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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahre" der Sozialdemokratie

einem andern gegeben hatte, der nicht erblich legitimirt, nicht von Gottes
Gnaden, sondern vom Willen des Volkes zum Herrscher eingesetzt war, sah fortan
die Krone als sein Eigentum an, über das es auch verfügen könne. Der neue
König, Ludwig Philipp, dagegen sah, anfangs im stillen, die Krone nach dein
Grundsätze der Legitimität als etwas über dein Volkswillen stehendes an. war
aber zu klug, um nicht zu begreifen, daß es ihm unmöglich sein würde, seine
Anffassuttg aus eigner Kraft durchzusetzen. Es schien ihm unvermeidlich, wenig¬
stens noch einen Halt zu gewinnen, indem er sich mit der stärksten Gewalt in
der Gesellschaft verbündete und sich darauf stützte. Diese aber war damals
das Bürgertum, die mehr oder minder besitzende Klasse, die Bourgeoisie, die
sich anfänglich noch in eine monarchische nud eine republikanische Partei spaltete.
Zwischen beiden stehend, beide als ein Ganzes zu benutzen, war unmöglich; sich
der monarchischen Partei zuzuwenden, ohne die Republikaner zu vernichten,
hieß das Königtum selbst zu einer der Parteien machen. Daher war die
äußerste Bekämpfung der Republikaner gebieterische Notwendigkeit, und zu
diesem Kampfe gaben die Umstände dem König Mittel und Gelegenheit an die
Hand. Die Bourgeoisie, die höhere und mittlere Geschäftswelt, bedürfte ge¬
sicherten Kredit, und dieser verlangte Ruhe im Staate, die Republikaner aber
bedrohten und störten mit ihren Bestrebungen diese Ruhe ohne Unterlaß. Die
'^egiernng schien, wenn sie die Aufstände der Republikaner niederwarf, allein
für die Interessen der Bourgeoisie zu arbeiten, der König nur deren Beschützer
und Förderer zu sein. Die Folge war. daß sich die große Masse derselbe"
allmählich entschieden an ihn anschloß. Er siegte mit der Nationalgarde, dem
bewaffneten Bürgertnme. nud mit der öffentlichen Meinung ans allen Punkten
über die Republikaner. Diese Zeit erstreckt sich etwa bis 1836. Es ist die
Zeit des Aufsteigens des neuen Königtums. Aber der König sah auch voraus.
unes Sicherung der öffentlichen Ruhe auch der rechte Flügel des Bürger¬
tums sich, wenn anch nur aus verfassungsmäßigen Wege, mit parlamentari¬
schen Mitteln und mit Benutzung der Preßfreiheit gegen die Obergewalt des
Königtums wenden und sich bemühen werde, es seinen Interessen möglichst
dienstbar zu machen. Er mußte daher einem weitern Schritt thun und jeden
Angriff, der sich gegen die Regierung richtete, als Angriff auf das mit ihm
herrschende Bürgertum darstellen lassen, wozu die kommunistischen Selten und
^e Sozinldemokraten mit ihren Attentate!, und Revolten willkommene Gelegen¬
heiten lieferten. Nun begann eine neue Taktik. Man ging von der Über-
^ugung aus, daß der Republikanismus ausgelebt habe, aber die nahe Ver¬
wandtschaft desselben mit der Sozialdemokratie und dem Kommunismus machte
^ möglich, alle Bestrebungen des vierten Standes als Gefahr für das Eigentum
^scheinen zu lassen. Es gelang damit, die Bourgeoisie durch Angst und Schreck
^ dem Proletariat weiter für das "Bnrgerkönigtum" zu gewinnen, und sie
sich sorte Beschränkungen ihrer Rechte ruhig gefallen. Nur die Opposition


