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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

in Attentaten hervor. Das Attentat QnenissetS, der am 13. September 1841
bei der Rückkehr des Herzogs von Anmale ans Algier einen Schuß auf die
Gruppe der ihn am Thore der Pariser Vorstadt Se. Antoine empfangenden
königlichen Prinzen abfeuerte, hob einigermaßen den Schleier von diesem
Treiben. Qnenisset, ein Arbeiter, gestand, daß er Mitschuldige habe, die sich
wie er zu den ^'lÄvaMeurs vMUWires hielten, sich in einer Schenke zum
Sturze des Thrones verschworen hatten und dieses Unternehmen mit Ermordung
des ersten besten Mitgliedes der königlichen Familie, das ihnen vor Ange"
komme, beginnen wollten. Neben dem wilden und gewaltthätigen Kommunismus
mit seiner Güter- und Weibergemeinschaft gingen der oben geschilderte Cabetsche
und die Bestrebungen der sogenannten Reformisten her, die weder eine Schule
mit bestimmter Theorie noch eine feste Gesellschaft mit deutlich ausgesprochenen
Zielen bildeten, aber gleichfalls dem Arbeiterstande angehörten, worin sie die
Klasse der Gebildeten und Gemäßigten vertraten. Sie wollten zunächst so
wenig wie die Cabetisten zur Verbesserung der Lage des Proletariats Gewalt
anwenden. Teils mit den Republikanern verwandt, indem sie die Reform des
Wahlgesetzes und zuletzt das allgemeine Wahlrecht forderten, teils mit den
Sozialisten und Kommunistin?, insofern sie vou Regierung und Kammern Be¬
günstigung des Proletariats erwarteten, gehörten sie zu densenigen Arbeitern,
die ernsthaft und selbständig über die Lage ihres Standes nachgedacht hatten.
Das Organ dieser ganzen Richtung war das Blatt I^teäwi,', das sich an¬
fänglich nur mit den innern Angelegenheiten des Arbeiterstandes beschäftigte,
bald aber anch weiterliegende Gegenstände ins Bereich seiner Betrachtungen
zog und Einfluß auf die ganze soziale Bewegung gewann. Unter seinen Mit¬
arbeitern befanden sich auch viele Arbeiter in Werkstätten und Fabriken, z.
Albert, der später Sekretär der provisorischen Regierung wurde. Doch hatte
diese Richtung, eben weil sie kein System aufstellte und sich nicht zu einer
Gesellschaft ausbildete, geraume Zeit keine rechte Macht, und sie gewann erst
Bedeutung, als sie sich der politischen Bewegung zuwendete, ans der die
Februarrevolution von 1848 hervorging, der sie dann mächtig vorarbeiten hals-

Wir versuchen nun, die Verhältnisse und Wege darzustellen, die zur Be¬
teiligung des vierten Standes an der Februarrevolution und dazu führten,
daß dieser Stand für eine kurze Zeit die Hauptrolle spielte. Mit dem Erfolge
der Revolution von 1830 war für das Staatsleben Frankreichs eine verhängnis¬
volle Thatsache ins Leben getreten: die unbedingte Ehrfurcht vor dem Throne,
die nicht nach Gründen fragt, aus denen sie empfunden wird, sondern sich ih>u
als einer von Gottes Gnade geschaffenen und in Vererbung erhaltenen Ein¬
richtung unterwirft, ein Gefühl, das den stärksten Grundpfeiler des Königtums
bildet, weil es das Königtum auch im Berfassungsstaate, wenn er nur den
Parlamentarismus ausschließt, über die Parteien erhebt, war gebrochen. Das
Volk, das die .Krone einen Augenblick in den Händen gehabt und sie dann


Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

in Attentaten hervor. Das Attentat QnenissetS, der am 13. September 1841
bei der Rückkehr des Herzogs von Anmale ans Algier einen Schuß auf die
Gruppe der ihn am Thore der Pariser Vorstadt Se. Antoine empfangenden
königlichen Prinzen abfeuerte, hob einigermaßen den Schleier von diesem
Treiben. Qnenisset, ein Arbeiter, gestand, daß er Mitschuldige habe, die sich
wie er zu den ^'lÄvaMeurs vMUWires hielten, sich in einer Schenke zum
Sturze des Thrones verschworen hatten und dieses Unternehmen mit Ermordung
des ersten besten Mitgliedes der königlichen Familie, das ihnen vor Ange»
komme, beginnen wollten. Neben dem wilden und gewaltthätigen Kommunismus
mit seiner Güter- und Weibergemeinschaft gingen der oben geschilderte Cabetsche
und die Bestrebungen der sogenannten Reformisten her, die weder eine Schule
mit bestimmter Theorie noch eine feste Gesellschaft mit deutlich ausgesprochenen
Zielen bildeten, aber gleichfalls dem Arbeiterstande angehörten, worin sie die
Klasse der Gebildeten und Gemäßigten vertraten. Sie wollten zunächst so
wenig wie die Cabetisten zur Verbesserung der Lage des Proletariats Gewalt
anwenden. Teils mit den Republikanern verwandt, indem sie die Reform des
Wahlgesetzes und zuletzt das allgemeine Wahlrecht forderten, teils mit den
Sozialisten und Kommunistin?, insofern sie vou Regierung und Kammern Be¬
günstigung des Proletariats erwarteten, gehörten sie zu densenigen Arbeitern,
die ernsthaft und selbständig über die Lage ihres Standes nachgedacht hatten.
Das Organ dieser ganzen Richtung war das Blatt I^teäwi,', das sich an¬
fänglich nur mit den innern Angelegenheiten des Arbeiterstandes beschäftigte,
bald aber anch weiterliegende Gegenstände ins Bereich seiner Betrachtungen
zog und Einfluß auf die ganze soziale Bewegung gewann. Unter seinen Mit¬
arbeitern befanden sich auch viele Arbeiter in Werkstätten und Fabriken, z.
Albert, der später Sekretär der provisorischen Regierung wurde. Doch hatte
diese Richtung, eben weil sie kein System aufstellte und sich nicht zu einer
Gesellschaft ausbildete, geraume Zeit keine rechte Macht, und sie gewann erst
Bedeutung, als sie sich der politischen Bewegung zuwendete, ans der die
Februarrevolution von 1848 hervorging, der sie dann mächtig vorarbeiten hals-

