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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Besitzlosen und rief deren Kampf mit den von ihr unbefriedigten besitzenden
Klassen, die Schreckensherrschaft, hervor. Die Vermögenden brachen aber doch
zuletzt die Herrschaft des Konvents, und die zweite Verfassung machte der dritten
Raum (1795), die wieder einen Wahlzensus einführte, aber gar keine Basis
hatte, sondern sich nur durch die allgemeine Erschöpfung aufrecht erhielt. Unter
ihr klärten beide Parteien ihre Begriffe ans: die Besitzenden (Kapitalisten) be¬
griffen, daß sie nnr bei einer festen Staatsgewalt weiter bestehen konnten, die
Besitzlosen (Proletarier) dagegen erkannten, daß sie das Prinzip der Gleichheit
bis zu dessen äußerster Konsequenz, der Gütergemeinschaft, verfolgen müßten.
Anfänge dazu hatten sich allerdings schon vorher gezeigt. Robespierre neigte
zu kommunistischen Grundsätzen, und Se. Just sah das Heil der Republik in
einem Gesetz, das jeden Bürger mit so viel Grundeigentum ausstattete, daß er
sich mit Frau und Kindern davon ernähren könne. Auch bei den von Zeit
zu Zeit auftauchenden Stenerfragen griff die Parteipvlitik auf das Gebiet von
Mein und Dein hinüber. Es kam gelegentlich zu Veeinträchtignugen des Eigen¬
tums, z. B. durch die Beschlüsse der konstituireudeu Nationalversammlung vom
4. August, durch die Aufstellung des Maximums n"d durch andre von außer-
ordentlichen Umständen veranlaßte und vorübergehende Maßregeln; das Prinzip
des Eigentums aber war dabei immer von den Machthabern gewahrt worden,
und selbst in den wildesten Tagen der Schreckensherrschaft hatte es der Kon¬
vent unter den Schutz eines Gesetzes gestellt, das den bloßen Antrag auf eine
Ackerverteilung mit der Guillotine bedrohte. Unter dem Direktorium aber
bildete sich 1796 eine gefährliche kommunistische Verschwörung, an deren Spitze
die wilden Fanatiker Babveuf und Darth" standen, und der Tausende von ehe¬
maligen Jakobinern angehörten.

Die Enthüllung dieser Umtriebe, mit denen man durch roheste Gewalt
und blutige Vernichtung jedes Widerstandes zur Gütergemeinschaft gelangen
wollte, erfüllte das Land mit Entsetzen, der öffentliche Abscheu bestätigte das
gegen die beiden Führer der Verschwörer gefällte Todesurteil, und mit ihrer
Hinrichtung und der Deportation ihrer am schwersten belasteten Mitschuldigen
schien der Kommunismus vom. Voden Frankreichs und aus den Köpfen der
Franzosen vertriebe"? zu sein. Unter Napoleon und der Restauration war keine
Spur mehr von ihm zu bemerken. Seit der Julirevolution aber hatte er eine
Werkstatt in einem Winkel von Paris, wo ein alter Mitverschwörer Babvenfs,
der Italiener Buonarotti, nachdem er lange Zeit in Belgien und Genf gelebt
hatte, einer Anzahl von Schillern, meist Handwerksgesellen, die Grundsätze und
Bestrebungen seiner Jugend predigte und die geheime Verbindung der "demo¬
kratischen Carbonari" stiftete, die sich in aller Stille bis über die französischen
Grenzen verzweigte und ihrem Oberhaupte bedeutenden Einfluß ans die Volks¬
bewegungen verschaffte, die sich in den dreißiger Jahren in bete Nachbarländern
kundgaben. Nächst den französischen Handwerksburschen waren es vorzüglich


Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie

Besitzlosen und rief deren Kampf mit den von ihr unbefriedigten besitzenden
Klassen, die Schreckensherrschaft, hervor. Die Vermögenden brachen aber doch
zuletzt die Herrschaft des Konvents, und die zweite Verfassung machte der dritten
Raum (1795), die wieder einen Wahlzensus einführte, aber gar keine Basis
hatte, sondern sich nur durch die allgemeine Erschöpfung aufrecht erhielt. Unter
ihr klärten beide Parteien ihre Begriffe ans: die Besitzenden (Kapitalisten) be¬
griffen, daß sie nnr bei einer festen Staatsgewalt weiter bestehen konnten, die
Besitzlosen (Proletarier) dagegen erkannten, daß sie das Prinzip der Gleichheit
bis zu dessen äußerster Konsequenz, der Gütergemeinschaft, verfolgen müßten.
Anfänge dazu hatten sich allerdings schon vorher gezeigt. Robespierre neigte
zu kommunistischen Grundsätzen, und Se. Just sah das Heil der Republik in
einem Gesetz, das jeden Bürger mit so viel Grundeigentum ausstattete, daß er
sich mit Frau und Kindern davon ernähren könne. Auch bei den von Zeit
zu Zeit auftauchenden Stenerfragen griff die Parteipvlitik auf das Gebiet von
Mein und Dein hinüber. Es kam gelegentlich zu Veeinträchtignugen des Eigen¬
tums, z. B. durch die Beschlüsse der konstituireudeu Nationalversammlung vom
4. August, durch die Aufstellung des Maximums n»d durch andre von außer-
ordentlichen Umständen veranlaßte und vorübergehende Maßregeln; das Prinzip
des Eigentums aber war dabei immer von den Machthabern gewahrt worden,
und selbst in den wildesten Tagen der Schreckensherrschaft hatte es der Kon¬
vent unter den Schutz eines Gesetzes gestellt, das den bloßen Antrag auf eine
Ackerverteilung mit der Guillotine bedrohte. Unter dem Direktorium aber
bildete sich 1796 eine gefährliche kommunistische Verschwörung, an deren Spitze
die wilden Fanatiker Babveuf und Darth« standen, und der Tausende von ehe¬
maligen Jakobinern angehörten.