Aus den Jugendjahre» der Sozialdemokratie

einem andern gegeben hatte, der nicht erblich legitimirt, nicht von Gottes
Gnaden, sondern vom Willen des Volkes zum Herrscher eingesetzt war, sah fortan
die Krone als sein Eigentum an, über das es auch verfügen könne. Der neue
König, Ludwig Philipp, dagegen sah, anfangs im stillen, die Krone nach dein
Grundsätze der Legitimität als etwas über dein Volkswillen stehendes an. war
aber zu klug, um nicht zu begreifen, daß es ihm unmöglich sein würde, seine
Anffassuttg aus eigner Kraft durchzusetzen. Es schien ihm unvermeidlich, wenig¬
stens noch einen Halt zu gewinnen, indem er sich mit der stärksten Gewalt in
der Gesellschaft verbündete und sich darauf stützte. Diese aber war damals
das Bürgertum, die mehr oder minder besitzende Klasse, die Bourgeoisie, die
sich anfänglich noch in eine monarchische nud eine republikanische Partei spaltete.
Zwischen beiden stehend, beide als ein Ganzes zu benutzen, war unmöglich; sich
der monarchischen Partei zuzuwenden, ohne die Republikaner zu vernichten,
hieß das Königtum selbst zu einer der Parteien machen. Daher war die
äußerste Bekämpfung der Republikaner gebieterische Notwendigkeit, und zu
diesem Kampfe gaben die Umstände dem König Mittel und Gelegenheit an die
Hand. Die Bourgeoisie, die höhere und mittlere Geschäftswelt, bedürfte ge¬
sicherten Kredit, und dieser verlangte Ruhe im Staate, die Republikaner aber
bedrohten und störten mit ihren Bestrebungen diese Ruhe ohne Unterlaß. Die
'^egiernng schien, wenn sie die Aufstände der Republikaner niederwarf, allein
für die Interessen der Bourgeoisie zu arbeiten, der König nur deren Beschützer
und Förderer zu sein. Die Folge war. daß sich die große Masse derselbe»
allmählich entschieden an ihn anschloß. Er siegte mit der Nationalgarde, dem
bewaffneten Bürgertnme. nud mit der öffentlichen Meinung ans allen Punkten
über die Republikaner. Diese Zeit erstreckt sich etwa bis 1836. Es ist die
Zeit des Aufsteigens des neuen Königtums. Aber der König sah auch voraus.
unes Sicherung der öffentlichen Ruhe auch der rechte Flügel des Bürger¬
tums sich, wenn anch nur aus verfassungsmäßigen Wege, mit parlamentari¬
schen Mitteln und mit Benutzung der Preßfreiheit gegen die Obergewalt des
Königtums wenden und sich bemühen werde, es seinen Interessen möglichst
dienstbar zu machen. Er mußte daher einem weitern Schritt thun und jeden
Angriff, der sich gegen die Regierung richtete, als Angriff auf das mit ihm
herrschende Bürgertum darstellen lassen, wozu die kommunistischen Selten und
^e Sozinldemokraten mit ihren Attentate!, und Revolten willkommene Gelegen¬
heiten lieferten. Nun begann eine neue Taktik. Man ging von der Über-
^ugung aus, daß der Republikanismus ausgelebt habe, aber die nahe Ver¬
wandtschaft desselben mit der Sozialdemokratie und dem Kommunismus machte
^ möglich, alle Bestrebungen des vierten Standes als Gefahr für das Eigentum
^scheinen zu lassen. Es gelang damit, die Bourgeoisie durch Angst und Schreck
^ dem Proletariat weiter für das „Bnrgerkönigtum" zu gewinnen, und sie
sich sorte Beschränkungen ihrer Rechte ruhig gefallen. Nur die Opposition


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[0261] Aus den Jugendjahre» der Sozialdemokratie einem andern gegeben hatte, der nicht erblich legitimirt, nicht von Gottes Gnaden, sondern vom Willen des Volkes zum Herrscher eingesetzt war, sah fortan die Krone als sein Eigentum an, über das es auch verfügen könne. Der neue König, Ludwig Philipp, dagegen sah, anfangs im stillen, die Krone nach dein Grundsätze der Legitimität als etwas über dein Volkswillen stehendes an. war aber zu klug, um nicht zu begreifen, daß es ihm unmöglich sein würde, seine Anffassuttg aus eigner Kraft durchzusetzen. Es schien ihm unvermeidlich, wenig¬ stens noch einen Halt zu gewinnen, indem er sich mit der stärksten Gewalt in der Gesellschaft verbündete und sich darauf stützte. Diese aber war damals das Bürgertum, die mehr oder minder besitzende Klasse, die Bourgeoisie, die sich anfänglich noch in eine monarchische nud eine republikanische Partei spaltete. Zwischen beiden stehend, beide als ein Ganzes zu benutzen, war unmöglich; sich der monarchischen Partei zuzuwenden, ohne die Republikaner zu vernichten, hieß das Königtum selbst zu einer der Parteien machen. Daher war die äußerste Bekämpfung der Republikaner gebieterische Notwendigkeit, und zu diesem Kampfe gaben die Umstände dem König Mittel und Gelegenheit an die Hand. Die Bourgeoisie, die höhere und mittlere Geschäftswelt, bedürfte ge¬ sicherten Kredit, und dieser verlangte Ruhe im Staate, die Republikaner aber bedrohten und störten mit ihren Bestrebungen diese Ruhe ohne Unterlaß. Die '^egiernng schien, wenn sie die Aufstände der Republikaner niederwarf, allein für die Interessen der Bourgeoisie zu arbeiten, der König nur deren Beschützer und Förderer zu sein. Die Folge war. daß sich die große Masse derselbe» allmählich entschieden an ihn anschloß. Er siegte mit der Nationalgarde, dem bewaffneten Bürgertnme. nud mit der öffentlichen Meinung ans allen Punkten über die Republikaner. Diese Zeit erstreckt sich etwa bis 1836. Es ist die Zeit des Aufsteigens des neuen Königtums. Aber der König sah auch voraus. unes Sicherung der öffentlichen Ruhe auch der rechte Flügel des Bürger¬ tums sich, wenn anch nur aus verfassungsmäßigen Wege, mit parlamentari¬ schen Mitteln und mit Benutzung der Preßfreiheit gegen die Obergewalt des Königtums wenden und sich bemühen werde, es seinen Interessen möglichst dienstbar zu machen. Er mußte daher einem weitern Schritt thun und jeden Angriff, der sich gegen die Regierung richtete, als Angriff auf das mit ihm herrschende Bürgertum darstellen lassen, wozu die kommunistischen Selten und ^e Sozinldemokraten mit ihren Attentate!, und Revolten willkommene Gelegen¬ heiten lieferten. Nun begann eine neue Taktik. Man ging von der Über- ^ugung aus, daß der Republikanismus ausgelebt habe, aber die nahe Ver¬ wandtschaft desselben mit der Sozialdemokratie und dem Kommunismus machte ^ möglich, alle Bestrebungen des vierten Standes als Gefahr für das Eigentum ^scheinen zu lassen. Es gelang damit, die Bourgeoisie durch Angst und Schreck ^ dem Proletariat weiter für das „Bnrgerkönigtum" zu gewinnen, und sie sich sorte Beschränkungen ihrer Rechte ruhig gefallen. Nur die Opposition

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/261>, abgerufen am 03.07.2024.