Wir versuchen nun, die Verhältnisse und Wege darzustellen, die zur Be¬
teiligung des vierten Standes an der Februarrevolution und dazu führten,
daß dieser Stand für eine kurze Zeit die Hauptrolle spielte. Mit dem Erfolge
der Revolution von 1830 war für das Staatsleben Frankreichs eine verhängnis¬
volle Thatsache ins Leben getreten: die unbedingte Ehrfurcht vor dem Throne,
die nicht nach Gründen fragt, aus denen sie empfunden wird, sondern sich ih>u
als einer von Gottes Gnade geschaffenen und in Vererbung erhaltenen Ein¬
richtung unterwirft, ein Gefühl, das den stärksten Grundpfeiler des Königtums
bildet, weil es das Königtum auch im Berfassungsstaate, wenn er nur den
Parlamentarismus ausschließt, über die Parteien erhebt, war gebrochen. Das
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[0260] Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie in Attentaten hervor. Das Attentat QnenissetS, der am 13. September 1841 bei der Rückkehr des Herzogs von Anmale ans Algier einen Schuß auf die Gruppe der ihn am Thore der Pariser Vorstadt Se. Antoine empfangenden königlichen Prinzen abfeuerte, hob einigermaßen den Schleier von diesem Treiben. Qnenisset, ein Arbeiter, gestand, daß er Mitschuldige habe, die sich wie er zu den ^'lÄvaMeurs vMUWires hielten, sich in einer Schenke zum Sturze des Thrones verschworen hatten und dieses Unternehmen mit Ermordung des ersten besten Mitgliedes der königlichen Familie, das ihnen vor Ange» komme, beginnen wollten. Neben dem wilden und gewaltthätigen Kommunismus mit seiner Güter- und Weibergemeinschaft gingen der oben geschilderte Cabetsche und die Bestrebungen der sogenannten Reformisten her, die weder eine Schule mit bestimmter Theorie noch eine feste Gesellschaft mit deutlich ausgesprochenen Zielen bildeten, aber gleichfalls dem Arbeiterstande angehörten, worin sie die Klasse der Gebildeten und Gemäßigten vertraten. Sie wollten zunächst so wenig wie die Cabetisten zur Verbesserung der Lage des Proletariats Gewalt anwenden. Teils mit den Republikanern verwandt, indem sie die Reform des Wahlgesetzes und zuletzt das allgemeine Wahlrecht forderten, teils mit den Sozialisten und Kommunistin?, insofern sie vou Regierung und Kammern Be¬ günstigung des Proletariats erwarteten, gehörten sie zu densenigen Arbeitern, die ernsthaft und selbständig über die Lage ihres Standes nachgedacht hatten. Das Organ dieser ganzen Richtung war das Blatt I^teäwi,', das sich an¬ fänglich nur mit den innern Angelegenheiten des Arbeiterstandes beschäftigte, bald aber anch weiterliegende Gegenstände ins Bereich seiner Betrachtungen zog und Einfluß auf die ganze soziale Bewegung gewann. Unter seinen Mit¬ arbeitern befanden sich auch viele Arbeiter in Werkstätten und Fabriken, z. Albert, der später Sekretär der provisorischen Regierung wurde. Doch hatte diese Richtung, eben weil sie kein System aufstellte und sich nicht zu einer Gesellschaft ausbildete, geraume Zeit keine rechte Macht, und sie gewann erst Bedeutung, als sie sich der politischen Bewegung zuwendete, ans der die Februarrevolution von 1848 hervorging, der sie dann mächtig vorarbeiten hals- Wir versuchen nun, die Verhältnisse und Wege darzustellen, die zur Be¬ teiligung des vierten Standes an der Februarrevolution und dazu führten, daß dieser Stand für eine kurze Zeit die Hauptrolle spielte. Mit dem Erfolge der Revolution von 1830 war für das Staatsleben Frankreichs eine verhängnis¬ volle Thatsache ins Leben getreten: die unbedingte Ehrfurcht vor dem Throne, die nicht nach Gründen fragt, aus denen sie empfunden wird, sondern sich ih>u als einer von Gottes Gnade geschaffenen und in Vererbung erhaltenen Ein¬ richtung unterwirft, ein Gefühl, das den stärksten Grundpfeiler des Königtums bildet, weil es das Königtum auch im Berfassungsstaate, wenn er nur den Parlamentarismus ausschließt, über die Parteien erhebt, war gebrochen. Das Volk, das die .Krone einen Augenblick in den Händen gehabt und sie dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/260>, abgerufen am 03.07.2024.