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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Nicht weniger Besorgnis als die Nationalwerkstätten rief ein "Arbeiter-
Parlament" hervor, das am 1. März im Sitzungssnale der ehemaligen Pairs-
kammer im Palais Luxemburg eröffnet worden war und unter dem Vorsitze
Louis Blancs, des Apostels der "Organisation der Arbeit," sich damit be¬
schäftigen sollte, die Mittel zur Verwirklichung der zwar unbestimmten, aber
keineswegs bescheidenen sozialistischen Wünsche ausfindig zu machen, deren Er¬
füllung der große Haufe von der Februarrevolution erwartete. Es kam dabei
nicht viel mehr heraus als lange Reden, mit denen mehr Gefühle als Gedanken
ausgetauscht wurden. Man sprach pathetisch von Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit, die nun herrschen und die Welt beglücke" sollten, und einigte
sich dann schon am ersten Tage zu einem Beschlusse, der, indem er die
Arbeitszeit in Paris auf zehn, in den Provinzen ans elf Stunden beschränkte,
ein Vorrecht schuf, das der Gleichheit und Brüderlichkeit Hohn sprach. In
>drein weitern Verlaufe lieferten die Beratungen der fast ausschließlich aus
Handwerks geselle", Fabrikarbeitern und Tagelöhnern zusammengesetzten Ver¬
sammlung kaum ein andres Ergebnis, als daß sie die Inhaltslosigkeit der
sozialistischen Schlagwörter und die Unnusführbarkcit der gesellschaftlichen.
Revrgauisativnspläue Louis Blaues und andrer in Helles Licht setzte". Dennoch
^ar zu befürchten, daß früher oder später ein offner und gewaltthätiger
Kommunismus aus dem ehemaligen Saale des französischen Oberhauses hervor¬
gehe" würde, u"d so war das Arbeiterparlament ein Gegenstand unaufhörlicher
Beunruhigung für den Mittelstand. Nächst Louis Blaue erregte Ledru-Rollin,
°er "die Minister des Innern, durch seiue Grundsätze und seine Thätigkeit
schwere Bedenken. Er schickte ganze Scharen von "Zivilkommissaren" in die
Provinzen und gab ihnen unbeschränkte Vollmacht mit, durch die die gesamte
bewaffnete Macht in den betreffenden Bezirken unter ihren Befehl gestellt
wurde. In dem Schreiben des Ministers an diese Sendboten hieß es u. n.:
"^hre Aufgabe besteht in der Belebung der republikanischen Gefühle des
Landes. Die Präfekten und Untcrpräfetten müssen allenthalben abgesetzt werden.
An einigen Orten möchte man sie behalten, aber Sie müssen den Leuten be¬
greiflich machen, daß man nicht Männer im Amte lassen kann, die einer Rc-
iUeru"^ gedient haben, welche mit jeder ihrer Handlungen irgend eine Korruption
Ausgeübt hat. Auch die Maires und ihre Beigeordneten sind abzusetzen, und
^um die Gemeinderäte sich feindselig zeigen, muß man sie auflösen. Erweist
Mitglied des unabsetzbaren Beamtenstandes sich als Gegner, so kann ihn
^ Kommissar gleichfalls seiner Stelle entheben." Zum Schlüsse empfahl das
schreiben den Kommissären dringend Einfluß auf die bevorstehenden Wahlen
^ üben, denn mir eine von revolutionärem Geiste beseelte Nationalversammlung
omne Frankreich retten, und deshalb müsse man die Wahlen so leiten, daß sie
neue Männer und zwar so viel als möglich aus dem Volke ergäben. In
ähnlichem Sinne sprach Carnot, der neue Unterrichtsminister, in einem an die


Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Nicht weniger Besorgnis als die Nationalwerkstätten rief ein „Arbeiter-
Parlament" hervor, das am 1. März im Sitzungssnale der ehemaligen Pairs-
kammer im Palais Luxemburg eröffnet worden war und unter dem Vorsitze
Louis Blancs, des Apostels der „Organisation der Arbeit," sich damit be¬
schäftigen sollte, die Mittel zur Verwirklichung der zwar unbestimmten, aber
keineswegs bescheidenen sozialistischen Wünsche ausfindig zu machen, deren Er¬
füllung der große Haufe von der Februarrevolution erwartete. Es kam dabei
nicht viel mehr heraus als lange Reden, mit denen mehr Gefühle als Gedanken
ausgetauscht wurden. Man sprach pathetisch von Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit, die nun herrschen und die Welt beglücke» sollten, und einigte
sich dann schon am ersten Tage zu einem Beschlusse, der, indem er die
Arbeitszeit in Paris auf zehn, in den Provinzen ans elf Stunden beschränkte,
ein Vorrecht schuf, das der Gleichheit und Brüderlichkeit Hohn sprach. In
>drein weitern Verlaufe lieferten die Beratungen der fast ausschließlich aus
Handwerks geselle», Fabrikarbeitern und Tagelöhnern zusammengesetzten Ver¬
sammlung kaum ein andres Ergebnis, als daß sie die Inhaltslosigkeit der
sozialistischen Schlagwörter und die Unnusführbarkcit der gesellschaftlichen.
