Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Aus den Zugendjahren der Sozialdemokratie "ut wie alle frühern Versuche mißlang, soll uns hier nicht beschäftigen. Es Seit dem Auftreten Roiisseaus machte sich in Frankreich eine Bewegung Doch gingen alle diese Gedanken zunächst ziemlich unbeachtet am Publikum Grenzboten II 1890 3
Aus den Zugendjahren der Sozialdemokratie "ut wie alle frühern Versuche mißlang, soll uns hier nicht beschäftigen. Es Seit dem Auftreten Roiisseaus machte sich in Frankreich eine Bewegung Doch gingen alle diese Gedanken zunächst ziemlich unbeachtet am Publikum Grenzboten II 1890 3
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Aus den Zugendjahren der Sozialdemokratie
"ut wie alle frühern Versuche mißlang, soll uns hier nicht beschäftigen. Es
genüge, zu sagen, daß die Erscheinung, nachdem sie sich einmal in ihren Grund¬
sätzen geklärt und befestigt hatte, im wesentlichen denselben Charakter behielt,
"ut daß man immer, wo sich die Möglichkeit bot, mit denselben Mitteln die¬
selbe» Ziele verfolgte. Die Moral davon ist: die Apostel und Propheten der
Sozialdemokratie haben nichts gelernt und nichts vergessen, man hüte sich vor
ihren heuchlerischen Versicherungen, klüger, zahmer und anspruchsloser geworden
?>n sein, sie nehmen Zugeständnisse nnr als notgedrungenen Tribut um ihre
Macht um, im Grunde aber sind sie ihnen nur Halbheiten, die den Schwachen
der Partei genügen und sie von eifrigem Erstreben des Ganzen absehen lassen,
nud insofern mehr Hindernis als Förderung ans ihrem Wege.
Seit dem Auftreten Roiisseaus machte sich in Frankreich eine Bewegung
geltend, die ans Herstellung gleicher Berechtigung aller Einzelnen im Volke ab¬
zielte, wobei die um weitesten vorgeschrittenen entdeckten, daß mit dem bloßen
Politischen Rechte nicht alles erreicht, es vielmehr Pflicht des Staates sei, die
materiellen Verhältnisse so zu ordnen, daß dabei eine wirkliche und dauernde
Gleichheit bestehen könne, mit andern Worten, das Eigentum zu beseitigen, das
sich als der Hauptfeind solcher Gleichheit darstelle. Unter denen, die diesen
Gedanken am deutlichsten aussprachen, stehen Morellh, Mably und Bristol
obenan. Mably sagt unverhohlen, daß „naturgemäß die Gleichheit des Ver¬
mögens die Gleichheit überhaupt bedinge," nud prophezeit, „wenn jene Her¬
stellung der Gleichheit nicht vollstnudig erfolge, so werde das Feuer unter der
Asche nie ersticke» und stets eine Feuersbrunst zu gewärtigen sein." Ähnlich
äußert sich Helvetius. Brissot erkennt, allerdings nur in sehr allgemeinen
Sätzen, die Notwendigkeit, wenn auch nicht der Aufhebung, fo doch „einer ver¬
nünftigeren Verteilung" des Einzelbesitzes um. Morellh predigte schon um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts in seiner „Anstünde" und seinem „Gesetzbuch
der Natur" Gütergemeinschnft und Organisation der Arbeit.
Doch gingen alle diese Gedanken zunächst ziemlich unbeachtet am Publikum
vorüber; der Gang der Dinge mußte erst die stnatsbiirgerliche Gleichheit ent¬
wickeln. Diese wurde von der Revolution dnrch die Erklärung der „Menschen¬
rechte" verkündigt und sollte durch die erste Versnssung verwirklicht werden, die
aber für Wnhlrecht und Wählbarkeit einen Zensus aufstellte und damit das
Vermögen zur Bedingung der Ausübung eines Rechtes machte, dus an sich
jedem zustehen sollte; ein Widerspruch, der zum erstenmale den Gegensatz zwischen
Kapital und Arbeit ans der Gesellschaft in das Staatsrecht übertrug. Dem
Volke tum dabei zum Bewußtsein, daß diese anscheinend unbedingte Gleichheit
dnrch das verschiedne Maß des Besitzes bedingt und beschränkt sei. und so fiel
diese Verfassung; denn das Volk, die Masse, hatte die Gewalt in den Händen.
Die zweite Verfassung, von 17W, verlieh min jedem volljährigen Bürger
gleiches Stimmrecht ohne Unterschied des Vermögens. Sie befriedigte nnr die
Grenzboten II 1890 3
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