die ersten Handlungen der Nationalversammlung und ihre ganze Haltung rechtfertigten den Sozialdemokraten alle Besorgnisse, mit denen sie der Wirk¬ samkeit der Volksvertretung entgegengesehen hatten, und wenn es ihnen nicht Ölungen war, die Wahlen lauge zu verhindern, so sollte jetzt deren Ergebnis vernichtet, die Nationalversannnlnng und die von ihr eingesetzte Regierung ^sprengt und an deren Stelle eine sozialdemokrntische Diktatur eingesetzt werden, '''u 15. Mai sammelten sich die Klubs und ihr Anhang auf dem Bnstillenplatze und den benachbarten Boulevards und zogen mit roten Abzeichen und Waffen Unter den Kleidern, geführt von Blanqui, Raspail und Svbrier, an hundert- ^usent Köpfe stark, nach dem Palaste der Nationalversammlung, die sich gerade '"'t einer Adresse zu Gunsten Polens beschäftigte. Man drang massenhaft in ^' Beratungssal, erklärte die Versammlung sür aufgelöst und vertrieb die Abgeordneten, worauf man sofort zur Errichtung einer neuen Regierung ^^ne. dabei aber durch den Anmarsch von Mohn- und Nationalgarde gestört wurde, vor der die Leiter des Aufstandes sich zur Vollendung des Geschäfts ^>es dem Rathause zurückzogen. Hier wurden Barbös. Albert. Blauqui. Raspail, svbrier, Prudhvn, Cabet, Pierre Leronx und Thors zu Regenten ernannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/309>, abgerufen am 22.07.2024.