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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Dienste leistete. Sie war nämlich von der Straße und den Barrikaden und
aus den geheimen Gesellschaften niedrigsten Ranges zusammengelesen, und viele
ihrer Mitglieder versahen den Dienst barfuß. Statt einer Uniform gab man
ihnen als Erkennungszeichen rote Halsbinden und Gürtel, aber die feste Hand
ihres Chefs sorgte dafür, daß sie rasch zu eiuer Truppe wurden, die sich recht
gut gegen die "Roten" gebrauchen ließ.

Die provisorische Regierung fand jetzt Zeit zu ernsteren und notwendigeren
Geschäften, sie widmete sich der Ordnung der Beziehungen zum Auslande, der
Vorbereitung der Wahlen für die verfassunggebende Nationalversammlung und
der Verbesserung der Finanzen. Die damit verbundene Steuererhöhung machte
vorzüglich aus dem Lande böses Blut, und wenn man den fast gänzlich ge¬
schwundenen Privatkredit dnrch Errichtung von öffentlichen Wechselkvmptoirs
in den wichtigsten Fabrik- und Handelsstädten einigermaßen ersetzte und so den
allgemeinen Stillstand der Geschäfte verhütete, so schlössen doch viele Unter¬
nehmer ihre Fabriken, Werkstätten und Handelshäuser, und Tausende von Hand¬
werksgesellen, Kaufmannsdienern und Tagelöhnern verloren ihr Brot. Die
Wirklichkeit bildete damit einen grellen Gegensatz zu den ausschweifenden Hoff¬
nungen, die durch den Sieg der Februartage in den sozialistisch durchsäuerten
untern Klasse" erregt worden waren. Waren diese dnrch Vernunftgründe und
Beredsamkeit bewogen worden, ihre maßlosesten Forderungen vorläufig fallen
zu lassen, so war selbstverständlich nicht zu erwarten, daß sie das über sie
hereingebrochene äußerste Elend gelassen ertragen und in stiller Ergebung ver¬
hungern würden. Die Ernährung des durch die Revolution verdreifachte"
Proletariats war die erste Bedingung für die Wiederherstellung eines regel¬
mäßigen staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, und überdies war das Recht
auf Arbeit von der provisorischen Regierung förmlich anerkannt worden. An¬
gesichts dessen ermächtigte diese den Minister der öffentlichen Arbeiten, Marre,
zur Errichtung sogenannter Nationalwerkstätteu, in denen die brodlosen Bürger
der Republik Beschäftigung und Lohn finden sollten. Die einzige Beschäftig""!!
aber, die man ihnen zu geben wußte, waren nutzlose Erdarbeiten: man ließ si^
Dämme ohne denkbaren Zweck aufwerfen und Gräben ziehen, in denen nie eM
Tropfen Wasser fließen sollte. Es war nur ein Vorwand zur Zahlung cinco
Wochenlohns, der im Grunde el" Almosen war. Natürlich hatten diese Arbeiten,
zu denen sich gegen hunderttausend Unterstützungsbedürftige meldeten, wie keine"
wirtschaftlichen Nutzen, so auch keinen sittlichen Wert, und so war es kaum eM
Verlust, wenn sie bald einem Müßiggange Platz machten, der seinen Lohn und
dem Bewußtsein einstrich, ihn nicht verdient zu habe". Das mußte auf die
Dauer den Staat finanziell, das Volk sittlich zu Grunde richten, und doch er¬
öffnete sich vor der Hand keinerlei Aussicht auf eine Beseitigung dieser >"
Paris und mehrern andern französischen Großstädten am Marke des Landen
fressenden Anstalten.


Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Dienste leistete. Sie war nämlich von der Straße und den Barrikaden und
aus den geheimen Gesellschaften niedrigsten Ranges zusammengelesen, und viele
ihrer Mitglieder versahen den Dienst barfuß. Statt einer Uniform gab man
ihnen als Erkennungszeichen rote Halsbinden und Gürtel, aber die feste Hand
ihres Chefs sorgte dafür, daß sie rasch zu eiuer Truppe wurden, die sich recht
gut gegen die „Roten" gebrauchen ließ.