Die Enthüllung dieser Umtriebe, mit denen man durch roheste Gewalt
und blutige Vernichtung jedes Widerstandes zur Gütergemeinschaft gelangen
wollte, erfüllte das Land mit Entsetzen, der öffentliche Abscheu bestätigte das
gegen die beiden Führer der Verschwörer gefällte Todesurteil, und mit ihrer
Hinrichtung und der Deportation ihrer am schwersten belasteten Mitschuldigen
schien der Kommunismus vom. Voden Frankreichs und aus den Köpfen der
Franzosen vertriebe«? zu sein. Unter Napoleon und der Restauration war keine
Spur mehr von ihm zu bemerken. Seit der Julirevolution aber hatte er eine
Werkstatt in einem Winkel von Paris, wo ein alter Mitverschwörer Babvenfs,
der Italiener Buonarotti, nachdem er lange Zeit in Belgien und Genf gelebt
hatte, einer Anzahl von Schillern, meist Handwerksgesellen, die Grundsätze und
Bestrebungen seiner Jugend predigte und die geheime Verbindung der „demo¬
kratischen Carbonari" stiftete, die sich in aller Stille bis über die französischen
Grenzen verzweigte und ihrem Oberhaupte bedeutenden Einfluß ans die Volks¬
bewegungen verschaffte, die sich in den dreißiger Jahren in bete Nachbarländern
kundgaben. Nächst den französischen Handwerksburschen waren es vorzüglich


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[0026] Aus den Jugendjahren der Sozialdemokratie Besitzlosen und rief deren Kampf mit den von ihr unbefriedigten besitzenden Klassen, die Schreckensherrschaft, hervor. Die Vermögenden brachen aber doch zuletzt die Herrschaft des Konvents, und die zweite Verfassung machte der dritten Raum (1795), die wieder einen Wahlzensus einführte, aber gar keine Basis hatte, sondern sich nur durch die allgemeine Erschöpfung aufrecht erhielt. Unter ihr klärten beide Parteien ihre Begriffe ans: die Besitzenden (Kapitalisten) be¬ griffen, daß sie nnr bei einer festen Staatsgewalt weiter bestehen konnten, die Besitzlosen (Proletarier) dagegen erkannten, daß sie das Prinzip der Gleichheit bis zu dessen äußerster Konsequenz, der Gütergemeinschaft, verfolgen müßten. Anfänge dazu hatten sich allerdings schon vorher gezeigt. Robespierre neigte zu kommunistischen Grundsätzen, und Se. Just sah das Heil der Republik in einem Gesetz, das jeden Bürger mit so viel Grundeigentum ausstattete, daß er sich mit Frau und Kindern davon ernähren könne. Auch bei den von Zeit zu Zeit auftauchenden Stenerfragen griff die Parteipvlitik auf das Gebiet von Mein und Dein hinüber. Es kam gelegentlich zu Veeinträchtignugen des Eigen¬ tums, z. B. durch die Beschlüsse der konstituireudeu Nationalversammlung vom 4. August, durch die Aufstellung des Maximums n»d durch andre von außer- ordentlichen Umständen veranlaßte und vorübergehende Maßregeln; das Prinzip des Eigentums aber war dabei immer von den Machthabern gewahrt worden, und selbst in den wildesten Tagen der Schreckensherrschaft hatte es der Kon¬ vent unter den Schutz eines Gesetzes gestellt, das den bloßen Antrag auf eine Ackerverteilung mit der Guillotine bedrohte. Unter dem Direktorium aber bildete sich 1796 eine gefährliche kommunistische Verschwörung, an deren Spitze die wilden Fanatiker Babveuf und Darth« standen, und der Tausende von ehe¬ maligen Jakobinern angehörten. Die Enthüllung dieser Umtriebe, mit denen man durch roheste Gewalt und blutige Vernichtung jedes Widerstandes zur Gütergemeinschaft gelangen wollte, erfüllte das Land mit Entsetzen, der öffentliche Abscheu bestätigte das gegen die beiden Führer der Verschwörer gefällte Todesurteil, und mit ihrer Hinrichtung und der Deportation ihrer am schwersten belasteten Mitschuldigen schien der Kommunismus vom. Voden Frankreichs und aus den Köpfen der Franzosen vertriebe«? zu sein. Unter Napoleon und der Restauration war keine Spur mehr von ihm zu bemerken. Seit der Julirevolution aber hatte er eine Werkstatt in einem Winkel von Paris, wo ein alter Mitverschwörer Babvenfs, der Italiener Buonarotti, nachdem er lange Zeit in Belgien und Genf gelebt hatte, einer Anzahl von Schillern, meist Handwerksgesellen, die Grundsätze und Bestrebungen seiner Jugend predigte und die geheime Verbindung der „demo¬ kratischen Carbonari" stiftete, die sich in aller Stille bis über die französischen Grenzen verzweigte und ihrem Oberhaupte bedeutenden Einfluß ans die Volks¬ bewegungen verschaffte, die sich in den dreißiger Jahren in bete Nachbarländern kundgaben. Nächst den französischen Handwerksburschen waren es vorzüglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/26>, abgerufen am 24.08.2024.