Revrgauisativnspläue Louis Blaues und andrer in Helles Licht setzte». Dennoch
^ar zu befürchten, daß früher oder später ein offner und gewaltthätiger
Kommunismus aus dem ehemaligen Saale des französischen Oberhauses hervor¬
gehe» würde, u»d so war das Arbeiterparlament ein Gegenstand unaufhörlicher
Beunruhigung für den Mittelstand. Nächst Louis Blaue erregte Ledru-Rollin,
°er »die Minister des Innern, durch seiue Grundsätze und seine Thätigkeit
schwere Bedenken. Er schickte ganze Scharen von „Zivilkommissaren" in die
Provinzen und gab ihnen unbeschränkte Vollmacht mit, durch die die gesamte
bewaffnete Macht in den betreffenden Bezirken unter ihren Befehl gestellt
wurde. In dem Schreiben des Ministers an diese Sendboten hieß es u. n.:
"^hre Aufgabe besteht in der Belebung der republikanischen Gefühle des
Landes. Die Präfekten und Untcrpräfetten müssen allenthalben abgesetzt werden.
An einigen Orten möchte man sie behalten, aber Sie müssen den Leuten be¬
greiflich machen, daß man nicht Männer im Amte lassen kann, die einer Rc-
iUeru»^ gedient haben, welche mit jeder ihrer Handlungen irgend eine Korruption
Ausgeübt hat. Auch die Maires und ihre Beigeordneten sind abzusetzen, und
^um die Gemeinderäte sich feindselig zeigen, muß man sie auflösen. Erweist
Mitglied des unabsetzbaren Beamtenstandes sich als Gegner, so kann ihn
^ Kommissar gleichfalls seiner Stelle entheben." Zum Schlüsse empfahl das
schreiben den Kommissären dringend Einfluß auf die bevorstehenden Wahlen
^ üben, denn mir eine von revolutionärem Geiste beseelte Nationalversammlung
omne Frankreich retten, und deshalb müsse man die Wahlen so leiten, daß sie
neue Männer und zwar so viel als möglich aus dem Volke ergäben. In
ähnlichem Sinne sprach Carnot, der neue Unterrichtsminister, in einem an die


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[0307] Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie Nicht weniger Besorgnis als die Nationalwerkstätten rief ein „Arbeiter- Parlament" hervor, das am 1. März im Sitzungssnale der ehemaligen Pairs- kammer im Palais Luxemburg eröffnet worden war und unter dem Vorsitze Louis Blancs, des Apostels der „Organisation der Arbeit," sich damit be¬ schäftigen sollte, die Mittel zur Verwirklichung der zwar unbestimmten, aber keineswegs bescheidenen sozialistischen Wünsche ausfindig zu machen, deren Er¬ füllung der große Haufe von der Februarrevolution erwartete. Es kam dabei nicht viel mehr heraus als lange Reden, mit denen mehr Gefühle als Gedanken ausgetauscht wurden. Man sprach pathetisch von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die nun herrschen und die Welt beglücke» sollten, und einigte sich dann schon am ersten Tage zu einem Beschlusse, der, indem er die Arbeitszeit in Paris auf zehn, in den Provinzen ans elf Stunden beschränkte, ein Vorrecht schuf, das der Gleichheit und Brüderlichkeit Hohn sprach. In >drein weitern Verlaufe lieferten die Beratungen der fast ausschließlich aus Handwerks geselle», Fabrikarbeitern und Tagelöhnern zusammengesetzten Ver¬ sammlung kaum ein andres Ergebnis, als daß sie die Inhaltslosigkeit der sozialistischen Schlagwörter und die Unnusführbarkcit der gesellschaftlichen. Revrgauisativnspläue Louis Blaues und andrer in Helles Licht setzte». Dennoch ^ar zu befürchten, daß früher oder später ein offner und gewaltthätiger Kommunismus aus dem ehemaligen Saale des französischen Oberhauses hervor¬ gehe» würde, u»d so war das Arbeiterparlament ein Gegenstand unaufhörlicher Beunruhigung für den Mittelstand. Nächst Louis Blaue erregte Ledru-Rollin, °er »die Minister des Innern, durch seiue Grundsätze und seine Thätigkeit schwere Bedenken. Er schickte ganze Scharen von „Zivilkommissaren" in die Provinzen und gab ihnen unbeschränkte Vollmacht mit, durch die die gesamte bewaffnete Macht in den betreffenden Bezirken unter ihren Befehl gestellt wurde. In dem Schreiben des Ministers an diese Sendboten hieß es u. n.: "^hre Aufgabe besteht in der Belebung der republikanischen Gefühle des Landes. Die Präfekten und Untcrpräfetten müssen allenthalben abgesetzt werden. An einigen Orten möchte man sie behalten, aber Sie müssen den Leuten be¬ greiflich machen, daß man nicht Männer im Amte lassen kann, die einer Rc- iUeru»^ gedient haben, welche mit jeder ihrer Handlungen irgend eine Korruption Ausgeübt hat. Auch die Maires und ihre Beigeordneten sind abzusetzen, und ^um die Gemeinderäte sich feindselig zeigen, muß man sie auflösen. Erweist Mitglied des unabsetzbaren Beamtenstandes sich als Gegner, so kann ihn ^ Kommissar gleichfalls seiner Stelle entheben." Zum Schlüsse empfahl das schreiben den Kommissären dringend Einfluß auf die bevorstehenden Wahlen ^ üben, denn mir eine von revolutionärem Geiste beseelte Nationalversammlung omne Frankreich retten, und deshalb müsse man die Wahlen so leiten, daß sie neue Männer und zwar so viel als möglich aus dem Volke ergäben. In ähnlichem Sinne sprach Carnot, der neue Unterrichtsminister, in einem an die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/307>, abgerufen am 22.07.2024.