Die provisorische Regierung fand jetzt Zeit zu ernsteren und notwendigeren
Geschäften, sie widmete sich der Ordnung der Beziehungen zum Auslande, der
Vorbereitung der Wahlen für die verfassunggebende Nationalversammlung und
der Verbesserung der Finanzen. Die damit verbundene Steuererhöhung machte
vorzüglich aus dem Lande böses Blut, und wenn man den fast gänzlich ge¬
schwundenen Privatkredit dnrch Errichtung von öffentlichen Wechselkvmptoirs
in den wichtigsten Fabrik- und Handelsstädten einigermaßen ersetzte und so den
allgemeinen Stillstand der Geschäfte verhütete, so schlössen doch viele Unter¬
nehmer ihre Fabriken, Werkstätten und Handelshäuser, und Tausende von Hand¬
werksgesellen, Kaufmannsdienern und Tagelöhnern verloren ihr Brot. Die
Wirklichkeit bildete damit einen grellen Gegensatz zu den ausschweifenden Hoff¬
nungen, die durch den Sieg der Februartage in den sozialistisch durchsäuerten
untern Klasse» erregt worden waren. Waren diese dnrch Vernunftgründe und
Beredsamkeit bewogen worden, ihre maßlosesten Forderungen vorläufig fallen
zu lassen, so war selbstverständlich nicht zu erwarten, daß sie das über sie
hereingebrochene äußerste Elend gelassen ertragen und in stiller Ergebung ver¬
hungern würden. Die Ernährung des durch die Revolution verdreifachte»
Proletariats war die erste Bedingung für die Wiederherstellung eines regel¬
mäßigen staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, und überdies war das Recht
auf Arbeit von der provisorischen Regierung förmlich anerkannt worden. An¬
gesichts dessen ermächtigte diese den Minister der öffentlichen Arbeiten, Marre,
zur Errichtung sogenannter Nationalwerkstätteu, in denen die brodlosen Bürger
der Republik Beschäftigung und Lohn finden sollten. Die einzige Beschäftig»»!!
aber, die man ihnen zu geben wußte, waren nutzlose Erdarbeiten: man ließ si^
Dämme ohne denkbaren Zweck aufwerfen und Gräben ziehen, in denen nie eM
Tropfen Wasser fließen sollte. Es war nur ein Vorwand zur Zahlung cinco
Wochenlohns, der im Grunde el» Almosen war. Natürlich hatten diese Arbeiten,
zu denen sich gegen hunderttausend Unterstützungsbedürftige meldeten, wie keine»
wirtschaftlichen Nutzen, so auch keinen sittlichen Wert, und so war es kaum eM
Verlust, wenn sie bald einem Müßiggange Platz machten, der seinen Lohn und
dem Bewußtsein einstrich, ihn nicht verdient zu habe». Das mußte auf die
Dauer den Staat finanziell, das Volk sittlich zu Grunde richten, und doch er¬
öffnete sich vor der Hand keinerlei Aussicht auf eine Beseitigung dieser >»
Paris und mehrern andern französischen Großstädten am Marke des Landen
fressenden Anstalten.


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[0306] Ans den Jugendjahren der Sozialdemokratie Dienste leistete. Sie war nämlich von der Straße und den Barrikaden und aus den geheimen Gesellschaften niedrigsten Ranges zusammengelesen, und viele ihrer Mitglieder versahen den Dienst barfuß. Statt einer Uniform gab man ihnen als Erkennungszeichen rote Halsbinden und Gürtel, aber die feste Hand ihres Chefs sorgte dafür, daß sie rasch zu eiuer Truppe wurden, die sich recht gut gegen die „Roten" gebrauchen ließ. Die provisorische Regierung fand jetzt Zeit zu ernsteren und notwendigeren Geschäften, sie widmete sich der Ordnung der Beziehungen zum Auslande, der Vorbereitung der Wahlen für die verfassunggebende Nationalversammlung und der Verbesserung der Finanzen. Die damit verbundene Steuererhöhung machte vorzüglich aus dem Lande böses Blut, und wenn man den fast gänzlich ge¬ schwundenen Privatkredit dnrch Errichtung von öffentlichen Wechselkvmptoirs in den wichtigsten Fabrik- und Handelsstädten einigermaßen ersetzte und so den allgemeinen Stillstand der Geschäfte verhütete, so schlössen doch viele Unter¬ nehmer ihre Fabriken, Werkstätten und Handelshäuser, und Tausende von Hand¬ werksgesellen, Kaufmannsdienern und Tagelöhnern verloren ihr Brot. Die Wirklichkeit bildete damit einen grellen Gegensatz zu den ausschweifenden Hoff¬ nungen, die durch den Sieg der Februartage in den sozialistisch durchsäuerten untern Klasse» erregt worden waren. Waren diese dnrch Vernunftgründe und Beredsamkeit bewogen worden, ihre maßlosesten Forderungen vorläufig fallen zu lassen, so war selbstverständlich nicht zu erwarten, daß sie das über sie hereingebrochene äußerste Elend gelassen ertragen und in stiller Ergebung ver¬ hungern würden. Die Ernährung des durch die Revolution verdreifachte» Proletariats war die erste Bedingung für die Wiederherstellung eines regel¬ mäßigen staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, und überdies war das Recht auf Arbeit von der provisorischen Regierung förmlich anerkannt worden. An¬ gesichts dessen ermächtigte diese den Minister der öffentlichen Arbeiten, Marre, zur Errichtung sogenannter Nationalwerkstätteu, in denen die brodlosen Bürger der Republik Beschäftigung und Lohn finden sollten. Die einzige Beschäftig»»!! aber, die man ihnen zu geben wußte, waren nutzlose Erdarbeiten: man ließ si^ Dämme ohne denkbaren Zweck aufwerfen und Gräben ziehen, in denen nie eM Tropfen Wasser fließen sollte. Es war nur ein Vorwand zur Zahlung cinco Wochenlohns, der im Grunde el» Almosen war. Natürlich hatten diese Arbeiten, zu denen sich gegen hunderttausend Unterstützungsbedürftige meldeten, wie keine» wirtschaftlichen Nutzen, so auch keinen sittlichen Wert, und so war es kaum eM Verlust, wenn sie bald einem Müßiggange Platz machten, der seinen Lohn und dem Bewußtsein einstrich, ihn nicht verdient zu habe». Das mußte auf die Dauer den Staat finanziell, das Volk sittlich zu Grunde richten, und doch er¬ öffnete sich vor der Hand keinerlei Aussicht auf eine Beseitigung dieser >» Paris und mehrern andern französischen Großstädten am Marke des Landen fressenden Anstalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/306>, abgerufen am 21.06.2024.